Protocol of the Session on March 1, 2011

Herr Röhm, beruhigen Sie sich.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich bin gar nicht aufgeregt!)

Jetzt beruhigen Sie sich.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Dazu muss ich mich erst aufregen!)

Dabei wird die Landesregierung auch nicht müde, im Zusam menhang mit der G-8-Diskussion permanent darauf hinzuwei sen, dass für alle, die sich für den Weg zum Abitur neun Jah re Zeit lassen wollen, der Weg über die Realschule und die be ruflichen Gymnasien der richtige ist. Nur: Wer dieser Emp fehlung folgt, geht ein erhebliches Risiko ein, weil die Schü lerzahlen in den Eingangsklassen an den beruflichen Gymna sien gedeckelt sind und weil für ein Drittel der Bewerber kein Platz an diesen Schulen ist. Das ist eine Situation, die wir nicht akzeptieren. Wir können auch nicht akzeptieren, dass die Aus bildung junger Menschen von Kassenlage und Konjunktur be einflusst wird, meine Damen und Herren.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Mehrheit macht auf diesem Weg das Abitur, Herr Kaufmann! Das wis sen Sie doch ganz genau!)

Herr Röhm, an Ihrer Schule besteht das Recht, in die Ober stufe zu gehen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nein!)

Wer die Versetzung hat, kann in die Oberstufe.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Unterbelegung!)

Jetzt schlage ich Ihnen vor: Stellen Sie sich einmal für einen Moment vor, an Ihrer Schule wäre es so, dass nur zwei von drei Berechtigten, die in die Oberstufe gehen können, zuge lassen würden, Sie also ein Drittel abweisen müssten.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Stellen Sie sich einmal vor, man würde dann den Abgewiese nen noch sagen – jetzt zitiere ich Frau Krueger –: „Welches Menschenbild habt ihr denn eigentlich? Beginnt der Mensch erst beim Abitur?“ Die Frau Ministerin hat hier gesagt: „Aus reichende Plätze – das ist doch eine rein quantitativ, planwirt schaftlich definierte Diskussionsebene“ und – ich zitiere wie der – „eine Abwertung aller Abschlüsse, die nicht zum Abitur führen“. Sie erkennen doch selbst die Absurdität dieser Argu mentation. Aber in Bezug auf die Realschüler, die in eine Oberstufe wechseln wollen, ist Ihnen diese Argumentation nicht zu billig. Ich muss sagen, das ist traurig.

Ich will noch einmal auf den Kern unseres Anliegens kom men. Es geht in der Tat nicht um die Bewertung von Schulab schlüssen. Es geht um die Frage, inwieweit die Landesregie rung ihre eigenen Ansprüche an die Bildungspolitik ernst nimmt.

(Zuruf der Abg. Andrea Krueger CDU)

Das tut sie aus unserer Sicht nicht. Genau deshalb brauchen wir im Schulgesetz eine verbindliche Aussage, die garantiert, dass jeder Absolventin und jedem Absolventen mit Realschul abschluss oder einem gleichwertigen mittleren Bildungsab schluss bei Vorliegen der entsprechenden notenmäßigen Vor aussetzungen der Weg zum Abitur geöffnet wird. Mit der schwammigen Formulierung vom bedarfsgerechten Ausbau wurde die Landesregierung den Herausforderungen bislang nicht gerecht, wie die Zahlen belegen. Nur ein Rechtsanspruch kann diese Zitterpartie beenden, und deshalb plädieren wir für dieses Gesetz.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Lehmann für die Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben heute nicht die erste Debatte zu dem Thema „Berufliche Gymnasien“, aber sicher die letz te Debatte hierzu in dieser Legislaturperiode.

Ich will auch nicht verschweigen, Frau Krueger, dass wir in der Enquetekommission eine sehr fruchtbare Diskussion über das Thema „Berufliche Gymnasien“ geführt haben. Wir wa ren uns in einem Punkt nicht einig, nämlich in der Frage des Rechtsanspruchs. Ansonsten besteht hier im Parlament bei der Bedeutung der beruflichen Gymnasien kein Unterschied in

der Bewertung. Das will ich einfach vorausschicken. Aber die ser Punkt, bei dem wir uns unterscheiden, ist essenziell und keine Kleinigkeit.

Ich möchte noch einmal darauf Bezug nehmen, was Herr Kaufmann eben angeführt hat. In der Debatte kam immer wie der das Argument auf, was für ein Menschenbild wir eigent lich haben, wenn wir einen solchen Rechtsanspruch fordern. Dies wurde sogar noch untermauert. Es wurde gesagt, es sei ein wenig abstrus, dass die beste Wahl immer auch ein mög lichst hoher Bildungsabschluss sei.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Der Mensch fängt nicht beim Abitur an!)

Ja. Aber die Argumentation, die damit verbunden ist, ist doch schräg, Frau Krueger. Denn heute wissen wir alle, dass wir möglichst hohe Bildungsabschlüsse für möglichst viele Menschen in unserem Land brauchen und dass wir allen Men schen, die dies wollen, die Wege hierfür schaffen müssen. Das gilt unabhängig von der Strukturdiskussion in der Bildungs politik.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Deswegen machen auch über 45 % der Schüler in Baden-Württemberg die Fachhochschulreife oder das Abitur!)

Wenn Sie das bildungspolitische Ziel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ wirklich ernst nehmen, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen – wir haben unlängst über die Übergänge, auch über den Übergang von der Realschule auf das berufli che Bildungssystem, diskutiert –, dass mittlerweile jeder drit te Realschulabsolvent ein berufliches Gymnasium besucht, dass 50 % der Realschulabgänger ein Berufskolleg besuchen

(Abg. Andrea Krueger CDU: Das ist doch toll!)

und dass heute nur noch 17 % der Realschulabgänger den Weg ins duale System gehen.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Wollen Sie, dass es künftig weniger sind?)

Sie argumentieren, ein Ausbau der beruflichen Gymnasien würde dazu führen, dass das duale System noch mehr erodie ren würde. Das ist absurd. Denn wir sehen – dieses Argument ist auch in der Ausschussberatung angeführt worden –,

(Abg. Andrea Krueger CDU: Aber nicht von mir, Herr Kollege Lehmann!)

wo es die Doppelbewerbungen gibt, über die immer geredet wird. Die jungen Leute bewerben sich um einen Platz in ei nem beruflichen Gymnasium und natürlich auch um einen Platz in einem Berufskolleg, weil sie wissen, dass es zu we nig Plätze in den beruflichen Gymnasien gibt. Wo „landen“ sie, wenn sie studieren wollen? Sie gehen in ein Berufskolleg. Dadurch werden sie – zu dieser These stehe ich – nicht so gut auf ihr Hochschulstudium vorbereitet wie in einem berufli chen Gymnasium. Ich denke, das läuft den Interessen der jun gen Leute und auch den Interessen der Eltern zuwider.

Sie tragen das Ziel des bedarfsgerechten Ausbaus vor sich her. Dann muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in Waldshut und in Lörrach auf einen Platz in einem beruflichen

Gymnasien nach wie vor zwei Bewerbungen kommen. Ob das bedarfsgerecht ist, möchte ich wirklich in Zweifel ziehen. Ich glaube, da besteht dringend Handlungsbedarf.

Die Ausbaustufen, die Sie vorsehen, können nicht nur so be gründet werden, wie es die FDP/DVP tut. Diese hat gesagt, der Rechtsanspruch sei schon deswegen nicht richtig, weil man die nötigen Ressourcen nicht habe und die Lehrerversor gung nicht entsprechend sicherstellen könne.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sie haben sie doch auch nicht! – Zuruf der Abg. Heiderose Ber roth FDP/DVP)

Das kann kein ernsthafter bildungspolitischer Anspruch sein. Wir alle stehen jedoch dazu, dass wir die Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs haben. Das ist eine gesell schaftliche Errungenschaft, um die uns verschiedene europä ische Staaten beneiden. Das führt auch dazu, dass wir eine ge ringere Jugendarbeitslosenquote haben als andere. In Finn land gibt es keine Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Le bensjahrs. Deswegen haben wir auch ein Übergangssystem von den allgemeinbildenden Schulen zur beruflichen Bildung. Das muss man ganz klar zur Kenntnis nehmen. Ich will das nicht kritisieren. Aber wir müssen doch in dem System eine Veränderung vornehmen, damit dies wirklich zum Bildungs erfolg der jungen Leute führt.

Deswegen bedarf es eines Rechtsanspruchs. Der Rechtsan spruch auf einen Platz in einem beruflichen Gymnasium ist die andere Seite der Medaille der Schulpflicht bis zur Vollen dung des 18. Lebensjahrs.

Herr Kaufmann hat das treffend formuliert: Wir würden nie auf die Idee kommen, solche Sperren beim Gymnasium vor zunehmen.

Wir brauchen das. Ich glaube, deswegen ist es notwendig, et was im System zu verändern. Ein Bildungssystem muss trans parent, durchlässig und verlässlich sein.

(Zuruf der Abg. Andrea Krueger CDU)

Wenn ein Bildungssystem diese Mindestanforderungen nicht erfüllt, dann ist dringend politischer Handlungsbedarf gege ben. Ich habe das Beispiel von Lörrach und Waldshut ange führt. Dies ist ein untragbarer Zustand.

Frau Krueger, es gab einen einstimmigen Beschluss des Schul ausschusses in unserem Landkreis zum weiteren Ausbau der beruflichen Gymnasien. Wir haben zwei Klassen bei einem beruflichen Gymnasium bekommen. Die Berufsschulstandor te in Stockach und Radolfzell haben sich auch beworben und sind leer ausgegangen. Es gibt einen einstimmigen Beschluss – auch mit den Stimmen von Ratsmitgliedern der CDU –, dass wir auch an diesen beiden Standorten ein berufliches Gymna sium wollen, weil ein entsprechender Bedarf vorhanden ist.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Ich habe nicht gesagt, dass wir das nicht wollen!)

Der Bedarf ist da.

(Zuruf der Abg. Andrea Krueger CDU)

Es kann nicht sein, dass Sie das sozusagen abbürsten und hier die jungen Leute im Regen stehen lassen. Deshalb ist der Rechtsanspruch notwendig und richtig.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Magerer Beifall! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Das Wort erhält Frau Abg. Berroth für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, mei ne Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, welche Phan tomdebatten heute hier geführt werden.