Gerichtsvollziehertätigkeit ist in erster Linie hoheitliche Tätigkeit, verbunden mit Eingriffen in das Eigentum, in die Persönlichkeitsrechte, in die Unverletzlichkeit der Wohnung, also in Grundrechte. Die Sicherheit, die Gewährleistung des Rechts in diesem Bereich, muss deshalb in staatlicher Hand verbleiben.
Wir wissen natürlich, dass Sie mit vielen Eindrücken zur Privatisierung – was den Strafvollzug angeht, mit positiven Eindrücken – aus Frankreich zurückgekehrt sind. Wir wollen wissen, wie es bei den Gerichtsvollziehern weitergeht. Was sehen Sie in Zukunft vor? Denn in den Gerichtsvollzieherkreisen herrscht große Unsicherheit. Man weiß nicht, wohin die Reise geht. Jetzt sind es Beamte, die aber gleichzeitig natürlich schon einen quasiunternehmerischen Halbstatus haben, indem sie für eigene Büros und auch für Personal sorgen müssen. Sagen Sie uns, wohin die Reise geht, und verweisen Sie uns nicht allein auf andere EU-Staaten, in denen die Privatisierung vielleicht weiter fortgeschritten ist.
Dort besteht eine andere Aufgabenverteilung. Es gibt dort eine stärkere Einbeziehung der Notare in die Vollstreckung.
Die Vollstreckung hat in Baden-Württemberg – in der Bundesrepublik überhaupt, aber gerade in Baden-Württemberg – bisher funktioniert. Bevor Sie dieses funktionierende System ablösen, stellen Sie uns bitte ein Gesamtkonzept für eine bessere Lösung vor. Dann können wir darüber reden. Wir vermissen dieses Gesamtkonzept bisher. Sie brauchen den Bund, um den Rechtsstatus der Gerichtsvollzieher zu ändern. Ich sehe da noch keine Möglichkeiten.
Sagen Sie uns bitte, wie Sie es schaffen wollen, einerseits Beamte zu haben, die nicht entlassen werden wollen, und andererseits den Schritt in die Privatisierung vorzusehen. Gibt es Übergangsregelungen? Sagen Sie uns, wohin die Reise geht.
Was Not tut, ist natürlich, den Gerichtsvollziehern eine gesicherte Perspektive für ihre Berufsausbildung zu gewährleisten. Die Gerichtsvollzieher – ich habe es gesagt – müssen für Personal und Büroeinrichtung selbst sorgen. Sie müssen planen. Was macht das Land bisher? Die Entschädigungsregelungen für Gerichtsvollzieher werden jährlich festgesetzt, meistens rückwirkend, sodass ein Gerichtsvollzieher im Voraus nie weiß, mit welchen Mitteln er planen kann, weil er nie weiß, was ihm vom Land schließlich belassen wird. Deshalb überlegen Sie sich ein Entschädigungsgesetz, das die Rechtsverhältnisse in der Abrechnung der Gerichtsvollzieher mit dem Land auf eine tragfähige Grundlage stellt und den Gerichtsvollziehern Planungssicherheit gibt.
Eines sollten wir – das als Schlussbemerkung – nicht vergessen: Um die Kernaufgaben des Staates im Bereich der Justiz gewährleisten zu können, müssen wir aufpassen, dass wir die Justiz in unserem Lande dafür auch funktionsfähig halten.
Wir wissen, die Haushaltsberatungen verlangen allen Ressorts Sparvorschläge ab. Wir haben immer die Auffassung vertreten – das wurde hier im Haus auch mehrfach betont –: Die Justiz als Dienstleistungsbehörde oder als Dienstleistungsstruktur gibt eigentlich fast nichts mehr her. Die Justiz ist überhaupt nur noch begrenzt für Opfer im finanziellen Bereich geeignet. Wenn weitere Opfer seitens der Justiz erbracht werden müssen, dann stellen wir uns die Frage: Wie gewährleisten Sie die Effektivität und die Rechtssicherheit im Rahmen der Justiz in der Zukunft?
Es kann nicht sein, dass wir Justizgewährung nach Kassenlage bekommen. Die Justiz hat in den letzten Jahren einen enormen Wandlungsprozess erfahren. Es ist intern viel reformiert worden mit neuen Methoden, mit neuen Verfahrensabläufen. Uns scheint die Grenze erreicht zu sein, wenn Sie den Kernbestand der Justiz in seiner Effektivität aufrechterhalten wollen.
Und was die Notare angeht: Wir erkennen in den Absichten des Justizministeriums – ad personam Ihrer Vorgängerin gesprochen – eine Perspektive zur vollen Privatisierung des Notarwesens, während ich aus dem Munde von Koalitionskolleginnen und -kollegen eher das Gegenteil vernehme, nämlich den Willen, bei den württembergischen Notaren im Grunde für eine Bestandsgarantie in der Zukunft zu kämpfen.
Alles gleichzeitig kann man nicht wollen. Die Koalitionsfraktionen werden sich entscheiden müssen, welchen Weg sie gehen wollen. Frau Kollegin Berroth, wir haben es am
Samstag an anderer Stelle zusammen mit dem Kollegen Mack diskutiert. Sie werden sich entscheiden müssen, welchen Weg Sie gehen wollen. Dann werden die Verhandlungen im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuss zum Abschluss gebracht werden können.
Herr Minister, sagen Sie uns, was Sie vorhaben. Das, was bisher auf dem Tisch liegt, reicht uns nicht aus.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Grundsätzlich, Herr Kollege Stickelberger: Privatisierung staatlicher Aufgaben, auch Privatisierung staatlicher Kernaufgaben ist nichts Anrüchiges, ist nicht verwerflich.
Im Interesse der Steuerzahler, im Interesse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sind wir als Volksvertreter sogar verpflichtet, nicht betriebsblind und starr, sondern zeitgemäß, bedarfsorientiert, flexibel und dynamisch
jegliches staatliche Verwaltungshandeln immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und Alternativmöglichkeiten abzuwägen.
Natürlich ist Privatisierung nicht in jedem Fall ein Allheilmittel. Hektischer Aktionismus wird von der CDU-Landtagsfraktion auch nicht mitgetragen.
Herr Kollege Stickelberger hat gerade eingeräumt, dass die Anfragen der SPD, aber auch die entsprechenden Antworten der Landesregierung bereits etwas veraltet sind. Inzwischen befasst sich der Vermittlungsausschuss in Berlin mit der Materie, da hierfür die Änderung von Bundesgesetzen notwendig ist.
Ich gehe davon aus, dass bei der Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens gerade im Hinblick auf die Grundrechte noch vieles gründlich und sorgfältig durchleuchtet wird. Die verfassungsrechtlichen Prüfungen sind hier noch nicht abgeschlossen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass bereits in 16 europäischen Nachbarstaaten ein freiberufliches Gerichtsvollziehersystem funktioniert. Bitte nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass der betroffene Berufsstand, der Deutsche Gerichtsvollzieherbund, auf seinem Bundeskongress am 15. Mai 2003 die Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens mit 148 : 3 Stimmen grundsätzlich begrüßt hat.
Ich schließe nicht aus, dass es sinnvoll sein könnte, eine differenzierte Lösung anzuvisieren. Auch der Verfassungsrechtler Professor Dr. Rupert Scholz
kommt zu dem Ergebnis, dass die öffentliche Amtsträgerschaft und die freien Berufe sich nicht gegenseitig ausschließen.
Das Bundesverfassungsgericht hält einen staatlich gebundenen Beruf, der dem Staat vorbehaltene Tätigkeiten ausübt, ebenfalls grundsätzlich für zulässig.
Was die Privatisierung des Notariatswesens betrifft, so sieht die CDU-Landtagsfraktion derzeit keinen Grund, grundlegende Änderungen vorzunehmen. Über 50 Millionen € pro Jahr Überschuss lassen sich in Anbetracht der Haushaltslage nicht einfach ignorieren.
Im Übrigen kommt hinzu, dass unser derzeitiges hoch qualifiziertes Notariatssystem zwar historisch bedingt in Baden und Württemberg verschiedene Strukturen aufweist, aber im Ergebnis hervorragende Arbeit leistet. Unser System ist weitestgehend auch kundenfreundlicher, da unsere Notare die erforderlichen Grundbucheintragungen gleich übernehmen können, was nach einer Privatisierung möglicherweise wegfallen müsste.
Handlungsbedarf aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss aus unserer Sicht nicht zwangsläufig zu einer Privatisierung führen.
Wir freuen uns, Herr Kollege Stickelberger, auf konstruktive, kreative Denkanstöße und Diskussionsbeiträge. Wir werden gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit der Landesregierung mit dafür sorgen, dass Baden-Württemberg im Bereich des Justizwesens weiterhin musterhaft und zukunftsfähig bleibt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ziele der Justizreform gehen dahin, den Staat auf die hoheitlichen Aufgaben zurückzuschneiden. Wir müssen uns überlegen: Was muss der Staat unbedingt selbst tun, selbst erledigen? Was kann er vielleicht abgeben? Wo können Private etwas gleich gut oder sogar besser erledigen? So wollen wir die hoheitlichen Kernaufgaben von dem abtrennen, was auch Private können. Wir sind deshalb sehr gespannt auf das Modellprojekt, das das Justizministerium im Bereich der Bewährungshilfe jetzt angeht. Das ist aber nicht Gegenstand der heutigen Debatte.
Wir haben in Baden-Württemberg eine im Bundesgebiet einzigartige, aber auch komplizierte Struktur des Notariatsund Grundbuchwesens, die ein außergewöhnlich hohes Maß an Bürgernähe und Effizienz gewährleistet. Dies möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich vorweg festhalten. Dies muss bei allen Diskussionen, die wir in der Vergangenheit geführt haben und in Zukunft noch führen werden, einmal deutlich gesagt werden.
Für die FDP/DVP-Fraktion bedeutet dies aber nicht, dass wir einen Schutzzaun um das Notariat ziehen wollen oder ziehen können. Gerade weil das Notariat immer stärker als Dienstleistungsunternehmen betrachtet wird, müssen wir es an der freiberuflichen Konkurrenz messen lassen und muss es mit der Qualität des Angebots Schritt halten. Immerhin stellen wir ja in Gesprächen fest, dass doch einige Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in Nachbarländer oder sogar ins benachbarte schweizerische Ausland ausweichen, um dort Beurkundungen vornehmen zu lassen.