Protocol of the Session on October 12, 2006

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein kleiner Fehler bei Stuttgart 21 ist, dass es „Stuttgart 21“ heißt und damit der Eindruck vermittelt wird, als handele es sich um ein Projekt der Stadt Stuttgart. Nein, es ist schon von den Vorrednern deutlich gesagt worden: Eigentlich müsste es „Baden-Württemberg 21“ heißen. Nach allem, was erläutert wurde, ist klar: Es ist ein europäisches Zukunftsprojekt von immenser Bedeutung. Alle, die bisher gesprochen haben, haben eindeutig signalisiert, dass sie dieses Projekt unterstützen wollen.

Wir sollten hier vielleicht nicht die rückwärtsgewandten Diskussionen der Grünen nachvollziehen, sondern kurz vor dem Zieleinlauf auch gegenüber denen, mit denen wir in Konkurrenz stehen, noch einmal eindrücklich klarmachen, warum es auch im Interesse der Bundesrepublik insgesamt sein muss, uns in dieses transeuropäische Netz einzubinden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Ich möchte auf einen Spruch der alten Römer zurückkommen: „Wohlstand kommt auf guten Straßen“. Sie hatten noch keine Eisenbahn. Also lassen wir einfach das S weg und sagen: „Wohlstand kommt auf guten Trassen.“ Es ist in der Tat so: Wirtschaftliche Entwicklung hat sich immer entlang wichtiger Verkehrstrassen gebildet. Wenn das irgendwo deutlich wird, dann hier, weil wir durch die Synergien von Messe und Flughafen und durch die Bündelung des Schienenverkehrs eine solche Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Einzelprojekte bekommen werden, dass es jeder außer vielleicht den Grünen einsieht. Das ist es, was auch Herr Balázs gesagt hat: Kopfbahnhöfe sind vom vorigen Jahrhundert – und diejenigen, die daran festhalten, Herr Palmer, sind auch vom vorigen Jahrhundert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Natürlich! Jahrgang 1972!)

Nehmen wir einmal das Thema Ökologie.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Davon verstehen Sie aber nichts!)

Mir hat sich nie erschlossen, warum Sie eine solche Attraktivitätssteigerung der Schiene im Vergleich zum Luftverkehr, was den innereuropäischen Verkehr anbetrifft – lieber mit dem schnellen Zug zum Gare de l’Est zu fahren anstatt zu fliegen –, nicht begrüßen. Wenn Sie das nicht begrüßen, dann verstehe ich überhaupt nicht, Herr Palmer, warum die Grünen sonst immer fordern, den ökologisch schädlichen Luftverkehr durch Schienenverkehr zu ersetzen. Stuttgart 21 ist ein Projekt, um genau dieses zu erreichen. Wenn Sie dann noch hinkriegen, dass wir die zu Recht kritisierte Subventionierung in Teilbereichen des Flugverkehrs, die ihn im Wettbewerb zur Schiene immer noch attraktiver macht, zurücknehmen, dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite.

Ein weiteres ökologisches Element dieses Projekts ist, dass wir – worüber wir uns immer einig waren –, bevor wir mit der Entwicklung in die Fläche gehen, Flächen in den Kernen reaktivieren. Was ist das, was wir dann in Stuttgart haben werden, anderes als ein gigantisches Flächenreaktivierungspotenzial? Stuttgart wird ja in Sachen Wohnbebauung noch eines der Zentren sein, die auf Zuwachs gepolt sind.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Wir müssen dafür die Chancen schaffen, ohne weiter in die Fläche gehen zu müssen. Das ist doch höchst ökologisch.

Nun zum Thema Finanzen: Leider ist heute der Kollege Kretschmann – er drückt sich nicht, sondern er ist krank – nicht da. Ich finde es schon unverschämt, wenn man gerade in Finanzdiskussionen, in denen es um die Verteilung von Ressourcen für Bildung und für andere Bereiche geht, sagt: „Und dieses Geld gebt ihr aus, um einen Bahnhof zu vergraben.“ Ich finde das unfair, weil man gerade mit Blick auf die jungen Generationen sagen muss: Das ist eine Investition in ein Jahrhundertprojekt,

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

von dem künftige Generationen profitieren werden.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Und wenn die nach- her zu blöd sind, eine Fahrkarte zu kaufen, weil sie keine Lehrer kriegen?)

Man sollte nicht so tun, als würde da irgendwelches Geld in unsinnige Großprojekte gesteckt.

Nun zu der Frage, wie sich Tiefensee entscheiden wird. Da bin ich auch der Meinung: Wir müssen aufpassen, dass wir da nicht Gräben aufreißen, sondern versuchen, auch ein Stück weit klarzumachen: Wir wissen wohl, dass wir zu vielen anderen Projekten in Deutschland, auch in den östlichen Bundesländern, in Konkurrenz stehen. Aber man darf – das haben wir auch in dem Antrag formuliert – schon einmal darauf hinweisen, dass wir uns in Baden-Württemberg angesichts der Mittel, die wir für Infrastrukturverbesserungen, insbesondere in den östlichen Bundesländern, zur Verfügung gestellt haben, wirklich nicht nachsagen lassen müssen, wir hätten es an Solidarität mangeln lassen. Ich würde sagen: Jetzt sind auch wir in Baden-Württemberg wieder einmal dran.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Da sind wir selbstbewusst genug, zu sagen: Die Region Stuttgart ist eine der Lokomotiven im Land Baden-Württemberg, und das Land Baden-Württemberg ist eine der Lokomotiven für Wachstum und Wohlstand in der gesamten Bundesrepublik. Wer dies weiß, der muss dieser Lokomotive auch die Chance geben, zu fahren. Wer dem Ochsen das Maul verbindet, der kann nicht erwarten, dass dieser motiviert weiterdrischt.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Daher glaube ich, dass wir ganz deutlich machen müssen, dass es auch im Interesse des Wachstums und des Wohlstands in ganz – –

(Unruhe)

Ja, dem Ochsen, der drischt, soll man nicht das Maul verbinden.

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

Wir sollten also schon einmal den anderen gegenüber klarmachen, dass wir ein Stück weit Solidarität üben wollen und auch weiterhin werden, dass man aber natürlich auch uns Entwicklungsperspektiven geben muss, mit denen wir unsere Lokomotivfunktion weiterhin wahrnehmen können.

Als letzten Punkt möchte ich noch auf etwas eingehen, was schon angesprochen worden ist. Stuttgart 21 ist nicht nur für den Fernverkehr ein großes europäisches Projekt, sondern insbesondere auch für den Regional- und Nahverkehr ein wichtiges Projekt. Insofern kann ich ein bisschen nachvollziehen, dass die Landräte im Verband Region Stuttgart das etwas skeptisch sehen.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Ihr gutes Recht!)

Sie haben aber trotz Bedenken zugestimmt.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Habe ich ja gesagt!)

Das spricht doch dafür, dass man auch da die Wichtigkeit dieses Projekts nicht nur für Stuttgart und die Region Stuttgart einsieht. Allerdings habe ich auch Verständnis dafür, wenn gesagt wird, dass die Region Neckar-Alb mit Tübingen und Reutlingen maximal davon profitieren wird, bei der Finanzierung aber nicht dabei ist.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Die zahlen nichts! Keinen Cent!)

Ich bin aber sehr, sehr froh, dass sie sich trotzdem nicht aus der Solidarität herausstehlen wollen. Ich will nur darauf hinweisen, dass man sich immer wieder einmal auch über Gebietskörperschaftszuschnitte Gedanken machen sollte.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es ist wirklich deutlich geworden, dass wir im Moment an einem Punkt stehen, an dem wir sozusagen der Lok, die in Baden-Württemberg unter Dampf steht, freie Bahn geben müssen. Die Weiche darf nicht aufs Abstellgleis, nicht in den Kopfbahnhof führen, sondern wir müssen sie im europäischen Kontext auf freie Fahrt stellen. Darum bitten drei Fraktionen gemeinsam. Dieses Signal wollen wir heute gemeinsam Richtung Bund senden. Ich hoffe, dass wir dazu kommen, dieses große Projekt unter Dampf bzw. unter Strom zu setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP, der CDU und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Boris Palmer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Werte Fans von Stuttgart 21, was spricht nach Ihrer Auffassung für das Projekt?

(Zurufe: Alles!)

Erstens: Stuttgart 21 und die Neubaustrecke seien selbstverständlich eine untrennbare Einheit. Sie könnten durch nichts

auf der Welt getrennt werden. Kein Blatt Papier gehe zwischen diese beiden Projekte.

Ich halte es mit der Auffassung von Bundesverkehrsminister Tiefensee, der zwei getrennte Arbeitsgruppen eingesetzt und zur „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ auf die Nachfrage „Ist es möglich, dass nur die Neubaustrecke realisiert wird und nicht der Tunnelbahnhof?“ geantwortet hat – zwei Buchstaben –: „Ja.“ Er hat recht.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Sehr gut! – Zuruf von der SPD: Das ist möglich, aber nicht sinnvoll!)

Zweitens: Sie behaupten, ohne den Tunnelbahnhof würde Baden-Württemberg abgehängt. Das ist die große Sorge der Provinz: „Wir werden abgehängt.“ Der TGV kommt nächstes Jahr in drei Stunden und 40 Minuten nach Stuttgart. Sollten Sie es schaffen, Stuttgart 21 zu realisieren, wird er nicht drei Stunden und 40 Minuten, sondern drei Stunden und 38 Minuten benötigen, um in den Bahnhof einzufahren.

(Zurufe von den Grünen: Wow!)

Glauben Sie, dass das irgendeinen Eindruck auf die Pariser macht?

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Reden Sie ein- mal weiter!)

Es spielt überhaupt keine Rolle, ob der Bahnhof fünf Minuten mehr oder weniger an Zeitaufwand bringt. Glauben Sie, auf der Strecke Paris–Bratislava spielen fünf Minuten eine Rolle? Die Frage, ob Baden-Württemberg ins europäische Schienennetz eingebunden ist, hängt ausschließlich von der Neubaustrecke ab und hat nichts mit der Frage zu tun, ob Sie den Kessel durchtunneln.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es hat mit Kapazität zu tun!)

Drittens: Anbindung von Flughafen und Messe. Sie sollten immer dazusagen: Ihre wunderbare ICE-Anbindung des Flughafens begrenzt sich auf einen einzigen ICE pro Stunde. Ein Zug pro Stunde! Alles andere sind Regionalzüge.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das sind 24 am Tag!)

24 Stunden fährt die Bahn leider nicht.