Protocol of the Session on December 8, 2004

Wir fordern Sie in diesem Zusammenhang auf: Sorgen Sie zunächst insoweit für ordnungsgemäße Zustände, und konzentrieren Sie sich vor allem auf die Aufgaben, die in Baden-Württemberg anstehen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erhält Herr Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aufgabe – das ist ganz klar – besteht darin, den Rechtsstaat funktionsfähig zu erhalten, möglichst täglich seine Leistungen zu verbessern, seine Bürgernähe zu verbessern, seine Effizienz zu verbessern, und das eben auch in Zeiten knapper Mittel.

Da zeigt sich dann im Grunde genommen natürlich auch die Kunst, keine Einbußen hinzunehmen, keinen Rechtsstaat nach Kassenlage zu machen, sondern ein gutes Angebot zu machen, obwohl wenig Geld da ist. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass das geht.

Rechtsstaat nach Kassenlage darf es nicht geben. Aber ich höre dieses Argument „nach Kassenlage“ eigentlich bei jedem Gebiet staatlicher Tätigkeit überhaupt: Nichts darf nach Kassenlage stattfinden. Aber wenn die Kassenlage nun einmal so ist, dann kann ich mit diesem Argument recht wenig anfangen. Auf der anderen Seite habe ich die Entdeckung gemacht: Ich kann mir jeden Bereich staatlicher Tätigkeit noch einmal genau anschauen – wir kommen nachher zum Bereich Bewährungshilfe – und werde zu dem Schluss kommen: Das muss gar nicht unbedingt der Staat machen. In manchen Bereichen drängt sich dieser Schluss geradezu auf.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Ich möchte vor allen Dingen auf die Hinweise eingehen, die in die Richtung gingen: Machen Sie doch erst einmal die

(Minister Dr. Goll)

Hausaufgaben im eigenen Land, bevor Sie nach Berlin fahren. Wenn es die deutsche Sprache zuließe, würde ich an dieser Stelle sagen: Baden-Württemberg ist sicher das Land mit den „gemachtesten“ Hausaufgaben.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Ich sage das gerade deswegen, weil vorhin die Rede von „Rechtsstaat nach Kassenlage“ war. Ich glaube, es gibt kein anderes Land – Sie können gern auf die Suche gehen –, das in den letzten Jahren so sehr in die Ausstattung der Justiz investiert hat. Ich habe die Zeiten noch gut in Erinnerung, als Richter zu mir kamen und gesagt haben: „Wir müssen die Anwälte fragen, wenn wir eine neue Entscheidung einsehen wollen, weil wir sie gar nicht zur Verfügung haben.“ Diese Fälle gab es. Heute hat jeder Richter und jeder Staatsanwalt auf seinem Tisch einen Computer, mit dem er unmittelbaren Zugang hat zu den wichtigen Datenbanken, zu allen Entscheidungen, zu allen Texten, abgesehen davon, dass er natürlich mit diesem Computer noch in ganz anderer Weise mit der Geschäftsstelle kommunizieren kann und ihm der Computer moderne Textverarbeitung bis hin zur Spracherkennung ermöglicht. Meine Damen und Herren, manchen ist es vielleicht verborgen geblieben, aber die Justiz ist als Verwaltung im Moment so sehr auf der Höhe der Zeit, was Ausstattung und moderne Bürokommunikation angeht, dass man eigentlich gar nicht mehr viel verbessern, allerdings auch nicht viel mehr erreichen kann.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Wir haben – Herr Oelmayer, Sie haben in der Vergangenheit manchmal zu Recht danach gefragt – längst die Stellenbeschreibungen, die Aufgabenbeschreibungen, die Qualitätskriterien geschaffen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Die sind mir alle nicht bekannt, Herr Minister! Deshalb habe ich nachge- fragt!)

Das ist schon klar. Das war ja auch der Grund, weshalb meine Fraktion wieder einmal eine solche Debatte beantragt hat: damit wir Dinge, in denen viel Effizienz liegt und wo viel geschieht, hier auch debattieren können,

(Abg. Fischer SPD: War das dann eine bestellte Debatte?)

abgesehen davon, dass wir in den Dialog über die Justizreform eintreten wollten. Ich bin für diese Dialogangebote dankbar. Aber ich stelle fest: Im Land haben wir die Hausaufgaben gemacht. Das muss man als Erstes tun, wenn man die Effizienz steigern will. Das ist völlig klar, und aus diesem Grund ist das auch geschehen.

Jetzt haben Sie mich, lieber Herr Oelmayer, zu einer Debatte über eine Reduzierung der Standorte der Gerichte eingeladen. Natürlich haben wir immer wieder über diesen Punkt auch intern diskutiert. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass Sie aus 17 Landgerichten 12 machen würden. Wir haben das selbst – ich habe es angedeutet – mehrfach geprüft. Man wird keine riesigen Einsparungen erzielen können, indem man die Zahl der Standorte verringert. Das ist das Erste, was ins Auge fällt. Man kann sich fragen: Braucht man 108 Amtsgerichte?

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das haben Sie ja gar nicht recherchiert!)

Man stellt aber auf den zweiten Blick fest, dass man erstaunlich wenig spart, wenn man die Zahl reduziert, und man hat natürlich einen Verlust an Bürgernähe. Bis jetzt habe ich eigentlich immer gedacht, dass uns selbst mit der Fraktion GRÜNE das eine oder andere verbindet, zum Beispiel die alte Erkenntnis: „Small is beautiful.“ Ein kleines Amtsgericht oder ein kleines Landgericht mache ich nicht gerne kaputt, weil die zum Teil vorbildlich arbeiten, weil jeder gefordert und gefragt ist, weil es überschaubare Strukturen sind.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Das Allerletzte, was ich machen würde, wäre die Zahl der Gerichtsstandorte zu reduzieren. Ich sage Ihnen offen: Heute kann Ihnen niemand garantieren, ob wir in den kommenden Jahren mal eine solche Debatte bekommen. Aber ich würde sie nicht wie Sie, lieber Herr Oelmayer, freiwillig und jetzt anfangen, sondern in der nächsten Runde würde ich zunächst einmal darüber nachdenken: Sind denn die Verfahren in Ordnung? Ist denn das Vorgehen schlüssig, oder haben wir Ballast im Verfahren?

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das eine schließt doch das andere nicht aus!)

Lieber Herr Abg. Oelmayer, Sie sagen, dass eine schließt das andere nicht aus. Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Die Bürgernähe der jetzigen Struktur im Land Baden-Württemberg würde ich nur preisgeben, wenn ich muss, aber nicht gerne und nicht freiwillig.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Deswegen lohnt es sich, zunächst noch einmal diese Verfahren anzuschauen, die da ablaufen. Ich will mich hier jetzt in der Tat auch fair benehmen, was die Redezeit anbelangt. Deswegen betrachte ich jetzt nur zwei Punkte. Wir haben Ihren Antrag ja in der Tat in Rekordzeit beantwortet. Sie haben gesagt, das sei nicht ganz zufriedenstellend, aber auch wenn wir uns ein halbes Jahr lang Zeit gelassen hätten, wäre es für Sie wahrscheinlich immer noch nicht zufriedenstellend.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das Finanzministerium fehlt halt, Herr Minister! Das ist das Entscheiden- de!)

Ja, das stimmt. Aber Sie können das ja noch einmal erkunden. Das sind natürlich auch ziemlich aufwendige Erhebungen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Ich frage noch einmal! Ich habe Sie ja gelobt!)

Der erste Punkt ist eine ganz einfache Formel. Der erste Teil ist in gewisser Weise ein Herzstück der Reform. Für dieses Stück ist Baden-Württemberg übrigens federführend zuständig; das wurde gestern in Berlin so entschieden. Zu diesem Teil haben wir die Federführung der Reform. Andere wirken mit; Nordrhein-Westfalen jetzt übrigens auch. Aber wir haben die Federführung.

(Minister Dr. Goll)

Ich bringe es auf die kurze Formel: Jeder bekommt e i n e gerichtliche Entscheidung und e i n e Überprüfung. Das ist das Angebot des Rechtsstaats. Das ist ein taugliches Angebot, und es ist auch ein ausreichendes Angebot. Gerade wenn wir – wie zum Beispiel im Zivilrecht – alles tun, um fragen zu können: „Geht es nicht auch ohne Gerichte?“ und die außergerichtliche Streitbeilegung in allen Formen fördern, ist es, glaube ich, auch ein sehr anständiges Angebot, eine gerichtliche Entscheidung anzubieten, wenn der Betroffene sie vom Staat wünscht, und eine Möglichkeit zur Überprüfung.

Ich halte das übrigens auch im Strafrecht ohne Zweifel für eine taugliche Formel – schon deswegen, weil wir heute bei Mord zwei Instanzen haben: das Landgericht und den BGH. Dort ist es also schon so: eine Entscheidung, eine Überprüfung. Bei einem Ladendieb sind es unter Umständen drei Instanzen. Das muss ich erst einmal jemandem klar machen.

(Zustimmung des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Dagegen gibt es ein ernst zu nehmendes Argument, meine Damen und Herren, und das ist heute auch angesprochen worden: Man muss Acht geben, dass das Verfahren in erster Instanz einfach und überschaubar bleibt, und sollte nicht versuchen, dort allen möglichen komplizierten Aufwand zu betreiben.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Aber gegen dieses Argument gibt es ein einfaches Mittel, das ist das so genannte Wahlrechtsmittel. Jeder kann sich selbst aussuchen, wie diese Überprüfung aussieht: ob er eine Tatsachenüberprüfung will – den Fall noch einmal komplett aufgerollt in der nächsten Instanz – oder ob er nur – dann folgerichtig vor einem höheren Gericht – eine rechtliche Überprüfung will.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Danke schön. – Ich glaube, schlüssiger kann das Angebot gar nicht sein. Das ist eine Sache, die ich wirklich prüfen würde, bevor – ich sage es noch einmal – ich auf die Strukturen, insbesondere die räumlichen Strukturen, losgehen würde. Das ist in den Kommunen unseres Landes natürlich eine sehr sensible Angelegenheit.

Genauso würde ich es bei einem zweiten Punkt machen. Ich würde noch schärfer beleuchten: Was muss der Staat in diesem speziellen Bereich der Gerichte tun? Was müssen Gerichte machen, und was müssen sie eigentlich nicht machen? Was können andere besser tun? Und – Verzeihung – es ist doch seit Jahren evident, dass die Register mindestens genauso gut von den Kammern geführt werden können. Jetzt statten wir unsere Gerichte für teures Geld mit der entsprechenden Hardware und Software aus. Ich zerdrücke eine Träne im Knopfloch, denn bei den Kammern steht diese Infrastruktur seit Jahren zur Verfügung. Es wäre eigentlich der erste, folgerichtige Schritt gewesen, Register in Selbstverwaltung von den Kammern führen zu lassen.

(Beifall der Abg. Kleinmann und Theurer FDP/ DVP)

Das wurde von der SPD leider verhindert.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Jetzt aber!)

Ich glaube, da beißt die Maus keinen Faden ab. Sonst stünde es heute ja im Gesetzblatt. Wir wollten das ja machen.

Als zweiten Punkt haben Sie die Bewährungshilfe angesprochen. Das steht jetzt nicht unmittelbar mit den Gerichten in Zusammenhang, aber Sie haben es hier als Thema eingeführt.

Bewährungshilfe ist eine Aufgabe von Mensch zu Mensch. Warum muss diese Aufgabe eigentlich vom Staat erledigt werden? Da könnte man schon umgekehrt fragen: Ist das eigentlich eine Aufgabe, die überhaupt zum Staat passt? Es ist eine Aufgabe, bei der Menschen Menschen helfen. In Österreich wird sie seit zig Jahren mit großem Erfolg in freier Trägerschaft geleistet. Ich habe noch keinen gesehen, der in Österreich war und weiß, wie es dort läuft, und der hinterher gesagt hätte, das würde nicht oder nur schlecht funktionieren – weil das einfach nicht stimmt. Es funktioniert sehr gut. Darum werden wir das auch bei uns probieren.

(Beifall der Abg. Theurer FDP/DVP sowie Dr. Schüle und Seimetz CDU)

Wir haben die Debatte um die Gerichtsvollzieher. Ich stelle mit Interesse fest, dass sich auf Bundesebene mittlerweile doch eine ansehnliche Gruppe hinter dem Vorschlag versammelt hat, die den Gerichtsvollziehern obliegenden Aufgaben auf freiberuflich tätige Private zu übertragen. Ich kann diesen Einwand, das sei schier eine nur hoheitliche Tätigkeit, nicht nachvollziehen. Er kommt von einem Rechtsanwalt, der weiß, dass viele seiner Kollegen funktional betrachtet natürlich von genau dem gleichen Geschäft leben. Wenn einer zum Rechtsanwalt geht und sagt: „Helfen Sie mir!“, sagt dieser zu ihm: „Gut, das mache ich für Sie. Dann drohe ich dem einmal mit der eidesstattlichen Versicherung; dann kommt das Geld auch.“ Die sind genau auf demselben Gebiet tätig. Ich würde sogar sagen: Ein Großteil dieses Gebiets, was Umsetzung von Entscheidungen in tatsächliche Ergebnisse angeht, wird privat erledigt. An diesem Thema werden wir dranbleiben.

Dasselbe gilt natürlich auch für die Notare. Auch die Leistung im Notariat kann frei erbracht und um etliche Aufgaben angereichert werden. Auch das wird also ein Schwerpunkt sein: Verlagerung von Aufgaben auf die Notariate.