Protocol of the Session on November 24, 2010

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Ministerin. Jetzt haben Sie einige Einzelmaßnahmen genannt, die man in einem gewis sen Rahmen durchaus in eine Strategie packen kann. Lassen Sie mich aber drei, vier Punkte zu dem nachtragen, was an sonsten noch erwähnt wurde.

Wenn es der Staatsauftrag der Verfassung ist, dass alle Kin der entsprechend ihren Fähigkeiten ihre Begabung entfalten und einen entsprechenden schulischen Abschluss machen sol len, die Korrelation zwischen Bildungserfolg und Herkunft bei uns im Ergebnis bei 6,6 liegt – ich will diese Zahl jetzt nicht noch einmal erklären –, in anderen Bundesländern aber bei 4,3 liegt, dann ist das ein klares Indiz dafür, dass wir die sen Verfassungsauftrag nicht erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Da helfen auch keine Rankingergebnisse an anderer Stelle.

Wenn Sie sagen, Sie garantierten Sprachförderung, aber die letzte Stellungnahme der Landesregierung zu diesem Thema zeigt, dass nach der Umstellung der Sprachförderung in Ver bindung mit der Einschulungsuntersuchung die Zahl der ge förderten Kinder von etwa 11 000 auf 8 000 zurückgegangen ist, wenn jetzt auch die FDP sagt, das letzte Jahr vor dem Schuleintritt allein reiche nicht, und wenn Sie kürzlich sogar erkennen ließen, Sprachförderung müsse auch in der Grund schule fortgesetzt werden, dann können Sie sich doch hier nicht hinstellen und sagen, die Sprachförderung sei so gut, dass die Nachteile, die einzelne Kinder hätten, bis zur Schul zeit ausgeglichen seien. Das ist einfach eine Verkennung der Realität.

(Beifall bei der SPD)

Ein Letztes: Es gibt zum Thema „Stärkung des Fachkräf tenachwuchses“ schon viele Empfehlungen. Der Innovations rat hatte eine Schwerpunktarbeitsgruppe zum Thema „Fach kräftenachwuchs stärken“. Es gibt das Gutachten „Technolo gien, Tüftler und Talente“ von McKinsey im Auftrag des Staatsministeriums. Alle sagen, dass ein Mehr an qualifizier ten Absolventen sehr stark von der Ganztagsbetreuung ab hängt, von der Qualität der Ganztagsbetreuung und von der Quantität. Das hilft auf der einen Seite den Eltern, im Arbeits leben zu bleiben und sich zu qualifizieren, und auf der ande ren Seite den Kindern, weil ihre Bildungschancen nachweis lich steigen.

Wenn ich dann aber feststelle, dass wir mit 11,6 % die bun desweit niedrigste Quote an Ganztagsbetreuung für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren haben und mit 4,0 % die drittniedrigste Quote bei den Kindern unter drei Jahren, dann, meine Damen und Herren, sind wesentliche strategische Zie le, die Sie schon jetzt kennen und die Ihnen von allen Exper ten vorgegeben werden, nicht erfüllt. Zu all diesen Themen habe ich heute nichts Neues gehört, von der Ministerin eigent lich überhaupt nichts.

Frau Ministerin, es reicht nicht, für einzelne Kinder, die schon in einer Schulform sind, zusätzliche Maßnahmen zur Berufs orientierung einzuführen, sondern wir müssen uns grundsätz lich noch einmal folgende Fragen stellen: Wie kommt es, dass

wir am Ende noch immer diese starke Kopplung von sozia lem Hintergrund und späterem Schulerfolg haben? Was kön nen wir zuvor im System an unterschiedlichen Stellschrauben verändern? Wie kann es sein, dass noch immer 30 % der Kin der, die in die Schule gehen, Sprachdefizite haben – trotz zehn Jahren Erfahrung mit dieser Problematik und zehn Jahren Sprachförderung?

Daran müssen sich unsere strategischen Ziele ausrichten, die wir dann aber auch konsequent angehen müssen. Wir dürfen uns nicht mit Teilbereichen beschäftigen, die zwar alle ihre Bedeutung haben, aber letztlich nicht geeignet sind, in zehn bis 15 Jahren die Zahl von 400 000 bis 500 000 zusätzlichen und besser qualifizierten Fachkräften – das ist eine große Zahl – zu generieren, die wir einfach brauchen, um die wirtschaft liche Zukunftsfähigkeit zu sichern.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Krueger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Welche Strategie zur Sicherung des Fachkräfte bedarfs heute zu ergreifen ist, hat spätestens unsere Kultus ministerin noch einmal deutlich gemacht.

Sie haben vorhin die Enquetekommission „Fit fürs Leben“ an gesprochen. Da haben Sie doch sicher vieles von dem wieder gefunden, was wir dort durchaus in großer Übereinstimmung formuliert haben, nämlich das strategische Ziel der Gleich wertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, das stra tegische Ziel der Berufsorientierung, der Transparenz, der Ko operation mit der Wirtschaft, und natürlich die Erhöhung der Qualifikation sowohl bei den Leistungsstärkeren als auch bei den Leistungsschwächeren. Genau darum ging es heute. Ich glaube, dies ist nun tatsächlich deutlich geworden.

Deshalb will ich noch einmal auf die Punkte eingehen, die Sie, Herr Kollege Dr. Mentrup und Herr Kollege Lehmann, vor hin angesprochen haben.

Herr Mentrup, Sie haben vorhin an eine Diskussion erinnert, die wir bezüglich eines Rechtsanspruchs auf einen Platz an einem beruflichen Gymnasium hier geführt haben. Sie haben nur vergessen, hinzuzufügen, dass es nicht nur um Geld geht. Ich bleibe dabei: Sie haben bei dem Antrag damals schlicht und einfach falsch gerechnet. Dies wird von Ihnen intern – ich möchte jetzt nicht sagen: Sie räumen es ein – durchaus so ge sehen.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Plötzlich kostet es gar nichts mehr?)

Natürlich kostet es Geld. Wir sind auch bereit, viel Geld in die Bildung zu investieren. Dies haben wir mit der Qualitätsoffensive belegt, und dies werden wir auch weiterhin tun. Aber es gibt natürlich schon einen Unterschied zwischen unserem Ansatz, den wir damals mit einem von der CDU und der FDP/ DVP gemeinsam getragenen Beschluss formuliert haben, nämlich dem Bekenntnis zum Ausbau der beruflichen Gym nasien und im Übrigen auch der Berufskollegs,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber passiert ist nichts!)

und dem, was Sie gefordert haben, nämlich einem Rechtsan spruch. Dabei sind Sie bis heute die Erklärung schuldig ge blieben, wie Sie einen solchen Rechtsanspruch überhaupt re alisieren wollten. Was ist es denn? Ist es ein Rechtsanspruch auf einen Platz an einem Wirtschaftsgymnasium, einem tech nischen Gymnasium, einem biotechnologischen Gymnasium, einem ernährungswissenschaftlichen Gymnasium, einem ag rarwissenschaftlichen Gymnasium, einem sozialwissenschaft lichen Gymnasium? Und besteht dieser Rechtsanspruch mög lichst überall im Land?

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Haben wir eine tolle Bildungsvielfalt!)

Dies zeigt doch schon, dass diese Vorstellung einfach absurd ist. Deswegen werden wir ihr nach wie vor nicht folgen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Dagegen werden wir sehr wohl die beruflichen Gymnasien, wie es mit dem gestern gefassten Beschluss auf den Weg ge bracht ist, weiter ausbauen, weil wir den jungen Menschen natürlich ein möglichst hohes Qualifikationsniveau ermögli chen wollen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dafür habt ihr euch auch lange genug Zeit gelassen!)

Ich will nur noch einen Punkt ansprechen: Herr Lehmann, Sie haben den Faktor 6,6 angesprochen, die Korrelation zwischen Herkunft und Bildung. Sie unterschlagen an dieser Stelle na türlich, dass bei der Ermittlung dieses Faktors ein wesentli cher Teil des baden-württembergischen Bildungssystems gar nicht zum Tragen kommt, gar nicht eingerechnet wird, näm lich die beruflichen Gymnasien, die Abschlüsse an den beruf lichen Gymnasien. Wenn man weiß, dass allein in BadenWürttemberg schon heute nahezu 40 % derjenigen, die das Abitur ablegen, dies an einem beruflichen Gymnasium und nicht an einem allgemeinbildenden Gymnasium tun, dann stellt man fest, dass sich diese Zahl sehr schnell relativiert und der Faktor dann deutlich niedriger liegt.

Damit will ich aber nicht sagen, dass uns dies nun ruhen lässt. Darin sind wir uns auch völlig einig. Natürlich müssen wir daran arbeiten. Ich denke, die Ministerin hat vorhin auch sehr deutlich gemacht, dass wir dies tun. Wir wollen dies. Wir sind auf dem richtigen Weg, was im Übrigen auch die Studieren denzahlen zeigen. Die Zahl der Studierenden – ganz aktuell von heute Morgen – ist in Baden-Württemberg weiter ange stiegen, nämlich um 4 %.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Fazit meinerseits: Unser in verschiedenen Koalitionen über viele Jahrzehnte CDU-geprägtes Schulsystem ist differenziert und erfolgreich. Das ist CDU-Politik. Daran machen wir wei ter. So werden wir in die Wahl gehen, und so werden wir die se Politik nach dem 27. März 2011 auch fortsetzen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Ojemine!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Lehmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Krueger, ich glaube, Sie haben beim Stichwort „Rechtsanspruch“ wohl etwas falsch verstanden.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Das glaube ich auch!)

Wenn Kinder eine Grundschulempfehlung für ein Gymnasi um bekommen, dann haben sie einen Rechtsanspruch auf ei nen Platz an einem Gymnasium. Natürlich haben sie keinen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Gymnasium mit einem bestimmten Profil. Den haben sie nicht. Aber, Frau Krueger, sie haben einen Rechtsanspruch. Darum geht es.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Ganz genau! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Es kann bei einem beruflichen Gymnasium auch nicht darum gehen, dass man hier jetzt einen Rechtsanspruch auf ein be stimmtes Profil einführt. Aber Sie müssen sich in Ihrer Bil dungspolitik doch auch einmal wirklich konsequent verhal ten.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Wenn Sie sagen, Durchlässigkeit sei das oberste Prinzip in ei nem gegliederten Schulwesen, dann müssen Sie auch Rechts ansprüche schaffen. Sonst schaffen Sie keine Bildungsgerech tigkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wenn ein junger Mensch die Voraussetzung für eine Aufnah me an einem beruflichen Gymnasium erfüllt – mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von mindestens 3,0 –, dann muss die Politik auch dafür Sorge tragen, dass hier ein Rechtsan spruch auf einen Platz an einem beruflichen Gymnasium ein geführt wird. Solange Sie dies nicht machen, so lange sind Sie in Ihrem eigenen System nicht konsequent.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Karl Zimmermann und Andrea Krueger CDU)

Ich möchte jetzt noch einen weiteren Punkt ansprechen: Es geht nicht nur um die Hochschulzugangsberechtigung. Ich ha be schon in der ersten Runde angeführt, dass es darum geht, eine Debatte über einen Punkt zu führen, der in der Öffent lichkeit eben nicht so präsent ist: Der Anteil der Einfachstar beitsplätze lag im Jahr 1978 bei 29,5 %, 2001 bei 14,8 %. Die Prognose für 2015 lautet 12,5 %. Was heißt das, wenn wir jun ge Leute aus der Hauptschule und auch aus der Realschule entlassen und ihre schulische Bildung nicht in eine berufliche Ausbildung münden lassen? Ich habe vorhin beschrieben, dass ein Großteil der jungen Leute dann eben nicht in die duale Ausbildung gelangt. Da haben wir doch offensichtlich ein gro ßes gesellschaftliches Problem.

Wenn wir auch noch berücksichtigen, dass über 25 % der Menschen in Baden-Württemberg einen Migrationshinter grund haben, und uns die Bildungsbiografien dieser jungen Leute anschauen, dann müssen doch bei uns alle Alarmglo cken läuten. Aber sie läuten bei Ihnen nicht. Denn Sie, Frau

Schick, sagen: Wir haben ein tolles System der Berufsvorbe reitung.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Das ist doch wahr! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Wovon träumt ihr nachts?)

Ich muss Ihnen sagen: Das System der Berufsvorbereitung in den BVJ und den anschließenden Maßnahmen der BA ist, ge linde gesagt, eine Katastrophe,

(Beifall bei den Grünen)

die weder im Bund von den Verantwortlichen, von Frau Scha van, noch hier im Land angegangen wird. Das müssen Sie sich vorhalten lassen.