Protocol of the Session on December 16, 2010

Er ist übrigens eine Notlösung,

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Haben Sie das gehört, Herr Drexler?)

nachdem das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist. Es geht darum, dass wir die Bürgerinnen und Bürger bei gro ßen Infrastrukturvorhaben rechtzeitig beteiligen, anstatt hin terher zu reparieren, nachdem ein Polizeieinsatz aus dem Ru der gelaufen ist. Das ist die Herausforderung, vor der das Land und die Regierung stehen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb sage ich Ihnen: Wir reden heute darüber, die Voraus setzungen für die Durchführung einer Volksabstimmung zu erleichtern. Wir werden aber auch darüber reden müssen, in einem weiteren Schritt eine echte Mitwirkung und auch eine echte Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Pla nung von Großvorhaben zu ermöglichen. Wenn vor einem Planfeststellungsbeschluss Bürgerinnen und Bürger entweder

über einen kommunalen Bürgerentscheid oder über einen Volksentscheid die Möglichkeit hätten, zu entscheiden, wel che Planungsvariante, welches Projekt sie wollen, wäre das ein echter Fortschritt für die Demokratie in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU: Das ist doch schon heute möglich!)

Wenn Sie die repräsentative Demokratie jetzt zu Recht loben, dann müssen Sie sich fragen lassen, ob denn Ihre Praxis mit diesen hehren Worten in Übereinstimmung steht. Gestern ha ben wir einen Tiefpunkt parlamentarischer Demokratie in die sem Landtag erlebt,

(Abg. Winfried Mack CDU: Als Sie ausgezogen sind! Als Sie aus dem Landtag ausgezogen sind! – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Als Sie ausgezogen sind!)

nachdem fast 6 Milliarden € ohne Zustimmung des Landtags schon rechtskräftig

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Einstimmig beschlos sen!)

ausgegeben worden waren. Sie haben es nicht geschafft, bei diesem Milliardengeschäft den Landtag ordentlich zu beteili gen. So viel zur Wertschätzung von parlamentarischer Demo kratie.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Winfried Mack CDU: Gehen Sie doch zum Staatsgerichtshof! Lassen Sie das doch klären!)

Die parlamentarische Demokratie ist nicht etwas, was den Mehrheitsfraktionen in diesem Landtag oder der Regierung zur Disposition steht. Vielmehr ist sie konstitutiv für unser de mokratisches Miteinander. Gerade demjenigen, dem es wich tig ist, dass das Parlament seine Rechte selbstbewusst wahr nimmt, darf es nicht passieren, dass man Verträge ohne Par lamentsvorbehalt schließt und solche Milliardensummen am Landtag vorbei bewilligt.

(Zuruf des Abg. Guido Wolf CDU)

Dies ist einer gereiften parlamentarischen Demokratie nicht würdig.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ihr Gesetzentwurf, den Sie heute vorstellen, würde in Bezug auf die direkte Demokratie fast keinen Fortschritt bringen. Sie wollen nur das Quorum absenken, wenn es ein Volksbegeh ren überhaupt einmal an die Wahlurne geschafft hat. Das ist so ähnlich, als wenn Sie sagten: „Wir wollen jetzt den Acht tausender besteigen, aber der Weg zum Viertausender bleibt weiterhin versperrt.“

Ich sage Ihnen: Wer es mit mehr Bürgerbeteiligung, mit mehr Elementen direkter Demokratie ernst meint, der muss schon die Hürden für die Ingangsetzung eines solchen Verfahrens absenken. Genau dies schlagen SPD und Grüne vor.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Die wortreichen Ausführungen des Herrn Ministerpräsiden ten nach der Schlichtung über eine Enquetekommission, über

demokratische Beteiligung, über mehr Forschung im Bereich demokratischer Beteiligung entpuppen sich als heiße Luft. Sie sind nicht einmal bereit, konkrete Vorschläge zur Erleichte rung direkter Demokratie in Baden-Württemberg zu unterstüt zen. Damit ist klar: Sie spielen nur auf Zeit. Sie wollen gar nicht, dass die Menschen in diesem Land mehr zu sagen ha ben,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und dies, obwohl sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat. Wir haben diese Entwicklung aufgenommen. Wir haben Sie zu einem konstruktiven Dialog über unsere Vorschläge

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

zur Erleichterung von direkter Demokratie eingeladen. Wir haben in der Gesellschaft mündige Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch darauf haben, gehört zu werden und mit zu entscheiden. Sie wollen eine Sachfrage auch selbst ent scheiden. Sie wollen eine Sachfrage dem Parlament selbst vor bringen und in einen Volksentscheid münden lassen.

Das Informationsniveau der Bevölkerung und der allgemeine Bildungsstand sind ohne Zweifel gestiegen. Die Bindung an Parteien, Vereine und Gewerkschaften, also klassische Trans missionsriemen der politischen Willensbildung in unserer Ge sellschaft und historische Interessenvertretungen, ist zurück gegangen. Die dadurch mögliche Mobilisierung der Gesell schaft für politische Fragestellungen ist nicht mehr so einfach, wie sie es in der Vergangenheit war.

Aus diesem Grund sind direktdemokratische Elemente in un serem bewährten repräsentativen System belebend. Sie vita lisieren das demokratische Miteinander. Sie ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern, auf gleicher Augenhöhe mit den Regierenden in einen Dialog einzutreten, darüber nachzuden ken, darüber zu streiten und auch darüber zu entscheiden, was gut für unser Land ist.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Die CDU ist gut für unser Land!)

Ich halte überhaupt nichts davon, direktdemokratische Ver fahren, Plebiszite in einen Zusammenhang mit dem Stichwort einer „Dagegen-Republik“ zu bringen. Es ist richtig: Häufig speisen sich vor allem kommunale Bürgerentscheide aus dem Widerstand gegen eine getroffene Entscheidung. Das kennt man aus der Kommunalpolitik.

Umso wichtiger ist es, dass wir Bürgerentscheide, Volksent scheide ermöglichen und erleichtern, damit wir auch einmal f ü r ein Großprojekt, f ü r eine durchaus strittige Groß investition eine Bürgerbewegung, eine Bürgerinitiative, eine Volksinitiative und letztlich einen Volksentscheid bekommen. Ich bin dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger mit einer gro ßen Massenmobilisierung auch einmal für ein großes Infra strukturvorhaben eintreten und wir dann nicht aus einer „Da gegen-Haltung“, sondern aus seiner Pro-Haltung in einen Volksentscheid ziehen, weil wir in dieser Gesellschaft etwas bewegen wollen.

Ich sage Ihnen: Gerade große Infrastrukturvorhaben werden nur noch dann durchgesetzt werden können, wenn wir eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung mobilisieren, und zwar im Vorfeld bewusst politisch mobilisieren, dass es ein

Bürgerbündnis für Stuttgart 21 oder für ein Pumpspeicher kraftwerk gibt, und nicht gleich ein Kontra-Bündnis geschlos sen wird. Das ist meine Vorstellung von einer modernen Bür gergesellschaft, die den Fortschritt und die Infrastruktur in diesem Land vorantreibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Sie sollten aufhören, Schreckensszenarien von Volksabstim mungen aus anderen Ländern zu zeichnen. Es ist doch selbst verständlich, dass in Deutschland, in Baden-Württemberg Volksbegehren nur im Rahmen der Landesverfassung zuläs sig sind.

(Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Aha! – Ge genruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was soll denn das „Aha“?)

Eine Volksinitiative, die sich gegen die Landesverfassung richtet, die verfassungswidrig ist, ist selbstverständlich nicht zulässig.

Das Problem der Beispiele aus der Schweiz, die Sie genannt haben, ist, dass es sich dabei um Initiativen handelt, die ent weder gegen Schweizer Verfassungsrecht oder gegen europä isches oder gar Völkerrecht verstoßen. Es ist klar, dass wir es nicht zulassen werden, dass Volksinitiativen gegen solches Recht verstoßen. Das ist doch logisch und eine bare Selbst verständlichkeit in unserer Verfassungsgesellschaft.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zurufe von der CDU)

Ich finde es schade, dass eine große Volkspartei mit einer stol zen Tradition wie die CDU überhaupt noch nicht begriffen hat, dass die Beteiligungswünsche, das selbstständige Denken der Bürgerinnen und Bürger etwas Wertvolles sind, was man nicht gering achten, was man nicht niedrig veranschlagen und nicht schlechtreden sollte.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das brauchen wir von Ihnen nicht zu hören!)

Vielmehr sollten wir das begrüßen. Ich bin um jeden froh, der sich in einer politischen und gesellschaftlichen Streitfrage en gagiert und ein Begehren auf den Weg bringt, damit wir in un serer Gesellschaft über Politik, über den Weg zum Gemein wohl streiten. Das ist lebendige Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf von der CDU: Das ist unerträglich!)

Sie haben heute die Chance, nicht nur heiße Luft zu produzie ren, sondern unserem Gesetzentwurf, der den Weg zum Volks begehren erleichtert, zuzustimmen. Der Gesetzentwurf res pektiert übrigens auch die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, so, wie wir bei Bürgermeisterwahlen, lieber Herr Mack, auch respektieren, was die Bürgerschaft – ohne Quo rum – gesprochen hat.

Deshalb sage ich Ihnen: Stimmen Sie für eine moderne De mokratie. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich erteile Herrn Abg. Kretschmann für die Fraktion GRÜNE das Wort.

Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Der Herr Bundespräsident hat heute Morgen in seiner Rede sinngemäß etwa Folgendes gesagt:

(Ministerin Tanja Gönner: „Sinngemäß“!)

„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit der repräsentati ven Demokratie in 60 Jahren gut gefahren sind, dass sie bes ser war als alles, was wir jemals zuvor in der Geschichte hat ten, dass sich die repräsentative Demokratie bewährt hat, dass sie uns Sicherheit und sozialen Wohlstand gebracht hat.“