Fördern und fordern bilden also eine Einheit. Das zeigt eben auch, Herr Kollege Kretschmann, dass man über alles reden können muss, und zwar in respektvollem Ton. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Tabus, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schaden der Debatte.
Deshalb muss man sagen dürfen, dass es Ängste in der integ rierenden Bevölkerung gibt, und diese Ängste gilt es wahrzu nehmen und ernst zu nehmen, ohne sie zu schüren.
Man muss auch sagen dürfen, dass nicht alle integriert wer den wollen. Auch die Existenz von Parallelgesellschaften darf nicht geleugnet werden. Darüber hinaus bin ich auch der An sicht, dass verbale Entgleisungen – und zwar von allen Seiten – der Integration nicht dienen.
Wenn ich auf Ihren Vorlesungsteil, dem ich wie sicher viele andere auch zustimmen kann, nun auch nicht näher eingehen möchte, so meine ich doch, dass man schon noch einmal da rauf eingehen sollte, was Kultur ausmacht und was im Spezi ellen der Beitrag der deutschen Kultur zu diesem Weltethos, den Sie angesprochen haben, gewesen ist und auch in Zukunft sein wird.
Wir können, glaube ich, als eine der größten kulturellen Leis tungen unseres Landes die Epoche der Aufklärung anführen, und wenn jemand zu uns kommt, der diesen wichtigen Schritt von der anonymen Masse hin zum Individuum und zur Wert schätzung des Individuums nicht mitgemacht hat, dann ist es unser gutes Recht, klarzumachen und deutlich zu machen, auf welchen Werten unsere Gesellschaft basiert, was unser Wer tesystem ausmacht und welch einen Wert bei uns das einzel ne Individuum darstellt.
Ich bin mit Ihnen einer Meinung: Jeder soll sich frei entfalten können – aber auf der Basis unseres Grundgesetzes und auf der Basis unseres Wertesystems. Wir nehmen hier nicht für uns in Anspruch, dass jeder das glauben soll – im religiösen
Sinn –, was wir glauben – ich nehme an, das unterstellen auch Sie uns nicht –, aber es gibt doch Ausprägungen, die beispiels weise die Überlegenheit einer bestimmten Religion in den Raum stellen, oder Ausprägungen, die den Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter nicht berücksichtigen.
Da legen wir größten Wert auf die Forderung, unsere Werte nicht aufzugeben, um einer missverstandenen Gleichmache rei das Wort zu reden.
Was die Meinungsbreite in der Union angeht: Herr Kollege Kretschmann, ich habe zu denen gehört, die auch am Ende Ih rer Ausführungen beim Tagesordnungspunkt 1 noch zugehört haben. Da haben Sie für sich und die Grünen in Anspruch ge nommen, dass es absolut normal sei, auch eine gewisse Brei te darzustellen. Wir als Volkspartei nehmen ebenfalls für uns in Anspruch, dass es eine Breite gibt und dass wir uns mitei nander und auch untereinander auseinandersetzen. Dass es durchaus eine Linie gibt, sieht man daran, dass speziell in Ba den-Württemberg die Erfolge unserer Integrationspolitik weit aus stärker spürbar sind als anderswo. Baden-Württemberg ist auch in diesem Punkt nicht Berlin, und das soll es auch nicht werden.
Integration braucht ein gutes Klima, braucht Verständigung und Verständnis. Sie haben angesprochen, wie wichtig die Sprache ist. Ich würde mir wünschen, dass Sie, Herr Kretsch mann, nicht den Eindruck erwecken, als seien Sie ein Feuer wehrmann, der zündelt, weil er so gern löscht.
Es gab schon Integrationspolitik in Baden-Württemberg, als die Grünen noch nichts zu sagen hatten, und das wird auch zukünftig so sein – in beiderlei Hinsicht.
Meine Redezeit ist leider zu Ende. Ich gehe davon aus, dass nachfolgende Redner weiter ausführen können, welche Erfol ge wir im Speziellen, etwa in der Bildung, haben.
Als Mitglied des Wissenschaftsausschusses erlaube ich mir noch einen kurzen Nachsatz zu den Fachbereichen für Islami schen Studien: Wir müssen das in Baden-Württemberg nicht machen – drei Hochschulstandorte in Deutschland sollen sol che Fachbereiche für Islamische Studien anbieten –, sondern wir wollen das. Wir haben uns beworben und haben den Zu schlag bekommen. Darüber sollten wir alle uns freuen. Wer den Zuschlag für den Fachbereich Islamische Studien be kommt, der bekommt ihn nicht im luftleeren Raum, sondern
Herr Präsident, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! Die letzten Wochen haben gezeigt, dass in der zweiten großen Volkspartei, der CDU,
die Integrationsdebatte von Rückschritt bedroht ist. Konnte der damalige Innenminister noch unwidersprochen feststellen
Wolfgang Schäuble –: „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“, so sind jetzt wieder solche Äußerungen in den Vordergrund gerückt, die kulturelle Unterschiede betonen. Deshalb meine ich, es ist gut, wenn wir unseren Blick für die Buntheit und Vielfalt unserer Gesellschaft öffnen, so, wie sie Tag für Tag unter uns für alle von uns erlebbar ist. Nicht umsonst hat der jetzige Bundesinnenminister, Thomas de Maizière, gestern in Nürnberg beim Besuch eines Integrationskurses gesagt: „Lie be ist der beste Integrationsfaktor.“
Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen jetzt einiges da zu erzählen. Ich will nur darauf hinweisen,
dass Herr de Maizière einen wichtigen Punkt getroffen hat, nämlich dass die Integration im Alltag – das alltägliche Grau in Grau, wo es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern wo es alle Schattierungen gibt – schon sehr weit vorangeschrit ten ist und dass die Menschen in der Nachbarschaft, im Sport verein, in der Schule, am Arbeitsplatz und übrigens zuneh mend auch in der Politik dies erleben und erfahren. Sie wis sen ganz genau: Es gibt sehr viele Kolleginnen und Kollegen, Mitschülerinnen und Mitschüler, die ganz selbstverständlich zur Gesellschaft gehören, egal, aus welchem Elternhaus sie kommen und aus welchem Land sie stammen.
Aber wer mit offenen Augen durchs Land zieht, merkt natür lich, dass es an der einen oder anderen Stelle auch klemmt. Natürlich gibt es auch kulturelle Hemmnisse für gelingende Integration, Fälle, in denen sich einzelne Zuwanderer hinter Religion und Kultur verschanzen, um sich aus dem gemein samen Leben auszuklinken oder ein Parallelleben zu veran stalten. Das ist eine winzig kleine Minderheit, aber auch dar über muss geredet werden, weil es umgekehrt natürlich auch viele Bürgerinnen und Bürger gibt, die die eine oder andere Fremdheitserfahrung machen und nicht so selbstverständlich mit der Vielfalt in unserer Gesellschaft umgehen können, wie vielleicht ich oder andere es tun.
Deshalb meine ich, wir sollten uns dem zuwenden, was in der Gesellschaft geschieht. Für uns als SPD ist klar: Integrations
politik, die Integration in unsere Gesellschaft, ist die neue so ziale Frage unseres Landes, und wir als SPD werden genau so, wie wir für die Gleichberechtigung von Arbeitern ge kämpft haben, für die Gleichberechtigung und für gleiche Le benschancen auch der Zuwanderinnen und Zuwanderer kämp fen.
Wenn ich sage, es ist d i e soziale Frage, dann ist die vor nehme Aufgabe gerade auch der Landespolitik, dass wir Er folgsgeschichten von Integration ermöglichen. Eine solche Erfolgsgeschichte ist der soziale Aufstieg durch Bildung, den viele in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten erfah ren haben, den übrigens zunehmend auch Zuwanderer erfah ren haben. Wichtig ist, dass dieser Aufstieg durch Bildung für immer mehr Menschen in Baden-Württemberg erlebbar und erfahrbar wird und dass die Hemmnisse für die Chancen gleichheit im Schulsystem – etwa die unzureichende Förde rung in der vorschulischen Bildung – sowie die Hemmnisse beim Übergang in die Ausbildung oder an die Universitäten abgebaut werden können. Denn eine Gesellschaft lebt davon, dass viele das Gefühl und auch die berechtigte Hoffnung ha ben, dass es ihren Kindern einmal besser geht als ihnen selbst. Das ist der Motor für unsere Gesellschaft, für die Dynamik und die Wirtschaft in unserer Gesellschaft.
Dies hängt entscheidend von gleichen Bildungschancen ab, und deshalb werden wir in diesem Land Baden-Württemberg die soziale Selektion, die soziale Diskriminierung im Schul system abbauen, und zwar über längeres gemeinsames Ler nen, bessere Sprachförderung und mehr Ganztagsschulen.
Gerade weil wir wissen, dass Integration eine Alltagserfah rung ist, wollen wir die Kommunen stärken, wenn es darum geht, vor Ort Integration zu schaffen. Wir wissen, dass in den großen Städten des Landes, aber auch in den kleinen Gemein den schon unheimlich viel getan wird.
Ich will ein praktisches Beispiel nennen, das, wie ich meine, zeigt, wo sich das Land einsetzen könnte, um die kommuna le Integrationspolitik zu stärken. Das ist die Umsetzung der sogenannten Integrationskurse, der Sprachkurse für Zuwan derer.
Bisher wird das zentral über das Bundesamt in Nürnberg ab gewickelt. Schon bei der Einführung der Sprachkurse wurde diskutiert, ob man den Kommunen nicht mehr Spielräume bei der Mittelvergabe und bei der Benennung der Träger für In tegrationskurse einräumen sollte. Ich meine, wir sollten ge meinsam mit den kommunalen Landesverbänden, mit denen, die Integration vor Ort erleben und ermöglichen, darüber dis kutieren, ob wir es nicht schaffen, dies stärker dezentral bzw. kommunal umzusetzen, damit diese wichtige Eingliederungs maßnahme – die sprachliche Eingliederung – noch zielgenau er und noch stärker auf die Bedürfnisse vor Ort ausgerichtet werden kann. Stärkere kommunale Elemente bei Integrations kursen sind also eine konkrete Forderung von uns.
Aber die letzten Debatten haben auch gezeigt, dass gerade auf dem schwierigen Feld der Integration, auf dem sicher auch Sensibilitäten von allen Beteiligten im Spiel sind, der Ton die Musik macht. Das Bewusstsein dafür habe ich bei Herrn See hofer vermisst. Denn man sollte nicht unterschätzen, welche Auswirkungen Äußerungen wie die von Herrn Seehofer ha ben, und zwar auf diejenigen, die sich in der Vergangenheit und verstärkt in den letzten zehn Jahren, nämlich seit der Neu ordnung des Zuwanderungsrechts und des Staatsangehörig keitsrechts, bemüht haben, dabei zu sein, die sich integriert haben und die sich auch als vollwertige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in dieser Gesellschaft angenommen gefühlt ha ben. Diese Menschen fühlen sich durch solche Äußerungen wie die von Herrn Seehofer und natürlich auch die von Herrn Sarrazin an den Rand gedrängt und aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen.
Ich sage Ihnen: Wenn wir noch ein paarmal solche Signale aussenden, dann können wir zwar noch viele Male darüber re den, wie wichtig Bildung ist und wie wichtig die Zuwande rung von Hochqualifizierten ist, aber dann haben wir dieses Thema in unserer Gesellschaft endgültig kaputt gemacht.
Deshalb ist es eine vornehme Aufgabe auch dieser Landesre gierung, zu überlegen, in welcher Tonlage wir über Integrati on reden. Denn all diese Menschen brauchen wir. Wir brau chen sie alle von A bis Z. Wir brauchen sie für unsere Unter nehmen, wir brauchen sie für unsere Vereine, wir brauchen sie für die Feuerwehr, wir brauchen sie für die Kommunalpo litik, wir brauchen sie für die Parteien, wir brauchen sie
für den sozialen Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass wir auch nur einen verloren geben. Es kann nicht sein, dass wir jemanden danach sortieren, woher seine Eltern kamen oder gar welche Religions- oder Kulturzugehö rigkeit seine Eltern haben. Wir werden in den nächsten Jah ren jeden Einzelnen brauchen. Es ist im wohlverstandenen Ei geninteresse der Mehrheitsgesellschaft, dass Integration ge lingt. Darum müssen wir uns kümmern und dürfen politisch nicht mit Vorurteilen herangehen.