Es geht um eine operative und eigenständige Schule. Wir möchten es so formulieren, sehr geehrte Frau Kollegin Rastätter, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen können, auch nicht zustimmen wollen,
weil vieles davon bereits erledigt ist. Wir haben gute Schulleiterinnen und Schulleiter und gute Lehrerinnen und Lehrer, die dies zusammen mit den Eltern sowie den Schülerinnen und Schülern bewerkstelligen können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir behandeln heute hier ein Thema, bei dem Anspruch und Wirklichkeit weit, weit auseinander liegen
und das der Landesregierung bei der Stellungnahme zu dem Antrag erstaunlicherweise gerade einmal – ich habe es nachgezählt – 39 Zeilen wert war. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler im Land, aber auch die Besucherinnen und Besucher des Jugendlandtags werden sich darauf einen eigenen Reim machen können. Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der in Bezug auf Schule immer stärker um Qualitätssicherung gerungen wird, um Schulmanagement, bei manchen um Wiedergewinnung von Hierarchie, ist es gut, wenn auch einmal ein Thema im Zentrum steht, das wichtig ist, nämlich die Schülerdemokratie, die Mitbestimmung in der Schule. Denn Demokratie fällt nicht vom Himmel,
sie lebt von der vielfältigen Beteiligung von jungen Menschen, von neuen und alten Beteiligungsformen.
Insofern ist das Anliegen des Antrags der Grünen völlig richtig und findet unsere volle Unterstützung. Das eigentliche Problem sitzt aber deutlich tiefer, denn schon die so genannten alten Beteiligungsformen greifen doch nicht oder schon lange nicht mehr. Natürlich sind mir persönlich auch viele gute Beispiele bekannt. Über jedes einzelne Beispiel bin ich froh. Aber es geht ja nicht um meine und es geht auch nicht um Ihre private persönliche Einschätzung, sondern es geht ganz einfach um die Frage: Ist Beteiligung von Schülerinnen und Schülern als generell und umfassend verankerte und von den Betroffenen als effektiv und positiv erlebte Praxis vorhanden?
Zur Beantwortung dieser Frage beziehe ich mich jetzt einmal nicht auf wohlfeile Äußerungen und Absichtserklärungen, sondern auf empirische Untersuchungen, die leider nur in sehr magerem Umfang vorliegen. In allen diesen Studien wird eines deutlich: Der übergroße Anteil der Schülerinnen und Schüler, nämlich etwa 85 %, hält die SMV für sinnvoll, aber nur ein klitzekleiner Anteil misst dieser ihrer SMV auch eine besondere Bedeutung zu.
Die festgestellten Defizite liegen dabei auf allen Partizipationsebenen: bei der Partizipation an der Gestaltung des
Schulalltags, bei der Partizipation in Form von Schülergremienarbeit, ganz besonders bei der Partizipation im Unterricht und bei der Partizipation an der Erstellung und Änderung von Hausordnungen.
Insgesamt gibt es eine positive Beurteilung, was das Maß an außerunterrichtlicher Beteiligung angeht. Im Kernbereich von Schule aber, dem Unterricht, fällt die Einschätzung deutlich negativ aus; von der Grundtendenz her besteht eine ausgesprochene Skepsis.
Die positive Einschätzung der Effektivität und der Bedeutung der schulischen Gremien lässt mit zunehmendem Alter sogar nach. Solche Befunde sind dann auch demokratietheoretisch bedenkens- und beachtenswert. Möglicherweise wird hier nämlich im Laufe des Schulbesuchs eine Enttäuschung über die Reichweite von Gremienaktivität verfestigt. Dies bringen oft auch erfahrene Schülervertreter zum Ausdruck, wenn sie schildern, dass sie die Gremienarbeit eher als eine Scheinpartizipation ohne wirkliches Mitbestimmungsrecht erleben. Die Bildungsplanreform für neue Bildungsformen zu nutzen und für neue Beteiligungsformen zu erschließen ist richtig und zukunftweisend.
Die diesbezügliche Stellungnahme der Landesregierung reduziert die Thematik allerdings auf plakative Feststellungen, und, schlimmer noch, sie strahlt eher Desinteresse und Lustlosigkeit aus.
Das, meine Damen und Herren, lässt für die Zukunft der Beteiligung an den Schulen nichts Gutes ahnen. Da Schule ja nicht in einem gesellschaftsfreien Raum existiert, ist es für den Erfolg von alten und neuen Formen der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern aber auch ganz entscheidend, wie beteiligungsfreundlich oder beteiligungsfeindlich es in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen zugeht – Familie, Kindergarten, Jugendarbeit oder Gemeinde. Gibt es Familienkonferenzen, Kinderversammlungen im Kindergarten, Beteiligung von Kindern bei der Gestaltung von Spielplätzen, Kinderparlamente, Jugendgemeinderäte mit Rederecht im wirklichen Gemeinderat? Können Jugendliche mit 16 Jahren wählen? Gibt es Jugendarbeit, deren Kernkompetenz im Bereich von Beteiligung, auch in schulischen Kontexten, gefragt ist? Ich sehe hier in allen Bereichen einen enormen Entwicklungsbedarf.
Vor diesem Hintergrund einer sich notwendigerweise differenzierenden Beteiligungskultur halte ich eine Einbindung von Schülerinnen und Schülern in Schulevaluationsverfahren
einschließlich der Verfahren zur Selbstevaluation, Curriculumsentwicklung, Ausgestaltung von Kontingentstundentafeln usw.
Mir aber kommt es darauf an, dass vor lauter neuen, anspruchsvollen Herausforderungen der „Expresszug Bildungsplanreform“ nicht an der Masse der Schülerinnen und Schüler einfach sozusagen „beteiligungsfrei“ vorbeirauscht.
Hilfe von außen wäre hier eigentlich angebracht und müsste willkommen sein. Leider findet man beim Schulversuch der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung kaum Schulen aus Baden-Württemberg. Schade um verpasste Initialzündungen, schade um eine verpasste Chance für kontinuierliche Begleitung! Die Ziele der Demokratisierung des Schullebens und der Steigerung der zivilgesellschaftlichen Handlungskompetenz würden im Projektzeitraum, der bis 2007 angelegt ist, sicherlich auch mehr Rückenwind für die Demokratisierung baden-württembergischer Schulen bringen – einen Rückenwind, den wir dringend nötig hätten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Bayer, die Demokratie kann ganz gewiss nicht vom Himmel fallen. Denn Himmel und Demokratie schließen sich aus.
Im Himmel sitzt Gott allein im Regiment, und Gott braucht zum Regieren nicht einmal die Hilfe der Engel, geschweige denn der Teufel.
(Abg. Wieser CDU: Das ist ja unglaublich! Der kennt die himmlische Sphäre genau! – Zuruf des Abg. Fischer SPD)
Gestern haben wir über das Thema Bildungsstandards und damit auch über die Bildungsplanreform diskutiert. Das Thema „Stärkung der Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Schulen“ stand hierbei nicht im Mittelpunkt. Ich habe aber darauf hingewiesen, dass das eigentliche Ziel der Einführung von Bildungsstandards nur durch eine Stärkung – ich wiederhole jetzt Teile der Ausführungen meiner Vorredner – der „Autonomie“ der Schule erreicht werden kann. Wenn Schulqualität dadurch verbessert werden soll – darauf haben Kollege Bayer und Frau Kollegin Rastätter ebenfalls schon hingewiesen –, dass sich die einzelne Schule ihrer Qualität und Leistungsfähigkeit vergewissert und das Ergebnis dieser Evaluation dann mit ihrer eigenen Arbeit rückkoppelt, setzt dies ein hohes Maß an Eigenständigkeit, an Selbstständigkeit – Kollege Traub hat auch darauf hingewiesen – und an eigener Handlungsfähigkeit voraus.
Anders kann es nicht gehen. Ich meine, dass wir uns darüber, Kollege Wieser, auch einig waren und einig sind. In
soweit ist es richtig, dass die Fraktion GRÜNE die Frage der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Schulleben vor diesem Hintergrund thematisiert.
Bei der Entwicklung von Schulprofil und Schulkonzept, bei der Entwicklung des Schulcurriculums, bei der Gestaltung von Stundenplänen und Kontingentstundentafeln, kurz bei allem, was Schule, Schulentwicklung und letztlich auch Schulqualität ausmacht und bestimmt, sind ganz gewiss alle am Schulleben Beteiligten, wie es so schön und auch richtig heißt, gefordert und daher einzubeziehen. Der Hinweis, dass die Schülerinnen und Schüler hierbei nicht vergessen werden dürfen – ich wiederhole es –, ist richtig.
Viel mehr kann ich dem Antrag der Grünen allerdings beim besten Willen und auch nach mehrmaliger Lektüre nicht entnehmen. Sie fordern neue Beteiligungsformen.