Protocol of the Session on June 29, 2005

Es gibt allerdings durchaus Unterschiede in der Fachdiskussion, was die Reichweite des Richtervorbehalts angeht und was die Voraussetzungen für die DNA-Identitätsfeststellung für Zwecke künftiger Strafverfahren angeht. Es ist ja immer schwierig, für künftige Strafverfahren eine Prognose von bisher unbescholtenen Bürgern abzugeben, die in den Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben. Man kann nicht davon ausgehen, dass hier von Menschen – und Ermittlungsbehörden werden ja auch von Menschen getragen – eine treffsichere Prognose abgeben werden kann. Es kann nicht sein, dass alle Daten einfach erhoben und gespeichert werden, insbesondere wenn darin genetische Informationen enthalten sind,

(Abg. Blenke CDU: Sind es doch aber gar nicht!)

sodass praktisch jeder Bürger ein potenzieller Straftäter ist. Das würde auch zu einer Datenfülle führen, die niemand verwerten kann.

(Abg. Blenke CDU: Es sind doch aber gar keine genetischen Informationen enthalten! – Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Meine Damen und Herren, ich denke – da ist sich die FDP/ DVP-Fraktion eigentlich ziemlich sicher –, dass es befriedigende Regelungen für Massengentests geben muss. Diese Tests stellen im Bereich der Sexualstraftaten mit Sicherheit ein vernünftiges Ermittlungsverfahren dar. Bisher laufen sie ja freiwillig. Alle Diskussionsvorschläge, die hierzu vorliegen, sind nach meinem persönlichen Dafürhalten unbefriedigend. Aber es war ja in der Vergangenheit immer so, wenn neue Techniken eingeführt worden sind, dass man das zunächst einmal im Rechtssystem ausprobiert hat und das dann auch angeglichen und abgewogen hat. Insofern liegen ja die nun auf dem Tisch liegenden Vorschläge gar nicht so weit auseinander.

Ich bin eigentlich auch froh darüber, dass die Bundesjustizministerin und auch die rot-grüne Bundestagsmehrheit Vorschläge aufgenommen haben, die unser Justizminister bereits vor einigen Monaten gemacht hat und die in die richtige Richtung weisen. Insofern hoffen wir vonseiten der FDP/ DVP-Landtagsfraktion natürlich auch, dass man hier eine Übereinkunft erzielt. Im Deutschen Bundestag ist ja auch eine große, übereinstimmende Zustimmung signalisiert worden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich bei dieser Frage enthalten, weil sie einige Punkte noch nicht als zufrieden stellend geklärt ansieht. Aber die Enthaltung zeigt auch, dass die FDP-Bundestagsfraktion eine Regelung in dieser Frage nicht ganz ausschließen möchte, sondern befürwortet.

Wir sind der Meinung, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Landtagsfraktion, dass es einer Aufforderung hier im Hause nicht bedarf, um die Landesregierung zu motivieren, eine Regelung herbeizuführen.

(Abg. Teßmer SPD: Na, na!)

Wir haben vollstes Vertrauen in die Landesregierung von Baden-Württemberg. Wir sind der Meinung, Ihr Ansinnen ist eigentlich eher der Versuch – um es in der Fußballsprache zu sagen –, ein Abstaubertor zu erzielen.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Stickelberger SPD: Das zählt genauso wie ein anderes!)

Die Vorschläge, die jetzt auf Bundesebene umgesetzt werden, gehen auf liberale Vorstöße hier im Land durch unseren Justizminister zurück.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will zwei Bemerkungen vorwegschicken.

Im Gegensatz zum Redner der CDU-Fraktion, der sich offensichtlich nicht mehr im Raum befindet,

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

sind wir der Auffassung, dass mit dieser rot-grünen Gesetzesinitiative zur Erweiterung der Möglichkeiten der DNAAnalyse die Grenzen des Verfassungsmäßigen erreicht sind, sodass das nicht ein erster Schritt, sondern nur ein letzter Schritt sein kann.

Ein zweiter Punkt, den ich nennen möchte, ist: Die Gleichsetzung des genetischen Fingerabdrucks mit dem bisherigen herkömmlichen Fingerabdruck ist ganz sicher nicht mit unseren verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar, denn das würde ja bedeuten, dass man potenziell – Kollege Zimmermann, da können Sie den Kopf schütteln, solange Sie wollen – alle Menschen in dieser Gesellschaft zu potenziellen Straftätern machte. Das kann nicht die Intention der Strafprozessordnung sein.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Zimmer- mann CDU und Teßmer SPD)

Ansonsten bin ich natürlich gespannt, wie die Landesregierung, vertreten durch den Justizminister, sich jetzt zu dieser Gesetzesinitiative, die Rot-Grün im Bundestag eingebracht hat, hier äußern wird. Insofern wäre es natürlich ein geschicktes Vorgehen gewesen, wenn der Minister vor den Rednern der einzelnen Fraktionen gesprochen hätte, denn dann hätte sich vielleicht dieses oder jenes erübrigt.

Ich darf aber zwei oder drei Gedanken noch ausführen. Die Intention des Gesetzes geht dahin, dass insbesondere die Anwendung der DNA-Analyse vereinfacht wird. Ich darf das einmal so bezeichnen. Vereinfacht wird sie deshalb, weil dort, wo bisher Richtervorbehalt gilt, nämlich bei den so genannten anonymen Spuren – zum Beispiel dort, wo am Tatort oder auch am Tatopfer Spuren vorgefunden werden, bei denen es nicht möglich ist, sie bekannten Personen zuzuordnen –, der Richtervorbehalt aufgehoben wird. Das soll einfach deshalb geschehen, weil der Richter bisher ja sowieso automatisch immer die Durchführung veranlasst hat; er hat ja gar keine Begründung, um hier eine DNA-Analyse abzulehnen.

Auch die Legalisierung und die explizite Aufnahme des so genannten Massengentests in den Gesetzestext ist aus unserer Sicht eine richtige Maßnahme.

Die Frage, in der wir als grüne Fraktion hier im Landtag – das sage ich ganz offen – an die Kante dessen kommen, wo

wir der Auffassung sind, dass dort wirklich die Grenze dessen erreicht ist, was mithilfe von DNA-Analysen möglich sein darf, ist die der Erheblichkeit von Straftaten. Bisher ist ja in der Strafprozessordnung ein Katalog von schweren Straftaten enthalten, bei denen eine DNA-Analyse durchgeführt werden kann. Einige dieser Straftaten sind vorhin genannt worden: schwere Sexualstraftaten, Mord und ähnliche schwere Delikte, schwere Körperverletzung usw. Jetzt wird ja der Gesetzestext derart umgestaltet, dass dieser Katalog entfällt und dass nur noch von „erheblichen“ oder „schweren“ Straftaten die Rede ist. Dort sind alle Begriffe dann zusammengefasst; es ist eine Vereinfachung des Textes, und da können wir ohne Probleme mitmachen.

Schwierig dagegen wird es, wenn wir sagen, mehrere „nicht erheblich schwere“ Straftaten – das heißt, mehrere hintereinander begangene Straftaten, wegen denen die Täterin oder der Täter noch nicht einmal rechtskräftig verurteilt sein muss –, sollen in Zukunft durch diesen Gesetzestext auch mit der Möglichkeit einer DNA-Analyse ausgestattet werden. Das ist für uns tatsächlich die Kante.

Und nun haben wir ja auch noch den Minister Goll, der das hier ja schon seit längerem fordert und es auch schon in Teilen präzisiert hat. Wir haben darauf erwidert und gesagt: Das kann nicht für Schwarzfahrer und Schwarzfahrerinnen gelten, und es darf ebenso wenig für Ladendiebstahl und sonstige Delikte im Bereich der Kleinstkriminalität gelten. Das ist, wenn man die Begründung des Gesetzestextes der roten und der grünen Fraktion im Bundestag nachliest, so denke ich, auch eindeutig. Wir sind auch der Auffassung, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier Regeln vorschieben wird oder diese bereits vorgeschoben hat, damit in Zukunft bei Kleinstkriminalität nicht mithilfe von DNA-Analysen ermittelt werden kann.

Alles in allem: Trotz gewisser rechtsstaatlicher Bedenken – ich formuliere das einmal so – haben wir uns als grüne Bundestagsfraktion und als grüne Landtagsfraktion dafür entschieden, in dem Abwägungsprozess zwischen der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und dem Ermittlungsbedürfnis und dem Ermittlungsanspruch der Ermittlungsbehörden auf der anderen Seite sowie natürlich auch dem Recht der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auf informationelle Selbstbestimmung diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir wollen uns nicht so verhalten wie die FDP-Fraktion im Bundestag, die dort einmal so argumentiert, während die Partei etwas ganz anderes beschließt. Auch die FDP/DVP-Fraktion in diesem Hause hat sich noch nicht so ganz präzise geäußert. Wir werden ja sehen, wie sich der Minister äußert.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Alles in allem wollen wir hier als grüne Landtagsfraktion eine konsistente Regelung schaffen und dokumentieren, dass wir sehr wohl bereit sind, an die Grenzen des rechtsstaatlich Machbaren zu gehen, wenn es um die Erfassung und um die Feststellung von Straftäterinnen und Straftätern in unserem Land geht. Insofern können wir nur hoffen, dass der Justizminister für die Landesregierung die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf erklärt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Justizminister Dr. Goll.

(Abg. Teßmer SPD: Mach’s kurz, und sag Ja! Dann kannst du früher wieder Motorrad fahren!)

Das wäre allerdings ein starkes Argument.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, dass der Entwurf zur Gesetzgebung, um den es hier geht, mir jedenfalls gefällt, denn er ähnelt wie ein Ei dem andern dem Vorschlag, den ich gegen Ende letzten Jahres auf dem Triberger Symposium gemacht habe.

Ich halte das für einen vernünftigen Schritt nach vorne. Ich weiß, dass das manchem nicht weit genug geht und dass es manchem schon zu viel ist, aber es bringt einen Schritt nach vorn und entspricht – das wollen wir vielleicht noch einmal festhalten – eigentlich genau dem Vorschlag, den wir innerhalb der baden-württembergischen Justiz auf dem Triberger Symposium gegen Ende letzten Jahres entwickelt haben.

Insofern rennen Sie mit dem Vorschlag natürlich offene Türen ein. Das ist aber auch genau der Grund, weshalb wir eine Aufforderung dieser Art nicht brauchen. Sie ist überflüssig.

(Abg. Schmid SPD: Aber Sie können doch Rücken- deckung von uns gebrauchen! – Abg. Stickelberger SPD: Oder pfeift Sie der Ministerpräsident auch wieder zurück?)

Ich gehe davon aus – ich drücke mich jetzt bewusst so aus, weil es auch eine Kleiderordnung gibt –, dass das Verhalten im Bundesrat zuvor im Kabinett festgelegt wird. Aber ich gehe selbstverständlich davon aus, dass dieses Gesetzgebungsvorhaben passieren wird – ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses –, dass das Gesetzesvorhaben also ins Gesetzblatt kommt.

Es ist vielleicht bekannt: Heute Morgen hat der Partner CDU im Bundestag dafür gestimmt, das Gesetz durchzulassen, und auch die FDP-Bundestagsfraktion hat nicht dagegen gestimmt; sie hat sich enthalten. Es besteht also kein Zweifel: Dieses Gesetz wird in das Gesetzblatt kommen. Auch insofern bedarf es eines solchen Antrags nicht.

Ich gehe an dieser Stelle noch ganz kurz auf Ihre Frage ein. Sie haben nach dem „klaren Kurs“ gefragt. Eigentlich bin ich zwar der Meinung: Ende gut, alles gut; wir haben jetzt eine Verbesserung bei diesem wichtigen Instrument. Aber wenn Sie schon danach fragen, wie sich die FDP und andere verhalten haben, würde ich doch sagen: Wer solche dicken Steine in der Hand hat, sollte Acht geben, wenn er im Glashaus sitzt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zur Frage nach dem Kurs: Es ist noch nicht lange her – das war Anfang 2004 –, da hat die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion im Rechtsausschuss des Bundestags, Frau Abg. Lambrecht,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Die kennt ja jeder!)

gesagt:

Wir brauchen keine Ausweitung; denn die Rechtlage ist so gut, dass mit ihr gute Fahndungserfolge erreicht werden können.

Und außerdem:

Deswegen möchte ich hier feststellen, dass die Forderung einer Ausweitung der gesetzlichen Möglichkeiten nur aus populistischen Gründen erhoben worden sein kann.

(Abg. Wintruff SPD: Wer hat das gesagt? – Gegen- ruf des Abg. Theurer FDP/DVP: Frau Lambrecht!)

Da freue ich mich, dass Sie mittlerweile etwas weiter sind. – Das hat die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion gesagt.

(Abg. Wintruff SPD: Das gibt’s doch gar nicht! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP/DVP und der Grünen)

Ich kann Ihnen die Niederschrift der Debatte gerne mitgeben. – Die SPD hat sich also in eine gute Richtung bewegt – das wollen wir anerkennen –, fordert uns jetzt allerdings auf, das ins Gesetzblatt zu schreiben. Das finde ich schon ein bisschen originell.