Protocol of the Session on March 1, 2011

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Genau das Gegenteil ist der Fall, sage ich Ihnen.

(Unruhe bei der CDU)

Deswegen werden wir diese Entwicklung, mit der wir den Schulen von unten Freiraum geben, Gestaltungsspielraum ge ben, wenn Sie den Gesetzentwurf heute ablehnen – es sieht ja danach aus –, in der nächsten Legislaturperiode umsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Das werden wir sehen!)

Ich erteile Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte heute mit einem Zitat der großen Dame des politischen Liberalismus beginnen, und zwar aus einem Artikel, den sie

am 4. September 1964 geschrieben hat, der in der „Zeit“ ver öffentlicht war und jetzt wieder in einer Sonderbeilage veröf fentlicht wurde. Ich zitiere:

Ich fürchte, dass es später einmal zu den Irrtümern unse rer Generation zählen wird,

(Abg. Peter Schneider CDU: Oje!)

dass wir nach 1945 das obrigkeitsstaatliche Bildungssys tem des neunzehnten Jahrhunderts beinahe unversehrt re stauriert haben.

Sie fügte hinzu, dass die vorausschauende Anpassung an die se in aller Welt stattfindende Entwicklung durch verbissen ge hüteten Traditionalismus gebremst würde.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich könnte auch eine an dere renommierte, großartige Bildungspolitikerin zitieren, Frau Professorin Rita Süssmuth, die bei einer Anhörung der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg vor vier Jahren gesagt hat, dass unser Bildungssystem nach wie vor ständisch orientiert ist und dass wir mit der Vielfalt und Unterschied lichkeit von Kindern endlich positiv umgehen müssen und ei ne Wertschätzung der Vielfalt sowie eine Wertschätzung der individuellen Förderung der Kinder brauchen.

(Unruhe)

Wenn wir uns diese Analyse anschauen, dann müssen wir doch erkennen, dass über Jahrzehnte hinweg eine Strategie zur Optimierung des traditionellen Bildungssystems Anwen dung gefunden hat. Ich gebe zu, diese Optimierungsstrategie ist in Bayern und in Baden-Württemberg am besten und er folgreichsten durchgeführt worden. Deshalb nehmen Bayern und Baden-Württemberg bundesweit Spitzenpositionen ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Vol ker Schebesta CDU: Dass ich das noch erleben darf! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Spät ist die Erkennt nis, aber sie ist da!)

Aber um welchen Preis? Der Preis dieser Spitzenposition ist eine immer mehr stattfindende Abstimmung mit den Füßen und eine Verschärfung der sozialen Auslese. Immer mehr Aus lesedruck und Stress in der Grundschule sind die Folge. Be suchen Sie doch einmal eine x-beliebige Grundschule und re den Sie mit den Eltern, deren Kinder bald eine Grundschul empfehlung bekommen. Die Lehrer und die Eltern werden Ih nen sagen, welcher Druck und welcher Stress in unserem Sys tem besteht.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Stress machen doch nur die El tern!)

In diesen Jahrzehnten haben wir die Warteschleifen an den be ruflichen Schulen immer mehr ausgebaut, und das duale Sys tem wurde geschwächt. Es ist aber das Herzstück unseres be ruflichen Bildungssystems. Sie haben immer wieder flächen deckend Strukturveränderungen von oben verordnet. Sie ha ben immer wieder neue Stärkungsprogramme aufgelegt. Das letzte bezog sich auf die Werkrealschule. Vor drei Wochen hat

Ministerin Schick angekündigt, dass jetzt doch einzügige Werkrealschulen nach zwei Jahren Evaluation möglicherwei se anerkannt werden sollen.

Nun möchte ich Ihnen sagen, was der Bürgermeister von Schelklingen dazu gesagt hat.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Der Herr Knapp!)

Er hat einen Brief an die Ministerin geschrieben, in dem steht:

Ich habe als Bürgermeister die höfliche Bitte an Sie, jetzt endlich einmal ein klares Konzept für die Werkrealschu len zu erstellen, an dem nicht laufend durch neue Ände rungen und ministerielle Interpretationen herumgedok tert wird. Es ist langsam unerträglich, wie die Kommu nen des Landes in der Schulpolitik verunsichert werden.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: So sieht es aus!)

Meine Damen und Herren, das ist die CDU-Bildungspolitik in diesem Land: von oben verordnen und die Menschen und Bürgermeister – vor allem die schwarzen Bürgermeister – ver unsichern. Diese Bildungspolitik führt zu einem gigantischen Flurbereinigungsverfahren in Baden-Württemberg hinsicht lich der wohnortnahen Schulstandorte.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Optimierungsstrategie hat längst ihre Grenzen erreicht. Wir stehen vor neuen Her ausforderungen, für die Sie keine Antworten haben. Wir ha ben eine demografische Entwicklung mit einem dramatischen Schülerrückgang. Wir haben ein geändertes Elternwahlver halten, das Sie nicht mehr zurückdrehen können.

Wir müssen einsteigen in eine inklusive Schulentwicklung, deren Voraussetzungen die individuelle Förderung und ein ge meinsames Lernen sind, damit sie funktioniert.

Kollege Schebesta, selbstverständlich ist es richtig, auf Qua lität zu setzen. Das haben wir Grünen immer gefordert. Wir haben schon immer eine neue Lern- und Unterrichtskultur so wie eine differenzierte Förderung gefordert. Bei der Forde rung nach Gemeinschaftsschulen geht es aber nicht um Expe rimente. Was wir wollen, gibt es weltweit. Das gibt es auch in Baden-Württemberg. Es gibt Schulen, die bereits auf unter schiedlichem Niveau fördern. Als Beispiel nenne ich eine sol che Schule in der Stadt Külsheim. Diese Schulen – in Orten mit schwarzen Bürgermeistern – differenzieren im Binnen system, und zwar nicht in Form der alten Gesamtschule, son dern durch eine Vielfalt von unterschiedlichen Lernangebo ten, die individuell ausgestaltet sind. Kollege Schebesta, das heißt aber auch, dass sich einzelne Kinder im Einzelfall auch einmal in einer kleinen Lerngruppe zusammensetzen können, ohne dass das bedeuten würde, dass das Prinzip der individu ellen Förderung dadurch aufgehoben würde.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Flexklasse!)

Wir wollen ausdrücklich mit den Menschen, mit den Bürger meistern vor Ort – dies sind in der Regel schwarze Bürger meister; das wissen Sie ganz genau –, mit den Schulen, mit den Eltern sowie mit den Schülerinnen und Schülern gemein sam eine solche innovative Schulentwicklung in die Wege lei ten. Deshalb müssen als Erstes die Blockaden aufgelöst wer

den. Dann machen wir keine Experimente, sondern Schulent wicklung von unten

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber leider ohne Sie, Frau Rastätter!)

mit Innovationen, die wir brauchen, um die großen Heraus forderungen zu bewältigen, die wir sonst nicht bewältigen können.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich klatsche auch! Frau Rastätter wird mir fehlen! Sie werden mir fehlen, Frau Rastätter! – Gegenruf der Abg. Renate Rastät ter GRÜNE: Sie mir auch, Herr Röhm! – Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold für die FDP/DVP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Im Jahr 2007, Herr Zeller, war die SPD sehr mutig. Sie hat damals einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Folgendes be inhaltete:

2. Die Grundschule wird von vier auf sechs Jahre verlän

3. Haupt- und Realschulen werden zu Gemeinschafts

schulen... zusammengeschlossen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wollen sie noch immer!)

Außerdem besteht die Möglichkeit, einen gymnasialen Zweig anzugliedern.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

4. Die gymnasiale Schulzeit in der Normalform beträgt

künftig sechs Jahre.

So lautete der ursprüngliche Gesetzentwurf im Jahr 2007. Er wurde dann zurückgezogen – nach Hamburg,