Protocol of the Session on October 12, 2006

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Diese Fra- ge entscheidet die OB-Wahl, Herr Palmer!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Boris Palmer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn die FDP/DVP beginnt, Projekte mit ökologischen Gründen zu motivieren, ist das verdächtig. Da kann irgendetwas nicht stimmen. Wenn Sie auf die Umwelt zurückgreifen müssen, um etwas zu begründen, ist irgendetwas falsch.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist jetzt aber keine starke Begründung, Herr Palmer!)

Jetzt schauen wir uns das einmal an. Nur weil Herr Drexler sagt, die Fahrzeit von Tübingen nach Stuttgart sinke von einer Stunde und einer Minute auf 42 Minuten, und weil Sie diese Aussage wiederholen, stimmt das aber leider noch nicht. Die Fahrzeit mit Neigezügen beträgt laut Fahrplan – Abfahrt Tübingen: 9:02 Uhr, Ankunft Stuttgart: 9:43 Uhr – schon heute nur 41 Minuten. Also gibt es für Tübingen exakt 0 Minuten Fahrzeitgewinn durch Stuttgart 21. Sie kommen immer mit diesen falschen alten Argumenten.

(Unruhe)

Das zeigt genau, wie Sie vorgehen: Die von Ihnen genannte Fahrzeit von einer Stunde und einer Minute gibt es tatsächlich – das sind die langsamen Züge, die an jeder Milchkanne halten, zum Beispiel in Esslingen.

(Heiterkeit – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: „Milch- kanne“! – Unruhe)

Aber mit diesen Zügen fährt gar kein Tübinger; wir haben nämlich schnelle, direkte Verbindungen nach Stuttgart. Wir müssen uns nicht in Esslingen aufhalten, um nach Stuttgart zu kommen.

(Vereinzelt Beifall – Zurufe der Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU und Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Unruhe)

Jetzt lassen wir diesen Klamauk einmal weg. Worin liegen die verkehrlichen Probleme dieses Bahnhofs?

Punkt 1: Wir haben bisher vier Gleise von Zuffenhausen in den Hauptbahnhof. In Zukunft sind es nur noch zwei. Dies ist der definierende Engpass Ihrer neuen Tunnellösung. Dieser Engpass ist schmäler als der des Kopfbahnhofs. Das ist unbestritten; da kommt niemand drum herum. Deswegen bauen Sie gerade nicht für die Zukunft, sonst müssten Sie die viergleisige Variante wählen.

(Zurufe der Abg. Wolfgang Drexler und Dr. Nils Schmid SPD)

Dafür haben Sie das Geld nicht; das würde nämlich 100 Millionen € mehr kosten.

Punkt 2: Durch diesen angeblich so tollen Durchgangsbahnhof wird die Durchfahrt nicht schneller als beim Kopfbahnhof. Sie müssen Tempo 30 fahren, weil der Talkessel zu schmal ist und weil die Weichenköpfe so nahe an den Bahnsteigen sind, dass man gar nicht schnell einfahren kann, weil die Winkel zu groß werden. Ein normaler Durchgangsbahnhof hat Tempo 80. Aber es ist an dieser Stelle so eng, dass Sie gar nicht wesentlich schneller als mit 30 Kilometer pro Stunde durchkommen. Für Tempo 30 braucht man aber wirklich keinen Durchgangsbahnhof.

Noch schlimmer: Die Gleise können nicht unabhängig voneinander betrieben werden. Weil die Weichenköpfe so nahe aneinandergerückt sind, muss ein einfahrender Zug, der auf ein Gleis neben einem anderen Zug fährt, erst zum Stehen gekommen sein, bevor der andere Zug losfahren kann, weil der sogenannte Durchrutschweg einen Trassenkonflikt erzeugt.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Haben Sie einen Lokführerschein?)

Das ist Ihnen zu kompliziert. Das wollen Sie nicht wissen.

Dieser Durchgangsbahnhof ist mit seiner gesamten technischen Anlage ein extremer Kompromiss hinsichtlich der Kosten, und er ist gerade nicht die zukunftsfähige Lösung, die wir brauchen. Es wird extreme Probleme im Betriebsablauf geben. Wenn Sie ihn tatsächlich bauen, wird Stuttgart den verspätungsanfälligsten Bahnhof in Deutschland haben.

(Beifall bei den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Palmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Drexler?

Selbstverständlich.

Bitte, Herr Abg. Drexler.

Herr Palmer, liegt der optimale Leistungsbereich von Stuttgart 21 nun im Bereich von 41 bis 50 Zügen pro Stunde und der des Kopfbahnhofs zwischen 28 und 38 Zügen, oder nicht?

Er liegt bei derzeit 31 Zügen pro Stunde im Kopfbahnhof. Baut man die zwei zusätzlichen Gleise Richtung Bad Cannstatt, liegt bei 38 Zügen im Rahmen eines Integralen Taktfahrplans noch nicht die Obergrenze. Sie können mit weiteren Überwerfungsbauwerken und Modernisierungsmaßnahmen

(Oh-Rufe – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

in die gleiche Größenordnung kommen und mehr Züge abwickeln. Doch entscheidend ist, Herr Kollege Drexler: Was da berechnet wird, ist die Leistungsfähigkeit unter einem bestimmten Betriebskonzept. Das Betriebskonzept für den Tunnelbahnhof lautet: Rund um die Stunde fahren Züge aus und ein – mit entsprechend schlechten Anschlüssen. Das Betriebskonzept für den Kopfbahnhof bei den 38 Zügen ist der Integrale Taktfahrplan – das heißt: kurze Umstiegszeiten.

Wenn Sie bereit sind, genauso schlechte Umstiegszeiten im Kopfbahnhof zu realisieren, kommt dieser auch auf 50 Züge. Es geht um das Betriebskonzept.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Nein! Sie müssen gar nicht umsteigen! Es müssen viel weniger um- steigen, weil es durchgehende Züge gibt!)

Es gibt immer nur eine durchgehende Verbindung; die anderen müssen alle umsteigen, für die wird es langsamer. Das können Sie einfach nicht bestreiten.

Was noch schlimmer ist, sind die Nachteile für den Nahverkehr. Es gibt keine Ausweichmöglichkeit, falls der S-BahnTunnel blockiert ist. Heute heißt das, die S-Bahn-Züge fahren in den Kopfbahnhof ein, die Züge der Linien S 4 bis S 6 werden umgeleitet, und die Gäubahn steht als Ausweichtrasse zur Verfügung. Eine Verknüpfung zum Fernverkehrsbahnhof gibt es bei Stuttgart 21 nicht. Das heißt, jeder kleine Betriebsunfall, jedes Problem im Tunnel führt zur kompletten Stilllegung der gesamten S-Bahn. Darüber haben Sie nie gesprochen. Die Flexibilität des Systems Eisenbahn wird verschlechtert und nicht verbessert. Der S-Bahn-Takt geht kaputt. Die Investitionen in die Infrastruktur zum Beispiel zwischen Waiblingen und Fellbach – all das passt nicht mehr, wenn Sie plötzlich drei bis vier Minuten länger brauchen, um von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof zu fahren. Nichts im gesamten System passt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Käse! Absoluter Kä- se!)

Sie müssen im dreistelligen Millionenbereich nachinvestieren, um diese Probleme hinterher wieder zu lösen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das ist bisher überdi- mensioniert worden!)

Zum Thema Brandschutz, Herr Kollege Drexler: Das Dementi der Bahn ist – das werden wir auch noch schriftlich sehen – sehr lau.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Die Bahn sagt nämlich: „Wenn es doch so ist, wie der Palmer sagt, dann werden wir das Problem schon anders lösen.“ Ich habe nicht von einer Tunnelzulassung gesprochen, sondern von den brandschutzrechtlichen Bestimmungen. Nach meiner Information gibt es vier Zugeinheiten in diesem Bahnhof, die schon den künftigen Bestimmungen entsprechen werden. Das heißt, Sie müssen alles andere neu beschaffen. Dabei geht es um mindestens eine halbe Milliarde Euro.

Kommen wir nun zum Thema Geld. Sie müssen sich ja schon fragen, warum sich ein Grüner gegen den Ausbau der Bahn wendet.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das wundert mich ja auch! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das tun wir wirklich! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das frage ich mich auch!)

Irgendeinen Grund muss der ja haben.

(Heiterkeit und Unruhe)

Hierauf können Sie nur zwei Antworten geben: Entweder ist der Kerl völlig durchgeknallt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Ja! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So weit wollen wir nicht gehen, auch wenn es gerade schwierige Zeiten sind!)

Das ist die eine Möglichkeit. Die andere ist: Es scheint der Eisenbahn irgendwie doch Probleme zu machen. Das ist der Grund, warum wir das tun.

Jetzt reden wir vom Geld. Davon verstehen Sie mehr als von der Eisenbahn. Reden wir also vom Geld: 500 Millionen € Nahverkehrsmittel für Stuttgart 21 brauchen Sie. Das Ergebnis können Sie im ganzen Land besichtigen. Es gibt nämlich einen totalen Investitionsstopp für alle neuen Projekte bis 2010, wahrscheinlich sogar bis 2015. Das heißt, der ganze Rest des Landes schaut in die Röhre, wenn Sie hier das Geld in den Tunnel vergraben.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Theresia Bauer GRÜNE: So ist es! – Abg. Wolfgang Drexler SPD meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Bevor Herr Kollege Drexler seine Zwischenfrage stellt, möchte ich noch Folgendes sagen: Ich habe eine Menge Diskussionen mit SPD-Abgeordneten in Lörrach und irgendwo am Rand dieses Landes geführt,

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Im Hoch- schwarzwald!)

bei denen es immer hieß: Was dieses Projekt Stuttgart 21 betrifft, so sind wir dagegen, weil das schlecht für uns ist.

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Das ist für uns in Südbaden genauso wichtig!)