Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dr. Stolz und Herr Rombach, Sie haben uns gerade vorgeführt, was aus Ihrer Sicht modern und unbürokratisch ist, nämlich die komplette Freigabe der Öffnungszeiten an Werktagen. Ich muss schon sagen, liebe Frau Sozialministerin: Wir diskutieren heute über ein Arbeitsschutzgesetz.
Deshalb sind Sie als Sozialministerin zuständig und nicht das Wirtschaftsministerium. Da zu sagen: „Wir sind modern, weil wir alles floaten lassen und alle Öffnungszeiten möglich machen“, kann den Einzelhandel in eine fast mörderische Konkurrenz treiben und zeigt, dass es Ihnen wurstegal ist, wie es den Beschäftigten ergeht. Es ist ein Abgeben von Verantwortung, ist verantwortungslos und ist Ihrer in Ihrer Eigenschaft als Sozialministerin und Ihnen als christlich-demokratische Partei nicht würdig, um das deutlich zu sagen.
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Die Beschäftigten sind bürokratieverträglich zu schützen! Das müssten Sie als Gewerkschafter wissen!)
Frau Sitzmann, ich kann Sie nicht davon ausnehmen. Wenn Sie sagen: „Wir übernehmen nicht Verantwortung, wir greifen nicht regulierend ein“, dann sage ich Ihnen: Sie wollen die Entscheidung über den Ladenschluss an die Kommunen geben. Wo ist denn da eine Regulierung? Wo ist denn da eine Steuerungsmöglichkeit? Das ist ein Abgeben der Verantwortung auf eine andere Ebene, wie es uns CDU und FDP/DVP gerade vorgeführt haben.
Ich fand es schon erstaunlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das Thema Arbeitsschutz bei Ihnen praktisch keine Rolle spielt. Herr Dr. Noll hat das Wort zwar in den Mund genommen, aber nur, um zu sagen, das sei irgendwo anders geregelt.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Natürlich! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das müssten Sie als Gewerkschafter aber wissen!)
Wir diskutieren heute ein Arbeitsschutzgesetz, um das deutlich zu machen. Wir haben inzwischen die ersten verfassungsrechtlichen Gutachten vorliegen. Wir wissen: Nachtarbeit ist schädlich, ist gesundheitsschädlich. Wir wissen: Wir haben in vielen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge – Krankenhäuser, öffentlicher Nahverkehr; ich brauche es gar nicht aufzählen, das wissen Sie alles selber – für die Beschäftigten, die dort besonderen Belastungen ausgesetzt sind, ein gewichtiges Argument, warum sie sich diesen Belastungen unterziehen müssen. Alle Beteiligten – ob das die Betroffenen, ihre Gewerkschaften oder die Politiker sind, die das entscheiden – sagen: Jawohl, diese Flexibilität fordern wir auch ein.
Aber es muss ein Ende geben. Es kann nicht sein, dass Flexibilisierung sozusagen zum Götzen gemacht wird, ohne dass es einen Gegenwert oder eine Gegenleistung gibt, sodass man die Leute beliebig in Belastungen hineinrennen lässt, ohne zu überlegen, ob das in einem halbwegs angemessenen Verhältnis steht.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Also, die Ar- beitszeiten für die Beschäftigten sind im Tarifver- trag geregelt, nehme ich an! – Glocke des Präsiden- ten)
Herr Kollege, ich habe eine Frage zum Arbeitsschutz für die Menschen, die arbeiten müssen. Wie wollen Sie denn die Menschen schützen, die tagtäglich, auch am Samstag und am Sonntag, in den Wirtschaften arbeiten,
Sie singen das Hohelied der Familie, wollen aber jetzt Öffnungen für den Ladenschluss an Werktagen ermöglichen, die das Familienleben erschweren.
Sie singen das Hohelied – wir auch – von der Bürgergesellschaft, vom ehrenamtlichen Engagement. Sie produzie
ren aber durch Ihre Vorhaben Situationen, bei denen das nur noch in erschwerter Weise möglich sein wird, da hierfür nicht die Voraussetzungen in der Gesellschaft geschaffen sind, die wir alle brauchen würden. Darüber gehen Sie einfach locker hinweg und machen sich keine großen Gedanken.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Für die Familien, die abends einkaufen wollen, machen wir uns Ge- danken!)
Herr Noll, jetzt komme ich zu Ihnen und Ihrer FDP. Sie haben mit einem Antrag Fragen an die Landesregierung gestellt. Oft sind ja die Leute gescheit, die gescheite Fragen stellen. In diesem Antrag ist zum Beispiel gefragt worden: Was wird sich denn bei einer Öffnung der Ladenschlusszeiten ändern? Antwort der Landesregierung auf Ihre Anfrage: Die IHK sagt, es werde sich nicht viel ändern.
Weiter wurde gefragt: Wie sieht es mit der Beschäftigung aus? Wird es denn mehr Beschäftigung geben? Antwort der Landesregierung: Der Einzelhandelsverband sagt uns, nein, es werde nicht mehr Beschäftigung geben.
Dann fragen Sie weiter nach: Bei der Fußball-WM gab es doch eine Ausnahmeregelung. Gab es damit gute Erfahrungen? Antwort der Landesregierung: Nein, es gab keine guten Erfahrungen. Die Ausnahmeregelung wurde nur bruchstückweise wahrgenommen, vor allem auf der grünen Wiese und von den Großen.
Dann ist gefragt worden: Seit wann ist denn das Land Baden-Württemberg zuständig? Bei dieser Frage habe ich gedacht: Na gut, die FDP soll entschuldigt sein. Sie hat halt gerade gefehlt, als die Föderalismusreform diskutiert und beschlossen wurde.
Dann ist gefragt worden: Welches Ministerium hat denn die Federführung? Daran hat man gemerkt – das ist typisch für die FDP –, dass Sie mit dem Thema Arbeitsschutz gar nichts am Hut haben,
weil Sie sonst gewusst hätten, dass dies zum Sozialministerium gehört und nicht zu Ihnen, Herr Pfister. Das ist doch richtig. – So viel jetzt zum Thema Entbürokratisierung.
Aber der Gag war: Bevor die Fragen gestellt wurden und bevor sie beantwortet wurden, lautete die Überschrift Ihres Antrags: „Ladenöffnungszeiten werktags freigeben!“ Warum haben Sie dann die Fragen gestellt? Ich habe einmal gelernt, dass man Fragen stellt, um Antworten zu bekommen, um diese zu bewerten und um sein eigenes politisches Tun daran dann entsprechend auszutarieren. Nein, Sie haben es schon vorher gewusst. Sie haben wohl gedacht, Sie müssten ein bisschen die Verwaltung beschäftigen, die Ministerien beschäftigen mit unnötigen Stellungnahmen, denen Sie sowieso nichts abverlangen, weil Ihre Entscheidung schon längst feststand. Ich denke, Sie gehen unseriös, Sie gehen unverantwortlich mit diesem Thema um; das will ich ganz deutlich sagen.
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD)
Abschließend: Inzwischen kursieren wissenschaftliche Arbeiten zu der Frage, wie man die erhöhten Kosten ab 20 Uhr, die denen entstehen, die länger aufmachen, wieder ausgleichen könnte.
Ein Professor der Fachhochschule Nürtingen schlägt digitale Preisschilder vor, die dann ab 20 Uhr einen digitalen Umschlag machen, um die Mehrkosten hereinzuholen.
Liebe Kollegen, es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass das unsere Perspektive ist. Es kann nicht Ihr Ernst sein, dass Sie an Ihrer Absicht festhalten, obwohl Sie Bewertungen von Kirchen, von Gewerkschaften, von Einzelhandelsunternehmungen haben, die alle sagen, es sei unmöglich, was da passiert. Wir brauchen die Ladenöffnungszeiten an den Werktagen so, wie sie jetzt sind.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Die müssen es doch alle nicht machen, wenn sie nicht wollen! Sie müssen es nicht!)
Sie gehen darüber hinweg. Ich denke, das ist einfach falsch. Sie kriegen Ärger – hoffentlich und Gott sei Dank. Sie schaden der Branche, Sie schaden den Beschäftigten, Sie schaden dem ländlichen Raum, und Sie schaden auch den Innenstädten der größeren Städte – zum Nutzen der „grünen Wiese“. Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie die Ladenschlusszeiten bei 20 Uhr werktags, wie wir sie jetzt haben! Dann fahren wir insgesamt ganz gut. Überdenken Sie Ihre Positionen, die den Bedenken nicht standhalten können.
Herr Kollege Hausmann, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abg. Theurer? – Bitte, Herr Kollege Theurer.
Herr Kollege Hausmann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es Ihnen vor allem um den Arbeitsschutz. Können Sie mir dann erklären, warum Ihre SPD-Kollegen in Rheinland-Pfalz den Ladenschluss freigegeben haben und den Arbeitsschutz offensichtlich nicht so ernst nehmen wie Sie?
Sie müssten einfach wenigstens Ihre eigenen Anträge und die Stellungnahmen dazu nachlesen. Ich empfehle Ihnen das. Das ist ein Antrag der Abg. Beate Fauser u. a. FDP/DVP. In der Stellungnahme dazu steht, was Rheinland-Pfalz macht. Lesen Sie es nach.