Protocol of the Session on May 5, 2004

Das Wort erteile ich dem Minister für Umwelt und Verkehr Müller.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es hier schon mit einem ganz gravierenden Thema zu tun. Die Million Jahre sind ein Beleg dafür. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen muss, Kollege Dr. Witzel, ist nicht, dass der Einstieg in die Lösung des Problems darin bestehe, aus der Kernkraft auszusteigen. Wir haben die Abfälle, ob wir sie nun wollen oder nicht.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Dann muss man die aber nicht noch steigern! – Abg. Dr. Wit- zel GRÜNE: Es kommt auf die Menge an!)

(Minister Müller)

Das Problem muss man so oder so lösen, und es ist ein völlig unmaßgeblicher Unterschied, ob ich die Menge X oder die Menge Y habe. Ich muss das Problem für die heute vorhandene Menge lösen.

Das Land Baden-Württemberg ist von diesem Problem, was mit den atomaren Abfällen geschieht, in besonderem Maße betroffen, und zwar erstens, weil wir fünf Kernkraftwerke haben und deswegen das Problem der Zwischenlagerung entsteht, zu dem ich gleich noch etwas sagen werde, und zweitens, weil wir 60 % aller schwach- und mittelradioaktiven Abfälle in Karlsruhe unter Umständen gelagert haben, die vom Vorhandensein eines Endlagers ausgegangen sind. Das ganze Handling dort, der ganze technische und personelle Aufwand, der betrieben werden muss, ist natürlich ein anderer, wenn ich die Endlagerfrage auf die lange Bank schiebe, als wenn ich sie unverzüglich löse.

Deswegen haben wir ein Interesse daran, dass das Thema „atomares Endlager“ in Deutschland richtig und schnell gelöst wird. Genau an diesen beiden Punkten – richtig und schnell – setzt unsere Kritik an der Strategie des Bundes an.

Die Strategie des Bundes ist mit wenigen Worten zu charakterisieren: Das beginnt mit dem grundsätzlichen Zweifel an Gorleben. Wer die politische Geschichte der heute in der Bundesregierung handelnden Personen und auch ihre geografische Herkunft kennt und weiß, welchen Stellenwert der Kampf gegen Gorleben für die Identitätsfindung der Grünen hat, der kann das ja verstehen. Aber mit Verantwortung hat dies nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Nehmen Sie doch einmal die Bürger ernst!)

Übrigens – Sie werden es kaum glauben – ist der Gemeinderat von Gorleben dafür, dass dort weiter untersucht wird.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Der Gemeinderat von Gorleben ist ein bisschen vernünftiger als Herr Trittin.

Zweitens: Man hat eine Konsequenz gezogen, die eigentlich immer falsch ist. Man will nämlich ein Moratorium machen. Ein Moratorium heißt: Jetzt machen wir mal gar nichts. Wenn ich Zweifel habe, dann soll ich die Zweifel klären. Aber ich sollte sie nicht durch Schieben auf die lange Bank der nächsten Regierung überlassen.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Es wird ja nicht auf die lange Bank geschoben!)

Aber gewaltig.

Drittens: Die Bundesregierung hat sich als einzige Regierung auf der Welt etwas vorgenommen, was geologisch und unter Sicherheitsgesichtspunkten objektiv falsch ist. Sie versucht nämlich, ein einziges Endlager einerseits für schwach- und mittelradioaktive und andererseits für hochradioaktive Abfälle zu finden. Dies ist deswegen falsch, weil bei dem einen Lager andere Kriterien gelten als bei dem anderen. Wenn ich einen Standort suche, der beiden Aspekten Rechnung tragen soll, dann erschwere ich die Suche nach dem richtigen Standort, zumal sich für beides be

reits eine Lösung abgezeichnet hat. Wir steigen aus einer potenziellen Lösung aus, formulieren das Problem so, dass es fast nicht mehr lösbar ist – wie gesagt, verlangt kein Land auf der Welt dieses Endlagerkonzept –, und wundern uns anschließend, wenn wir das Problem nicht lösen können.

Als nächsten Schritt der Bundesregierung gibt es im Übrigen in ihrem an sich klug durchdachten Konzept – – Das muss ich sagen; es ist nur verantwortungslos.

(Abg. Knapp SPD: Also, ein kluges Konzept kann doch nicht verantwortungslos sein! – Abg. Dr. Wit- zel GRÜNE: Klug durchdachtes Konzept, sagen Sie!)

Aber es ist unter zwei Gesichtspunkten klug. Ich sage gleich, unter welchen Gesichtspunkten es aus Ihrer Sicht, aber nur aus Ihrer Sicht, politisch klug ist.

Das Nächste ist dann, dass sie dieses Gremium AK End zur Suche eines neuen Endlagers installiert haben, dabei Vorgaben gemacht haben, und dass mittlerweile Ergebnisse vorliegen, bei denen man nur sagen kann: „Wenn ich ein Problem nicht lösen will, dann muss ich es genau so machen, wie es bei AK End geschehen ist.“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Im Übrigen haben sie dann gesagt: „Wiederaufarbeitungsstopp ab 2005, Transportstopp, keine Castoren mehr auf den Schienen unterwegs und deswegen regionale Zwischenlager“. Die Bevölkerung an den Standorten in Baden-Württemberg und anderen Ländern fragt sich natürlich schon, wie eigentlich die Frage nach einem Zwischenlager zu beantworten ist, wenn die Endlagerfrage erkennbar in den Bereich der Unlösbarkeit katapultiert wird: „Sind wir möglicherweise das verkappte Endlager?“

Das greift die Frage der Frau Kollegin Gurr-Hirsch auf. Wenn etwas in Neckarwestheim, in Philippsburg und in Obrigheim unter sehr viel schlichteren Lagerumständen zumutbar ist, warum ist es dann nicht in einem Salzstock in 800 Meter Tiefe und mit einer Mächtigkeit von mehreren – –

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Weil ein Zwischenlager etwas anderes ist als ein Endlager!)

Ja, ja. Ich spreche von der Zumutbarkeit.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: 40 Jahre und eine Milli- on Jahre sind etwas Verschiedenes! Bleiben Sie doch einmal bei der Sache! – Zuruf der Abg. Re- gina Schmidt-Kühner SPD)

Jawohl. Deswegen haben wir auch einen Unterschied bei den Anforderungen. Ich spreche über die Sicht der Bevölkerung. Sie müssen mir genau zuhören und brauchen sich nicht sonderlich zu alterieren. Sie werden noch andere Gelegenheiten zum Alterieren bekommen, wenn ich Ihnen noch ein paar Sachen sage. Ich spreche aus der Sicht der Bevölkerung, die sich fragt: „Was wird uns zugetraut, wenn die eigentliche Lösung“ – die natürlich kommen muss – „offensichtlich gar nicht erstrebt wird?“

(Minister Müller)

Die Motive von Rot-Grün – jetzt komme ich darauf, warum ich sage, dass es aus Ihrer Sicht politisch klug ist – sind zwei bis drei Dinge. Das eine habe ich schon gesagt. Das ist schlicht die Geschichte der handelnden Personen. Herr Trittin ist ein Niedersachse. Er ist im Kampf gegen Gorleben groß geworden. Nachdem er jetzt Bundesumweltminister ist, ist nicht davon auszugehen, dass er im Amt propagiert, was er als Mensch einmal auf der Straße bekämpft hat. Das ist ein bisschen viel von ihm verlangt. Das sei ihm ja zugestanden. Er wird jedoch objektiv seiner Aufgabe nicht gerecht.

Ein weiteres Motiv ist die Einstellung: „Nicht in unserer Regierungszeit.“ Sie wissen, dass Ihre Regierungszeit begrenzt ist.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das ist in der Demokratie so! Jede Regierungszeit ist begrenzt! – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Sie wollen alles dazu beitragen, dass Sie keine notwendigen, harten und unpopulären Entscheidungen treffen müssen, solange Sie in der Verantwortung sind. Das betrachte ich als verantwortungslos. Ganz einfach.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Wir wollen bis mindes- tens 2020 in Gorleben bleiben!)

Ja, ja, aber nicht bis 2040, denn bis dahin wollen Sie dann die Lösung gebracht haben.

Drittens: Sie brauchen das Problem der ungelösten Endlagerfrage, um sagen zu können, die Atomenergie sei deswegen nicht richtig, weil die Endlagerfrage ungelöst sei. Aber wenn Sie selbst keinen Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten, dann, muss ich sagen, ist das eine in sich widersprüchliche Argumentation, sich an einem Problem festzuhalten, das man lösen könnte, das man aber nicht lösen will, damit man sich an dem Problem festhalten kann.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Aber es gibt weltweit noch kein Endlager, Herr Müller! Das zeigt viel- leicht doch, dass es schwierig ist, eines zu finden!)

Ja, ja. Es gibt weltweit noch kein Endlager. Wir waren in Deutschland aber schon einmal ziemlich weit. Dieser Prozess hat 1979 in einem politischen Konsens mit Zustimmung der Landesregierung von Niedersachsen begonnen. In der Zwischenzeit – jetzt komme ich gleich auf ein paar Details zu sprechen – sind eine ganze Reihe von Tatbeständen geschaffen worden, ist Geld ausgegeben worden, sind Erkenntnisse gewonnen worden, die plötzlich alle nichts mehr wert sein sollen. Das ist genau das Problem. Sie steigen aus der Möglichkeit der Problemlösung aus, damit Sie anschließend über die Unlösbarkeit des Problems Krokodilstränen vergießen können.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Es gab auch die Er- kenntnis, dass Gorleben schwierig ist, dass das nicht alles so ist, wie Sie es darstellen!)

Auf der Basis dessen, was die Internationale Länderkommission Kerntechnik gesagt hat und – das ist schon eine Delikatesse – in Abstimmung mit der Landesregierung von Niedersachsen haben wir eine ganz bestimmte Position, die

ich Ihnen gleich vortragen werde. Es ist nicht so, dass es hier schlicht das Schwarze-Peter-Spiel gibt: Die einen haben die Kernkraftwerke, die anderen müssen die Entsorgung regeln. Ich kann mich noch an die Äußerung von Trittin erinnern: Die Fischköppe – damit meinte er die norddeutschen Bundesländer – sollen offensichtlich aus der Sicht der süddeutschen Bundesländer das Problem übernehmen. Die einen haben die Kernkraft, und die anderen haben das Problem der Endlagerung. In Abstimmung mit der Landesregierung von Niedersachsen knüpfen wir genau an der nationalen Verantwortung und an dem Konsens an, den es vor zwei Jahrzehnten schon einmal gegeben hat, und nennen eine Reihe von Punkten, die ich Ihnen einmal ganz einfach darstellen will.

Erstens: Wir haben keinen grundsätzlichen Zweifel an der Eignung von Gorleben.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das ist der Unterschied zwischen uns! – Abg. Alfred Winkler SPD: Aber Sie haben jahrelang Zweifel an der Eig- nung von Baden-Württemberg als Endlager ge- habt!)

Ja, natürlich, in der Tat. Darüber brauchen Sie sich nicht aufzuregen. Wenn Sie irgendeinen Standort in Baden-Württemberg vorschlagen wollen, dürfen Sie das gerne tun.

(Abg. Alfred Winkler SPD: „Überall, nur nicht hier!“)

Wir haben in der Tat Zweifel an allen Standorten in BadenWürttemberg. Ich kann mich erinnern, dass ein SPD-Landtagsabgeordneter vor einiger Zeit gesagt hat, man müsse sich einmal im Schwarzwald erkundigen, ob es möglicherweise dort einen Standort gibt. Eine interessante Position!

(Abg. Alfred Winkler SPD: Nein! Das ist reine De- magogie, was Sie machen!)

Können Sie da hinten vielleicht einmal mit der Schreierei aufhören.

(Zuruf: Ruhe!)

Wir sind doch nicht bei Ihnen im Wirtshaus.

Wir sagen nicht, Gorleben ist geeignet, weil es weit weg ist von uns, sondern weil es mittlerweile ziemlich gut untersucht ist, weil es von den geologischen Formationen her mit das Beste ist, was es weltweit gibt: ein Salzstock, der seit einer dreistelligen Zahl von Millionen Jahren geologisch stabil ist, der tief liegt, der mächtig ist, also sehr dick ist. Deshalb spricht sehr viel für Gorleben. Die bisherigen Untersuchungen haben keine Zweifel an der Eignung von Gorleben genährt. Wir sind nicht am Ende der Untersuchungen. Man sollte alle Zweifelsfragen, die sich vernünftigerweise aufdrängen, auch klären. Deswegen haben wir nicht gesagt, man könne Gorleben sofort umsetzen, sondern wir haben gesagt, es müsse zu Ende erkundet werden.