Protocol of the Session on October 7, 2010

Meine Damen und Herren! Ich er öffne die 101. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württem berg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Wonnay und Herrn Abg. Behringer erteilt.

Krankgemeldet sind die Herren Abg. Ehret und Ernst.

Aus dienstlichen Gründen haben sich Herr Minister Köberle, Herr Minister Professor Dr. Goll – vormittags –, Herr Minis ter Rau – heute Nachmittag – und Herr Staatssekretär Dr. Scheffold – ab 16:30 Uhr – entschuldigt.

Dienstlich verhindert sind Herr Minister Professor Dr. Fran kenberg und Frau Staatsrätin Dr. Ammicht Quinn.

(Zuruf des Abg. Peter Hofelich SPD)

Damit treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – AKW-Laufzeitverlängerungen und

die Folgen – beantragt von der Fraktion GRÜNE

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Umweltministeriums – Sichere Energieversorgung in Deutschland – gefährliche Atomkraftwerke abschalten – Drucksache 14/4787

c) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Umweltministeriums – Keine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke – Sicherheit vor Profit – Drucksache 14/4896

d) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Umweltministeriums – Am Atomausstieg festhalten – klares Bekenntnis gegen den Neubau von Kernkraft werken – Drucksache 14/5138

Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Untersteller.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ von die ser Woche beginnen. Der ehemalige hessische Ministerpräsi dent Roland Koch wurde dort in einem großen Interview ge

fragt, was Konservative denn auszeichne. Er hat daraufhin Folgendes gesagt:

Sie machen ein Land menschlicher, verlässlicher, sorgen für Maß und Mitte.

(Zuruf von der CDU: Richtig! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Guter Mann!)

Fangen wir einmal mit dem Begriff „Verlässlichkeit“ an. Im Juni 2000 hat die damalige Bundesregierung nach monatelan gen Verhandlungen mit den Spitzen der deutschen Stromkon zerne einen Atomkonsens beschlossen. Für die Betreiber der Kernkraftwerke hat das damals bedeutet, dass sie über zwei Jahrzehnte genau wissen würden, wie die Entwicklung ver läuft und wann welche Reaktoren aus der Nutzung herausge nommen werden. Gleichzeitig hat diese Vereinbarung bedeu tet, dass Stadtwerke und regionale Energieversorger wussten: „20 000 MW gehen heraus; es rentiert sich für uns, dort ein zusteigen und zu investieren.“ In der Folge wurden 12 Milli arden € an Investitionen losgetreten, 6 Milliarden € davon sind mittlerweile realisiert, und weitere 6 Milliarden € sollten in den kommenden Jahren investiert werden.

Spätestens seit Anfang September, nachdem die Berliner Ko alitionsspitzen in enger Abstimmung mit den Stromkonzer nen der Öffentlichkeit die Beschlüsse vorgelegt haben, wis sen wir meines Erachtens, was unter „Verlässlichkeit“ in Ber lin zu verstehen ist. Das, was da in der Nacht beschlossen wur de, hat meines Erachtens null und nichts mit Verlässlichkeit zu tun. Ich habe es gerade ausgeführt: Die kleinen und mitt leren Unternehmen wissen mittlerweile, dass es sich in Deutschland nicht mehr rechnet, die Investitionen, die ange dacht waren, auf den Weg zu bringen.

Meines Erachtens hat dies auch nichts mit „Maß und Mitte“ zu tun, und angesichts dessen, dass bundesweit Konflikte auf zuflammen drohen – wie Anfang der Achtzigerjahre –, hat dies auch überhaupt nichts mit „Menschlichkeit“ zu tun bzw. mit dem Anspruch, „ein Land menschlicher zu machen“.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, von dem, was das Wort „konser vativ“ nach dem kochschen Wertekanon angeblich bedeutet, ist die CDU mit dem, was sie da macht, meines Erachtens so weit entfernt wie der Mond von der Erde.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Claus Schmie del SPD – Abg. Paul Nemeth CDU: Die Sonne ist noch weiter weg!)

In Wirklichkeit ging es bei der ganzen Geschichte letztlich nur um eines: Es ist die Fortsetzung von Klientelpolitik auf einem anderen Niveau und nichts anderes.

(Beifall bei den Grünen)

Eine stichhaltige Begründung für die Laufzeitverlängerung, die beschlossen wurde – sehen wir einmal von dem Geblub ber von der angeblichen Brückentechnologie ab –, haben Sie der Öffentlichkeit bis heute nicht geliefert.

Fakt ist – das wissen Sie genauso wie ich –, dass beispiels weise das Umweltbundesamt und der von der Bundesregie rung eingesetzte Sachverständigenrat für Umweltfragen im Frühjahr dieses Jahres ausführliche Gutachten vorgelegt und dargelegt haben, warum man die Laufzeit nicht verlängern soll. Ich will jetzt nicht ausführen, wie ihre Alternativen aus sehen; die Zeit dafür habe ich nicht. Aber darin kann man es nachlesen.

Ich hatte mir erhofft, dass in dem großen Energiegutachten, das angekündigt war, die Begründung für die Laufzeitverlän gerung dargelegt würde. Aber wenn Sie da hineinschauen, stellen Sie fest, dass die Gutachter bei den untersuchten Sze narien einer Laufzeitverlängerung – vier Jahre, acht Jahre, zwölf Jahre bis hin zu 20 Jahren – zu dem Ergebnis kommen: Auf die Strompreisentwicklung hat das alles keinen Einfluss. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Auswirkungen auf den Klimaschutz völlig gleich sind, egal, ob die Laufzeit um vier, um acht oder um zwölf Jahre verlängert wird.

Was machen Sie? Sie verlängern um acht bzw. um 14 Jahre. Eine Begründung für dieses Vorgehen – ich sage es noch ein mal – haben Sie bis zum heutigen Tag nicht geliefert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Bleibt die Frage: Warum machen Sie das? Schauen wir uns einmal an, was aus Ihren Reihen in Berlin geäußert wurde. Jo achim Pfeiffer beispielsweise, Ihr wirtschaftspolitischer Spre cher in Berlin, der aus Baden-Württemberg stammt, spricht zum Thema Energiekonzept gar von einem „Marshallplan für die Energiepolitik“. Wenn man in diese 40 Seiten hinein schaut, findet man 36-mal „Wir wollen prüfen“. Wenn Sie sich die einzelnen Punkte anschauen – das, was jetzt beschlossen wurde –, dann stellen Sie fest, dass innerhalb von vier Wo chen bei allen Punkten abgerüstet wurde: bei der Gebäudesa nierung, bei den CO2-Emissionen im Kfz-Bereich. Sie kön nen nehmen, was Sie wollen. Nur in einem Bereich ist alles so geblieben, wie es war, nämlich bei der Laufzeitverlänge rung.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Unglaublich!)

Seien wir einmal ehrlich: Seit der Bundestagswahl ging es Ih nen von Anfang an nicht darum, eine begründete Vorgehens weise auf den Weg zu bringen, sondern darum, das Verspre chen einzulösen, das Sie den deutschen Stromkonzernen ge geben haben. Die Gutachten, die dazu gemacht wurden, sind letztendlich nur Beiwerk, um der Öffentlichkeit die Laufzeit verlängerung halbwegs verkaufen zu können.

Der Ministerpräsident und auch die Umweltministerin haben im Vorfeld immer deutlich gemacht, aus ihrer Sicht könne man

die Laufzeitverlängerung nur dann in der Öffentlichkeit ver kaufen, wenn mindestens 50 % der daraus erzielten Mehrer träge in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen. Herr Ministerpräsident, ich empfehle Ihnen, einmal einen Blick in eine Veröffentlichung der LBBW vom 16. September zu wer fen. Darin wird vorgerechnet, wie die Mehrerträge und die Abschöpfungsquote aussehen.

Nehmen wir einmal die EnBW. Die LBBW kommt in diesem Papier zu dem Ergebnis, dass über die gesamte beschlossene Laufzeit hinweg 22,1 Milliarden € an Mehrerträgen zu erwar ten sind; 8,8 Milliarden € werden abgeschöpft, sodass letzt lich 13,3 Milliarden € übrig bleiben. Unter dem Strich heißt das: Es gibt eine Abschöpfungsquote von rund 39 %. Wenn Sie dann noch den Anteil der Brennelementesteuer abziehen, der zur Haushaltssanierung vorgesehen ist, bleiben plus/mi nus 30 %, die letztendlich für die Förderung der erneuerbaren Energien verfügbar wären. Jetzt frage ich Sie: Wo sind die 50 %, die Sie der Öffentlichkeit versprochen haben, die Sie abschöpfen wollen?

Letztendlich ging es darum, den vier Stromkonzernen in Deutschland ihre Marktposition und ihre Profite zu sichern und dafür zu sorgen, dass neue, die am Markt wären, gar kei ne Chance hätten, den vieren ernsthaft Konkurrenz zu ma chen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Zum Thema Sicherheit: Wenn Sie sich die Berliner Beschlüs se anschauen, werden Sie darin kein Wort dazu finden, dass die Laufzeitverlängerung mit Sicherheitsauflagen verknüpft wird. Kein Wort!

(Zuruf des Abg. Paul Nemeth CDU)

Die Anlagen können in der Weise, wie sie heute betrieben wer den, weitergeführt werden.

Herr Kollege Nemeth, lesen Sie doch einmal das Interview, das der Vorstandsvorsitzende der EnBW, Villis, der „Stuttgar ter Zeitung“ gegeben hat. Er sagt: Wir können „bei einer Lauf zeitverlängerung von acht Jahren Kosten von maximal 120 Millionen €“ für zusätzliche Sicherheitsauflagen für GKN I verkraften. Das heißt: pro Jahr 15 Millionen € zusätzlich. Das, was die EnBW in den letzten Jahren und Jahrzehnten in die Anlage hineingesteckt hat, bedeutet umgerechnet plus/minus 25 Millionen € pro Jahr. Bei einer Laufzeitverlängerung er warten wir also nicht ein Mehr, sondern ein Weniger an Si cherheit.

(Abg. Paul Nemeth CDU: Das stimmt nicht!)

Lesen Sie das Interview mit Herrn Villis nach.

(Beifall bei den Grünen)

Durch eine Laufzeitverlängerung ist ebenfalls zu befürchten, dass die Dynamik bei den erneuerbaren Energien abgebremst wird. Auch da, Herr Ministerpräsident, empfehle ich einen Blick in die Zeitung mit diesem Interview mit Villis.