Protocol of the Session on June 30, 2005

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als FDP/DVP-Fraktion danken zunächst einmal dem Innenministerium mit Ihnen, Herr Innenminister, an der Spitze für die sehr gute Zusammenarbeit bei den Gesprächen im Vorfeld der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs, den wir für sehr gelungen halten. Sie haben das bereits angesprochen. Ich bin Ihnen auch dankbar für die Klarstellung, was die Bauleitplanung angeht. Selbstverständlich kann man bei jedem Gesetzentwurf und bei jeder gesetzlichen Regelung die Dinge noch einmal abwägend darstellen. Es gibt immer Menschen, die weiter gehen wollen, anderen geht es weit genug. Wir stellen jedenfalls heute nicht ohne einen Unterton der Zufriedenheit fest, dass sich die Beharrlichkeit der Liberalen bei der Durchsetzung von mehr Bürgerbeteiligung bei kommunalen Entscheidungen gelohnt hat.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Stickelberger SPD: Ein Akt der Selbstüberschätzung!)

Nicht ohne Grund, meine Damen und Herren,

(Abg. Fischer SPD: Oh!)

hat die FDP/DVP im Jahr 2001 dafür gesorgt, dass im Koalitionsvertrag die Absicht festgehalten wird, die Möglichkeiten der unmittelbaren Bürgerbeteiligung in unseren Städten und Gemeinden deutlich zu stärken. Ich bin der Meinung, dass die Absenkung der Unterschriftenquoren beim Zustandekommen eines Bürgerbegehrens, das in einem früheren Gesetzentwurf auch auf Initiative der FDP/DVPFraktion beschlossen worden ist, ein erster wichtiger Schritt war, um Bürgerbegehren zu erleichtern. 10 % der Unterschriften der Wahlberechtigten müssten machbar sein. Wer 10 % der Unterschriften der Wahlberechtigten nicht schafft, der wird auch später kaum erreichen, dass es eine Mehrheit für ein solches Bürgerbegehren gibt. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich sowohl ein Bürgerbegehren einmal selber initiiert habe als auch in meiner Amtszeit als Oberbürgermeister einen Bürgerentscheid hatte, der

(Abg. Fischer SPD: Abgelehnt wurde!)

auch zustande gekommen ist und der auch von mir persönlich unterstützt worden ist.

Jetzt haben wir eine Absenkung des Quorums für das Zustandekommen des Bürgerentscheids. Viele Bürgerentscheide – das zeigt die Statistik – sind an dem Quorum von 30 % der Wahlberechtigten gescheitert – man muss das sehen –, und zwar von 30 % der Wahlberechtigten, nicht derjenigen, die dann zur Abstimmung gegangen sind. Wir senken dieses Quorum jetzt auf 25 %. Sicherlich kann man – und das tun ja Organisationen wie „Mehr Demokratie“ – darüber sprechen, ob 25 % oder 20 % ausschlaggebend sind. Wir haben uns in der FDP/DVP-Landtagsfraktion davon leiten lassen, dass die Kritiker der direkten Demokratie, also die Anhänger der rein repräsentativen Demokratie,

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

darauf hinweisen, dass solche Bürgerentscheide auch eine gewisse Legitimation haben sollen. Wir sind der Meinung gewesen und haben uns davon leiten lassen, dass ein Quorum von 25 % doch eine Mindestuntergrenze darstellt, um zu rechtfertigen, dass hier auch tatsächlich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde, einer Stadt hinter diesem Bürgerentscheid steht.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das ist das Hauptargument, weil Bürgerentscheide ja auch eine gewisse Befriedungsfunktion haben.

In welcher Situation kommt es zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden? Da geht es häufig um große, wichtige Gemeindeangelegenheiten, aber meistens vor allem um Fragen, bei denen es innerhalb des Gemeinderats, des Stadtrats Streit und Ärger gegeben hat, Themen, die die Bürgerinnen und Bürger stark beschäftigen und aufwühlen, wo oft auch Städte, vielleicht aufgrund von unterschiedlichen Stadtteilinteressen oder aufgrund unterschiedlicher Parteiinteressen, zerstritten oder uneins sind. Hier übernehmen Bürgerentscheide eine ganz wichtige Befriedungsfunktion. Auch wenn sie knapp ausgehen, kann man dann sagen, hier ist die

Entscheidung vom Souverän, von den Bürgerinnen und Bürgern, getroffen worden. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir auch klar dafür, dass die Instrumente der direkten Demokratie in den Kommunen gestärkt werden sollen. Das wird mit diesem Gesetzentwurf erreicht, ohne dabei die gut funktionierende repräsentative Demokratie auszuhöhlen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb meine ich, dass wir einen sehr guten Gesetzentwurf hier zur Beratung vorliegen haben, der auch deutlich eine liberale Handschrift erkennen lässt.

(Lachen des Abg. Stickelberger SPD)

Es sind viele Punkte in gutem Einvernehmen mit dem Koalitionspartner aufgegriffen worden. Wir haben die einzelnen Punkte durchdiskutiert. Kollege Heinz hat den einen oder anderen Punkt angesprochen. Ich bin wie er und auch wie der Minister der Meinung, dass die Streichung des Positivkatalogs doch die Möglichkeiten für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide deutlich erweitert. Man kann sagen, dieser Gesetzentwurf, dieses Gesetz wird dafür sorgen, dass wesentlich mehr Fragen in der Kommune einem Bürgerbegehren oder einem Bürgerentscheid unterworfen werden können als früher. Es ist nicht mehr die Zustimmung des Gemeinderats erforderlich, sondern hier können die Bürgerinnen und Bürger direkt durch das Sammeln von Unterschriften eine Entscheidung herbeiführen.

Ich denke, das ist ein sehr scharfes Schwert, das die kommunalpolitische Diskussion schon präventiv beeinflussen wird. Jeder, der die Diskussion in einem Gemeinderat kennt, wird, wenn die Möglichkeit besteht, dass gegen einen unpopulären Beschluss im Gemeinderat sofort ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht werden kann, dafür sorgen, dass vorher die Bürgerbeteiligung da ist, dass vorher mit den Bürgerinnen und Bürgern möglichst ein Konsens in solchen grundlegenden Fragen der Stadtentwicklung, der Stadtpolitik gefunden wird.

Deshalb ist auch die Streichung des Positivkatalogs für die Zulassung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid ein wichtiger Meilenstein für wesentlich mehr direkte Demokratie in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs. Wir sind froh, meine Damen und Herren, dass es gelungen ist, dies in diesem Gesetz zu regeln und damit einen wichtigen Punkt unserer Koalitionsvereinbarung durchzusetzen. Dass da neuer Wind hineingekommen ist,

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

das ist, denke ich, auch ein Stück weit auf den Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten zurückzuführen. Wir sind jedenfalls froh, dass wir nach jahrelangen Diskussionen jetzt praktisch auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode dieses uns sehr wichtige Projekt zum Abschluss bringen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Stickelberger SPD: Haben Sie den Text auch durchgesetzt, Herr Theurer?)

Zum Punkt der Bauleitpläne kann man unterschiedlicher Meinung sein. Es ist eine schwierige rechtliche Abwägung.

Gerade die Fragen des Bauplanungsrechts unterliegen ja sehr oft der verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit. Hier sollte in jedem Fall vermieden werden, dass es zu Abwägungsfehlern kommt. Deshalb haben wir uns vor allem aus Rechtssicherheitsgründen dafür entschieden, dies nicht bürgerentscheidsfähig zu machen. Wir konnten in diesem Punkt den weiter gehenden Forderungen der kommunalen Landesverbände nicht folgen. Wir wollten uns hier eindeutig auf die Seite der Bürgerinnen und Bürger stellen – mit dieser einen Ausnahme.

(Zuruf des Abg. Heinz CDU)

Ich meine, das kann man auch rechtfertigen.

Die Absenkung der Grenze der Zahl der Einwohner, oberhalb derer ausgeschlossen wird, dass Personen in einem nahen verwandtschaftlichen Verhältnis gleichzeitig Gemeinderäte sind, ist angesprochen worden. Auch dies ist ein Punkt, bei dem man unterschiedlicher Auffassung sein kann.

(Zuruf des Abg. Heinz CDU)

Sie, Herr Kollege Heinz, haben nicht begründet, warum die Grenze bisher bei 20 000 Einwohnern liegt.

(Abg. Heinz CDU: Ich kann das schon begründen!)

Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum es jetzt gerade 10 000 Einwohner sind; wir hätten auch 8 000 oder 12 000 Einwohner wählen können. Irgendwo muss man die Grenze ziehen.

(Abg. Heinz CDU: Haben Sie schon einmal von ei- ner Großen Kreisstadt gehört?)

Wir sind der Meinung, dass auch in Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern kein Grund ersichtlich war, warum hier nicht auch Geschwister zusammen in einem Gemeinderat arbeiten können sollen, wenn sie von den Bürgerinnen und Bürgern den entsprechenden Auftrag erhalten haben.

Meine Damen und Herren, wichtig ist auch die Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen, die den Gemeinden nun die Möglichkeit geben soll, für neue Baugebiete einen Anschluss- und Benutzungszwang vorzusehen. Es war natürlich für Liberale eine schwierige Abwägung, ob man hier so weit eingreifen solle. Aber wir sehen hier einfach den Schutz der Umwelt im Vordergrund. Deshalb haben wir uns entschlossen, dies ebenfalls hier aufzunehmen.

Ein wichtiger Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Frist, innerhalb derer ein Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Gemeinderats eingeleitet werden kann. Diese Frist wird von vier auf sechs Wochen verlängert, wodurch ein Bürgerbegehren erleichtert wird, weil es in sechs Wochen leichter ist, die erforderlichen Unterschriften zu sammeln. Auch hier wird also eine Maßnahme umgesetzt, die auch vom Verband „Mehr Demokratie“ sehr begrüßt wird.

Über die Jugendgemeinderäte, meine Damen und Herren, haben wir ja hier an dieser Stelle schon oft diskutiert und gesprochen. Ich bin mit der FDP/DVP-Fraktion der Auffassung, dass wir die kommunale Selbstverwaltung in den Vor

dergrund stellen sollten. Die Städte und Gemeinden haben in den Gemeinderäten die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welches Instrument der Beteiligung Jugendlicher sie wählen. Wir spüren ja alle eine Veränderung der Verhaltensweisen der Menschen in unserem Land weg von permanentem Engagement in Gremien hin zu projekthafter Mitarbeit und sehen, dass auch andere Formen wie Jugendforen sehr gut ankommen. Wir sind der Meinung, dass die jetzt gefundenen Formen sehr gut sind, wobei wir durchaus der Auffassung sind: Wenn sich eine Gemeinde dazu entschließt, einen Jugendgemeinderat einzuführen, dann sollten sich die Gemeinderäte auch überlegen, ob man das nicht in der Geschäftsordnung regelt und diesen Jugendgemeinderäten dann Mitwirkungsrechte eingeräumt werden sollten. Aber wir sind der Auffassung, dass im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung die Kannregelung völlig ausreicht, und lehnen deshalb weiter gehende Vorschriften durch den Landesgesetzgeber ab.

(Beifall der Abgeordneten der FDP/DVP)

Schlusspunkt, meine Damen und Herren: Die Zusammenlegung von Wahlterminen ist im Sinne der Effizienz vernünftig. Damit schließt sich auch der Kreis wieder: Bürgerentscheide und Bürgerbegehren sind aus unserer Sicht wichtige Elemente, sollen aber natürlich die Ausnahme bleiben, weil sie auch mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden sind. Sie müssen nach den Grundsätzen der allgemeinen Wahlen stattfinden, und wenn wir in diesem Gesetz auch zulassen, dass Bürgermeisterwahlen zusammen mit anderen Wahlen stattfinden, ist das auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau und zum Abbau von Verwaltungsaufwand. In diesem Sinne liegt hier ein sehr guter Gesetzentwurf zur Abstimmung vor.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Pauli CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich könnte meinen Redebeitrag mit der Aussage „Und sie bewegt sich doch!“ beginnen. Aber dieses Zitat wäre dann vielleicht doch etwas zu weit gegriffen. Denn wenn man sich die Inhalte insbesondere des ersten Spiegelstrichs anschaut, was die Bürgerbeteiligung anlangt, ist ja eine Bewegung kaum erkennbar.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Ich will aber durchaus einmal positiv beginnen. Wir haben beim wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs fünf Spiegelstriche. Ohne eine Gewichtung der Inhalte vorzunehmen, können wir vier dieser fünf Spiegelstriche prinzipiell zustimmen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Oh! Ein hoher Prozent- satz!)

Allerdings stellt der erste Spiegelstrich eigentlich den Kernbereich des Gesetzentwurfs dar, und bei diesem stehen sich zwei Konzepte gegenüber. Wir haben uns ja die Mühe gemacht, zusammen mit der sozialdemokratischen Fraktion

dieses Hauses unsere Konzeption in einen eigenen Gesetzentwurf zu gießen – unsere Konzeption einer Bürgerbeteiligung der Menschen in Baden-Württemberg. Im Übrigen ist das eine Kernkompetenz des Landtags von Baden-Württemberg, über die wir heute diskutieren.

Dazu will ich Ihnen doch etwas ins Stammbuch schreiben: Wir haben nicht vor, das repräsentative System, die repräsentative Demokratie in Baden-Württemberg abzuschaffen,

(Abg. Heinz CDU: Da sind wir aber froh!)