Protocol of the Session on July 19, 2001

(Abg. Pfister FDP/DVP: Eben!)

Ich denke, mittlerweile sind alle politischen Kräfte gemeinsam einer Auffassung – das hat die Diskussion der letzten Monate gezeigt –: Wir müssen diese ungesteuerte Zuwanderung neu regeln.

Entscheidend wird nun sein, wie wir das angehen. Dazu liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Die CDU war mit ihrem Müller-Papier bei den Ersten, die etwas vorgelegt haben.

(Abg. Alfred Haas CDU: Jawohl!)

Jetzt gibt es Vorschläge einer von der Regierung eingesetzten Kommission. Mittlerweile hat auch die SPD ein kleines Papier vorgelegt. Das Drei-Säulen-Modell der Grünen lag schon länger vor. Die FDP hat ebenfalls schon etwas vorgelegt. Es liegen genügend Papiere auf dem Tisch; wir brauchen keine neuen Gutachten.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Da haben Sie Recht!)

Auch darin stimme ich mit Ihnen überein, Herr Pfister.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Aber ich glaube, nun folgt ein entscheidender Punkt. Wir haben Papiere auf dem Tisch liegen, und jetzt kommt es darauf an, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir die Bevölkerung mitnehmen. Denn es nutzt gar nichts, jetzt abgehoben in Parlamenten zu diskutieren, wenn der Kompromiss, der herauskommt, nachher von der Bevölkerung nicht mitgetragen wird. Ich setze mich dafür ein, dass wir nun wirklich versuchen, gemeinsam über Parteigrenzen hinweg einen Paradigmenwechsel klar zu machen. Es ist nämlich ein echter Paradigmenwechsel, wenn wir sagen: Bisher haben wir ungesteuerte Zuwanderung in unser Land gehabt, und nun wollen wir die Zuwanderung neu regeln. Wir müssen der Bevölkerung klar machen, dass diese Regelung dann auch greift, dass sie funktioniert.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Dann fangen Sie doch endlich mal an!)

Ich glaube, hier ist eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig. Ich will kurz in Erinnerung rufen: Wir haben drei Kategorien von Leuten, die zu uns kommen.

Die erste sind die Kriegsflüchtlinge oder Bürgerkriegsflüchtlinge, wie man oft auch sagt. Ich glaube, hier ist ganz klar, dass wir wie jedes Land in Europa eine Aufgabe haben. Deutschland – insbesondere Baden-Württemberg und Bayern – hat diese Aufgabe so erledigt, dass wir uns wirklich nicht zu verstecken brauchen. Wir nehmen diese Leute auf; sie können hier bleiben, bis der Krieg zu Ende ist, und dann müssen sie wieder zurückgehen. Sonst haben wir gar nicht die Möglichkeit, neue Leute hier hereinzuholen.

Die zweite Gruppe sind die Asylsuchenden. Auch hier, glaube ich, wird mittlerweile in allen Papieren die Meinung vertreten: Wir rütteln nicht am Grundrecht auf Asyl, das

die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes aus der Vergangenheit unserer Nation geschaffen haben. Die Asylsuchenden unterscheiden sich ja von den Kriegsflüchtlingen dadurch, dass diejenigen, die anerkannt sind, auch hier bleiben dürfen, ohne dass wir verlangen, dass sie in einer absehbaren Zeit wieder zurückgehen müssen.

Aber jetzt kommt unser Problem, meine Damen und Herren: Wir haben viele Menschen, die sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen. Sie alle kennen die Zahlen: Der Anerkennungssatz liegt bei 5 bis 8 %. Hier müssen wir nach meiner Meinung auch ansetzen. Dieses Thema darf man nicht verschweigen. Hier muss ich Ihnen ganz offen sagen: Wenn ich das Süssmuth-Papier durchlese, dann vermisse ich darin hierzu konkrete Aussagen. Da wird zwar wachsweich darum herumgeredet, man müsste etwas tun, aber es kommt kein Vorschlag, was man denn tun könnte. Zum Beispiel die Verfahren schneller machen: Fehlanzeige. Oder eine Entscheidungsebene abschaffen: Fehlanzeige. Ich glaube, man muss eindeutig sagen: Dies können wir nicht so belassen. Die CDU-Fraktion legt großen Wert darauf, dass wir den Spielraum im Asylrecht nutzen. Sonst werden wir nämlich nicht den Raum schaffen, um andere Leute bei uns aufzunehmen, und auch nicht das Verständnis der Bevölkerung dafür erzielen, dass wir hier eine gemeinsame Lösung finden.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Der dritte Punkt ist die Arbeitsmigration, der Punkt, über den wir uns jetzt unterhalten. In einem Papier der UN habe ich gelesen, dass 1998 100 Millionen Menschen ihren Heimatstaat verlassen haben. Davon waren nur 12 Millionen Flüchtlinge oder echte Asylsuchende. 88 Millionen waren Armutsflüchtlinge, die einen Arbeitsplatz gesucht haben oder sich sonstige Verbesserungen ihrer persönlichen Lebensumstände in einem anderen Land erhofft haben. Wenn wir jetzt noch den europäischen Kontext sehen, der heute bisher noch nicht angesprochen worden ist und auch in der Debatte in Deutschland nach meiner Meinung viel zu wenig angesprochen wird, dann wissen wir, dass wir nicht nur in Deutschland zu einer einvernehmlichen Lösung kommen müssen, sondern auf europäischer Ebene ansetzen müssen.

Deutschland verliert im Jahr 2004 das Vetorecht im Ministerrat der Europäischen Union. Wenn Sie sich einmal die europäische Richtlinie anschauen, die im Moment in der Diskussion ist und mit der sich auch die Innenministerkonferenz schon beschäftigt hat, wird Ihnen deutlich, dass die Lösung, die dann auf uns zukommt – ein Mischmasch von Vorschlägen aus verschiedenen europäischen Ländern, allerdings unter anderen sozialen Voraussetzungen als bei uns zustande gekommen –, für uns nur Nachteile bringt. Der EU-Vorschlag sieht zum Beispiel vor, dass nicht nur das Nachzugsalter für Kinder, Herr Pfister, wie bei dem Vorschlag der Süssmuth-Kommission von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt wird, sondern dass auch noch Eltern und Großeltern nachziehen dürfen. Oder sie sagen: Zwei Asylstufen müssen es sein. Oder sie sagen: Die Drittstaatenregelung von 1993 soll wieder gekippt werden. Wenn all das im europäischen Kontext kommt, meine Damen und Herren, und wir das nicht über ein Vetorecht, das wir 2004

verlieren, verhindern können, dann bedeutet das, dass wir zu wenig Platz haben, um neue Leute ins Land zu holen, die wir aus anderen Gründen, über die Sie, Herr Pfister, gesprochen haben, benötigen.

Jetzt möchte ich noch kurz das Ergebnis der SüssmuthKommission bewerten. Ich will das Modell nicht groß vorstellen. 50 000 sollen kommen, 20 000 sollen hier ein dauerhaftes Bleiberecht haben, Herr Pfister. Das ist ja schon so geregelt. 20 000 sollen in Bereiche mit Engpass kommen, 10 000 in dieses Programm „18 plus“. Spitzenkräfte der Wirtschaft, die also über 160 000 DM verdienen – wie das im Detail laufen soll, wie das funktioniert, wenn die erst kommen und schon so viel verdienen sollen, weiß ich nicht –, dürfen ja mit fünf Jahren Bleiberecht ohne Begrenzung zuziehen. Das jetzt in aller Schnelle im Galopp durchgemacht.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das war aber sehr schnell!)

Das war sehr schnell. Bei mir leuchtet schon „Sprechzeit Ende“ auf. Deshalb habe ich es sehr schnell gemacht.

Jetzt zur Bewertung. Ich denke, wir müssen sehen, dass der Familiennachzug – das Heraufsetzen des Zuzugsalters von 16 auf 18 Jahre – ein falsches Signal ist. Wir müssen zu den 50 000, wo Sie, Herr Pfister, mehr wollen, die Familienangehörigen dazurechnen. Dann kommen schon jedes Jahr 130 000 bis 150 000. Auch abgelehnte Asylbewerber dürfen sich wieder bewerben. Das halte ich nicht für das Richtige.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Einverstanden!)

Es steht aber so drin.

Dann heißt es – das ist meine Meinung, das steht aber nicht im Papier drin –, wir müssten mehr nach dem Bedarf der Wirtschaft steuern. Wir haben ein Papier, in dem klar steht, in welchen Branchen Leute fehlen. Wenn wir Zuwanderung wollen, müssen wir den Mut haben, zu sagen: Wir wollen die und die Leute.

(Beifall bei der CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: Richtig! Einverstanden! Das habe ich ausdrücklich gesagt!)

Da ist mir bisher zu wenig drin.

Noch etwas fehlt, was aber im Müller-Papier klar und deutlich steht – darüber muss man sich auch verständigen, sonst gibt es keine Einigung –: Wir wollen auch Sanktionen haben, nicht nur einen Bonus wie im Süssmuth-Papier, sondern auch eine Strafe, wenn einer nicht bereit ist, einen Sprach- oder Integrationskurs zu besuchen.

Ich glaube, wir müssen – das war mein Kernpunkt von vorhin – auch beim Asylverfahren darauf bestehen, Beschleunigungseffekte zu erzielen; sonst schaffen wir den Mix im gesamten Bereich nicht.

Ich breche hier ab und komme in der zweiten Runde noch auf die Integration und unsere Meinung dazu zurück.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Birzele.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg betonen, dass die SPD-Fraktion den vorgelegten Bericht der von Innenminister Schily eingesetzten Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ begrüßt.

(Abg. Alfred Haas CDU: Unabhängig?)

Dieser Bericht hat eine erstaunlich breite Zustimmung gefunden. Lassen Sie mich aber zunächst einige Kernsätze aus der Einleitung des Berichts zitieren:

Deutschland braucht Zuwandererinnen und Zuwanderer. Für die Gestaltung von Zuwanderung und Integration ist ein Gesamtkonzept erforderlich, das klare Ziele festlegt: humanitärer Verantwortung gerecht werden, zur Sicherung des Wohlstands beitragen, das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern verbessern und Integration fördern.

Die Kommission hat aus dieser grundsätzlichen Zielsetzung Konsequenzen gezogen und darauf hingewiesen, dass die Gestaltung arbeitsmarktbezogener Zuwanderung in die immer enger verflochtene Weltwirtschaft eingebettet sein muss, dass die Bevölkerung Deutschlands altert und im 21. Jahrhundert deutlich abnimmt und dass zahlreiche hoch und niedrig qualifizierte Arbeitsplätze nicht besetzt werden, obwohl 3,9 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland arbeitslos gemeldet seien.

Die Zielsetzung, die hier sofort erwähnt werden muss, möglichst viele dieser Arbeitslosen vorrangig wieder in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, ist von der Kommission so gesehen worden und wird von uns so gesehen.

Ich habe gesagt, dieser Kommissionsbericht sei auf eine sehr breite Zustimmung gestoßen. Lassen Sie mich dazu aus der gemeinsamen Stellungnahme des Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Manfred Kock, und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, zitieren. Da heißt es:

Wir begrüßen diesen Bericht und erkennen in ihm wesentliche Impulse für eine zukunftsorientierte und langfristig angelegte Zuwanderungspolitik. Er bietet die Chance für einen grundlegenden Perspektivenwechsel.

Weiter heißt es:

Wir anerkennen das Bemühen des Berichts, durch klare Darstellung der demographischen Entwicklung, der arbeitsmarktpolitischen Fakten und der rechtlichen Bindungen, die sich aus dem Grundgesetz und den europäischen sowie internationalen Verpflichtungen ergeben, Akzeptanz und Konsens im Blick auf die Zuwanderung zu fördern. Nur so ist erfolgreiche Migrationspolitik möglich. Der Bericht macht Ernst mit der Tatsache,

Herr Heinz, das geht nun speziell an Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen –

dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist.

Das ist die Stellungnahme der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland.

Ich zitiere weiter daraus:

Deswegen ist ein Gesamtkonzept für Zuwanderung und Integration erforderlich, an dem es bislang gefehlt hat. Die Kommission hat sich dieser Herausforderung gestellt.

Auch die Wirtschaft hat diesen Kommissionsbericht begrüßt, so zum Beispiel die IHK Stuttgart. Die CDU hat jedoch leider – ich betone: leider – –

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Freie Rede, Herr Kolle- ge!)

Das mache ich, Herr Kollege. Aber zitieren muss ich wörtlich, Herr Kollege Reinhart.