Protocol of the Session on March 10, 2004

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Scheffold.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche hatte ich in meinem Wahlkreis Gespräche mit zwei Unternehmern. Der eine hat mir davon berichtet, dass er jetzt einen Teil seiner Produktion, den lohnintensiven Teil seines Unternehmens, in die Slowakei verlagert, verlagern muss, weil er, wie er sagt, das hohe Lohnniveau in Deutschland nicht mehr dauerhaft verkraften kann. Im Augenblick funktioniert das vielleicht noch, aber um sein Unternehmen zu sichern, muss er diesen Schritt jetzt tun. Er hat das ergänzend mit der Aussage untermauert, in der Slowakei gelte ein einheitlicher Steuersatz von 18 %, was die Investition begünstige.

Der zweite Unternehmer hat mir wörtlich erklärt, für ihn sei der Industriestandort Deutschland eigentlich tot.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehe ich eigentlich die von Ihnen, Herr Kollege Drexler, angeregte Debatte, die wir heute führen, nicht so ganz.

(Abg. Drexler SPD: Das verstehe ich!)

Das Steuerkonzept sei unsozial und nicht finanzierbar, haben Sie gesagt. Herr Kollege Drexler, das Unsozialste in unserem Land ist, dass wir 5 Millionen Arbeitslose haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun!)

Das Unsozialste ist, dass wir eine Arbeitsmarkt- und Sozialordnung haben, die die Arbeitslosigkeit ständig begünstigt, weil ständig mittelständische Unternehmen aufgeben, weil ständig die Großindustrie ihre Produktion in andere Länder verlagern muss und wir deshalb ständig neue Arbeitslose dazubekommen. Das ist unsozial.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe der Abg. Fischer SPD und Walter GRÜNE)

Der neue Kandidat von CDU/CSU und FDP für das Amt des Bundespräsidenten, Horst Köhler, hat dieser Tage berechtigterweise gesagt, er unterstütze die Agenda 2010 und halte sie für richtig. Das war der erste Satz. Aber der zweite Satz war der wichtigere. Er sagte, dass diese Reform nicht weit genug gehe und dass wir weitere Reformen, auch eine Steuerreform, brauchten.

(Abg. Drexler SPD: Das hat er nicht gesagt! – Ge- genruf von der CDU: Das hast du nicht gelesen!)

Sie können nun einwenden, bis zum Jahr 1998 hätten CDU/ CSU und FDP auch nicht alle Reformen umgesetzt, die notwendig gewesen wären. Aber wir haben Reformen umgesetzt. Das Problem, an dem Deutschland derzeit krankt, ist, dass Sie diese Reformen nach 1998 allesamt zurückgenommen haben,

(Abg. Drexler SPD: Welche allesamt?)

ob das bei der Rente ist, ob das bei der Gesundheit ist. Auch für eine Steuerreform haben wir die Petersberger Beschlüsse im Bundestag verabschiedet. Sie wurden damals unter Ihrer Ägide vom Bundesrat zurückgewiesen. Das ist das Problem von Deutschland.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sachverständigenrat, also nicht die FDP oder die CDU, redet davon, dass wir eine „Chaotisierung des Steuerrechts“ haben. 80 % der Steuerrechtsliteratur der Welt befinden sich in Deutschland.

(Abg. Stickelberger SPD: Das war vorher schon so!)

Das zeigt den Missstand auf. Sie machen mit der Steuerpolitik Wirtschaftspolitik. Das ist Flickschusterei! Sie versuchen, Haushaltslöcher zu stopfen, aber Sie vereinfachen

nicht das Steuerrecht. Wir haben kein für die Bürger transparentes Steuerrecht, ein Steuerrecht, das die Bürger verstehen, das die ausländischen und inländischen Investoren verstehen. Eine Aufgabe der Zeit wäre es, ein Steuerreformkonzept aus einem Guss zu schneidern, von dem alle profitieren würden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD selbst hat es ursprünglich auch so gesehen: im Jahr 2000 in den finanzpolitischen Leitplanken. Ich zitiere aus dem Sachverständigengutachten. Darin heißt es zu den finanzpolitischen Leitplanken der SPD, es gebe zwei Ziele: Erstens: Schuldenabbau. Dazu kann ich bis zum heutigen Tag nicht feststellen, dass die Bundesrepublik Schulden abgebaut hat.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP – Abg. Drex- ler SPD: Wir sagen nachher etwas zum Schulden- abbau! – Abg. Schmiedel SPD: Wir sind in Baden- Württemberg! – Abg. Schmid SPD: Wer im Glas- haus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen! – Weitere Zurufe)

Das zweite Ziel war die Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch ein tragfähiges und gerechtes Steuer- und Abgabensystem.

(Abg. Drexler SPD: Das haben wir doch gemacht!)

Jetzt frage ich Sie, wie wir damit vorangekommen sind. Der Sachverständigenrat sagt selbst – jetzt zitiere ich wieder den Sachverständigenrat – einen Satz weiter: „Von diesem Steuersystem sind wir meilenweit entfernt.“

(Abg. Drexler SPD: Kirchhof haben Sie doch selbst abgelehnt!)

Das ist die Situation, der wir uns heute stellen müssen. Deswegen ist es völlig berechtigt, zu versuchen, mithilfe von Sachverständigen ein transparentes und neues Steuersystem zustande zu bringen.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf auch Herrn Eichel zitieren.

(Abg. Drexler SPD: Zitieren Sie doch mal Herrn Kirchhof!)

Eichel sagt: „Deutschland fällt im Steuerwettlauf zurück.“ Bundesamt für Finanzen: „Kein Land in Europa belastet die Gewinne stärker.“

(Abg. Drexler SPD: Wann war denn das?)

Meine Damen und Herren, es ist doch die Aufgabe der Regierung, ein neues Steuerkonzept zu entwickeln.

(Abg. Drexler SPD: Wir haben doch eines!)

Es ist doch eines zu entwickeln, das besser ist und uns im Wettlauf mit den anderen Ländern nicht ständig zurückwirft.

(Abg. Birzele SPD: Sie haben doch eine weitere Senkung abgelehnt! – Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang darf ich Ihnen auch noch sagen, dass es das Gerücht gab, die SPD in Berlin plane einen neuen, großen Gesetzentwurf zum Steuerrecht.

(Abg. Drexler SPD: Haben Sie die „Bild“-Zeitung gelesen, oder was?)

Ich zitiere die „Welt“ vom 31. Januar 2004

(Abg. Schmiedel SPD: Sagen Sie doch einmal et- was zu Kirchhof!)

hören Sie doch wenigstens zu! –:

Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte dazu, richtig sei lediglich, dass die Bundesregierung „an einer Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen“ arbeitet. Dies sei jedoch seit langem bekannt. „Darüber hinausgehende Pläne, Konzepte oder Initiativen gibt es nicht und sind auch nicht geplant“, sagte der Sprecher.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kranken daran, dass die Regierung nicht in der Lage ist und nicht einmal willens ist, ein neues Steuerkonzept auf den Weg zu bringen.

(Abg. Drexler SPD: Sprechen Sie doch zum The- ma!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Birzele SPD: Thema verfehlt! Thema glatt verfehlt! Kein Wort zu Teu- fel! – Abg. Carla Bregenzer SPD: So eine Feigheit! – Abg. Stickelberger SPD: Distanziert sich von Teufel!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was ist eigentlich sozial, und was ist eigentlich gerecht?

(Abg. Drexler SPD: Sehr gut! – Abg. Stickelberger SPD: Das fragt der Richtige!)

Meine Damen und Herren, das ist doch die entscheidende Frage, über die wir uns einmal Gedanken machen müssen. Das Ziel eines Steuersystems haben wir doch schon völlig aus den Augen verloren: Es müssen gewisse Staatsausgaben durch die Bürgerinnen und Bürger finanziert werden, die dabei nicht überbelastet werden dürfen. Es ist doch völlig klar, dass nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip besteuert werden soll. Das heißt, dass das Existenzminimum steuerfrei sein soll und dass dann derjenige, der mehr verdient, auch ein bisschen mehr Steuern bezahlt.