Protocol of the Session on June 1, 2005

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Oh!)

Das würde auch die Kommunalverwaltung überfordern. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass ein Bürgerentscheid wie eine Kommunalwahl ablaufen muss, dass Hunderte von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern dabei sein müssen. Ein Bürgerentscheid ist mit hohen Hürden, mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Er sollte die Ausnahme bleiben. Eine solche Ausnahme ist zukünftig leichter möglich als bisher. Aber wir wollen nicht so weit gehen wie Sie, meine Damen und Herren. Trotzdem können Sie uns nicht absprechen, dass wir für mehr direkte Demokratie in den Kommunen des Landes Baden-Württemberg sind.

(Abg. Heinz CDU: Augenmaß!)

Im Gegenteil, wir haben in der Tat mit Augenmaß – wie Sie zurufen – einen guten Gesetzentwurf zur Anhörung auf den Weg gebracht. Wir hoffen, dass er hier die Mehrheit findet.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Sakellariou SPD: Für die Mehrheit müssen aber noch ein paar mehr da sein!)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Rech.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine werten Damen und Herren Kollegen! Der Kollege Peter Schneider hat das Spannungsfeld sehr plastisch beschrieben.

In der Tat – ich will damit beginnen, dann aber gleich den Deckel draufmachen –:

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Ich habe mich schon ein bisschen über die Grundhaltung geärgert, die dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs beispielsweise zu den Beiträgen und Gebühren geschrieben wird, dass sich die Gemeindeverwaltungen mehr Mühe geben müssten, die Kalkulation der Bürgerschaft gegenüber besser verständlich zu machen.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

(Minister Rech)

Meine Damen und Herren, Demokratie ist ein schwieriges Geschäft für beide Seiten. Auch den Bürgern muss etwas mehr Mühe und Interesse abverlangt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Schauen Sie einmal, wie viele Bürger überhaupt bei den Haushaltsberatungen in den Gemeinderatssitzungen anwesend sind.

(Abg. Scheuermann CDU: Keiner! – Abg. Birzele SPD: Die können doch gar nichts machen! Die können sich das immer nur anhören!)

Wenn überhaupt welche da sind, sind sie nur so lange da, wie der Punkt behandelt wird, der sie selber betrifft.

(Beifall bei der CDU)

Wir alle werden die Nagelprobe machen können, wenn wir jetzt gerade im Gemeindehaushaltsrecht dem Bürger entgegenkommen und die Doppik einführen. Diese ist überschaubar und transparent. Die Einführung der Doppik ist ein Schritt hin zum Bürgerhaushalt, ein Schritt hin zu Bürgernähe und Transparenz. Dann werden wir ja sehen, wie sich die Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das werden wir einmal sehen!)

Meine Damen und Herren, der zitierte Satz von Max Frisch hat schon seine Berechtigung. Ich will ihn wiederholen: Demokratie bedeutet die Freiheit, „sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen“.

Der Kollege Birzele hat dies zu Recht zitiert. Aber Freiheit, meine Damen und Herren, bedeutet vor allem auch immer Verantwortung, Verantwortung für das Ganze, aber nicht etwa nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist auch an alle gedacht.

Dieser Verantwortung für das Ganze wird am ehesten die repräsentative Demokratie gerecht. Deswegen haben wir seit 1955 einen Ausgleich in unserer Gemeindeordnung, der bis heute vorbildlich ist. Er ist deshalb noch heute vorbildlich, weil wir einen Status gefunden haben, der starke Kommunen gewährleistet und der die starke Stellung des Gemeinderats und des Bürgermeisters in unserer Kommunalverfassung verankert.

Meine Damen und Herren, unsere Stärken heißen kommunale Selbstverwaltung und Subsidiarität. Dies sind die Stärken, die das Land Baden-Württemberg dorthin gebracht haben, wo es heute trotz aller Schwierigkeiten noch immer steht.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Aber wir sind ja auf der Zielgeraden. Deswegen will ich die Diskussion versachlichen

(Abg. Zeller SPD: Die war bisher sachlich! Die war sehr sachlich!)

und den Kollegen von der Opposition auch sagen: Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Opposition das wichtige

Thema „Bürgerbegehren und Bürgerentscheid“ so nachhaltig und engagiert verfolgt. Dies ist zu begrüßen. Die unmittelbare Bürgerbeteiligung ist e i n wesentliches Element unserer Kommunalverfassung.

Ich kann Ihre Ungeduld verstehen – ich sage dies –, mit der Sie die Koalitionspartner mit immer neuen Anträgen dazu drängen, die Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Die Regierungskoalition hat in ihrer Vereinbarung angekündigt, die Möglichkeiten der unmittelbaren Bürgerbeteiligung in unseren Städten deutlich zu verstärken. Sie können sich darauf verlassen: Die Regierungskoalition wird dies auch einhalten.

Das Innenministerium hat am 17. Februar den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften in die Anhörung gegeben. Darüber sind Sie mit Schreiben vom gleichen Tag unterrichtet worden. Heute kann ich Ihnen sagen, dass die Landesregierung den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung der in der Anhörung eingegangenen Stellungnahmen am 31. Mai, also gestern, beraten und beschlossen hat. Der Entwurf wird dem Landtag in den nächsten Tagen zugehen. Was wir angekündigt haben, wollen wir auch umsetzen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Nach vier Jahren!)

Stichwortartig: Das Zustimmungsquorum soll nach unserer Auffassung in maßvoller Form gesenkt werden und künftig nur noch 25 % der Stimmberechtigten betragen. Den Positivkatalog wollen wir abschaffen. Die Themen, die einem Bürgerentscheid zugänglich sind, sollen nur noch durch den Negativkatalog begrenzt werden; im Übrigen sollen alle Angelegenheiten des Wirkungskreises einer Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, der Entscheidung der Bürger zugänglich sein.

Meine Damen und Herren, dies bedeutet eine ganz erhebliche Ausweitung derjenigen Themen, die für ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid infrage kommen. Die bisherige Hürde, dass der Weg für einen Bürgerentscheid in vielen Fällen erst durch eine Änderung der Hauptsatzung frei gemacht werden musste, ist damit vollständig weggefallen.

Der Kollege Oelmayer hat – natürlich unter Hinweis auf Bayern – Punkte angesprochen, die schon auch in die Überlegungen einbezogen waren – Stichwort Bauleitpläne. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die im Baugesetzbuch gesetzlich geregelten Verfahren zur Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen nicht für Bürgerentscheide eignen. Da gibt es einen notwendigen Abwägungsprozess. Dieser kann nicht auf die bei den Bürgerentscheiden erforderliche Ja/Nein-Fragestellung reduziert werden. Dies muss dem Gemeinderat vorbehalten bleiben. Deswegen soll im Negativkatalog klargestellt werden, dass Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften auch künftig nicht Gegenstand eines Bürgerentscheids sein können.

Etwas anderes – da müssen wir differenzieren – ist die dem Bauleitplanverfahren vorausgehende Grundsatzentscheidung, mit der die Richtung für die städtebauliche Entwicklung für ein bestimmtes Gebiet festgelegt wird.

Diese Grundsatzentscheidung wird nach unserem Entwurf auch künftig einem Bürgervotum zugänglich sein. Im Er

(Minister Rech)

gebnis haben wir dann also keine andere Regelung als die Bayern.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Bitte deutlich im Proto- koll vermerken!)

Meine Damen und Herren, wir wollen auch – auch dies haben Sie angesprochen – den Initiatoren eines Bürgerbegehrens gegen einen Gemeinderatsbeschluss mehr Zeit einräumen und wollen deshalb die Frist für das Sammeln von Unterstützungsunterschriften von vier auf sechs Wochen verlängern.

Bei einem Vergleich der beiden Gesetzentwürfe können Sie feststellen, dass es Gemeinsamkeiten gibt, die durchaus nicht nur marginal, sondern beträchtlich sind. Ich will nicht verschweigen, dass es aber natürlich auch Unterschiede gibt. Diese Unterschiede haben ihren guten Grund. Ich habe vorhin schon in meinen ersten Sätzen gesagt: Die Stärkung der Bürgerbeteiligung hat ihre Grenzen in der kommunalverfassungsrechtlichen Stellung und den Verantwortlichkeiten des Gemeinderats als Hauptorgan der Gemeinde. Hier geht der Oppositionsentwurf entschieden zu weit.

Das gilt auch für die vorgesehene Ausdehnung der Bürgerbeteiligung auf die Ebene der Landkreise, der Gemeindebezirke und der Ortschaften. Die Landesregierung lehnt es ab, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Landkreisebene vorzusehen. Es liegt doch auf der Hand, meine Damen und Herren, dass die Einwohner einer kreisangehörigen Gemeinde gegen eine ihre Gemeinde belastende Entscheidung

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Zum Beispiel für ei- ne Deponie oder so etwas!)

des Landkreises vorgehen werden. Solche Entscheidungen dann einer Mitwirkung der Kreiseinwohner zu öffnen würde Partikularinteressen ja geradezu herausfordern. Es besteht die Gefahr, dass die Gesamtinteressen des Kreises dann eben nicht ausreichend zur Geltung kommen. Dagegen ist es die Aufgabe des Hauptorgans des Landkreises, also des Kreistags, bei Entscheidungen über Kreisangelegenheiten die Interessen des Gesamtkreises zugrunde zu legen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Die Entscheidungen auf Landkreisebene sind auf der Grundlage übergemeindlicher Kriterien zu treffen und können niemals allein aus der Sicht einer Gemeinde entschieden werden. Der Landkreistag und der Gemeindetag – das wird Sie nicht überraschen – teilen hier unsere Haltung. Die Stellungnahmen der kommunalen Landesverbände liegen Ihnen mittlerweile vor.

Die Landesregierung lehnt den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE aus den genannten Gründen ab. Aber ich habe bereits gesagt: Der Gesetzentwurf der Landesregierung wird in diesen Tagen in den Landtag eingebracht. Dann haben wir ja Gelegenheit, die Fragen, die hier angesprochen wurden, und die Dissense, die noch bestehen, miteinander zu erörtern. Wie gesagt: Wir sind jetzt auf der Zielgeraden. Lassen Sie uns die Geschichte über das Ziel bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Fischer SPD: Über das Ziel? Über welches Ziel? „Die Geschichte über das Ziel bringen“!)