Meine Damen und Herren, unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Gruß den Vertretern der Konsularischen Korps aus den EUBeitrittsländern Estland und Slowakei, Herrn Honorarkonsul Helmut Aurenz, dem Vertreter der Republik Estland, und Herrn Honorarkonsul Christoph Goeser, der das Konsulat der Slowakischen Republik in Stuttgart leitet.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als am 30. September 1989 der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher zu den Botschaftsflüchtlingen in Prag reisen und ihnen die Genehmigung zur Ausreise bekannt geben konnte, haben nicht nur diese Menschen dort gespürt, dass dies der Anfang vom Ende der sozialistischen Länder in Europa war. Diese Botschaftsflüchtlinge mussten zwar bei ihrer Ausreise durch die damalige DDR hindurchfahren, aber sie wurden von winkenden Menschen verabschiedet, die noch nicht wussten, wie schnell das damalige kommunistische System in sich zusammenbrechen würde.
Meine Damen und Herren, mir kommt dieser historische Moment in der aktuellen Diskussion viel zu kurz. Wenn man kurz zurückblickt, stellt man fest, dass seither immerhin schon wieder 15 Jahre ins Land gegangen sind. Die heute 20-Jährigen waren damals gerade fünf Jahre alt und können mit Sicherheit nicht mehr am eigenen Erleben und Erfahren nachspüren, was damals in Europa passiert ist. In wenigen Jahren werden wir es hoffentlich als völlig selbstverständlich ansehen, nach Osteuropa zu fahren, genauso wie wir heute bei Straßburg über die Grenze zu fahren, ohne an die Auseinandersetzungen unserer Väter- und Großvätergeneration zu denken. Ich hoffe, dass dies in Zukunft auch in Richtung der osteuropäischen Länder so sein wird. Ich denke, dass mit dem Beitritt der zehn mittel- und osteuropäischen Staaten die Grundlage für die Einheit Europas gelegt worden ist und diese Einheit Europas jetzt unumkehrbar wieder hergestellt wird.
Ich empfinde dies als großes Glück, als ein historisches Geschenk, meine Damen und Herren. Ich fordere uns deshalb auf, mit größerer Begeisterung für dieses europäische Einheitswerk einzutreten und die Chancen zu erkennen, die in der Tat darin liegen. Es geht hier um die Schaffung eines gemeinsamen Raumes von Freiheit, Sicherheit und Recht, es geht aber vor allem auch um die dauerhafte Sicherung des Friedens.
Was mir gefällt, wenn man mit Menschen aus diesen Beitrittsländern spricht, mit unseren Freunden aus Polen, aus der Tschechischen Republik, aus der Slowakei, auch aus Ungarn, Slowenien und den anderen Beitrittsländern Estland, Lettland, Litauen, Malta und Zypern, das ist die Jugend, die in diesen Nationen steckt. Es ist der Biss, und es ist der Hunger – der Hunger nicht nur nach wirtschaftlicher Entwicklung, sondern auch der Hunger nach Freiheit, nach Demokratie. Ich denke, davon können wir uns eine Scheibe abschneiden, weil wir doch bei uns ein Stück weit satt geworden sind. Die Jammerei in unserem Land geht einem ja nun wirklich auf den Keks.
Anstatt dass wir die Chancen erkennen, die in uns stecken, anstatt dass wir die Reformen vornehmen, die notwendig sind, jammern wir herum und haben Angst vor dieser Erweiterung.
Anstatt uns an der Slowakischen Republik ein Beispiel zu nehmen, die eine Flat Tax von 19 % einführt, machen wir an unseren Steuern herum, statt eine mutige Steuerreform durchzuführen und zum Beispiel das Steuermodell der FDP umzusetzen, meine Damen und Herren.
Im Vergleich zu dem, was diese Länder zu bewältigen haben, sind die Einschränkungen, die wir unseren Menschen jetzt bei der Reform der Kranken- und Rentenversicherung zumuten, doch Kleinigkeiten. Ich denke, Europa kann genauso wenig Allheilmittel sein, wie es zum Sündenbock gemacht werden kann. Wir müssen zunächst einmal unsere eigenen Aufgaben in der Bundesrepublik Deutschland machen. Das hat die FDP ja auch immer gefordert.
Wir begrüßen die neuen Partnerländer in der Europäischen Union. Wir sehen große Chancen für Europa. Wir sehen aber auch große Chancen für Baden-Württemberg. Gerade unsere Automobil-, unsere Maschinenbau- und unsere Pharmaindustrie werden von dieser Erweiterung der Märkte profitieren.
Meine Damen und Herren, ich fordere uns alle auf, Schluss mit den Lebenslügen zu machen. Hören wir doch endlich auf, so zu tun, als ob Europa an allem schuld wäre. Es könnte zwar sein, dass, wenn wir nicht in der EU wären und selbst über die Agrarpolitik entscheiden würden, in diesem Bereich manches besser gemacht würde. Aber grundsätzlich würde nicht alles anders sein, meine Damen und Herren. Denn auch dann müsste unsere exportorientierte badenwürttembergische Industrie Märkte suchen und Märkte erschließen. Genau deshalb wurde ja die Europäische Union gegründet und wurde der gemeinsame europäische Binnenmarkt geschaffen, meine Damen und Herren. Deshalb sollten wir auch ehrlich auf die Menschen in unserem Land zugehen und die Verantwortung in den Diskussionen nicht einfach abschieben nach dem Motto „Das haben halt wieder die Bösen in Brüssel entschieden“. Denn bei diesen angeblich Bösen in Brüssel sind ja auch unsere eigenen Kollegen aus Deutschland immer mit dabei, meine Damen und Herren.
Ich fordere namens der FDP/DVP, die Chance zu nutzen, unseren eigenen Föderalismus zu beleben. Das ist hier im eigenen Haus auch Konsens. Wir können in Deutschland vieles tun. Ich hoffe, dass wir die gemeinsame europäische Verfassung auf den Weg bringen. Ich glaube und bin mehr denn je davon überzeugt, dass es richtig wäre, diese Verfassung auch einer Volksabstimmung zu unterziehen, weil das die einmalige Chance bieten würde, intensiv mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes ins Gespräch darüber zu kommen, welche Vorteile die gemeinsame Union, die Europäische Union für uns alle bietet.
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Kretsch- mann GRÜNE – Abg. Hauk CDU: Sie haben ja vielleicht sonst keine Gelegenheit!)
Meine Damen und Herren, ich darf jetzt ganz herzlich auch noch Herrn Konsul Andrzej Osiak vom Generalkonsulat der Republik Polen mit Sitz in München begrüßen. Herzlich willkommen bei uns!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Erweiterung der Europäischen Union ist ein historisches und epochales Ereignis, und darüber sollten wir uns einfach freuen.
Wenn es in der Bevölkerung Ängste gibt, ist die Frage, ob man ihr diese Ängste nimmt oder ob man sie verstärkt, Frau Kollegin Gräßle. Ich möchte versuchen, ihr die Ängste zu nehmen.
Die europäische Teilung ist überwunden. Wir leben damit in einer Friedensgemeinschaft. Zehn Staaten haben sich in kurzer Zeit von Diktaturen zu lebendigen Demokratien entwickelt, in denen die Menschenrechte geachtet werden und in denen ein Rechtsstaat aufgebaut wurde. Darüber kann man sich doch nur ungeteilt freuen. Niemand hätte sich das vor 15 Jahren überhaupt träumen lassen. Wir haben heute dort marktwirtschaftliche Ökonomien. Die dortige Bevölkerung kann auf Wohlstand und Prosperität hoffen.
Wir haben in diesen neuen Mitgliedsstaaten aber auch eine sich entwickelnde Zivilgesellschaft. Wir können dies heute sehen, wenn uns junge Menschen aus diesen Ländern besuchen, wenn wir feststellen, mit welchem Optimismus und mit welcher Euphorie sie an dieses europäische Projekt glauben. Wir hatten bei uns in der Fraktion und im Landesvorstand solch junge Menschen aus Slowenien. Es war ein Vergnügen und hat einem im Herzen gut getan, zu sehen, mit welcher Aufbruchstimmung diese Länder nach Europa gehen. Die neuen Länder haben durch ihre Beitrittsfähigkeit in allen wesentlichen Teilen das Gemeinschaftsrecht erfüllt und sind damit in die Gemeinschaft der Rechtsstaaten gerückt.
Ich möchte einmal – was sollte ein Grüner anderes tun? – am Beispiel der Ökologie sagen, was sich eigentlich schon geändert hat. Wir haben auf diesem Gebiet einen Nachhaltigkeitsschub von unglaublicher Wirkung gehabt. Wir erinnern uns an die massive Umweltzerstörung in den ehemaligen Ostblockstaaten. Es hat uns mit großer Sorge erfüllt, dass die Flüsse reine Kloaken und die Industriegebiete so verpestet waren, dass die Leute dort nicht mehr leben konnten. Inzwischen sind 60 bis 80 % der Luftschadstoffe, 50 % der toxischen Metalle sowie 80 % der Schadstoffe im Wasser eliminiert. Das sind doch wirklich hervorragende Botschaften.
Die neuen Beitrittsländer werden noch 50 bis 80 Milliarden € in ihre Infrastruktur im Umweltbereich investieren müssen. Das ist für diese Länder eine unglaubliche Chance, aber auch für unsere Wirtschaft, die dort mit ihren innovativen Umwelttechnologien aufwarten kann und einen Markt ungeahnten Ausmaßes vor sich hat.
Die Angst vor den Problemen, die jetzt allenthalben vor allem durch Beiträge von Unionspolitikern in den Vordergrund rücken, die Angst vor einer Zuwanderungswelle und davor, dass hier Arbeitsplätze en masse und ganze Betriebe in diese Länder verlagert werden,
Alle Experten sagen uns, dass die Rate der aus diesen Ländern zu erwartenden Zuwanderung maximal 1 % beträgt. Das sind – bei einer EU-Bevölkerung von 450 Millionen – 200 000 Menschen; das sind junge Menschen mit Hochschulausbildung. Wenn sie hier herkommen, kann man sich nur freuen.
Diese jungen Menschen werden hier unternehmerisch tätig sein. Einige werden zurückgehen und in ihren Heimatländern Betriebe aufbauen. Davor braucht man überhaupt keine Angst zu haben.
Wir exportieren schon heute mehr in die EU-Beitrittsstaaten als in die USA, ein traditionelles Zielland für unsere Exporte. Welche Ängste soll man da eigentlich haben? Das ist doch d i e Chance für unsere Wirtschaft. Wenn wir bei den Betriebsverlagerungen genau hinschauen, stellen wir fest, dass bis zu 30 % – das steht ja in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage – wieder nach Deutschland zurückkommen, weil hier die Infrastrukturen natürlich immer noch besser sind.
Das heißt für uns: Wir müssen uns mehr anstrengen, mehr in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren. Dann
brauchen wir vor diesen Herausforderungen keine Angst zu haben. Wir werden sie vielmehr annehmen. Der Reformdruck, der dadurch entsteht, wird uns allen hier nur gut tun; ihn möchten wir überhaupt nicht missen. Wir können diese Herausforderungen wirklich gelassen annehmen, weil die Vorteile gegenüber den Risiken bei weitem überwiegen.
Lassen Sie mich nur so viel sagen: Wir hatten nach dem Krieg das Wunder vom Rhein, als sich Frankreich und Deutschland versöhnt haben. Das hat mit den Grundstein für die europäische Einigung gelegt. Wir hatten vor 15 Jahren das Wunder an der Oder. Da wurde der Grundstein für ein großes, demokratisches, friedliches Europa gelegt.
Auch das Wunder vom Bosporus ist möglich. Auch diese Chance sollten wir beim Schopf ergreifen. Wir sollten der Türkei eine Beitrittsperspektive eröffnen, wenn sie die Menschenrechtskriterien erfüllt, wenn sie die demokratischen und die wirtschaftlichen Kriterien erfüllt. Denn eine solche Beitrittsperspektive wird diejenigen Kräfte in der Türkei stärken, die dort die Reformen für Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie entschlossen angehen. Wir sollten ihnen die begründete Hoffnung machen, dass sie dann, wenn sie die Idee weiterverfolgen, sich in die europäische Freiheitsgeschichte einzureihen, in dem Europa der Demokratie, der Menschenrechte und des Wohlstands herzlich willkommen sind.