Protocol of the Session on May 5, 2004

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Eine weitere, neue Erkundung würde noch einmal denselben Betrag kosten. Die Konzerne haben bereits abgewunken. Ich denke, auch den Stromkunden kann man solche Kosten nicht mehr zumuten.

Die Bundesregierung will ja auch nur Zeit gewinnen und sich drücken. Die Einsetzung des AK End ist – ich zitiere jetzt keine Mitteilung der FDP/DVP, sondern eine Pressemitteilung von Greenpeace – eine „Beruhigungspille für die Bürger“. Weiter steht darin unter anderem:

Wir müssen davon ausgehen, dass diese Bundesregierung nicht in der Lage oder nicht willens ist, ein neues Standortsucheverfahren tatsächlich einzuleiten.

Ich denke, dieser Satz spricht für sich.

(Abg. Knapp SPD: Bei dem Zitat müssen Sie aber weiterlesen! – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Von wann stammt denn das Zitat? Von 2000, oder was?)

Nun ist klar: Es gab einen Atomkonsens. Die Regierung und die Energiewirtschaft wollten sich einfach der unbequemen Atomtransporte entledigen, weil diese immer wieder gestört wurden. Man hat Zwischenlager gebildet und flüchtet sich in einen Endtermin 2030. Das rechtfertigt allerdings überhaupt nicht, die Frage Endlager bis dahin auf Eis zu legen und die Behandlung des Themas auszusetzen. Oder hoffen Sie vielleicht, Frau Kollegin Schmidt-Kühner, dass bis 2010 eine andere Regierung in Berlin arbeitet? Da könnten Sie allerdings Recht haben.

Rot-Grün betreibt in dieser Frage eine Vogel-Strauß-Politik. Aber, meine Damen und Herren, das konsequente Kopfin-den-Sand-Stecken wird bei dieser Problematik nun wirklich nicht weiterhelfen. Gefragt sind ein verantwortungsbewusstes Suchen und Finden und vor allem auch das Durchsetzen einer angemessenen Lösung.

Die Wissenschaft – sowohl national als auch international – sagt eindeutig, dass Gorleben sicher sei. Wenn Sie sich nun hinter das Argument zurückziehen, es müsse eine örtliche Akzeptanz geben, ist auch das eine Bankrotterklärung. Denn wer meint, mit örtlicher Akzeptanz könne man einen solchen Standort durchsetzen, ist sehr realitätsfern. Das sagt auch die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu dem vorliegenden Antrag, wonach „dieses Kriterium die Endlagerfrage mit hoher Wahrscheinlichkeit unlösbar machen“ würde.

(Zuruf des Abg. Knapp SPD)

Ja, aber dann sagen Sie einfach: „Wir machen gar nichts“, oder wie regeln Sie das dann? Das ist doch das Thema.

(Abg. Knapp SPD: Eine Mehrheit ist eindeutig da- für: Wir wollen das Thema nicht mehr!)

Aha, „wir wollen das Thema nicht mehr“. Aber wir haben diese Abfälle. Deswegen müssen wir uns auch dem Thema stellen und müssen es klären.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Knapp SPD: Sie wollen permanent neu produzieren! – Zuruf des Abg. Dr. Witzel GRÜNE)

Die Bundesregierung sollte nicht kneifen, sondern endlich eine Entscheidung treffen. Das wäre ein wesentlicher Sicherheitsgewinn. In der Stellungnahme der Landesregierung wird ja auch deutlich ausgeführt, dass die momentan durch

geführte oberirdische Lagerung zwar technisch sicher durchführbar ist, aber eine deutlich umfangreichere Überwachung erfordert als eine untertägige Lagerung und außerdem zu einer Strahlenbelastung des Überwachungspersonals führt, die bei unterirdischer Lagerung vermieden werden könnte.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Auf einmal doch! – Abg. Knapp SPD: Strahlenbelastung au- ßerhalb des Castors! Seit wann gibt es denn das? – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das legen Sie sich auch so, wie Sie es brauchen!)

Stehen Sie dazu? Ist es Ihre Aussage, dass Sie das bevorzugen?

Noch eine Aussage zu Benken. Auch diese findet sich in der Stellungnahme der Landesregierung. Ich zitiere:

Die Landesregierung ist der Auffassung, dass Benken als Standort, der direkt an der Grenze zu Deutschland liegt, den geowissenschaftlichen und technischen Kriterien genügen müsste, die auch an ein deutsches Endlager zu stellen wären. So gesehen bildet Gorleben einen Maßstab für Benken.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Fried- linde Gurr-Hirsch CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Witzel.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen, meine Herren! Das Thema der Debatte lautet „Endlagerung atomarer Abfälle“. In der Stellungnahme der Landesregierung ist nachzulesen, worum es dabei geht: Es geht darum, den Atommüll für etwa eine Million Jahre sicher vor menschlichem Zugriff abzuschließen. Meine Damen und Herren, Sie haben richtig gehört: „eine Million Jahre“ steht da. Wenn wir bedenken, dass der Beginn der Zivilisation erst vielleicht 5 000 oder 10 000 Jahre zurückliegt und dass wir mit der Atomenergie eine Technik betreiben, bei der wir die Abfälle dieser Technik eine Million Jahre sicher abschließen müssen, dann zeigt das, dass die Nutzung dieser Technik eine Hybris ist

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

und dass es ein Versprechen ins Blaue ist, zu sagen: „Wir haben das Problem im Griff, und wir können die Abfälle eine Million Jahre sicher lagern.“

(Beifall bei den Grünen – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ist gar nichts zu tun denn besser?)

Frau Gurr-Hirsch, es geht nicht nur um eine Zwischenlagerung von 40 Jahren. Das dicke Ende der Atomenergie sind diese eine Million Jahre, in denen wir diese Abfälle unter Kontrolle halten müssen.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Das ist Konsens. Dieses Problem muss man angehen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Na also!)

Wenn man das verantwortlich machen will, gibt es zwei Konsequenzen. Die erste Konsequenz für eine verantwortungsbewusste Strategie ist, Frau Gurr-Hirsch: Wer das Problem lösen will, muss zuerst einmal die Menge begrenzen und sagen: „Wir hören auf damit, Atommüll zu produzieren. Wir steigen aus der Atomenergie aus.“

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Andere Staaten machen das anders!)

Es ist dem Bundesumweltminister zu verdanken, dass dieser erste Schritt in der Bundesrepublik beschritten wurde. Wir fordern andere Staaten auf, diesem Beispiel zu folgen, um dieses Problem, das sich nicht gut, sondern nur mehr oder weniger schlecht lösen lässt, in den Griff zu kriegen. Das ist der erste Schritt.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber es muss gelöst werden! – Gegenruf des Abg. Knapp SPD: Ihr wollt immer noch neu produzieren ohne Lö- sung!)

Zum Zweiten müssen wir sehen: Wenn wir den Atommüll in tiefen geologischen Schichten unterbringen wollen, müssen die geologische Qualität und die geologischen Barrieren höchste Kriterien bei der Standortsuche sein. Derzeit haben wir aber Standorte – das gilt sowohl für Benken als auch für Gorleben –, bei denen die Regierungen gesagt haben: „Wir suchen möglichst an der Grenze, möglichst weit weg von der Bevölkerung Standorte, die möglicherweise passen.“ Dann hat man dort so lange gebuddelt und gesucht und Kriterien entwickelt, dass es möglicherweise irgendwie hinkommt. Aber das ist doch kein korrektes Verfahren. Wir erwarten von einem korrekten Verfahren, dass zuerst einmal die Kriterien für eine Endlagerung auf wissenschaftlicher Ebene genau definiert werden.

Das ist auch das Vorgehen des AK End, in dem alle wissenschaftlichen Richtungen vertreten sind. Da wurde diskutiert, welche Kriterien an ein Endlager anzulegen sind. Es ist in der Tat richtig, logisch und gut, dass man sagt: Wir betrachten einmal eine weiße Landkarte und suchen die gesamte Fläche der Bundesrepublik danach ab, wo diese Kriterien erfüllt sind. Das heißt, es muss eine flächendeckende, wissenschaftlich gut fundierte Suche stattfinden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, und der Zeitplan kann möglicherweise nicht ganz eingehalten werden.

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

In Anbetracht der eine Million Jahre Endlagerung ist das alles irgendwie marginal. Das Bundesumweltministerium geht daher mit dem AK End einen richtigen Weg.

Am Hochrhein, wo sich große Teile der Bevölkerung und auch CDU-Politiker klar gegen das Atomendlager Benken wenden, wird auch so argumentiert. Auch die Schweiz sollte so verfahren: erst Kriterien definieren und dann die Schweiz systematisch danach absuchen und alternative Standorte in die Debatte bringen. Aber die Schweiz macht genau die gleichen Fehler, wie sie in Gorleben gemacht worden sind. Sie beschränkt sich auf einen Standort und buddelt da und schaut, was da möglich ist. Aber die breite Suche fehlt. Das kritisieren auch Ihre Parteikollegen vom

Oberrhein, und Sie stellen sich hier hin und kritisieren den Bundesumweltminister, der eine breite Suche in der Bundesrepublik durchführt. Frau Gurr-Hirsch, das ist ein zwiespältiges Verhalten, das zeigt, dass Sie hier auf Populismus und nicht auf eine Lösung in der Sache aus sind.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU: Haben Sie gesehen, wie weit Gorle- ben ist?)

Frau Gurr-Hirsch, weder Sie noch ich sind Fachleute, die die Qualität eines Salzstocks über die nächsten Millionen Jahre beurteilen könnten. Da müssen Fachleute ran, und die Fachleute haben beim Standort Gorleben erhebliche Zweifel, die noch nicht ausgeräumt sind. Ich sagte eben: Gorleben ist damals, als es noch den Eisernen Vorhang gegeben hat, aus politischen Gründen ausgewählt worden; da hat man bewusst einen Standort möglichst nahe der Grenze gesucht, hat gefragt, ob es nicht dort geht.

Wenn man das Verfahren wirklich – lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen – wissenschaftlich korrekt durchführt – und das muss man angesichts dieser Zeitperspektive machen –, muss man wissenschaftliche Kriterien haben und dann auf hohem fachlichen Niveau alle möglichen Standorte untersuchen, damit man den besten findet, der die Kriterien dann möglicherweise erfüllt.

Deshalb, meine Damen und Herren – meine Zeit geht zu Ende –,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Redezeit! – Heiter- keit der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

darf ich zusammenfassend sagen: Wer das Problem des Atommülls einigermaßen solide und verantwortungsbewusst lösen will, sollte sagen: Die Atomenergie ist nicht zu verantworten; denn sie schafft uns mit dem Atommüll ein Problem, das wir nicht gut lösen können. Wenn wir ein Endlager brauchen, soll wissenschaftlich erwiesene Qualität vorn dranstehen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wir brauchen ein Endlager! Nicht „wenn“!)

Wir müssen alle Standorte untersuchen und dürfen uns nicht aus politischen Gründen auf einzelne Standorte wie Gorleben oder Benken spezialisieren. Wir brauchen vielmehr eine breite Standortsuche. Genau das hat der Bundesumweltminister mit dem AK End gemacht.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich dem Minister für Umwelt und Verkehr Müller.