Protocol of the Session on November 8, 2006

(Beifall bei der SPD)

Ich zitiere aus einem Brief der Fleischer-Innung MannheimHeidelberg. Die Innung schreibt uns zu Recht:

Das Sozialsystem in Deutschland wird zu großen Teilen getragen vom mittelständischen Einzelhandel und

den daran anhängigen Branchengruppen. Ebendiese Branchen, die ihr Personal auf längere Öffnungszeiten nicht weiter strecken können …

Sie sind darauf angewiesen, dass man bei den Ladenöffnungszeiten gerade nicht die Großen bevorteilt, sondern auf die Interessen der breiten Mehrheit unserer Einzelhändler Rücksicht nimmt.

Die Innung schreibt weiter, Einkaufsmöglichkeiten in der erweiterten Form würden – ich zitiere –

lediglich der „grünen Wiese“ nützen, die dann ihre Tore geöffnet halten können, jedoch nicht, weil diese daran dann unter dem Strich mehr verdienen, sondern weil sie die ortsnahen und ortszentralen Konkurrenten damit verdrängen können.

Das bitte ich Sie zu berücksichtigen. Wir haben hier gute Vorarbeit geleistet. Sie müssen nichts weiter tun. Sie müssen Ihre Beamtinnen und Beamten nicht in Gang setzen, sondern Sie können schlicht Ihre Hand heben dafür, dass wir eben nicht die Kaufkraft in die großen Zentren abziehen, sondern eine Vielfalt der Kleinen weiter erhalten, dafür, dass wir die Innenstädte lebendig halten, dass wir nicht einige wenige große Kaufhäuser als letzte Anbieter haben, sondern dass der Facheinzelhandel auch weiterhin zum qualitätsvollen Angebot in Baden-Württemberg gehört.

Nicht zuletzt geht es auch um die Wohnqualität. Auch wenn es dann nur wenige Große sind, die in den Städten weiterhin geöffnet werden können: Überlegen Sie sich, was es bedeutet, wenn Sie in der Innenstadt in der Nähe eines großen Kaufhauses wohnen und dort rund um die Uhr die Möglichkeit besteht, dass angeliefert wird und dass ein Kundenstrom fließt.

Ich glaube, wir alle haben ein Interesse daran, dass die Menschen gerade nicht die Innenstädte verlassen, dass es dort nicht immer mehr Büros und Verödung gibt, sondern dass es lebendige Innenstädte bleiben. Auch deshalb bitten wir um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Am Ende möchte ich an Sie appellieren, mit uns gemeinsam auch eine öffentliche Debatte über die Frage „Was heißt eigentlich Lebensqualität in Baden-Württemberg?“ zu führen. Wir sind stolz auf vieles, was das Land zu bieten hat. Aber das hat doch mitnichten etwas mit dem Thema zu tun, dass ich rund um die Uhr einkaufen kann. Das ist im Grunde Konsumterror, der vermeintlich Lebensqualität bedeutet, aber zulasten derer geht, die dann bis spät in die Abendund Nachtstunden arbeiten müssen, zulasten insbesondere von Frauen und auf Kosten ihrer Familien und ihrer Freizeit. Das ist nicht das, was Menschen als Lebensqualität in Baden-Württemberg erwarten dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es uns darum geht, weiterhin gemeinsame Aktivitäten zu ermöglichen, auch weiterhin ehrenamtliches Engagement möglich zu machen, dann benötigt man verlässliche Zeiten. Sicher gibt es immer wieder Menschen, die mehr und auch zu ungewöhnlichen Uhrzeiten arbeiten müssen. Das sind dann in der Regel Menschen, die dafür weit, weit mehr verdienen als diejenigen, die Tag für Tag im Verkauf stehen,

freundlich sein sollen und in der Regel mit einem Minimum an Gehalt abgespeist werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Das sind die Krankenschwestern, die immer sagen, sie verdienen zu wenig!)

Der Einzelhandel ist noch eine der beschäftigungsintensivsten Branchen in Baden-Württemberg. Im Sinne der 250 000 Beschäftigten und im Sinne der Menschen, die darauf angewiesen sind, dass wir die Versorgung in der Fläche des Landes sichern, und auch im Sinne der – im Übrigen von Ihnen sonst gerne zitierten – Kirchen wäre es wirklich notwendig und hilfreich, wenn Sie uns unterstützen würden. Die Regierungsarbeit wäre damit getan, und wir könnten uns anderen Taten zuwenden. Wir bitten Sie um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Wetzel?

Bitte, Herr Abg. Dr. Wetzel.

Zu Ihrem Gesetzentwurf habe ich drei Fragen. Vielleicht können Sie sie mir beantworten.

Warum haben Sie aus § 10 die Fremdenverkehrsorte herausgenommen? Warum haben Sie nur Kur- und Erholungsorte hineingenommen?

In § 11 haben Sie Ausnahmen eingebaut. Teilweise kann an drei Stunden, teilweise an sechs Stunden geöffnet werden. Warum gerade drei Stunden und sechs Stunden? Warum nicht vier oder fünf Stunden?

In § 13 haben Sie den Schutz der Arbeitnehmer extra aufgenommen. Sie, die SPD-Fraktion, treten doch – jedenfalls höre ich das immer wieder – stark für die Beseitigung der Bürokratisierung ein. Unsere Arbeitnehmer werden doch in vielen Gesetzen weitestgehend geschützt. Warum bedarf dann – –

(Zurufe von der SPD: Frage! – Abg. Reinhold Gall SPD: Die Diskussion führen wir hier aber jetzt nicht, Herr Präsident!)

Warten Sie doch! Wenn Sie mich nicht unterbrechen, kann ich fragen.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Reinhold Gall: Sie müssen halt fragen! Ganz einfach!)

Sie müssen sagen: „Stimmen Sie mir zu, dass...“, und dann können Sie das alles vorbringen.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Warum? Das frage ich Sie doch.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: „Warum“ be- inhaltet in der Regel eine Frage! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Dann können wir das einfach beantworten! – Unruhe – Glocke des Präsi- denten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte lassen Sie den Kollegen Dr. Wetzel ausreden.

Ich frage: Aus welchem Grunde ist ein weiterer Arbeitnehmerschutz in § 13 Ihres Gesetzentwurfs erforderlich?

Bitte, Frau Abg. Vogt.

Herr Kollege, wir stimmen Ihnen zu, dass es richtig ist, möglichst unbürokratische Regelungen zu treffen. Wir hatten aber bislang nicht den Eindruck, dass die bisherigen Regelungen zu bürokratisch seien. Es hätte Ihnen auffallen dürfen, wenn Sie sich den Gesetzentwurf anschauen, dass er genau dem entspricht, was auf der Bundesebene geregelt ist. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in solchen Arbeitsverhältnissen stehen und, wie gesagt, auch wenig Geld dafür erhalten, eines besonderen Schutzes bedürfen, sollte niemand von uns abstreiten.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Die FDP/DVP schon!)

Es ist ein Unterschied, ob wir als Abgeordnete manchmal Tag und Nacht unterwegs sind oder ob das Leute mit ganz anderen Gehältern sind. Deshalb halten wir ein Schutzbedürfnis dieser Kolleginnen und Kollegen nicht für eine bürokratische Idee, sondern für etwas, das uns als Gesetzgeber in der Tat obliegt: Es obliegt uns, auch für die Menschen im Land Fürsorge zu tragen, die vielleicht keine so starke Lobby und Interessenvertretung haben, wie sie andere haben, die sich oft lautstark zu Wort melden.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Rombach.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren Kollegen! Das bisherige Gesetz über die Ladenöffnungszeiten stammt, wie Sie wissen, in seinen Grundzügen aus dem Jahr 1956. In den vergangenen zehn Jahren hat es zahlreiche Änderungen erfahren, wie wir alle wissen – zuletzt gerade im Jahr 2003, als die Ladenöffnungsmöglichkeiten an Samstagen bis 20 Uhr ausgedehnt wurden.

Ich glaube, dass wir alle uns in der Bewertung einig sind, dass sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die wirtschaftlichen und die sozialen Rahmenbedingungen erheblich verändert haben. Veränderte Verkaufsformen, Sonderregelungen und Ausnahmen im werktäglichen Ladenschluss haben die Wettbewerbsbedingungen verändert und teilweise – das dürfen wir nicht verkennen – zu Wettbewerbsverzerrungen geführt. Flexible Arbeitszeiten und unterschiedliche Beschäftigungsstrukturen haben die Arbeitsund Lebensbedingungen und die Konsumgewohnheiten der Menschen im Lande – unserer Menschen – nachhaltig ver

ändert. Einkaufen sollte mit den Arbeitszeiten und mit dem Familienleben, meine Damen und Herren, in Einklang gebracht werden können.

(Abg. Ute Vogt SPD: Jawohl! Genau! – Beifall bei der SPD)

Der Einzelhandel muss sich auf die veränderten Situationen einstellen und meiner Meinung nach – jetzt können Sie klatschen, verehrte Anwesende – selbst über die Ladenöffnungszeiten entscheiden und sich der veränderten Situation stellen. Meine Damen und Herren, nicht regulieren, sondern deregulieren ist die Herausforderung der Zeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Gleichzeitig gilt es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, unseren Verfassungsauftrag, die Sonn- und Feiertagsruhe zu schützen, aufrechtzuerhalten. Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage sind als Tage der Arbeitsruhe unter den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Grundgesetzes gestellt.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Familie findet nicht nur am Sonntag statt!)

An Sonn- und Feiertagen soll die Geschäftstätigkeit in Form von Erwerbsarbeit grundsätzlich ruhen, meine Damen und Herren, gerade damit der Einzelne diese Tage für sich allein, mit der Familie, in der Gemeinschaft, in der Nachbarschaft, insbesondere in den Vereinen mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Die Singstunde findet aber nicht sonntags statt, sondern werktags!)

Darauf wurde – ich verweise auf das Bundesverfassungsgericht – im Urteil vom 9. Juni 2004 hingewiesen. Ziel des von der Regierung geplanten Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg ist es, das Ladenschlussrecht zu modernisieren sowie es verbraucherfreundlich und damit auch – ich sage es noch einmal – familienfreundlich zu gestalten.

Das neue Landesgesetz muss meiner Meinung nach einen erheblichen Beitrag zur Vereinfachung und zur Entbürokratisierung leisten. Und das wird es auch, so denke ich, um mit einer Überarbeitung der bisherigen Vorschriften – in einem Zusammenhang, in einer Integration – mehrere bestehende Regelungen in ein Gesetz zu gießen. Ich denke an das bisherige Bundesgesetz über den Ladenschluss, die Verordnung des Bundes über den Verkauf bestimmter Waren an Sonn- und Feiertagen und insbesondere die Ladenschlussverordnung in Baden-Württemberg. Ich sage noch einmal: Es geht um das Zusammenschweißen in einem Guss.