Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Aktuelle Debatte – Bildung statt Bürokratie – Nein zum Nationalen Bildungsregister – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP
Meine Damen und Herren, es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kultusministerkonferenz arbeitet seit einigen Jahren an einem – wie sie es nennt – „Aufkommen schulstatistischer Daten für überregionale und internationale Zwecke“. Dafür sei ein Bestand aktueller und vergleichbarer Schuldaten der Länder unerlässlich.
Mittlerweile ist der Kerndatensatz erarbeitet, der als Grundlage für die Daten dient, die die Länder liefern sollen. Dieser Kerndatensatz ist sehr umfangreich. Er enthält Merkmalssätze zu der Berichtsschule, zu den Klassen der Schule, den Unterrichtseinheiten, den Schülern, Absolventen und Lehrkräften und zu den Lehrerbewegungen. Es müsste also ein sehr umfangreicher Datensatz bemüht werden. Die Länder sollen diese Daten bis zum Jahr 2008/2009 liefern, damit sie in eine nationale Datenbank umgewandelt werden können.
Wir, meine Damen und Herren, sehen diese Entwicklung mit einiger Sorge, und wir nutzen daher heute die Möglichkeit der Aktuellen Debatte, um kurz vor der nächsten Kultusministerkonferenz am 19. und 20. Oktober 2006 unserer Sorge Ausdruck zu verleihen. Ich werde den bildungspolitischen Part abhandeln, und mein Kollege Hagen Kluck wird in der zweiten Runde zu den datenschutzrechtlichen Fragen Stellung nehmen.
Wir haben aus drei Gründen Sorge. Zum einen haben wir, meine Damen und Herren, ein grundsätzliches Problem mit der Kultusministerkonferenz.
(Heiterkeit – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Wer hat das nicht? – Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)
Es ist völlig in Ordnung, dass sich Fachminister auf Bundesebene treffen und gemeinsam beraten. Ich betone: beraten. Was für uns sehr problematisch ist, ist die Möglichkeit der Kultusministerkonferenz, einstimmige Beschlüsse zu fassen, die dann für die Länder bindend sind. Das ist für uns ein großes Problem. Das darf so nicht sein.
Meine Damen und Herren, wir erwarten aber, dass in Zukunft wenigstens die Beschlussvorlagen, die in der Kultusministerkonferenz erarbeitet werden, in die Länderparlamente gehen und dort auch in den entsprechenden Ausschüssen beraten werden können. Ich denke, das wäre ein fairer Weg, damit wir auf diese Weise ein Stück weit teilnehmen können.
Ich möchte Sie noch daran erinnern, dass wir in den letzten Monaten heftig darum gerungen haben – wenn ich dieses Bild gebrauchen darf –, die Lufthoheit über der Bildungspolitik für die Länder zurückzuerobern. Es kann nicht sein, dass die Kultusministerkonferenz uns diese Lufthoheit teilweise wieder nimmt.
Der zweite Punkt, der uns bei diesem Vorhaben der Kultusministerkonferenz nachdenklich stimmt, ist die Frage, ob das wirklich mit unserem Schulgesetz vereinbar ist.
Die Presse hat uns gestern freundlicherweise darauf hingewiesen, dass wir im letzten Jahr schon eine – wie sie es nennt – „softere Version“ dieser Datenerfassung hier im Landtag verabschiedet hätten. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich den § 115 des Schulgesetzes genauer anschaut, dann zeigt sich, dass das qualitativ etwas völlig anderes ist. Im letzten Jahr hat der Landtag einstimmig beschlossen, dass zur Vereinfachung der Schulverwaltung, zur Verbesserung der Wege in der Schulverwaltung auch EDV benutzt werden kann, um die alte amtliche Schulstatistik etwas zu verbessern und weniger umständlich zu machen. Im Rahmen dieser Umwandlung in EDV sind auch individuelle Schülerdaten erfassbar, und sie können auch statistisch ausgewertet werden; aber, meine Damen und Herren, diese Da
ten dürfen nur schulbezogen und im Land verwertet werden. Mit dieser Möglichkeit der Benutzung der EDV in der Schulverwaltung sollten vor allen Dingen Fehlerquellen vermieden werden, und es sollten auch Schulwechsel, Schulkooperationen oder die Feststellung von Mehrfachbewerbungen erleichtert werden, also im Grunde ein qualitativ völlig anderer Vorgang.
Das zweite Problem mit dem Schulgesetz: Wir haben ja bis heute noch nicht die Rechtsverordnung, die dazu erlassen werden muss. Wir wissen also im Grunde auch noch nicht ganz genau, was da an Datenmengen vorgesehen ist. Die Frage ist auch, ob es uns unser Schulgesetz gestattet, diese Daten an den Bund weiterzugeben. Möglicherweise sind hier auch noch weitere gesetzliche Änderungen oder neue gesetzliche Grundlagen nötig.
Der letzte Punkt, meine Damen und Herren, weshalb wir im Moment wirklich nicht Ja sagen können zu dieser Maßnahme, ist der immense bürokratische Aufwand. Ich habe es Ihnen vorhin schon kurz erläutert: Diese Kerndatensätze umfassen immense Datenmengen, die transportiert werden müssen. Ich darf Sie daran erinnern: Wir haben allein in BadenWürttemberg 1,7 Millionen Schüler, bundesweit über 12 Millionen, und dazu kämen ja dann noch die Lehrer und eventuell auch die Kindergartenkinder. Meine Damen und Herren, sogar Statistiker bezweifeln den Sinn einer solchen Riesendatenansammlung.
Wir sind uns natürlich mit dem Kultusministerium völlig darüber einig, dass es sehr wünschenswert wäre, wenn wir in Zukunft mehr über individuelle Schulbiografien wüssten. Das wäre sicher sehr sinnvoll. Aber wir meinen, dass die Mittel, die wir im Moment haben, zumindest auf Landesebene ausreichen, um uns mit den herkömmlichen Stichprobenerhebungen hier ein Stück weit zu behelfen.
Und zum Schluss: Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal vor – das geht jetzt schon ein bisschen in den Bereich Datenschutz –: Bei der allgemeinen Schulpflicht, die wir in Deutschland haben, würde über kurz oder lang jeder Bundesbürger in dieser Datei erfasst werden.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildungsregister – ein bürokratisches Schreckgespenst oder vielleicht doch ein längst überfälliges bildungspolitisches Instrument? Wir als CDU-Fraktion wollen kein neues Statistikmonster und keine neue KMK-Bürokratie. Für uns kommt es darauf an, ob ein solches Register einen messbaren Beitrag zum Bildungserfolg liefern kann.
Wenn wir hier im Haus völlig zu Recht im Sinne der stetigen Verbesserung unseres Bildungsangebots sehr intensiv um Chancengleichheit, um Bildungsinhalte, um Evaluation an unseren Schulen diskutieren, dann müssen wir doch auch ein gesteigertes Interesse an gesicherten Erkenntnissen haben.
Wir alle wissen, zumindest punktuell, dass wir in unseren Schulen z. B. je nach Einzugsgebiet oder Zusammensetzung der Klassen unterschiedliche Aufgabenstellungen und differenzierten Handlungsbedarf haben. Ich sage ganz bewusst „punktuell“, denn worauf wir – und das ist der Unterschied, liebe Frau Dr. Arnold – bislang nicht zurückgreifen können, sind Längsschnittstudien, sind Verlaufsstudien über die Entwicklung von Schülern als Basis für eine systematischere Bildungsforschung.
Man kann nicht einerseits über unzureichenden Bildungserfolg bestimmter Bevölkerungsgruppen klagen, wie das gestern noch Herr Zeller getan hat, und andererseits dem Parlament, der Bildungspolitik und den Bildungseinrichtungen mögliche Erkenntnisse der Bildungsforschung verweigern.
Ich denke, Sie kennen das alle: Fakten, Fakten, Fakten verlangt der Chefredakteur eines bekannten Wochenmagazins.
Damit Bildungsforschung nicht im Nebel herumstochert, meine sehr geehrten Damen und Herren, braucht sie über lange Zeitspannen verlässliches und aussagekräftiges Datenmaterial, mit dessen Hilfe Erfolge und Misserfolge im Bildungssystem deutlich gemacht werden können. Ein bundesweit aggregiertes Bildungsregister kann sich als geeignete Grundlage für eine wissensgestützte Bildungspolitik erweisen.
Wir als CDU-Fraktion sind offen für eine solche Bildungsdatei und scheuen für das baden-württembergische Schulsystem den Vergleich mit den anderen Ländern nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP, Datenschutz, Datensicherheit und Entbürokratisierung sind natürlich Themen, die überaus ernst genommen werden müssen.
Ich bin auch dankbar dafür, dass Frau Dr. Arnold vorhin an unser eigenes Schulgesetz erinnert hat, das der Landtag von Baden-Württemberg im vergangenen Sommer verabschiedet hat. Dort wurden die Grundlagen für einen datenschutzkonformen Umgang mit Schülerdaten geschaffen. Natürlich hat man auch da lange mit dem Datenschutz um eine Lösung gerungen. Am Ende aber kamen wir zu einer Schülerindividualdatei, deren Daten z. B. für das Kultusministerium nur in pseudonymisierter Form verfügbar sind.
Ich will es an dieser Stelle noch einmal betonen: Diesem Schulgesetz haben alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt. Das war auch vernünftig, denn, meine Damen und Herren, im 21. Jahrhundert ist eine solche elektronische Datenerfassung und Datenverarbeitung doch wohl wirklich ein sinnvolles Instrument zur Verwaltungsvereinfachung. Es trägt ja gerade zur Entbürokratisierung bei, nicht bei jedem Schulwechsel eines Kindes das Rad an der nächsten Schule neu erfinden zu müssen.