Damit dieses Wachstum anhält, müssen wir auch etwas dafür tun. Bei der steuerlichen Forschungsförderung ist Deutsch land noch immer Schlusslicht in Europa. Die Nachfrage nach Fachkräften ist ungebrochen hoch. Frauenförderung, Verein barkeit von Familie und Beruf und Migrantenökonomie sind Herausforderungen, bei denen wir uns noch weiterentwickeln müssen.
Ich halte es auch für grotesk, dass wir jungen ausländischen Hochschulabsolventen ein Daueraufenthaltsrecht verweigern, weil sie im ersten Beschäftigungsjahr kein Jahresgehalt von mindestens 64 000 € vorweisen können.
Ebenso halte ich es für falsch, dass der Versorgungs- und So zialstaat Geld verschlingt, das besser in Bildung investiert wä re.
Wir müssen unser Augenmerk aber auch auf Konsumdienst leistungen richten, die von Privaten nachgefragt werden und die vom Binnenmarkt abhängig sind. Dazu gehören etwa Han del, Gastronomie, Gesundheit, Wellness oder Bildungsleis tungen. Diese vom privaten Verbrauch abhängigen Leistun gen haben, auch wegen der Kurzarbeiterregelung, einen Nach frageeinbruch erfahren, der jedoch weniger stark war als er wartet; und sie haben sich mittlerweile wieder erholt.
Sie können mit der Dynamik unternehmensbezogener Dienst leistungen nicht mithalten. Dafür sind sie aber in der Krise nicht so volatil. Gerade junge Menschen mit Bildungsab schlüssen, die unterhalb der akademischen Grade liegen, ha ben in diesen Einrichtungen mehr Möglichkeiten.
Die demografische Entwicklung wird zeigen, dass künftig ver mehrt pflegerische Leistungen, Gesundheit, Tourismus, Well ness, aber auch Bildung im Alter nachgefragt werden.
Wir haben im Land ein gutes Mischungsverhältnis zwischen klassischer Industrie und Dienstleistungen. Wer gemeint hat, dass nur die Unternehmen der New Economy die globalen Wachstumstreiber sind, wurde spätestens nach dem Platzen der New-Economy-Blase eines Besseren belehrt und in die Realität zurückgeholt.
Unser Aufschwung ist ausgewogen und deshalb nachhaltiger. Das ist das Ergebnis einer guten Wirtschaftspolitik der Lan desregierung, und das wird auch so bleiben.
Kolleginnen und Kollegen! Die 59 Seiten, die das Wirtschaftsministerium und die anderen Mi nisterien als Antwort auf die Große Anfrage der FDP/DVP zu sammengestellt haben, waren interessant und erhellend. Sie taugen wahrscheinlich nicht für eine politisch konfrontative Debatte. Aber es ist auch gut, einfach einmal so ein bisschen zu reden. Natürlich überlegt man auch, welche Aspekte man diesem Thema abgewinnen kann. Das will ich gern tun.
Eingangs will ich gleich sagen: Herr Dr. Rülke und Herr Dr. Löffler, wir hätten kein Problem damit, eine gemeinsame In itiative zur Zuwanderung für junge Studierende, die hier ih ren Abschluss machen, mit dem Ziel auf den Weg zu bringen, dass diese Menschen hier beruflich weitermachen können. Das können wir gemeinsam machen. Wenn von Baden-Württem berg das Signal ausgeht, dass wir in unserem Land Qualifi zierte, die bleiben wollen, mit offenen Armen empfangen, dann tun wir das sehr gern. Wir wären dabei.
Die Lissabon-Strategie – das will ich hier gleich sagen – ist kein Dekret der EU, sondern ein Leitbild, dem ich gern folge, weil es sinnvolle Ziele enthält. Insofern würde ich an dieser Stelle keine Gegnerschaft aufbauen, Herr Kollege Dr. Löffler.
Die Dienstleistungsökonomie umfasst 60 % der Wertschöp fung und eine Mehrheit der Beschäftigten. Insofern reden wir über nahezu die gesamte Volkswirtschaft. Es ist sehr schwer, dies überhaupt in einen Gesamtkontext zu fassen und zu sa gen: Ich mache etwas Spezifisches. Wir reden vielmehr über den Großteil der Wirtschaft. In Amerika macht die Dienstleis tungsbranche sogar über 80 % der Wirtschaftsleistung aus.
Insofern habe ich ein gewisses Problem damit, wenn man sagt, die Politik mache hier etwas. Wir werden Anreize setzen kön nen; wir werden Vorgaben im Sinne von Gesetzen machen können, etwa wenn es um Löhne und Gehälter geht. Aber ich glaube nicht, dass wir die ganz großen Räder drehen können. Wir können z. B. das, was die Bevölkerung in Baden-Würt temberg denkt, und die Art und Weise, wie sie zu den Fragen steht, durch die Art, wie wir reden, beeinflussen. Ich möchte das versuchen.
Erstens: Wir haben, Herr Wirtschaftsminister, eine Jo-Jo-Öko nomie. Durch die starke Export- und die starke Industrieori entierung Baden-Württembergs geht die Kurve schneller hoch, wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, geht die Kurve aber auch stärker nach unten. Das haben wir in den letzten Jahren in besonderer Ausprägung erlebt.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir dieses Privileg – das ist es in gewisser Weise – durch den verführerischen Gedanken einer Glättung durch eine Dienstleistungsökonomie, die ge ringere Schwankungen aufweist, aufgeben sollten. Ich finde, unser Land hat eine Mission, und diese Mission ist die eines Industrielands. Darauf bin ich stolz, und diese Mission will ich auch weiterhin haben.
Zweitens: Wir sind bei Dienstleistungen nicht so schwach, wie wir denken. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Antwort auf die Große Anfrage hat das ergeben, was man ohnehin weiß, nämlich, dass es versteckte Dienstleistungen im Industriebe reich gibt. Denn im Industriebereich – das habe ich selbst und das haben auch andere erlebt, die aus der Industrie kommen – sind die Fertigungstätigkeiten, die reinen Produktionstätig keiten, mittlerweile in der Minderzahl.
Im industriellen Bereich schwingen, statistisch gesehen, na türlich jede Menge unternehmensnahe Dienstleistungen mit. Das ist auch gut so. Das macht die Unternehmen robust. Üb rigens ist ein Anzeichen hierfür auch, dass Zentralen von In dustrieunternehmen in Baden-Württemberg sind, und es ist auch eine schöne Sache, wenn Zentralen ihren Standort in Ba den-Württemberg haben.
Bei der Antwort der Landesregierung handelt es sich um ein Kompendium, an dem mehrere Häuser mitgewirkt haben. An einer Stelle steht, der Strukturwandel im verarbeitenden Ge werbe könnte durch Tourismus kompensiert werden. Das ist natürlich ein Irrweg, den ich nicht beschreiten würde. Dass der Tourismus wächst und besser werden muss, ist das eine. Eine Kompensation des Strukturwandels im verarbeitenden Gewerbe durch Tourismus halte ich aber nicht für richtig.
Je stärker die Industrie ist – das hat der Bezirksleiter der IG Metall, Jörg Hofmann, bei einer Veranstaltung unserer Partei gestern bestätigt –, desto mehr Sog entsteht für Dienstleistun gen in diesem Land. Das ist im Wesentlichen die Erfolgsfor mel, auf die wir uns stützen sollten.
Ich möchte noch etwas zu den hochwertigen und den einfa chen Dienstleistungen sagen, weil dabei gewisse Zungen schläge deutlich werden. Natürlich ist das Streben nach wis sensbasierten hochwertigen Dienstleistungen richtig. Sie ma chen uns robust und sorgen dafür, dass wir uns richtig anstren gen, was die Qualifikation angeht. Aber nach meinem Men schenbild – ich bin in einer Gastwirtschaft und Metzgerei groß geworden – wird es immer Menschen geben, die einfache Tä tigkeiten verrichten. Es wird immer Menschen geben, die ein bisschen „Dummerle“ sind und einfache Tätigkeiten verrich ten.
Davon profitieren wir alle. – Es kommt aber darauf an, dass man nicht kühn niedrigere Löhne ansetzt, wenn es um Tätig keiten im Haushalt geht, die man selbst erbringen könnte. Richtig ist, dass auch einfache Dienstleistungen in diesem Land anständig bezahlt werden müssen. Das müssen wir an gehen.
Ich glaube, wir müssen uns stärker dem Export von Dienst leistungen zuwenden. Die baden-württembergische Bevölke rung ist es gewohnt, dass Fachleute nach Dubai fliegen und die Menschen vor Ort beraten, wie eine Meerwasserentsal zungsanlage funktionieren kann. Das muss man verstärken. Dabei müssen auch rechtliche Hindernisse beiseitegeräumt werden. Diejenigen, die in die Ferne gehen, müssen auch den entsprechenden Rückhalt bei uns im Land haben. Sie müssen mit ihren Familien auch wieder zurückkommen können, wenn sie das wollen. Der Export von Dienstleistungen wird ein Zu kunftsthema von Baden-Württemberg sein.
Ich möchte noch etwas zur FuE-Politik sagen, weil das auch immer angesprochen wird. Ich habe mich bereits im Rahmen eines Praktikums im Ministerium während meines Studiums damit beschäftigt. Ich möchte es einfach einmal kurz aufklä ren. Das Land muss sich nicht dafür schämen, dass wir so vie le Forschungsförderungseinrichtungen haben, obwohl das Grundgesetz und die Gesetze die Forschungsförderung vor al lem beim Bund angesiedelt sehen. Deshalb besteht unsere Stärke, abgesehen von dem großen Anteil an Industrieunter nehmen, die eigene Forschung betreiben, natürlich darin, dass wir Trägerorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft, die zu jeweils 50 % aus Bundes- und Landesmitteln finanziert wird, und die Fraunhofer-Gesellschaft, die zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Land finanziert wird, bei uns im Land ha ben.
Von diesen Einrichtungen, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren aufgebaut worden sind, profitieren wir.
Herr Minister, es kommt darauf an, dass die Institute mit den neuen Forschungsfeldern, die die Trägerorganisationen inte ressieren – dies sind vor allem die Grenzbereiche zwischen den Disziplinen –, nach Baden-Württemberg kommen. Dafür müssen wir uns mehr engagieren.
Ich komme zu den Existenzgründungen. Das ist der Aufwuchs von unten bei Dienstleistern. Unser Land hat ein Problem bei der Förderung und beim Aufwuchs von Existenzgründungen. Herr Minister, wenden Sie bitte endlich Ihre volle Aufmerk samkeit diesem Thema zu. Der Innovationsrat hat sowohl die Wagnisfinanzierung als auch die unübersichtlichen Förderin strumentarien Ihres Hauses kritisiert. Das ist nachzulesen. Wir brauchen mehr bei der Frühphasenfinanzierung. Wir brauchen Mezzanine-Kapital. Wir brauchen eine bessere und übersicht lichere Forschungsförderung und Existenzgründungsförde rung aus dem Wirtschaftsministerium heraus. Das ist notwen dig. Machen Sie das in den letzten Monaten Ihrer Amtszeit, damit wir bei Existenzgründungen nicht weiter ins Hintertref fen kommen.
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Landtagspräsident, möchte ich noch ein weiteres Thema ansprechen. Die öffentlichen Dienstleis tungen verstecken sich in der Statistik. Dieses Land hat sich eine Verwaltungsreform geleistet, die unzeitgemäß war, die nach hinten losgegangen ist, weil sie nicht das betont hat, was wirklich notwendig ist, nämlich eine Verschlankung und eine Reduzierung der Zahl der Verwaltungsebenen.
Wir werden künftig darüber reden müssen, wie wir es errei chen, dass öffentliche Dienstleistungen zwar nicht weniger werden, dass aber eine Verschiebung dergestalt stattfindet, dass sie näher am Bürger sind. Dies betrifft die Sicherheit, die Bildung und die Ausbildung. Die öffentlichen Dienstleistun gen im Hintergrund – neudeutsch: Backoffice – bei denen man sich gegenseitig verwaltet und kontrolliert, müssen hingegen weniger werden. Bei den öffentlichen Dienstleistungen Ver schiebungen vorzunehmen ist eine große, wichtige Zukunfts aufgabe. Davor drückt sich diese Landesregierung aber.
Zur Schluss will ich noch Folgendes erwähnen: Mein frühe rer Chef Hans-Olaf Henkel hat im Jahr 1992 beim Deutschen Betriebswirtschafter-Tag zum Generalthema des Kongresses eine Rede gehalten. Der Titel hieß: „Die Dienstleistung – wichtiger als das Produkt?“ Hans-Olaf Henkel hat mit der Quintessenz geendet: Die Dienstleistung ist das Produkt. Wir brauchen in diesem Land die Mentalität, dass die Dienstleis tung das Produkt ist, aber immer sehr angelehnt an das, was industriell geleistet wird. Das ist die Botschaft für unser Land, Kolleginnen und Kollegen.
Herr Präsident, meine Da men und Herren! In dieser Plenarwoche ist viel von Motoren die Rede. Die gestrige von der CDU beantragte Aktuelle De batte hieß ja u. a. „Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg – Motor für Deutschland“. Heute beraten wir über eine Große Anfrage der FDP/DVP mit der Überschrift „Dienstleistungen als Motor für Innovationen, Beschäftigung und Wohlstand in Baden-Württemberg“. Kollege Rülke hat inhaltlich an die gestrige Debatte angeknüpft; das möchte auch ich tun.
Unser Fazit der gestrigen Debatte war, dass die Wirtschaft in Baden-Württemberg tatsächlich Motor ist, dass sie nach der Krise wieder Gas gegeben hat. Dies ist eine gute Ausgangs lage, und es gibt viele Potenziale. Wir sind aber der Ansicht, dass CDU und FDP in Bund und Land diese Potenziale nicht ausreichend unterstützen und auf der Bremse stehen.