Protocol of the Session on February 16, 2005

Ist das die Politik, die wir bei dieser Haushaltslage machen können,

(Abg. Hofer FDP/DVP: Ja!)

ohne dass Ihr Verkehrsminister wenigstens einmal irgendwo andeutet, wo er die 500 Millionen € Vorfinanzierung für die Neubaustrecke überhaupt herbekommen will? Ich finde, von dieser Art von Politik müssen wir uns verabschieden. Wir müssen ernsthaft in die Auseinandersetzung darüber eintreten: Was sind die Kernaufgaben des Landes BadenWürttemberg und was nicht? Wo müssen wir investieren, und wo müssten wir die Aufgaben dem Markt und der Bürgergesellschaft überlassen und delegieren?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig! Sehr gut, Herr Kretschmann!)

Dazu hätte ich von Ihnen gern etwas präzisere Ausführungen gehört, als Sie sie gemacht haben. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass die Vorschläge, die Sie hier überschriftenmäßig gemacht haben, durch ein Konzept unterfüttert gewesen wären, wie das mittelfristig zu finanzieren ist, ohne dass wir immer weiter in die Schuldenfalle laufen. Dieses Haus aber hätte verdient, dass uns der designierte Ministerpräsident dazu Auskünfte gibt. Vielleicht kommen Sie in der zweiten Runde ja noch dazu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Alfred Haas CDU: Nichts zum Haushalt gesagt!)

Das Wort erteile ich Herrn Ministerpräsident Teufel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal als Vorspann sagen – ich habe das in den letzten Wochen auch oft in der Öffentlichkeit und in Gesprächen mit Kommunalpolitikern gesagt –, damit man die nachfolgenden Sätze nicht als einen Angriff auf die Bundespolitik und ein Ablenken von unseren eigenen Problemen versteht: Der Bund hat eine katastrophale Haushaltslage, alle Länder haben eine katastrophale Haushaltslage, und die Kommunen haben eine katastrophale Haushaltslage.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das weiß der Herr Drex- ler nicht!)

Die Ursachen sind doch auf allen drei Ebenen die völlig gleichen. Man braucht doch keine höhere Mathematik, das kleine Einmaleins reicht doch aus, um auszurechnen, dass, wenn man über 5 Millionen Arbeitslose hat, wenn 5 Millionen Menschen keine Sozialbeiträge und keine Steuern bezahlen, aber aus öffentlichen Kassen Leistungen bekommen, es zu einem Zusammenbruch der sozialen Sicherungs

systeme und zu Einnahmeverschlechterungen im Haushalt kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Es ist doch eine Binsenweisheit, dass Deutschland unter den 25 Ländern der Europäischen Union nicht mehr an der Spitze des Wirtschaftswachstums steht, sondern – als stärkste Volkswirtschaft – am Ende der Entwicklung. Es ist doch natürlich immer dann – –

(Abg. Birzele SPD: Und Baden-Württemberg an sechster Stelle in Deutschland!)

Was soll denn das? Also, so ein Quatsch! Wenn Sie 30, 40 oder 50 Jahre Landespolitik überblicken, dann wissen Sie ganz genau, dass immer dann, wenn wir in eine Baisse geraten, Baden-Württemberg ein unterdurchschnittliches Wachstum hat und am stärksten betroffen ist. Sobald wir wieder in eine Hausse kommen, hat Baden-Württemberg wieder ein überdurchschnittliches Wachstum.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Das können Sie an Grafiken, die über den Verlauf der letzten 50 Jahre erstellt wurden, wirklich ablesen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Was soll das also eigentlich? Das sind Zwischenrufe, die nur vom Problem ablenken sollen. Ich möchte bei einer solchen Debatte doch auch einmal über die Ursachen reden können. Wahrheit ist doch, dass im letzten Jahr beispielsweise alle Wirtschaftsinstitute und auch die Bundesregierung mit einer prognostizierten Wachstumsrate von 2 % in den Januar hineingegangen sind und dass dann buchstäblich jeden Monat die Prognose für dieses Wachstum nach unten korrigiert worden ist. Im Januar dieses Jahres gab es die gleiche Situation, und bereits jetzt, im Februar, haben wir wieder eine Reduzierung der Wachstumserwartung.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wie sollen denn dabei eigentlich Arbeitsplätze entstehen? Wie sollen denn eigentlich die Steuereinnahmen – ich komme nachher auf die Einnahmeausfälle noch im Detail zu sprechen – zunehmen, wenn wir nicht wieder eine wachsende Volkswirtschaft haben?

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Das Zweite: Die gerade für Baden-Württemberg besonders bedeutende und viel erschreckendere Zahl als die, die jeden 5. eines Monats mit der neuen Arbeitslosenstatistik veröffentlicht wird, ist die, dass wir in Deutschland vom 1. Januar bis zum 31. Dezember pro Tag 1 200 Arbeitsplätze verlieren. Der neue BDI-Präsident hat gerade diese Zahl genannt. Sie stimmt; es sind zwischen 1 000 und 1 500 Arbeitsplätze pro Tag. Die Arbeitsplätze, die neu entstehen, machen nur einen verschwindend geringen Prozentsatz im Vergleich zu den verloren gegangenen Arbeitsplätzen aus. Von den neu entstehenden Arbeitsplätzen kommt ein volles Drittel aus Baden-Württemberg. Über mehrere Jahre hinweg entstanden über ein Drittel der neuen Arbeitsplätze in

(Ministerpräsident Teufel)

Deutschland in Baden-Württemberg – und das, obwohl die Einwohnerzahl Baden-Württembergs nur 13 % der deutschen Bevölkerung beträgt.

Unsere Wirtschaft leistet nach wie vor Herausragendes,

(Abg. Ruth Weckenmann SPD: Aber der Export! Das ist eine Exportwirtschaft!)

denn sie hat die gleiche miserable Binnennachfrage wie alle anderen deutschen Unternehmen. Wir leben vom Export. Wie sich das Verhältnis vom Euro zum Dollar entwickelt hat und noch entwickelt, können Sie alle verfolgen. Es ist eine herausragende Leistung der Wirtschaft unseres Landes, dass trotz der ständigen Abwertung des Dollars eine solche Exportleistung zustande kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aber die große Sorge, die ich im Land habe, ist: Der große Mittelstand ist längst mit Produktion und zunehmend auch mit Dienstleistung, Forschung und Entwicklung nach Osteuropa und Südosteuropa, nach Asien, nach China gegangen. Der kleine Mittelstand kann nicht ausweichen. Der Handwerksbetrieb und der mittlere Mittelstand machen sich im Augenblick lautlos auf. Neue Investitionen finden in großer Zahl in unseren südost- und osteuropäischen Nachbarländern statt.

Der Präsident des ifo-Instituts hat es an einem Schaubild deutlich dargestellt: Wenn man die Löhne in Westdeutschland gleich 100 setzt, sind sie in Ostdeutschland 80 und in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn, in Polen 14. Deswegen stehen viele mittlere mittelständische Betriebe, Zulieferbetriebe zur Automobilindustrie, vor der Frage: Verlieren wir unsere Kunden, denn diese haben entsprechende Angebote von Anbietern aus Ost- und Südosteuropa, oder gehen wir selbst hinaus, damit wir zu Mischkalkulationen kommen und uns noch über Wasser halten können? Es findet also derzeit auch und gerade aus Baden-Württemberg ein lautloser Auszug von Investitionen mittelständischer Unternehmen in Nachbarländer der Europäischen Union statt.

Die Kleinen können nicht ausweichen. Die für mich erschreckendste Zahl der letzten Wochen ist: In den letzten sechs Jahren hat das Handwerk 1 Million Betriebe und 2 Millionen Arbeitsplätze verloren. Das stand nicht einmal in einer Lokalzeitung. Denn wenn ein Handwerksbetrieb, ein Einzelhandelsgeschäft aufgibt oder seine Mitarbeiterzahlen halbiert, dann steht das nicht einmal im Lokalteil der Zeitung.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Nur wenn Opel, wenn Karstadt-Quelle, wenn die Deutsche Bank Tausende von Arbeitsplätzen abbauen, ist das wochenlang in den Medien. Aber die Summen sind sehr viel größer im Mittelstand, im Handwerk und im Einzelhandel, und es entstehen zum Ausgleich des Abbaus von Arbeitsplätzen nicht ausreichend zusätzliche Arbeitsplätze.

Wir haben einen Einbruch der Steuereinnahmen. Das Loch der deutschen Staatskasse ist so groß wie noch nie in einem Jahr. Das Staatsdefizit überschreitet zum dritten Mal in Folge die erlaubte Grenze. Meine Damen und Herren, man muss doch einmal zur Kenntnis nehmen, wenn man wie Sie,

Herr Kretschmann, ausschließlich auf die Verschuldung blickt, dass wir in Baden-Württemberg im Jahr 2004 noch nicht einmal die Steuereinnahmen des Jahres 1999 erreicht haben, aber eine riesige Steigerung von Sachausgaben und leider auch von Personalausgaben zu verzeichnen haben, obwohl wir Personal abgebaut haben. Warum haben wir denn zu den Notmaßnahmen der Kündigung von Tarifverträgen, der Arbeitszeiterhöhung, der Streichung von Urlaubsgeld und der Kürzung des Weihnachtsgelds gegriffen? Weil wir in purer Not gewesen sind, weil die Einnahmen wegbrechen und wir auf der anderen Seite nicht in eine immer noch höhere Verschuldung gehen können.

Meine Damen und Herren, wir hatten auch in den letzten Jahren Sparhaushalte. Lieber Herr Kretschmann, bitte nehmen Sie einmal zur Kenntnis: Ich bin im Januar 1991 Ministerpräsident geworden. Sie können es selber nachprüfen: Im Februar 1991 kam die seit Jahrzehnten allererste Steuerschätzung, bei der die Steuereinnahmen nach unten gegangen sind. Dann können Sie die Entwicklung weiterverfolgen: Halbes Jahr für halbes Jahr, Jahr für Jahr sind die Steuerschätzungen weiter nach unten gegangen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Wer hat denn da regiert?)

Nun können Sie über die früheren Landesregierungen sagen, was Sie wollen. Sie setzen dann auf das schlechte Gedächtnis Ihrer Zuhörer. Aber es stimmt eben nicht. Herr Mayer-Vorfelder – Sie können über ihn sagen, was Sie wollen – hat als Finanzminister einen strikten Sparkurs gefahren und hatte die Unterstützung des Ministerpräsidenten. Die Koalitionsrunden von 1992 bis 1996 mit dem Koalitionspartner SPD und die danach mit dem Koalitionspartner FDP/DVP waren tagelange Sitzungen – tagelange Sitzungen! – mit Streichungsaktionen. Auf der Ausgabenseite des Haushalts haben wir ab 1992 Milliardenbeträge eingespart, um nicht zu einer noch höheren Verschuldung zu kommen.

In den Jahren 2005 und 2006 – ich komme mit weiteren Fakten darauf zu sprechen – war der Haushaltsausgleich eine kaum beherrschbare Aufgabe: Wir hatten eine Finanzierungslücke von insgesamt 3,6 Milliarden im Jahr 2005 und rund 3,8 Milliarden im Jahr 2006, und zwar – das muss ich, wenn Sie, Herr Kretschmann, die Schulden jetzt in Euro darstellen, an dieser Stelle auch sagen – Euro! Man stelle sich einmal vor – und Sie sind schon lange im Landtag –, wir hätten vor einigen Jahren Haushaltslücken von 7 und mehr Milliarden Mark in einem einzigen Jahr gehabt! Wir sind weit davon entfernt gewesen, aber das ist die Herausforderung, vor der wir heute stehen.

Wir haben Kürzungen im Umfang von 1 Milliarde 44 Millionen € im Jahr 2005 und 1 Milliarde 342 Millionen € im Jahr 2006 vorgenommen. Wir haben für Einnahmeverbesserungen in Höhe von 559 Millionen € im Jahr 2005 und 429 Millionen € im Jahr 2006 sorgen können.

Die für die von der Verfassung festgelegte Obergrenze maßgebliche Nettoneuverschuldung liegt in den Jahren 2005 und 2006 bei 1 Milliarde 940 Millionen €. Meine Damen und Herren, im Unterschied zur Bundesregierung haben wir die Entwicklung eben nicht laufen lassen, sondern einen verfassungskonformen Haushalt vorgelegt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

(Ministerpräsident Teufel)

Im Unterschied zu zehn anderen Landesregierungen haben wir eben nicht einen verfassungswidrigen Haushalt vorgelegt,

(Abg. Capezzuto SPD: Brav, brav!)

so schwierig es war; und wir haben Lücken auch mit Maßnahmen geschlossen, wie wir sie vor einigen Jahren nicht getroffen haben und auch nicht getroffen hätten. Ich sage das genau so offen.

Aber ich sage an dieser Stelle auch: Ohne die Leistungen des Landes in den Länderfinanzausgleich wären wir selbst in einer so schwierigen Lage schuldenfrei. Das Land Baden-Württemberg würde sich überhaupt nicht verschulden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kretschmann, das ist jetzt keine unsolidarische Bemerkung gegenüber anderen. Ich habe mich stets zum Länderfinanzausgleich bekannt, aber ich möchte nur einmal darauf hinweisen, dass andere klassische föderative Staaten und klassische Demokratien keinen horizontalen Finanzausgleich kennen, beispielsweise unser Nachbarland, die Schweiz, beispielsweise die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Beide haben keinen horizontalen Finanzausgleich.