Protocol of the Session on November 10, 2004

Es wäre toll, wir würden uns darauf einigen, nicht an diesem Feld herumzumachen, sondern alle dafür kämpfen, dass wir die gewünschte Steuerautonomie bekommen. Die Übertragung der Steuerautonomie ist realistisch, sie ist zum Greifen nahe. Es geht nur noch darum, einzelne Bundesländer zu überzeugen. Dazu rufe ich jeden auf.

(Zurufe der Abg. Capezzuto und Dr. Caroli SPD)

Dann hätten wir am 17. Dezember einen tollen Erfolg erzielt, einen guten Kompromiss erreicht. Sollte es schief gehen – da gebe ich wiederum dem Herrn Ministerpräsidenten recht –, ist dies ein Ausweis dafür, dass die Politik – Bundestag und Bundesrat, aber auch Landesparlamente – offensichtlich nicht in der Lage ist, dieses komplizierte System zu reformieren. Dies wäre schädlich, nicht nur für den Bund, sondern auch für die Landesparlamente.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Hauk CDU, Dr. Noll FDP/DVP und Kretschmann GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schüle.

(Abg. Capezzuto SPD: Es fehlen 50 CDU-Abge- ordnete! – Gegenruf des Abg. Pfisterer CDU: Nicht die Zahl entscheidet!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Föderalismusreform ist die grundlegendste und wichtigste Reform, die wir in Deutschland voranbringen müssen.

(Unruhe)

Es ist ermutigend und zielführend, dass hierüber in diesem Haus vom Grundsatz her und in vielen Einzelfragen Einigkeit herrscht – wenige Tage und Wochen vor den Entscheidungen in Berlin.

Bund und Länder müssen ein gemeinsames Interesse daran haben, die Reform unbedingt noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen. Es ist unser aller Anstrengung wert, dass wir bei der dringend notwendigen Modernisierung unserer bundesstaatlichen Ordnung entscheidend vorankommen und heute noch einmal gemeinsam Druck machen.

Die Föderalismusreform wirkt in den Augen der Menschen auf den ersten Blick eher etwas „juristisch-technisch“ – eine Reform, die mit vielen gesetzlichen Einzelfragen verbunden ist, die wiederum teilweise eng miteinander zusammenhängen. Aber gerade diese Reform trifft im Kern eine hohe grundsätzliche Erwartungshaltung in der Bevölkerung. Wenn es in Bezug auf das, was in unserer Demokratie wirklich anders geregelt werden sollte, ein Grundbedürfnis, eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung gibt, dann, dass in Deutschland politisch schneller entschieden werden soll und dass die Verantwortlichkeiten entscheidend besser zugeordnet werden sollen.

Es gibt ein Zuviel an Hin und Her zwischen Bundestag und Bundesrat, dazu die Sitzungen des Vermittlungsausschusses. In der Bevölkerung entsteht daher zwangsläufig der Eindruck des Taktierens der Fraktionen, zwischen denen, die die Regierung tragen, und denen, die in der Opposition sind. Das ist weder für die Regierung noch für die Opposition gut.

Für die Regierung besteht das Problem beim gegenwärtigen System darin, dass sie ihre Ziele oftmals nicht ungehindert und zeitlich effektiv umsetzen kann. Für die Opposition wiederum stellt sich bei den zustimmungspflichtigen Gesetzen die schwierige Frage, ob sie zustimmen soll oder nicht.

Wenn die Opposition mitmacht, wird nicht nur bei ihren Anhängern, sondern auch in der Bevölkerung die Frage nach dem unterschiedlichen Profil der Parteien aufgeworfen. Wenn die Opposition hingegen tendenziell nicht mitmacht, wird sofort der Vorwurf der Blockade erhoben. Es wird ihr unterstellt, sie stimme vorwiegend aus taktischen Gründen nicht zu. Das bedeutet, weder für die Regierung noch für die Opposition besteht die Möglichkeit, sich in der notwendigen Klarheit zu präsentieren.

Dieser gordische Knoten – so auch heute ein Begriff in der „Süddeutschen Zeitung“ – muss endlich zerschlagen werden, hin zu klareren Abläufen. Deshalb ist es richtig, dass der Ministerpräsident davon gesprochen hat, die Reform des Föderalismus sei die grundlegendste aller Reformen in Deutschland.

Ich möchte für die CDU-Fraktion in diesem Zusammenhang allen danken, die sich in unserem Land für die Arbeit der Föderalismuskommission eingesetzt haben. Ganz besonderen Dank sagen wir unserem Ministerpräsidenten Erwin Teufel,

(Beifall bei der CDU)

der mit einem unglaublichen Erfahrungsschatz, mit Tiefgang und riesigem persönlichem Einsatz ganz erheblich dazu beigetragen hat, dass jetzt sehr gute Ergebnisse auf dem Tisch liegen.

Punktgenau zum heutigen Tag gibt es einen Artikel von Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ – ich lese nur die Überschrift vor –:

Die Reformer stehen vor dem gordischen Knoten der Bund-Länder-Verflechtungen – ohne Erwin Teufel wird es keine Lösung geben.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Döring FDP/DVP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zentraler Punkt für eine neue Austarierung von Eigenrechten und Mitwirkungsrechten der Länder im Bund ist die Neubestimmung der Zustimmungsrechte der Länder in der Bundesgesetzgebung. Die Länder sind bereit, auf beachtliche Mitwirkungstatbestände im Bundesrat zu verzichten, wenn der Bund seinerseits Zugeständnisse macht. Die Länder haben in der Föderalismuskommission unter Zugrundelegung des Grundsatzes „Gestaltungsföderalismus statt Beteiligungsföderalismus“ sehr konkrete Vorschläge erarbeitet, die sehr ausgewogen sind.

Angesichts dieser sehr konstruktiven und ausgewogenen Haltung der Bundesländer machen uns die Äußerungen von Bundeskanzler Schröder im Oktober dieses Jahres Sorgen. Er unterstellt in Richtung Vertretung der Länder, man wolle sich im Rahmen der Föderalismuskommission von einem Bundesstaat hin zu einem Staatenbund entwickeln. Auch hat das Bundeskabinett immer noch keine ausreichende Positionierung vorgenommen; der Ministerpräsident hat es soeben ausgeführt. Wir setzen aber im Hinblick auf den Erfolg der Föderalismuskommission in diesem Fall klar auf Herrn Müntefering und wünschen ihm, dass er sich bei der Föderalismusreform mit seiner pragmatischen Haltung

ebenso wie beim Thema „3. Oktober“ gemeinsam mit den Grünen wiederum gegen den Kanzler durchsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Mack CDU: Bravo!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor dem Hintergrund der noch sehr zurückhaltenden Haltung des Bundes – auch mancher CDU-Vertreter im Übrigen – ist es wichtig, dass die Fraktionen heute einen gemeinsamen Antrag zur Positionierung des Landtags zur aktuellen Diskussionslage in der Föderalismuskommission vorbereitet haben, der im Anschluss an diese Debatte gemeinsam verabschiedet werden wird. Dieser Antrag, der die Quintessenz der Arbeit der Länder in der Föderalismuskommission beinhaltet, zeigt doch, dass die Aussage von Kanzler Schröder, es gehe in Richtung Staatenbund, nicht zutrifft.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sehr gut!)

Beim Thema Bildungs- und Kulturhoheit beispielsweise geht es darum – und darin sind wir uns einig –, dass die Länder vom Kindergarten bis zur Hochschule vollständige Kompetenzen erhalten.

(Beifall bei der CDU)

Bildungs- und Kulturhoheit dürfen in der Tat nicht aus vorgeblichen Gründen der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse oder der gesamtstaatlichen Repräsentation beeinträchtigt werden – so zu Recht die Aussage in unserem gemeinsamen Antrag. Auch hier wird richtigerweise differenziert: Die Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung soll bleiben, denn sie hat sich bewährt; die bisherigen Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau und Bildungsplanung sollen indes zu Recht abgeschafft werden. Die Länder gestalten und bezahlen das Bildungswesen in eigener Verantwortung.

Ich hoffe aber auch, dass die heutige Debatte die Erkenntnis bei allen Fraktionen weiter fördert, dass wir zukünftig keine politisch motivierten und unstrukturierten Initiativen des Bundes im Bildungsbereich benötigen, wie wir das etwa beim Thema der Förderung von Eliteuniversitäten erleben mussten. Auf der einen Seite beim Hochschulbau Bundesmittel zu kürzen und auf der anderen Seite einige Sondermittel unter nicht dargelegten Kriterien für Eliteuniversitäten bereitzustellen und erhebliche Verwirrung zu stiften, das bringt unseren Wissenschaftsstandort in Baden-Württemberg und in Deutschland wirklich nicht entscheidend voran.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, es ist auch dringend notwendig, dass der Bund im Hochschulrahmengesetz davon abkommt, den Ländern zu verbieten, Studiengebühren zu erheben. Jeder Tag, an dem dieses Verbot besteht – Herr Kollege Drexler, Universität Konstanz –, hindert uns daran, unsere Universitäten noch besser als bisher zu unterstützen.

Es ist, meine Damen und Herren, auch noch kein Weg in Richtung Staatenbund, wenn die Länder im Rahmen des Beamtenrechts die Personalhoheit wieder erlangen, um angesichts ihres hohen Personalanteils die notwendigen Ge

staltungsmöglichkeiten zu gewinnen. Das ist längst überfällig und schließt mit ein, dass sich der Bund zukünftig darauf beschränkt, Kernbereiche des grundlegenden Statusrechts festzulegen.

(Beifall des Abg. Blenke CDU)

Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass es eine Kernforderung der Länder ist, verbindlich festzuzurren, dass der Bund für Kosten, die den Ländern durch Maßnahmen des Bundes entstehen, auch aufkommen muss, beispielsweise konkret beim Thema der öffentlichen Fürsorge.

Baden-Württemberg fordert die Zuständigkeiten für die subsidiären öffentlichen Lebensunterhaltsleistungen, insbesondere Sozialhilfe, und für die ergänzenden öffentlichen Leistungen im Bereich der Bildung und Erziehung, vor allem Kinder- und Jugendhilfe. Dabei darf es nicht weiterhin so sein – das so genannte Betreuungsgesetz des Bundes ist das jüngste Beispiel –, dass der Bund Standards setzt und die Gemeinden und die Landkreise bezahlen müssen. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Realisierung der Föderalismusreform entscheidet maßgeblich darüber, ob wir in Deutschland überhaupt im Kern reformfähig sind und welche Zukunftschancen unser Land hat.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Es steht sehr viel auf dem Spiel. Der Föderalismus hat sich in unserem Land bewährt, aber er muss nach vielen Jahren der Praxis wieder neu ausgerichtet werden, damit wir in unserer globalisierten Welt erfolgreich handeln und bestehen können.

Vom Gelingen der Föderalismusreform hängt auch entscheidend ab, ob wir es schaffen, die politischen Strukturen in Deutschland ein Stück weit transparenter und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbarer zu machen. Dann haben wir parteiübergreifend eine gute Chance, noch mehr Vertrauen für unsere Demokratie zu gewinnen. Das ist in besonderem Maße unser Ziel, für das wir uns gemeinsam anstrengen müssen. Bitte helfen Sie auf den letzten entscheidenden Wegmetern alle mit, damit die Föderalismusreform, diese Jahrhundertreform in Deutschland, einen erfolgreichen Abschluss findet.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Dr. Döring FDP/DVP und Kretschmann GRÜNE – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Über die Tatsache, dass eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung überfällig ist, gibt es unter den Fraktionen dieses Hauses keinen Streit. Alle Debatten, die wir in den letzten Wochen und Monaten zu diesem Thema geführt haben, haben ein erfreulich hohes Maß an Übereinstimmung gezeigt. Der heute vorliegende, gemeinsame

Antrag aller Fraktionen dokumentiert dies erneut eindrucksvoll.

Die Diagnose ist klar. Ich darf sie wiederholen: Die ausufernden Verflechtungen von Bundes- und Länderzuständigkeiten sind mit ein Grund für die aktuellen Steuerungsprobleme der Politik. Notwendig aber sind Strukturen, die die Reformfähigkeit unseres Landes stärken, anstatt sie zu behindern. Es fehlt an klaren Kompetenzabgrenzungen, und es fehlt deshalb auch an eindeutigen Verantwortlichkeiten, die die Bürgerinnen und Bürger als solche wahrnehmen können. Die Transparenz politischer Entscheidungen bleibt inzwischen auf der Strecke.

Die Länder üben in diesem Prozess zwar einen ganz erheblichen Einfluss aus – eine Vielzahl der wichtigsten Entscheidungen werden faktisch in Verhandlungsrunden zwischen Bund und Ländern getroffen –, aber die Parlamente, sowohl der Bundestag als auch die Landesparlamente, spielen dabei mehr und mehr eine eher untergeordnete Rolle. Als unrühmliches Beispiel – Herr Kollege Drexler, Sie hatten andere angeführt – möchte ich das Vermittlungsverfahren zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz anführen. Ich glaube, wir sind uns alle einig: In diesen nächtlichen Runden ist handwerklich teilweise schlicht und einfach Murks gemacht worden.

(Abg. Drexler SPD: Ja!)