Protocol of the Session on April 28, 2005

Diese Länder haben auch deshalb gute Leistungsergebnisse, weil sie frühzeitig begonnen haben, Lernkonzepte für einen intelligenten Umgang mit Heterogenität zu entwickeln. Das ist eines der Geheimnisse des Erfolgs.

In Baden-Württemberg gibt es seit etwa 14 Jahren Möglichkeiten gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern in Form von Einzelintegration, Außenklassen und Integrativen Schulentwicklungsprojekten. Ausgangspunkt dafür – das wird Herr Zeller wahrscheinlich noch einmal erwähnen – waren ja die fünf Schulversuche mit integrativen Lösungen von 1992 bis 1996, die der CDU damals abgerungen werden mussten; denn die Bereitschaft, diesen neuen Weg zu gehen, war faktisch nicht vorhanden.

Die heute zur Beratung vorliegende Große Anfrage meiner Fraktion mit der Antwort der Landesregierung stellt eine umfassende Bestandsaufnahme der Ergebnisse und Erfahrungen der letzten 14 Jahre dar. Ich bedanke mich ausdrücklich für die sorgfältige, differenzierte und umfassende Antwort bei Frau Kultusministerin Schavan und bei den Referenten ihres Hauses.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)

Auch die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigen, dass es hier nicht anders ist als in anderen Ländern, in denen es einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht gibt. Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern hat nämlich eine hohe Akzeptanz bei den Eltern, bei den Kindern und bei den Lehrern, die sich darauf eingelassen haben. Ich erlebe an einer Schule bei mir in Karlsruhe – einer dreizügigen Grundschule –, dass sich Eltern nicht behinderter Kinder, wenn sie beim Schuleintritt gefragt werden, ob sie ihr Kind in eine Integrationsklasse oder in eine der beiden anderen Klassen schicken wollen, in überwältigender Zahl dafür entscheiden, ihr Kind in die Integrationsklasse zu schicken. Die Akzeptanz ist also in der Tat enorm.

Ein weiteres positives Ergebnis: Es wird eine differenzierende Unterrichtskultur gefördert, die den Schulerfolg aller Schülerinnen und Schüler stärkt.

Schließlich: Dadurch, dass in diesen Klassen mit mehreren behinderten Kindern ja auch eine Sonderschullehrkraft im Unterricht tätig ist, wird die Teamentwicklung gefördert; denn die zwei Lehrkräfte arbeiten im Team besonders gut und übernehmen die Verantwortung für alle Kinder.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Fazit: Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern führt zu einer Qualitätssteigerung des Unterrichts – der Unterricht wird besser –, und damit ist die Integration behinderter Kinder gleichzeitig ein wesentliches Kriterium für die Schulentwicklung in Baden-Württemberg.

Nun sollte man natürlich meinen, dass die positiven Ergebnisse, die in der Antwort auf unsere Große Anfrage ausdrücklich und umfangreich dargestellt wurden, dazu führen, dass man die Integration in Baden-Württemberg systematisch fördert und dem überwältigenden Elternwunsch nach Integration auch nachkommt. Tatsache ist aber, dass sich trotz dieser sehr positiven Erfahrungen immer noch sehr viele Eltern beklagen, dass sie riesige Hürden überwinden müssen, bis sie eine integrative Maßnahme erreichen.

Sicher – ich will fair sein – gibt es Schulen, die sich schnell dafür öffnen. Es gibt auch Schulämter, die die Eltern unterstützen. Aber in weiten Teilen des Landes sind die Problemlagen enorm, insbesondere was das Zustandekommen eines Integrativen Schulentwicklungsprojekts, eines ISEP, anbelangt. Bis jetzt gibt es in Baden-Württemberg nur 28 Integrative Schulentwicklungsprojekte.

Die Eltern schreiben verzweifelt Briefe. Ministerin Schavan weiß natürlich, dass sehr häufig Abgeordnetenbriefe notwendig sind, dass massive Unterstützung und Druck notwendig sind. Aber oft scheitern die Eltern. Viele Eltern sagen: „Wir können diesen psychischen Druck, auch noch darum kämpfen zu müssen, dass ein ganz elementarer Anspruch erfüllt wird, nämlich dass mein behindertes Kind auch mit nicht behinderten Kindern zusammen aufwachsen kann, nicht verkraften.“ Viele Eltern geben dann resigniert die Bemühungen vorzeitig auf.

Wir brauchen deshalb eine Initiative des Landes. Die Initiative darf nicht nur von den Eltern und den Kindern ausgehen. Vielmehr müssen wir endlich Integration und gemeinsamen Unterricht als Regelaufgabe der Bildungspolitik begreifen.

Zur Abstimmung liegt Ihnen ein Antrag zu unserer Großen Anfrage vor.

Heute Morgen, meine Damen und Herren, haben wir erlebt, wie Ministerpräsident Oettinger und Fraktionsvorsitzender Mappus das Hohelied auf das Wahlrecht der Eltern gesungen und das Erziehungsrecht der Eltern betont haben. Das hat sich ja wie ein roter Faden durch ihre ganzen Ausführungen gezogen.

(Abg. Wacker CDU: Da haben Sie etwas falsch in- terpretiert!)

Ministerpräsident Oettinger hat hierzu sogar aus der Landesverfassung zitiert. Ich lese Artikel 15 Abs. 3 der Landesverfassung vor:

Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, muss bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens berücksichtigt werden.

Wir Grünen beantragen heute, das Recht der Eltern zu stärken, die Förderung ihrer Kinder zu wählen. Es dürfen keine Entscheidungen gegen den Willen der Eltern getroffen werden, wenn es dem Erziehungsplan der Eltern widerspricht, ihre behinderten Kinder gemeinsam mit den nicht behinderten Kindern zu erziehen.

Als zweite Forderung bringen wir hier ein, in § 15 des Schulgesetzes die Einschränkung, wonach behinderte Kinder nur dann integriert werden können, wenn sie den Bildungsgang der jeweiligen Schulart folgen können, zu streichen, sodass in Baden-Württemberg eine zieldifferente Integration ermöglicht wird, damit zum Beispiel auch Kinder mit geistiger Behinderung in die allgemeinen Schulen integriert werden können.

Drittens: Wir haben ein strukturelles Defizit bei der Unterrichtsversorgung an den Sonderschulen in Höhe von rund 6 %.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Das heißt, es fehlen einfach die Mittel, um zu gewährleisten, dass behinderte Kinder an den allgemeinen Schulen durch sonderpädagogische Förderung unterstützt werden können. Wir fordern, dieses Unterrichtsdefizit von 6 % abzubauen, sodass die Spielräume für den gemeinsamen Unterricht, für die sonderpädagogische Begleitung der Kinder an den allgemeinen Schulen verbessert wird. Dies ist ganz wichtig, um bei der Integration behinderter Kinder vorankommen zu können.

Eines ist klar: Selbstverständlich muss, wenn ein behindertes Kind integriert wird, die sonderpädagogische Förderung mit dem Kind an die Schule gehen. Wir wollen eine gute Förderung der Kinder, egal, ob sie die allgemeine Schule oder die Sonderschule besuchen. Wir brauchen zur Weiterentwicklung der Schulen, aber auch wegen des Anspruchs

der Eltern, erleben zu können, wie ihre Kinder entsprechend ihrem Erziehungsplan in der Schule groß werden, mehr gemeinsamen Unterricht.

Ich bitte Sie, unserem Antrag, der ja genau das Ergebnis der Integration in Baden-Württemberg widerspiegelt, heute zuzustimmen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller.

(Abg. Wacker CDU: Halt! Moment! Antragsteller! Wir sind Antragsteller! – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Ja, richtig! – Abg. Fischer SPD: Ja! Die CDU ist als Nächste dran!)

Entschuldigung. Dann erhält Frau Abg. Lazarus das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Schulgesetzänderung von 1997 hat für den Schulbesuch von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf neue Möglichkeiten eröffnet.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen – das ist vielleicht nicht immer im öffentlichen Bewusstsein –, dass behinderte Schüler, lernbehinderte Schüler – ob körperlich oder geistig behindert, ob einfach lernbehindert oder im Umgang erheblich auffällig – in allgemeinen Schulen unterrichtet werden können und sogar sollen, sofern sie – ich zitiere – „dem jeweiligen Bildungsgang folgen können“. Aus diesem Grund ermöglichen alle Bildungsabschlüsse von Sonderschulen den Anschluss an das allgemeine Schulwesen. Also ist die Förderung behinderter Schüler Aufgabe aller Schularten. Nur dann, wenn es nicht möglich ist, am Unterricht allgemeiner Schulen teilzunehmen, beginnt die Erhebung des individuellen Förderbedarfs des Kindes.

Ich habe dies noch einmal ins Bewusstsein gerufen, weil alle Verfahren und Festlegungen im Schulgesetz auf diesem Grundprinzip beruhen. Sollte von Eltern oder Schule also sonderpädagogischer Förderbedarf vermutet werden oder bei besonders schweren Behinderungen einfach vorliegen, beginnt ein sorgfältiges Verfahren der Diagnostik, das oft von mehreren Fachleuten interdisziplinär begleitet wird.

Am Ende steht dann eine Entscheidung über einen für dieses Kind vorhandenen Bildungsgang und Förderort. Laut Schulgesetz obliegt diese Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde, die das Einvernehmen mit den Eltern anstreben soll. Dies kann natürlich zu einer Hürde werden und wird insbesondere aus Elternsicht mitunter kritisch gesehen. Eltern und Schule haben gelegentlich einen gegensätzlichen Blick auf die Lernbedürfnisse der Kinder, zumal die Eltern – das ist ja verständlich – ihr Kind allein aus dem häuslichen Zusammenleben kennen. Umso wichtiger ist es, dass die Diagnose zuverlässig und fachlich kompetent gestellt wird, wobei die Sicht der Eltern durchaus zu gewichten ist.

Dennoch kann es nicht angehen – das ist jetzt schon ein Teil des Antrags der Grünen –, dass das Elternrecht, wie gefordert, allein entscheidend ist und dass es bei Abweichungen vom pädagogischen Befund sogar zum Schaden des Kindes kommen könnte. Wichtig ist jedoch, dass im Falle von sonderpädagogischem Förderbedarf und beim Besuch einer entsprechenden Schule die Zusammenarbeit von Eltern und Schule von Vertrauen geprägt ist und auch ganz intensiv gepflegt wird.

Bei der Bandbreite an Sonderschulen ist dieser Suchprozess für die richtige Förderung eines Kindes besonders wichtig. Immerhin gibt es nahezu 600 Sonderschulen verschiedenster Prägung, die von knapp 42 000 Schülern besucht werden. Ein nicht unerheblicher Teil der Schüler mit besonderem Förderbedarf besuchen – mitunter zeitlich begrenzt – allerdings auch die allgemeinen Schulen. Das Instrument der Außenklassen – es ist seit 1997 im Schulgesetz vorgesehen – bietet eine der Möglichkeiten dafür. Im laufenden Jahr existieren mittlerweile immerhin 198 Außenklassen, davon etwa zwei Drittel an Grundschulen und ein Drittel an weiterführenden Schulen, an Hauptschulen, und eine auch an einer Realschule.

Die Akzeptanz dieser Außenklassen ist sehr hoch. Dennoch kommen Außenklassen nicht immer zustande, auch wenn sie gewünscht werden. Manchmal gibt es einfach bauliche Gründe, ein mangelndes Platzangebot oder das Nichtvorhandensein von Barrierefreiheit. Doch mitunter sind es auch – das müssen wir zugeben – Barrieren in den Köpfen, manchmal bei den Lehrkräften oder bei Eltern von behinderten oder nicht behinderten Kindern.

Seit der Novellierung des Schulgesetzes im Jahre 1997 gibt es neben der Bildung von Außenklassen auch eine weitere Form der Unterrichtung von behinderten Schülern an allgemeinen Schulen, nämlich – das ist eben schon genannt worden – ISEP, Integrative Schulentwicklungsprojekte. Im Jahre 2005 gibt es 29 Schulen – Sie hatten eben, glaube ich, 28 gesagt – mit diesem Modell, in denen behinderte Kinder in Regelklassen integriert sind. Im Moment nehmen dies in Baden-Württemberg 111 Kinder wahr, also gemessen an den Außenklassen eine relativ kleine Anzahl. ISEP setzt eine ganz intensive Zusammenarbeit aller Beteiligten voraus, wobei die Sonderschulen die Pflicht haben, die allgemeine Schule in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Voraussetzung für die Kinder ist die Fähigkeit – ich sage es noch einmal –, dem schulartbezogenen Bildungsgang folgen zu können. Laut Schulgesetz haben Kinder, die diese Bedingung erfüllen, aber auch das Recht auf eine Aufnahme in diese allgemeine Schule. Sie haben also eine ganz individuelle Möglichkeit – das ist die dritte Möglichkeit – des Verbleibs an den allgemeinen Schulen. Auch in diesen Fällen kommt es mitunter zum Dissens zwischen Schulverwaltung und antragstellenden Eltern. Dann ist es umso wichtiger, dass man sich in hohem Maße auf die Diagnose mittels Entwicklungsdokumentation, Lernstandserhebungen und anderen Verfahren verlassen kann.

Die Integrationskraft der allgemeinen Schulen, insbesondere der Grundschulen, wird durch den Ausbau der sonderpädagogischen Dienste gestärkt. Diese sind an den Sonderschulen angesiedelt, werden durch die Schulämter koordi

niert. Sonderpädagogische Fachkräfte beraten Lehrkräfte und Eltern, sie klären den Förderbedarf der Kinder zusammen mit Vertretern anderer Fachdisziplinen. Die Anzahl dieser Beratungen steigt von Jahr zu Jahr. Aktuell sind es immerhin etwa 17 000 Beratungen pro Jahr, und es werden rund 6 300 Lehrerwochenstunden dafür zur Verfügung gestellt. Das sind mehr als 200 Deputate.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Eine Viertelstun- de pro Lehrer!)

Von über 56 000 Schülern mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf besuchen 14 500 Schüler allgemeine Schulen über die drei genannten Möglichkeiten. 41 500 Schüler besuchen im Moment die Sonderschule. Deshalb ist es ein besonderes Anliegen, dass für diese Schüler die Kontakte zu den allgemeinen Schulen geknüpft werden und dass Kooperationsformen entstehen. Daraus ergeben sich Transparenz, gegenseitiges Wissen über Inhalte und Verständnis. Als Beispiel nenne ich eine gemeinsame Sportstunde von Behinderten und Nichtbehinderten. Sie bringt für beide gegenseitiges Kennenlernen und das Erlebnis, dass Geduld und Rücksichtnahme im Umgang miteinander erlernbar und Partnerschaften zwischen Starken und Schwächeren etwas Schönes sind.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe noch nicht erwähnt, dass es besondere Hilfen und Unterstützungen sowohl vor als auch am Ende der Schulzeit gibt. Die Frühförderung wird jährlich für fast 40 000 Kinder in Anspruch genommen. Dafür stehen rund 6 700 Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Damit gelingt es in vielen Fällen, bestehende und drohende Behinderungen zu erkennen, individuell zu beraten und sogar den Weg in den allgemeinen Kindergarten bzw. die allgemeine Schule zu ebnen. Am Ende der Schulzeit steht der Übergang in die berufliche Vorbereitung an. Dazu gehört das rechtzeitige Zusammenwirken aller schulischen und außerschulischen Partner. Es gilt wiederum, individuell zugeschnittene Berufs- und Lebenswege zu suchen. Gerade für geistig Behinderte ist die so genannte Werkstufe in den Schuljahren zehn bis zwölf geeignet, zunehmend realistische Lern- und Arbeitsbedingungen zu vermitteln.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe teilweise nur stichwortartig das in Baden-Württemberg zur Verfügung stehende Bündel von Angeboten für die schulische Entwicklung von behinderten Kindern dargestellt. Es ist ein Angebot, das sich sehen lassen kann und um das uns andere Bundesländer beneiden.

(Abg. Wacker CDU: So ist es!)

Wir haben ein System, das zum Ziel hat, für jedes Kind die beste Lösung zu finden. Die Förderung wird für jedes Kind individuell zugeschnitten, aus einem ganz breiten Spektrum heraus. Das Maß ist der Bedarf des einzelnen Kindes.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich verkenne nicht, dass es für diese Aufgaben beschränkte Ressourcen gibt, die nicht beliebig vermehrbar sind. Eine erste Entspannung wird gerade sichtbar, und sie wird sich auch fortsetzen –