Protocol of the Session on December 8, 2004

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – Justizreform – Steigerung der Effizienz in den Kernaufgaben der baden-württembergischen Justiz – beantragt von der Fraktion der FDP/ DVP

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Justizministeriums – Justizreform in Baden-Württemberg; hier: Effizienzrendite/Einsparvolumen – Drucksache 13/2632

c) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Justizministeriums – Strukturreform der badenwürttembergischen Justiz; hier: Ordentliche Gerichtsbarkeit – Drucksache 13/3796

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Die Redezeit der Regierung wird darauf nicht angerechnet. Sie wissen dies. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten.

Schließlich weise ich auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsordnung hin, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist. Ich bitte die Regierung, beides, sowohl die Zeitvorgaben für die Fraktionen als auch den § 60 Abs. 4 der Geschäftsordnung, zu berücksichtigen.

Das Wort erteile ich – jetzt wollte ich fast sagen „Herrn Oberbürgermeister“; aber das gehört sich hier nicht – Herrn Abg. Theurer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die doch recht spärliche Präsenz bei diesem Tagesordnungspunkt heute Nachmittag wird der Wichtigkeit und der Bedeutung einer funktionierenden Justiz für einen funktionierenden Rechtsstaat nicht gerecht. Wir als FDP/DVP-Landtagsfraktion wollen mit der Aktuellen Debatte das Augenmerk des Landtags von Baden-Württemberg auf Reformvorschläge lenken, die die Justizminister der Länder vorgelegt haben. Es geht um Reformen, um unsere Justiz zukunftsfähig zu machen. Denn gerade in einer Zeit der wirtschaftlichen Umbrüche, der Sparzwänge bei den öffentlichen Haushalten und der Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme wird eine funktionsfähige Justiz immer wichtiger. Sie ist ein Kernbereich unseres Staates. Meine Damen und Herren, ich finde es bemerkenswert, dass sich nun, nachdem wir hier im Land Baden-Württemberg in diesem Jahr nicht nur eine Verwaltungsreform, sondern auch eine Justizreform auf den Weg gebracht haben,

(Abg. Stickelberger SPD: Oh, ein Reförmchen! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Das glauben Sie ja selbst nicht! – Abg. Drexler SPD: Sag einmal! Jetzt kommt auch noch dieses Thema!)

die Justizminister der Länder zusammengesetzt haben, um Vorschläge auf den Weg zu bringen, wie die Justiz in der Bundesrepublik Deutschland zukunftsfähig gemacht werden kann. Deshalb haben wir diese Aktuelle Debatte beantragt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Abg. Drexler SPD: Aber so aktuell kann sie nicht sein, wenn so „viele“ Leute da sind!)

Die Justizreform, die die Justizministerkonferenz vorgeschlagen hat, umfasst vier Punkte:

Erstens die Deregulierung. Dabei geht es vor allem um die Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen. Dabei wird auch vorgeschlagen, die funktionale Zweigliedrigkeit einzuführen, um die Diskrepanz wegzubekommen, dass beispielsweise bei einem Mordfall zwei Instanzen, bei kleineren Straftaten allerdings drei Instanzen offen stehen. Es soll auch ein flexiblerer Richtereinsatz möglich werden.

Zweitens sollen Aufgaben übertragen werden, um die Effizienz der Rechtspflege zu steigern. Sie wissen, dass dies immer ein Anliegen der FDP/DVP-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg und der Landesregierung von BadenWürttemberg war. Ich nenne stichwortartig die Übertragung von Aufgaben auf die Notare sowie auch die Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens, die ein Bestandteil unserer Justizreform ist.

(Abg. Stickelberger SPD: Das können Sie doch gar nicht allein machen!)

Jetzt werden hier Maßnahmen, die von einigen in diesem Hause heftig bekämpft worden sind, auch von den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland mitgetragen, mitverfolgt und weiter untersucht.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Genau!)

Ich finde es bemerkenswert, auf welchen Widerhall diese Vorschläge, bei denen die FDP/DVP praktisch eine Vorreiterrolle übernommen hatte,

(Zurufe der Abg. Gustav-Adolf Haas und Stickel- berger SPD)

nun bei den Justizministern der anderen Länder, egal, welcher Couleur, gestoßen sind.

Als weiteren Punkt nenne ich die Registerführung. Wir Liberalen sind seit langem der Auffassung, dass die Handelsregister bei den Industrie- und Handelskammern geführt werden könnten. Aus der Stellungnahme der Landesregierung zu dem Antrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 13/2632, geht hervor, dass hierdurch 160 Personalstellen wegfallen und jährliche Einsparungen von 12 Millionen € erzielt werden könnten.

Drittens: Ein weiteres Ziel der Justizreform ist die Konzentration durch Schwerpunktsetzung. Als Stichwort nenne ich die Beschleunigung im Bereich der Strafrechtspflege. Ich denke, dass dies eine ganz wichtige Frage ist. Wir meinen auch, dass der hier aufgezeigte Weg, zum Beispiel Verfahren einzustellen, wenn es zumutbare Befriedungsmöglichkeiten über den zivilrechtlichen Weg gibt, eine Möglichkeit sein könnte, um die Justiz zu entlasten. Wir merken ja zunehmend, dass wir vom Rechtsstaat in einen Rechtsmittelstaat übergehen, bei dem Recht haben und Recht vor Gerichten bekommen manchmal zweierlei Dinge sind. Dem möchte die Justizreform entgegenwirken.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Der vierte Punkt ist mir auch als Mitglied im Unterausschuss Neue Steuerungsinstrumente wichtig: Das ist die Qualitätssicherung. Ich denke, dass gerade im baden-württembergischen Justizministerium – davon konnte sich die FDP/DVP-Fraktion vor kurzem bei einem Besuch im Justizministerium überzeugen – gute Wege gegangen worden sind, wie man Qualitätssicherung und betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente in die Justiz einführen kann, ohne dabei die richterliche Unabhängigkeit auszuhöhlen und zu untergraben. Hier sind nach meiner Meinung richtungweisende Vorschläge gemacht worden. Für uns ist es kein Zufall, dass diese nun auch auf Bundesebene Aufmerksamkeit erzielt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Hier sind wir auf dem richtigen Weg.

Abschließend sage ich zur Einführung ganz klar: Es kann aber nicht sein, dass es eine Justiz nach Kassenlage gibt. Der Rechtsstaat muss gewährleistet sein. Der Bürger muss die Möglichkeit haben, sein Recht vor Gerichten einzuklagen. Ich verweise an dieser Stelle nur darauf, dass gerade

im Bereich des Justizhaushalts immerhin 50 % der Ausgaben durch Gebühreneinnahmen gedeckt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Hervorra- gend!)

Bevor ich weiter das Wort erteile, rufe ich noch den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/3852, auf.

Das Wort erhält Herr Abg. Oelmayer.

(Unruhe)

Die Grünen sind mit zwei Anträgen zu diesem Tagesordnungspunkt vertreten.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist richtig! Kein Thema!)

Ich bin völlig überrascht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema „Große Justizreform“ und alle im Bereich der Justiz angedachten Reformvorhaben stehen nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung dieses Hauses. Wir haben den Anlass, dass die FDP/DVP-Fraktion dieses Hauses über die große Justizreform diskutieren will, dazu genutzt, einmal die Möglichkeiten einer Reform auf Landesebene als Diskussionspunkt mit einzubringen.

(Abg. Zimmermann CDU: Für die Grünen!)

Ich darf auf die jüngste der aufgerufenen Drucksachen Bezug nehmen. Dankenswerterweise hat das Justizministerium noch kurzfristig eine Stellungnahme abgegeben – man muss sagen, nach sehr kurzer Zeit –, auch wenn sie nicht in allen Punkten zufriedenstellend ausfiel.

Unser Grundgedanke besteht darin, dass wir sagen, Landespolitiker und Landtag müssten sich zunächst einmal Gedanken darüber machen, welche Reformvorhaben wir hier im Land selbst durchführen können. Wir können natürlich auch über Bundesratsinitiativen tätig werden – das soll unbestritten sein, und das ist sicherlich auch der Job des Justizministers dieses Landes. Es ist aber genauso sein Job, sich zunächst darum zu kümmern, dass Reformvorhaben im Land überhaupt einmal auf die Tagesordnung kommen.

Wir haben das mehrfach versucht, auch bei der so genannten großen Justizreform, Kollege Theurer, die sich ja die FDP/DVP jetzt auf ihre Fahnen schreibt, von der aber nur ein einziger Punkt übrig geblieben ist: immerhin die Privatisierung der Bewährungshilfe. Das ist letztendlich das Einzige, was im Moment als umgesetzt betrachtet werden kann.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Arbeitsgerichte zum Bei- spiel! – Abg. Stickelberger SPD: Zwei Außenstel- len noch!)

Und noch zwei Außenstellen; Entschuldigung, Kollege Theurer. Es tut mir Leid, dass ich die vergessen habe. Ich bitte insoweit um Nachsicht. Zwei Außenstellen von zwei Amtsgerichten, das sei Ihnen zugestanden.

Wir sind aber der Auffassung, wir müssen auch im Kernbereich der Justiz für effizientere Strukturen sorgen. Hierfür liegt die Zuständigkeit beim Land, hierfür hätte der Landesjustizminister die Zuständigkeit. Aber hier bewegt sich überhaupt nichts. Der Minister fährt lieber nach Berlin und kümmert sich um große Justizreformen, deren Gewissheit oder Ungewissheit, deren Realisierbarkeit wir heute im Laufe des Tages noch einmal diskutieren werden. Ich will ja gar nicht alles in Bausch und Bogen verdammen, was er in Berlin andiskutiert. Aber zunächst einmal wäre es toll, wenn er sich um die Justizstrukturen hier im Land kümmern würde.

(Beifall der Abg. Kretschmann GRÜNE und Gus- tav-Adolf Haas SPD – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Da haben wir, Herr Kollege Noll, in dem Antrag Drucksache 13/3796 – Strukturreform der baden-württembergischen Justiz; hier: Ordentliche Gerichtsbarkeit – noch einmal deutlich gemacht: Baden-Württemberg hat, umgerechnet auf die Zahl der Bevölkerung, mit 108 Amtsgerichten so viele Amtsgerichte wie kein anderes Flächenland.

Deswegen sind wir der Auffassung – auch was die Landgerichte anbelangt –, dass die Zahl der Standorte genauso auf den Prüfstand gehört, wie dies bei vielen anderen Maßnahmen der Fall sein muss, zum Beispiel denjenigen, die im Wege der Verwaltungsreform von Ihnen mehrheitlich beschlossen worden sind.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Verwaltungsstruktur- reform!)

Aus der Stellungnahme der Landesregierung zu dem Antrag Drucksache 13/3796 ergibt sich, dass sage und schreibe 56 der 108 Amtsgerichte mit weniger als fünf Richtern besetzt sind.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Des Weiteren lässt sich aus der Stellungnahme schließen, dass immerhin 40 Amtsgerichte mit Planstellen für bis zu drei Richterinnen und Richter ausgestattet sind, sodass dort eine Effizienz möglich ist, die der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land entspricht. Wir haben ja quasi als Pendant die Anwaltskanzleien. Schauen Sie einmal, wie sich die entwickeln, wie sich die spezifizieren, in welcher Größenordnung die heutzutage auftreten. Insofern ist es unseres Erachtens nicht mehr zeitgemäß, weiterhin Amtsgerichte in Baden-Württemberg zu betreiben, die mit nur einem Richter besetzt sind. Dies gilt nicht nur aus Gründen der ökonomischen Effizienz, sondern auch aus Gründen der qualitativen Effizienz. Denn es kann einfach nicht sein, meine Damen und Herren, dass Amtsgerichte mit nur einem einzigen Amtsrichter bzw. einer einzigen Amtsrichterin – so gut die arbeiten; das soll gar nicht in Abrede gestellt werden; sie haben nämlich im Rahmen der Gerichtsbarkeit die ganz große Last der Justiz in Baden-Württemberg zu tragen – besetzt sind. Die Effizienz kann gesteigert werden, wenn Synergien entstehen, und zwar nicht nur ökonomische, sondern auch inhaltliche.

Deswegen sind wir der Auffassung, dass wir diese kleinen Amtsgerichte – mindestens 40 an der Zahl, nämlich all die