Ob jemand ein Anhänger von Buddha oder von Jesus Chris tus ist, ob er Nietzsche oder Kant folgt, ob er Sport für wich tig oder für Mord hält, das alles ist ihm in seiner persönlichen Lebensführung überlassen.
Dass die Gesellschaft multikulturell ist, ist gerade der Sinn unserer verfassungsmäßigen Ordnung, insofern als sie näm lich jeden in die Freiheit stellt, so zu leben, wie er möchte, so lange er nicht in die Freiheiten anderer eingreift.
Ich möchte sagen: Selbst über die Frage, was „deutsch“ be deutet, kann man sich weder am Stammtisch noch im vorneh men Salon wirklich einigen. Auch darüber würde man treff lich streiten.
Integration heißt also nicht, den Leuten eine Leitkultur aufzu zwingen. Sie sind gerade frei in der Frage, wie sie sich kultu rell empfinden. Das macht doch den Charme unserer Ordnung aus. Integration heißt, sich in die Verfassungs- und Rechtsord nung zu integrieren.
Warum kann das grundsätzlich jeder, egal, aus welchem Kul turkreis er kommt? Das kann jeder, weil der Kern unserer Ver fassungsordnung auf universalen Menschen- und Freiheits rechten beruht und nicht auf deutschen. Deswegen kann man jedem zumuten, sich in eine solche Verfassungsordnung zu integrieren, ohne das aufgeben zu müssen, was ihm persön lich wichtig ist.
Denn diese Verfassungsordnung ist Ausdruck universaler Rechte. Wir müssen die Menschen in unsere Verfassungsord nung, in unsere Rechtsordnung, in das Arbeitsleben und in un ser Bildungssystem integrieren. Wir können von ihnen auch Gemeinsinn und Gemeinwohlorientierung erwarten. Aber kul turell sind sie frei. Darum ist Leitkultur ein Begriff, der nur Verwirrung stiften kann.
Wenn Sie diesen Begriff anführen, dann landen Sie immer wieder bei der Verfassung selbst. Sie ist aber keine deutsche Leitkultur. Die Deutschen haben diese Rechte leider erst sehr spät entdeckt und umgesetzt. Die Bundesrepublik Deutsch land ist eine junge Demokratie. Die Rechte und Pflichten stammen aus unserer europäischen Freiheitsgeschichte und aus der universalen Bewegung, die dahintersteht.
Ausnahme ist natürlich die Sprache. Mit der Sprache gibt es in der Tat eine Leitkultur. Wir erwarten von allen Bürgerin nen und Bürgern dieses Landes, dass sie Deutsch können, dass sie gut deutsch sprechen können. Aber dazu hat z. B. sogar der türkische Präsident Gül die türkische Gemeinde in Deutsch land aufgefordert. Es ist absoluter Konsens, dass alle, die hier in Deutschland leben, die deutsche Sprache beherrschen müs sen.
(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Es geht doch um die Qualität! – Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind schon im mer eine multikulturelle Gesellschaft gewesen, und wir wer den das auch bleiben. Das wird sich sogar verstärken; daran kann doch gar kein Zweifel bestehen. Deswegen ist das, was Seehofer gesagt hat, nicht integrierend, sondern desintegrie rend. Zu sagen, wir wollten keine Einwanderer aus anderen Kulturkreisen, ist absolut desintegrierend. Mit dieser Aussa ge hat er selbst Sarrazin noch rechts überholt,
(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Beifall für Sarrazin! – Gegenruf des Abg. Jür gen Walter GRÜNE)
Wir brauchen keine Leitkultur, wir brauchen eine Willkom menskultur. Den Einwanderern muss klar sein, dass sie hier ihre Persönlichkeit entfalten können. Das ist hier das Entschei dende; darin sind sie frei. Dazu müssen wir sie einladen.
Ich denke, wer so unklar aufgestellt ist und solche ideologi schen Debatten vom Zaun bricht, der muss sich nicht wun dern, dass in seinen eigenen Reihen – auf diesen Punkt bezog sich das, Herr Rülke – Kakofonie herrscht.
Annette Schavan hat das Gegenteil gesagt: Uns muss Sorge bereiten, dass wir inzwischen ein Auswanderungsland sind, und nicht, dass wir ein Einwanderungsland sind. Denn in so einem Klima schauen Menschen, dass sie, wenn sie einen tür kischen Namen haben und hier nicht willkommen sind, an derswohin kommen.
Wenn Menschen mit türkischem Namen bei einer Bewerbung dreimal so viele Bewerbungen schreiben müssen wie jemand mit einem deutschen Namen, dann stimmt in diesem Land et was nicht. Davon müssen wir wegkommen. Dazu sind eine andere Haltung und ein anderes Klima notwendig.
Das ist ja nicht nur schädlich für die Integration, es ist auch schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir brau chen diese gut qualifizierten Einwanderer. Das ist überhaupt keine Frage.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Man schaut doch nicht nur die Namen an! Auch die Qualifikation schaut man sich an!)
Aber sie werden nur dann zu uns kommen, wenn hier ein Kli ma herrscht, in dem auch Menschen mit einem fremdländisch klingenden Namen willkommen sind. Darum geht es.
Deshalb wirklich noch einmal mein Appell an Sie: Kommen Sie weg von diesen ideologischen Debatten. Sie führen zu nichts; sie führen nur in die Irre.
Ich muss feststellen: Sie sind Getriebene dieser Entwicklung, weil Sie nicht klar aufgestellt sind. Ich möchte es Ihnen an ei nem Beispiel nachweisen: Vor elf Jahren haben wir die Ein führung einer islamischen Fakultät gefordert. Das haben Sie abgelehnt. Heute müssen Sie sie einführen, weil jeder einse hen kann, dass daran überhaupt kein Weg vorbeiführt.
Wenn wir Muslime integrieren wollen, müssen ihre Geistli chen und die Religionslehrer hier mit unseren Standards an unseren Universitäten ausgebildet werden. Das sieht jeder. Ir gendwann mussten Sie also einschwenken. Aber wieder sind zehn Jahre verloren.
(Abg. Albrecht Fischer CDU: Beim Bahnhof verlie ren wir 15! – Gegenruf des Abg. Jürgen Walter GRÜ NE)
Damit haben Sie ein Problem. Sie sind Getriebene der Ver hältnisse. Wir aber wollen sie gestalten, und es ist unsere Auf gabe, in dieser Integrationsdebatte ein Klima zu schaffen, das deutlich macht: Menschen, die sich in unsere Verfassungsord nung integrieren, sind willkommen. Wir brauchen sie, und sie können ihre Lebensführung so gestalten, wie sie es im Rah men dieser Verfassungsordnung möchten. Das ist unsere An sage. Nur so bleiben wir eine erfolgreiche Kultur- und Indus trienation.
Herr Abg. Kretsch mann, gestatten Sie zum Schluss Ihrer Rede noch eine Nach frage des Herrn Abg. Röhm?
Herr Kollege Kretschmann, Sie haben vorhin die baden-württembergischen Unternehmer gelobt. Jetzt haben Sie aber gerade gesagt, dass Menschen auf grund ihres türkisch klingenden Namens abgelehnt werden. Glauben Sie nicht auch, dass sich jeder baden-württembergi sche Unternehmer bei einer Bewerbung auch für die Qualifi kation interessiert, die ein Mensch mitbringt, und nicht aus schließlich für den Namen?
Es wäre zu wün schen, dass es so ist, aber die Untersuchungen belegen das einfach nicht. Das heißt, auf diesem Feld müssen wir etwas tun. Das muss sich ändern. Es geht nicht um individuelle Vor würfe, sondern es geht darum, dass wir andere Debatten füh ren, als Sie es mit solchen Parolen wie „Deutsche Interessen statt Multikulti“ tun, denn sie führen wirklich in die Irre.
Anfang meines Beitrags zur heutigen Aktuellen Debatte „Grundlagen für eine erfolgreiche Integrationspolitik“ zwei Äußerungen des Bundespräsidenten. Nur wenn man beide Äu ßerungen gemeinsam nennt und sozusagen als Begriffspaar versteht, wird die ganze Tragweite seiner Aussagen und wird auch die Grundlage unserer Integrationspolitik klar.
Es ist richtig, Herr Kollege Kretschmann, am 3. Oktober, am Tag der Deutschen Einheit, hat der Bundespräsident gesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Rund zwei Wochen spä ter hat er vor dem türkischen Parlament aber auch gesagt: „Das Christentum gehört zur Türkei.“
Mit diesem Begriffspaar wird ganz deutlich gemacht, wie wir zeitgemäße Integration verstehen und was unter diesem Be griff in die Bevölkerung getragen werden muss.
Integration ist eine Aufgabe, die auf Gegenseitigkeit beruht. Sie ist zugleich Hol- und Bringschuld.
Fördern und fordern bilden also eine Einheit. Das zeigt eben auch, Herr Kollege Kretschmann, dass man über alles reden können muss, und zwar in respektvollem Ton. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Tabus, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schaden der Debatte.