Protocol of the Session on May 6, 2004

und – ich habe es vorhin schon gesagt – nicht meinen, Europa könnte allein am deutschen Wesen genesen. Das ist eine gemeinsame Arbeit, die uns obliegt und die wir nur gemeinsam mit den Beitrittsländern bewältigen können.

Auch bei den anderen Themen, die Sie angesprochen haben, etwa beim Vertragsrecht, bekommen Sie unsere Unterstützung. Auch das sind natürlich Themen, die BadenWürttemberg nicht allein bewältigen kann. Es gibt in einem europäischen Raum sicher kein baden-württembergisches Exklusivvertragsrecht. Auch da sind nur gemeinsame Lösungen möglich. Wenn Sie dazu Ihre Vorschläge aus Baden-Württemberg einbringen, unterstützen wir Sie gerne.

Ein letzter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist die Frage kommunaler Dienstleistungen, die diesen Landtag schon im Zusammenhang mit dem Gemeindewirtschaftsrecht beschäftigt hat. Hierzu wurden von Ihrer Seite schon bestimmte Vorstellungen in die Diskussion eingebracht. Frau Ministerin – der Innenminister ist natürlich genauso einbezogen –, dieses Thema stellt uns landespolitisch vor große Aufgaben: Wie können wir ein Gemeindewirtschaftsrecht organisieren? Wie können wir kommunale Dienstleistungen unter veränderten rechtlichen Vorgaben aus Brüssel organisieren unter dem Gesichtspunkt eines verschärften Wettbewerbs in Europa?

Diese Fragen werden in Zukunft auch das Land beschäftigen; da werden wir uns von Europa nicht abkoppeln können. Sie haben ja in diesem Zusammenhang selber das Thema Notarreform angesprochen. Auch dort sind wir ja von europäischen Vorgaben der Rechtsprechung abhängig. Die Zahl dieser Vorgaben wird zunehmen, sei es durch Richtlinien, sei es durch europäische Gerichtsentscheidungen. Darauf müssen wir dann auch hier in Baden-Württemberg eine gemeinsame Antwort finden.

Insofern bleibt uns als Landesparlament auch in der Zukunft wahrscheinlich noch genug Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der zweiten Runde möchte ich einige wenige Punkte europäischer Rechtspolitik anschneiden.

Europäische Rechtspolitik ist jetzt eigentlich in dem Entwurf einer Verfassung für Europa verfasst. Im dortigen Kapitel IV finden wir vier große Abschnitte.

Der erste Abschnitt, der dort erwähnt ist, betrifft das Thema „Asylpolitik und Einwanderung“. Was die Einbürgerung anbelangt, bekleckern sich die Landesregierung von BadenWürttemberg und die sie tragenden Fraktionen nicht gerade mit Ruhm. Auch hinsichtlich der Frage der Mehrstaatigkeit,

bei der andere Bundesländer inzwischen durchaus schon enorm hohe Standards erreicht haben, hinkt Baden-Württemberg nach unseren Informationen hinterher. Das heißt, wenn wir Europa von den Menschen her denken wollen – so, wie der Ministerpräsident im Juli des vergangenen Jahres hier ausgeführt hat –, müssen wir europäische Regelungen dort, wo es sie jetzt auch im innerdeutschen Recht gibt, aktiv umsetzen. In diesem Bereich und auch im Bereich der Asylpolitik sehen wir in Baden-Württemberg sehr wohl Defizite.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Ein weiterer Bereich, der dort erwähnt wird – Kollege Reinhart, hören Sie gut zu! –, ist die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Bei Zivilsachen geht es in der Tat um die Frage eines gemeinsamen europäischen Zivilgesetzbuchs – ein sehr hoher Anspruch für jeden Juristen, der weiß, wie lange es gedauert hat, bis es in Deutschland ein einheitliches Zivilgesetzbuch, nämlich das BGB, gab, und wie schwierig es ist, diese Filigranarbeit durch ein Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zu verändern. All dies wissen wir.

Das bedeutet natürlich intensive Arbeit an diesen Gesetzestexten und Partizipation auch im Bereich Vertragsrecht, Vertragsfreiheit etc. Das kann nur heißen, dass die Justizministerin unseres Landes, wenn sie dabei auf Bundesratsebene tätig wird, durch entsprechende Informationen im Vorfeld auch das Parlament partizipieren lässt und somit auch Vorschläge, Ideen, Gedanken vonseiten der Regierungsfraktionen, aber vielleicht auch von den Oppositionsfraktionen in diese Debatten, Auseinandersetzungen und schließlich auch Entscheidungen eingebracht werden können.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Da kann ich mich zunächst einmal auf einen Punkt beschränken, den so genannten europäischen Haftbefehl.

Hier zeigt sich, lieber Kollege Theurer, dass Sie bei Ihren Argumenten nicht ganz mit offenen Karten spielen. Diesen europäischen Haftbefehl gibt es, verfasst in einer EU-Richtlinie und jetzt auch in einer Gesetzesfassung auf Bundesebene, verabschiedet im Deutschen Bundestag über alle Fraktionen hinweg. Wir Grünen haben uns gefreut, dass es uns gelungen ist, in diese gesetzliche Regelung mit aufzunehmen, dass Menschen, die seit 30 Jahren in dieser Republik leben, bei Fragen des Strafrechts deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt sind, insbesondere was Verhaftung, Vollstreckung und ähnliche Tatbestände anbelangt. Ich glaube, das ist ein Erfolg, den Sie auch im Parlament offensichtlich durchaus gern mitgetragen haben.

(Beifall bei den Grünen)

In der zweiten Stufe, im Bundesrat – völlig überraschend – – Frau Ministerin, was die Zusammensetzung der Kommission für die Ausarbeitung des Zuwanderungsrechts anbelangt, glaube ich, dass da insbesondere Herr Beckstein keine allzu rühmliche Rolle spielt. Denn Menschen, die eben nicht deutscher Nationalität sind, bis zu zwei Jahre festzusetzen, ohne dass richterliche Entscheidungen erfolgen, oder abschieben zu können, ohne dass dem eine gerichtliche Ent

scheidung zugrunde liegt, das ist für uns – völlig klar – rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Das können wir nicht mittragen, und das werden wir auch nicht tun.

(Beifall bei den Grünen)

Ein letzter Punkt, den ich nennen möchte: die polizeiliche Zusammenarbeit. Meine Kolleginnen und Kollegen, seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass wir den neuen Formen des Terrorismus mit den üblichen Praktiken polizeilicher Zusammenarbeit nicht beikommen. Terrorismus ist globalisiert – nicht nur in Europa, aber auch in Europa. Erst vor wenigen Wochen haben wir in Madrid ein schreckliches Ereignis erleben müssen. Dieser Vorgang hat die Defizite der polizeilichen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden wieder so stark offenbart, dass es wirklich gilt, in diesem Bereich schnell Abhilfe zu schaffen.

Zum Abschluss möchte ich die Überschrift des Verfassungsartikels und des Abschnitts betonen.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Ich komme langsam zum Schluss, Herr Präsident. – In dem Entwurf der europäischen Verfassung heißt es ganz bewusst: Freiheit, Sicherheit und Recht. Das heißt, wir dürfen die Freiheitsrechte, die wir über Jahrhunderte im europäischen Raum geschaffen, ja erkämpft haben, nicht preisgeben zugunsten einer unbeständigen Sicherheit, zugunsten eines Sicherheitsgedankens, der zu suggerieren versucht, wir könnten hundertprozentige Sicherheit schaffen. Wir wollen ein Europa der Freiheit. Für dieses werden wir kämpfen. Mit rechtsstaatlichen Mitteln, auch durch entsprechende polizeiliche Zusammenarbeit, wollen wir uns gegen Terrorismus wehren, aber immer im Rahmen des Rechts und im Rahmen der Freiheit.

Insofern, meine Ministerin

(Zurufe: „Meine Ministerin“!)

oder unsere Ministerin, muss ich sagen – für Justiz, Europaangelegenheiten und Bundesangelegenheiten – was da alles in Ihr Ressort mit hineinspielt, inklusive Ausländerangelegenheiten –, haben Sie immer unsere Unterstützung, wenn Sie im Rahmen rechtsstaatlicher Vorgaben agieren und sich auch auf Bundesebene für die Freiheit und für die Sicherheit einsetzen. Wir hoffen, dass wir als Parlament einen konstruktiven Beitrag dazu leisten dürfen, wenn Sie uns dieses Angebot machen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Theurer und Heiderose Berroth FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Justizministerin Werwigk-Hertneck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich über diesen großen Konsens. Diese interessante Debatte hat uns sicherlich auch neugierig gemacht auf Weiteres.

(Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck)

Aber ich will eines richtig stellen: Herr Abg. Oelmayer, Sie wissen vielleicht noch nicht, dass der Innenminister und ich d’accord sind, die neue Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur doppelten EU-Staatsbürgerschaft auch im Land Baden-Württemberg umzusetzen – für Griechen, Italiener und Franzosen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Oelmayer GRÜ- NE: Ich freue mich natürlich!)

Nur damit Sie dieses Informationsdefizit auffüllen können, habe ich Ihnen das gesagt.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Warten wir mal ab!)

Der zweite Punkt: Zuwanderungsgesetz. Herr Oelmayer, dazu möchte ich gerne sagen: Ich verstehe, wenn die Grünen auf Bundesebene Probleme mit ihrem Koalitionspartner haben. Aber ob das Ventil gerade das Zuwanderungsrecht sein muss, daran habe ich Zweifel. Deswegen mein Vorschlag.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte ist damit beendet.

Punkt 1 der Tagesordnung ist erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Ernährungserziehung und gesunde Kinderernährung: Das Land in der Verantwortung – Drucksache 13/2647

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Professor Wabitsch von der Universität Ulm hat dieser Tage gesagt: „Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist eine tickende Zeitbombe.“ Wenn einer der herausragenden Experten in dieser Republik sich so äußert, wissen wir, dass die Bekämpfung von Übergewicht zu den größten ernährungspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre gehören wird.

Die Fakten sind erschreckend, meine Damen und Herren: Schon bei der Einschulung sind ca. 20 % der Kinder übergewichtig. Das Auftreten von Adipositas hat sich in den letzten 15 Jahren bei den Fünf- bis Siebenjährigen sage und schreibe verdoppelt. In der Grundschulzeit verdreifacht sich die Zahl der übergewichtigen Schüler. Die Folgekosten von Fehlernährung werden derzeit auf ca. 57 Milliarden € pro Jahr geschätzt. 80 % der Jugendlichen – auch das sollte uns zu denken geben – nehmen das Übergewicht ins Erwachsenenalter mit. Die Ärzte registrieren eine beängstigende Zunahme von Altersdiabetes bei Kindern. Das muss man

sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Einen derartigen Widerspruch hatten wir früher nicht: Altersdiabetes bei Kindern!

Das zeigt, es ist Zeit zu handeln. Vor diesem Hintergrund halte ich es nicht nur für müßig, sondern sogar für geradezu fahrlässig, dass sich die Landesregierung mit uns darüber streitet, ob das nun eine öffentliche Aufgabe oder eine Aufgabe des Elternhauses ist.