Protocol of the Session on December 15, 2004

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Hauk hat gerade ein bemerkenswertes Werk von Geschichtsklitterung vorgelegt.

(Abg. Drexler SPD: Wie immer!)

Ich werde im Einzelnen darauf eingehen.

Ich will aber in Erinnerung rufen: Zu Beginn dieser Legislaturperiode – es hätte also genügend Zeit bestanden –,

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

vor über vier Jahren, haben wir einen Antrag vorgelegt mit dem Begehren, der Landtag möge eine interfraktionelle Kommission einsetzen, die die vorhandenen Probleme unseres Landtagswahlrechts besprechen solle.

Ich will Ihnen noch einmal kurz ins Gedächtnis rufen: Wir haben einen beschämend geringen Frauenanteil von 22,6 %. Wir haben im Gegensatz zum Bundestagswahlrecht kein Zweistimmenwahlrecht, was bei den Wählern auch immer wieder zu Irritationen führt

(Abg. Herrmann CDU: Schaffen wir es doch bei der Bundestagswahl ab!)

und was – das haben Sie, Herr Kollege Hauk, schon beim letzten Mal nicht richtig gesehen – zu mehr Entscheidungsfreiheit bei den Wählern führen würde. Wir haben eine falsche Berechnung der Überhang- und Ausgleichsmandate auf der Ebene der Regierungsbezirke, weshalb Sie als stärkste Partei über das d’Hondt’sche Verfahren jeweils den vierfachen Vorteil erhalten, anstatt diesen Vorteil einmal zu erhalten.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Herr Dr. Walter Döring, einfacher Abgeordneter der FDP/ DVP, der leider gerade nicht da ist,

(Zuruf des Abg. Kübler CDU)

hat dies kürzlich in einem bemerkenswerten Zeitungsinterview – außer dem, was heute Morgen von Herrn Drexler zitiert wurde – auch erneut angemahnt.

Wir haben das Problem sehr stark schwankender Sitzzahlen: in der vorletzten Legislaturperiode 145, in der letzten 155 und in dieser Legislaturperiode 128 Mandate.

Aus diesen Problemen ergibt sich: Wir dürfen jetzt nicht nur Wahlkreisgrenzen ändern, sondern wir müssen durchgreifend eine neue Struktur unseres Wahlrechts schaffen. In jedem Fall müssten wir eines tun: Wir müssten die Zahl der Wahlkreise von gegenwärtig 70 auf höchstens 60 reduzieren, damit wir wenigstens einen Gleichstand zwischen der Zahl der Wahlkreise und der Zweitmandate hätten. Denn dann hätten wir eine wesentliche Ursache für die stark schwankenden tatsächlichen Sitzzahlen eingedämmt.

Aber das gravierendste Problem, das wir in unserem Landtagswahlrecht haben, sind die sehr stark von der Durchschnittsnorm von 104 000 Wahlberechtigten abweichenden Wahlkreisgrößen. Die Differenz zwischen dem kleinsten und dem größten Wahlkreis beträgt gegenwärtig über 55 %. Das sind 55 200 Wahlberechtigte. Bei der Struktur unseres Wahlrechts, bei dem Zweitmandate über die absoluten Stimmenzahlen vergeben werden, ist ganz eindeutig, dass hier ein erhebliches – ich sage es zunächst einmal ganz zurückhaltend – verfassungsrechtliches Problem besteht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Der Gesetzgeber muss nach dem Prinzip der Wahlgleichheit vorgehen. Er muss gewährleisten, dass der Erfolgswert der Stimmen der Wählerinnen und Wähler möglichst gleich ist. Bei unserem Wahlrecht kommt noch hinzu: Er muss auch berücksichtigen – weil die Größenverhältnisse für die absoluten Stimmenzahlen mit entscheidend sind –, dass auch die Chancengleichheit der Bewerberinnen und Bewerber möglichst gleich geregelt wird. Beides ist bei der gegenwärtigen Wahlkreiseinteilung nicht gegeben.

Deshalb war und ist die Hauptforderung der SPD-Fraktion, die Wahlkreise so einzuteilen, dass maximal 15 % Abweichung bestehen. Natürlich sollte die Größe möglichst genau um 100 % herum sein. Wir sind uns aber alle darüber im Klaren, dass sich dies nicht immer erreichen lässt. Aber die maximalen Abweichungen sollten 15 % nach oben oder unten nicht überschreiten.

Wenn Sie sich die jetzigen Wahlkreise anschauen, muss ich noch einmal darauf hinweisen: Es geht nicht nur um die fünf Wahlkreise, die Sie jetzt in Ihren Änderungsantrag aufgenommen haben, sondern es geht um insgesamt 20 Wahlkreise, deren Größe um mehr als 15 % nach oben oder unten abweicht. Die fünf Wahlkreise sind Heilbronn und Geislingen mit mehr als minus 25 % Abweichung und die drei Wahlkreise Leonberg, Biberach und Bietigheim-Bissingen mit Abweichungen von mehr als plus 25 %. Die weiteren sechs Wahlkreise, die um mehr als 15 % nach unten abweichen, sind Stuttgart I, Stuttgart IV, Backnang, Schwetzingen, Pforzheim und Freudenstadt. Mehr als 15 % Abweichung nach oben haben die neun Wahlkreise Nürtingen, Aalen, Enz, Tuttlingen-Donaueschingen, Lörrach, Waldshut, Reutlingen, Tübingen und Bodensee.

Sie – Sie von der CDU; dafür können Sie sich nicht auf Ihren Koalitionspartner herausreden, Herr Hauk – haben sich entschieden, lediglich fünf Wahlkreise zu verändern, also der Minimalanforderung gerecht zu werden, und meinen, schon damit verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Aber das sage ich Ihnen: Da täuschen Sie sich.

Bei dem Gespräch der Fraktionsvorsitzenden wurde vereinbart, dass man gemeinsam darüber nachdenkt, und von den Oppositionsparteien, von der SPD und von den Grünen, kam überhaupt kein einziger Vorschlag, der eine Reform verhindert hätte – im Gegenteil. Sie haben sich nicht an das gehalten, was in der Fraktionsvorsitzendenrunde besprochen wurde. Sie haben Anträge vorgelegt, die hier vorher überhaupt nicht abgeklärt worden sind.

(Abg. Drexler SPD: So ist es nämlich! – Abg. Fi- scher SPD: Und viel schlimmer!)

Sie machen es ja auch heute noch einmal so mit dem vorliegenden Änderungsantrag.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich will einmal entsprechend der Beschlussempfehlung vorgehen: Wahlkreis 6 – Leonberg. Dazu heißt es in dem Papier des Innenministeriums:

Es ist kaum zu erwarten, dass der Wahlkreis bis zum Jahr 2006 wieder unter die 25-%-Grenze absinkt – bei der Europawahl waren es plus 27,9 % –, vielmehr ist mit einer Zunahme der Abweichung zu rechnen.

Also hat das Innenministerium einen Ausgleich innerhalb des Wahlkreises vorgeschlagen, nämlich durch Zuordnung der Verwaltungsgemeinschaft Ehningen/Gärtringen mit zusammen 12 695 Wahlberechtigten zum Wahlkreis 5 – Böblingen – den Wahlkreis Böblingen zu stärken und den Wahlkreis Leonberg erheblich abzuschmelzen. Das hätte bedeutet: Leonberg hätte eine Abweichung von 14,4 % gehabt, Böblingen eine über 15 % liegende Abweichung von 17,9 %. Jetzt auf einmal der Beschluss: nur Ehningen, nicht Gärtringen. Warum?

(Abg. Drexler SPD: Nicht besprochen! – Abg. Hei- derose Berroth FDP/DVP: Gucken Sie mal auf die Landkarte, dann werden Sie es sehen!)

Das sind die ersten 10 % der FDP/DVP, die das verhindert haben, nämlich Frau Berroth. Frau Berroth hat das Märchen in die Welt gesetzt, Frau Kipfer sei daran interessiert gewesen, dass der Wahlkreis Gärtringen nicht verändert wird.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das habe ich so nicht gesagt!)

Das haben Sie gesagt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ich werde Ih- nen nachher zeigen, was ich gesagt habe!)

Tatsache ist: Wenn man das Wahlergebnis 2001 zugrunde legt, hätten Sie bei dieser Änderung Ihren Sitz nicht gehabt. Deshalb haben Sie sich dagegen gewehrt, auch wenn im Ausschuss etwas anderes behauptet worden ist.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Hei- derose Berroth FDP/DVP: Das stimmt nicht!)

Die Folge dessen, dass Sie nur halbherzig vorgehen, ist, dass der Wahlkreis Leonberg auch nach der Änderung eine Abweichung um 21,7 % hat.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Nächstes Beispiel: Wahlkreis 11 – Geislingen. Der Herr Kollege Hauk hat gerade zu Recht gesagt: Dort ist das Ziel überhaupt nicht erreicht worden. Geislingen wird durch Heiningen und Eschenbach lediglich auf 83 162 Wahlberechtigte vergrößert.

(Abg. Drexler SPD: Weit unter Durchschnitt!)

Das ist immer noch eine Abweichung um minus 20,4 %.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Viel zu klein!)

Wenn Sie eine vernünftige Änderung hätten machen wollen, hätten Sie selbstverständlich stärker in den Bereich Kirchheim eingreifen müssen mit der Folge, auch in den Bereich Nürtingen einzugreifen. Warum haben Sie das nicht getan? Auch das haben Sie schön dargelegt. Es ist mit einem Namen zu verknüpfen: Dr. Noll, die zweiten 10 %.

(Widerspruch bei der FDP/DVP– Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Quatsch! Wissen Sie, um wie viel ich vor den anderen liege, Herr Birzele? Ich brauche am wenigsten Angst zu haben!)

Herr Noll, wenn Sie all dies für Quatsch erklären, warum haben Sie dann nicht mit uns gemeinsam über eine Neuauf

teilung der Wahlkreise gesprochen? Wir sind noch heute dazu bereit. Wir können das Gesetz heute absetzen, uns über Weihnachten und Neujahr darüber unterhalten und im Februar einen anständigen Vorschlag machen. Ab 1. März kann nominiert werden, und dann können Sie immer noch ordnungsgemäß nominieren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Schäbig, schäbig!)

Nächstes Beispiel: Wahlkreis 66 – Biberach. Nach der Neueinteilung hat der Wahlkreis Biberach plus 19,6 %, der Wahlkreis Wangen minus 4,6 %.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wie schön! Wie schön!)

Herr Hauk, das hat jetzt weder mit FDP/DVP noch mit Grünen, noch mit SPD zu tun. Hier hätten Sie selbst handeln können und die von Ihnen aufgestellte Zielmarke 100 % wenigstens annäherungsweise bei 110 % erreichen können.

Nächstes Beispiel – und damit komme ich zu den heute vorliegenden Anträgen – ist der Wahlkreis 14 – BietigheimBissingen –: Gegenwärtige Abweichung von BietigheimBissingen 25,5 %, Sachsenheim soll umgegliedert werden. Das bedeutet hinterher für den Wahlkreis 14 – BietigheimBissingen – 14,6 %, für den Wahlkreis 13 – Vaihingen – minus 1,8 %.

Das ist der einzige Punkt, bei dem man sagen kann, dass Sie sich bemüht haben.