Die Wege wären dann im Hinblick auf die Wahrscheinlich keit, dass das Ziel erreicht wird, gleichwertig. Auch in dieser Hinsicht haben Sie etwas nachzuholen. Solange Sie nämlich nicht sichergestellt haben, dass es für jeden mit mittlerer Rei fe einen Platz in einem beruflichen Gymnasium gibt, können Sie natürlich die Gleichwertigkeit der Abschlüsse postulieren – das stimmt –, aber Sie können nicht die Gleichwertigkeit der Erreichbarkeit dieser Abschlüsse postulieren. Das stimmt eben nicht.
Ein beliebter Kritikpunkt ist auch, zu sagen, das Ganze sei or ganisatorisch schwierig, und es finde eine Art sozialer Ausle
se statt. Das Auguste-Pattberg-Gymnasium in Mosbach hat klar widerlegt, dass das der Fall ist. Dort hat man Erfahrun gen mit der Parallelführung, weil man schon in der Modell phase des G 8 einen G-8-Zug parallel geführt hat. Dort sagt man: „Das ist organisatorisch machbar.“
In Mosbach hat man auch die Eltern der Kinder, die am Ende der vierten Klasse waren, gefragt, ob sie einen neunjährigen Zug beim G 8 bevorzugen würden. Diejenigen, die sich für einen neunjährigen Zug beim G 8 ausgesprochen haben, ha ben als Argument dafür überwiegend nicht angeführt, sie wür den ihren Kindern die Leistung nicht zutrauen. Sie haben auch nicht auf sogenannte Spätentwickler oder andere definierte Gruppen verwiesen. Vielmehr haben sie als Argument – so, wie ich es schon wiedergegeben habe – darauf verwiesen: lan ger Schulweg, andere Interessen vor Ort. Das heißt, es würde an den entsprechenden Gymnasien nicht zu einer sozialen Se lektion zwischen Schwächeren und Stärkeren kommen, so dass auch das eine Befürchtung ist, die nicht greift.
Sie sagen nun in Abwandlung eines Satzes von Angela Mer kel: „Wer für so etwas ist, muss ein Sozialdemokrat sein.“ Das ist interessant. Denn ich würde Ihnen gern einmal Folgendes aus dem Wahlprogramm der CDU in Rheinland-Pfalz zitie ren:
Um den unterschiedlichen Begabungen gerecht zu wer den, sollen Schülerinnen und Schüler am Ende der Klas senstufe 6 die Wahl zwischen dem acht- und dem neun jährigen Weg zum Abitur haben.
(Beifall der Abg. Ursula Haußmann SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD zur CDU: Aha! Die sind wei ter als Sie! – Zurufe der Abg. Karl-Wilhelm Röhm und Winfried Scheuermann CDU)
Ein Kernpunkt des Gesetzes ist, dass an Gymnasien wie der die Möglichkeit für den neunjährigen Gymnasialweg geschaffen wird.
„... setzt damit als erstes Bundesland den vielfach geäu ßerten Elternwillen um“, sagte der Minister. Er empfahl allen Beteiligten mehr Gelassenheit und Vertrauen in die Fähigkeiten der Schulen, vor Ort eigenverantwortlich ei ne für sie gute Entscheidung zu treffen.
Das Gesetz, das dort verabschiedet wurde, sieht vor, dass es achtjährige und neunjährige allgemeinbildende Gymnasien oder Gymnasien mit beiden Zügen geben kann. Auch dies, Frau Vossschulte, ist kein „rotes“ Bundesland, sondern es ist Schleswig-Holstein. Dieses Gesetz wurde am 26. Januar die ses Jahres verabschiedet.
Lassen wir also doch hier die Polemik. Nehmen wir einen Weg in die Palette der bisher bestehenden Möglichkeiten auf, den sich die Eltern wünschen, der von den Schulen als machbar betrachtet wird, der dort eingeführt werden kann, wo es vor Ort Konzepte gibt und auch die Beteiligten dies möchten. Da mit schaffen wir ein zusätzliches Angebot, das niemandem schadet, aber vielen nutzt.
Es ist mehr eine Nachfrage. Herr Dr. Mentrup, ist Ihnen schon zu Ohren gekommen, dass in Schleswig-Holstein die Parallelführung von G 8 und G 9 von der SPD und den Grünen abgelehnt wird?
Dies wurde dort mit der Begründung abgelehnt, dass es Ge meinschaftsschulen gibt, die in jeder Klassenstufe auch ein gymnasiales Niveau anbieten, und dass es dort dann über ei ne dreijährige Oberstufe in neun Jahren den Weg zum Abitur gibt. Man sieht hier im Tun der Landesregierung einen Ver such, diesen Gemeinschaftsschulen sozusagen die gymnasia le Attraktivität ein Stück weit abzugraben, indem man die Gymnasiasten wieder in die klassischen Gymnasien hinüber zieht. Das ist an dieser Stelle eine spezifisch schleswig-hol steinische Sondersituation, weswegen die SPD es dort auch abgelehnt hat.
Aber dies unterstreicht, Frau Vossschulte, dass die von Ihnen angeführten Gründe, warum so etwas nicht möglich sein soll, dort offensichtlich keine Rolle gespielt haben. Daher kann ich überhaupt nicht erkennen, was das mit Rot oder Schwarz zu tun hat. Dies hat vielmehr etwas mit der Fortentwicklung der jeweiligen Systeme zu tun. In Baden-Württemberg passt ein neunjähriger Zug an einem G-8-Gymnasium hervorragend in das System. Daher sollten wir das auch zulassen.
Ich kann gleich da weitermachen, wo Kollege Mentrup auf gehört hat, weil die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Schles wig-Holstein angesprochen wurden. Hier sind die FDP und die CDU betroffen. Wenn wir aber jetzt nach NRW schauen, werden wir feststellen, dass dort G 8 und G 9 ebenfalls paral lel eingeführt werden.
Dort liegen von 2 % der Gymnasien Anträge vor, das G 9 pa rallel einzuführen. Es gibt nur drei Anträge, dass G 8 und G 9 parallel an einem Gymnasium eingeführt werden. Die ande ren Anträge beziehen sich auf eine komplette Umstellung. Aber wie gesagt: Man soll jetzt einmal die Kirche im Dorf las sen. Es sind nämlich nur 2 % der Gymnasien. Deshalb sage ich für Baden-Württemberg: Wir bleiben beim G 8.
Wir können die Schulen, die sich jetzt auf die Umsetzung der Bildungsstandards und auf die ensprechenden Kompetenzstu fen, die jeweils nach zwei Jahren erreicht werden müssen, ein gestellt haben, nicht wieder angehen.
Aber ich sage auch: Wir dürfen auch in Baden-Württemberg nicht vergessen, dass wir hier vor Ort den Bedarf und den Wunsch haben, auch das G 9 zuzulassen. Deshalb gibt es für mich keinen Grund, warum wir nicht mehr zeitliche Flexibi lität zulassen sollten. Wir haben eine breite Heterogenität an den Gymnasien.
Frau Vossschulte, Sie haben etwas ganz Interessantes gesagt, nämlich dass man den Weg über die Realschulen stärker pro pagieren müsse.
Nun können Sie den Eltern, die eine Gymnasialempfehlung für ihr Kind haben, keinen Vorwurf machen, wenn sie ihr Kind nicht auf das Gymnasium schicken. Sie können aber auch nicht sagen: Ihr habt zwar eine Gymnasialempfehlung, aber wir empfehlen euch dringend, euer Kind in eine Realschule zu geben. Das kann doch in Baden-Württemberg auch nicht der Weg sein. Nachdem Sie immer behaupten, die von den Lehrerinnen und Lehrern in der Grundschule gegebene Emp fehlung treffe zu, müssen Sie natürlich dafür sorgen, dass das Gymnasium für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die dort aufgenommen werden, so ausgestaltet wird, dass sie diesen Bildungsgang erfolgreich durchlaufen können.
Ich sage das auch deshalb, weil es bezüglich der Übergänge zwischen dem ländlichen Raum und den Städten große Un terschiede gibt. Ich habe gestern eine Bildungsveranstaltung in der Nachbarstadt von Karlsruhe, in Ettlingen, besucht. Ett lingen hat rund 40 000 Einwohner.
Da wurde mir gesagt – bei 40 000 Einwohnern –, es gebe in diesem Schuljahr eine Übergangsquote von 60 % aufs Gym nasium und von 14,7 % auf die Hauptschule. So viel zum The ma Übergangsquoten. In den Städten nehmen die Eltern die
Übergangsempfehlungen ins Gymnasium an. Die hohen Quo ten von Kindern mit Gymnasialempfehlung, die in die Real schule überwechseln, gibt es hingegen im ländlichen Raum. Im ländlichen Raum gibt es die starken beruflichen Schulen mit den gymnasialen Oberstufen.
Meine Perspektive ist übrigens, dass auch Schüler des allge meinbildenden Gymnasiums in eine berufliche gymnasiale Oberstufe wechseln können und dass wir es möglich machen, dass auch Schülerinnen und Schüler, die die Realschule ab solvieren und dort in den letzten Jahren bereits entsprechen de differenzierte Standards erwartet haben, unter Umständen ebenfalls in eine allgemeine gymnasiale Oberstufe überwech seln können.
Um nicht alle Argumente zu wiederholen, möchte ich heute nur sagen: Wir brauchen einfach mehr Flexibilität. Wenn vor Ort, wie in Mosbach, die gesamte Lehrerschaft, die gesamte Schülerschaft, die Gemeinde, die Stadt einen Antrag gestellt haben, sollte, wie ich finde, eine Flexibilität dergestalt mög lich sein, dass an diesem vierzügigen Gymnasium ein neun jähriger Bildungsgang erprobt werden kann. Das ist auch kein G 9 im klassischen Sinn, sondern es geht um eine Entzerrung in der Unterstufe, um dort den Steilheitsgrad der Anforderun gen etwas abzuschwächen. Spätestens in der achten oder neunten Klasse sind die Schüler ohnehin wieder auf demsel ben Niveau; sie haben nur in der Unterstufe mehr Zeit bekom men.