Protocol of the Session on June 28, 2001

Sie wollten die Budgetierung abschaffen und haben dazu eine Bundesratsinitiative eingebracht. Interessanterweise haben Sie genau das vorgeschlagen, was Frau Ministerin Schmidt in Berlin jetzt realisiert, um der Ärzteschaft ein Stück weit entgegenzukommen, nämlich die Abschaffung der Arznei- und Heilmittelbudgets und die Einführung einer modifizierten Form von budgetablösenden Richtgrößen.

Ich meine, im Nachhinein scheint es sich vielleicht in der Tat als Fehler herauszustellen. Allein die Ankündigung der Abschaffung der so genannten Kollektivhaftung hat die Ausgaben unkontrolliert in die Höhe schnellen lassen.

(Abg. Walter GRÜNE: So ist es!)

Im März waren es bereits zusätzlich 9,5 %, und im April lag die Ausgabenerhöhung bei verschiedenen Kassen schon bei 15 %. Eine Kasse in Mecklenburg-Vorpommern hat sogar einen Anstieg von 18 % zu verzeichnen. Der Kommentar eines Vertreters dieser Kasse gegenüber der Presse spricht für mich Bände: Die Region hat bereits die höchsten Ausgaben, und dies ist überhaupt nicht zu vermitteln, denn die Leute in dieser Region sind ja nicht kränker als die Bevölkerung anderswo.

Hier bestätigt sich für mich das, was uns viele Fachleute schon im Vorfeld immer gesagt haben: Wer den Pharmamarkt dem freien Spiel der Kräfte überlässt, erhöht zwar

die Gewinne der Arzneimittelhersteller, sorgt aber nicht für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Versorgung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Gerade das ist es doch, was uns allen, die wir in der Gesundheitspolitik engagiert sind, eigentlich das Wichtigste sein sollte. Ein stärkeres Kosten- und Qualitätsbewusstsein ist notwendiger denn je, auch wenn man sich einmal die europäischen und internationalen Studien anschaut, die uns vorhalten, dass wir immens hohe Ausgaben haben, bei der Versorgungslage aber nur mittelmäßig sind.

Wir Grünen hatten ganz konkrete Zielvorgaben und Vorstellungen, wie wir das Gesundheitssystem reformieren sollten. Das sind zwei Punkte: erstens die Kostenexplosion durch Reduzierung vermeidbarer Kosten zu stoppen und zweitens für das ausgegebene Geld mehr Qualität zu erzielen. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Das kann nicht heißen: „Mehr Geld ins System und weiter so!“, und es kann meines Erachtens auch nicht ein Einstieg in ein anderes System, ein Systemwechsel zu einem System von Grund- und Wahlleistungen sein,

(Zuruf von der CDU: Was heißt das jetzt?)

wie es zumindest Herr Sozialminister Repnik anscheinend favorisiert und wie es auch das Thema der heutigen Diskussion suggeriert: „Gesundheitspolitik am Scheideweg“.

Wir sind sehr gerne bereit, mit Ihnen zu diskutieren. Wir sind auch sehr gerne bereit, mit Ihnen über Überflüssiges und Unwirtschaftliches im Gesundheitswesen zu diskutieren. Aber wir sagen nach wie vor: Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir sind gegen einen Einstieg in Grund- und Wahlleistungen und halten an unserem solidarischen Gesundheitswesen fest.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hoffmann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst will ich auf Frau Haußmanns Ausführungen eingehen.

Frau Haußmann, Sie haben gesagt, Sie wollten eine Beitragssatzstabilität erreichen, und haben Zahlen über Beitragssatzprozentpunkte angeführt, die nicht aus der aktuellen Diskussion stammen. Zurzeit haben wir einen Beitragssatz von 12,9 %. Wie auch Herr Sing von der AOK richtig bemerkt hat, wird der allgemeine Beitragsbedarfssatz dank der jetzigen Nichtaktivität der Bundesregierung auf über 14 % ansteigen. Sie sagen gleichzeitig, Sie hätten die Beitragssätze schon in einer bestimmten Situation übernommen. Wir hatten die deutsche Einheit. Wir haben die deutsche Einheit auch im Gesundheitswesen finanziert. Das wissen Sie ganz genau. Als wir die Verantwortung für das Gesundheitswesen an Sie übergeben haben, gab es da ein Plus von 2,2 Milliarden DM; das ist bereits mehrmals gesagt worden.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Sie haben es geschafft, in drei Jahren 2,2 Milliarden DM auszugeben. In der Zwischenzeit gab es keine neue Einheit mit irgendeinem anderen Staat. Wir haben kein Konzept von Ihnen gehört. Sie haben nicht gesagt, was Sie vorhaben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sage ich Ihnen gleich! – Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihr Konzept?)

Jetzt etwas zu den Inhalten. Wir haben gestern eine neue Gesetzesvorlage der Bundesregierung gesehen. Wir wollen ja hier über Baden-Württemberg sprechen. Wir sind hier im baden-württembergischen Landtag und nicht im Bundestag. Was bedeutet dieser Gesetzentwurf für BadenWürttemberg? Es gibt zwei zentrale Dinge in Ihrem Gesetzentwurf, über die wir durchaus einmal reden können.

Der eine Punkt ist die Einführung eines Risikopools für Krankheitskosten ab 40 000 DM, was bedeutet, dass eine Region wie Baden-Württemberg, die in den letzten Jahren in der Gesundheitspolitik sehr kostengünstig gewirtschaftet und verhandelt hat, verschlechtert dasteht gegenüber Regionen, wo die Preise höher sind und wo die Verhandlungsergebnisse nicht so gut sind.

(Abg. Kiefl CDU: Jawohl!)

Das heißt, Baden-Württemberg hat durch die Einführung dieses Risikopools schon wieder einen erheblichen Nachteil zu erwarten. Das trifft nicht die Bundesregierung, sondern das trifft dann die einzelnen Beitragszahler hier bei uns.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Zweite, was Sie einführen, ist die Konzentration auf die Volkskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes. Hier sollen Sonderprogramme laufen. Dem Grunde nach ist das ein richtiger Weg. Dabei haben Sie aber zwei große Problembereiche übersehen. Die Sache hat zwei bedeutsame Strickfehler auch für Baden-Württemberg. Wir bekommen einen neuen Finanztransfer unterhalb des Risikostrukturausgleichs für diese Maßnahmen, und die ganzen Angebote können erst 2003 beginnen. Der Risikostrukturausgleich, den Sie korrigieren, wird seine Wirkung erst 2006 entfalten. Jetzt frage ich Sie: Was haben die Kassen, die Patienten und die Beitragszahler in Baden-Württemberg davon, wenn sich Ihre Konzepte erst so spät in der Zukunft auswirken? Jetzt werden die Beiträge erhöht, jetzt werden die Lohnnebenkosten erhöht, und jetzt fallen bei den Familien die ersten sieben Monate der Kindergeldnachzahlungen weg. Das ist Fakt im Moment.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Abg. Kiefl CDU: Jawohl! So ist es!)

Sie haben Seehofer angesprochen. Seehofer hatte eine Gesundheitsreform gemacht, die Sie im Januar 1999 außer Kraft gesetzt haben.

(Abg. Kiefl CDU: So ist es!)

Dort waren strukturelle Maßnahmen enthalten. Sie haben dann – eine Bemerkung an Frau Lösch – durch Frau Fi

scher, die einmal Gesundheitsministerin war, eine Regelung eingeführt, die auch schon chronisch Kranke beachten sollte. Diese Regelung – das können Sie in § 140 des Sozialgesetzbuchs V, integrierte Versorgung, nachlesen – sah die Verzahnung von ambulant und stationär vor. Was ist passiert? Diese Regelung, 1999 in Kraft getreten, ist so schlecht ausgearbeitet und so undurchsichtig, dass bis heute, 2001, nicht ein einziger Vertrag nach der integrierten Versorgung abgeschlossen worden ist.

(Abg. Kiefl CDU: Hört, hört!)

Ich befürchte, dass genau das gleiche Schicksal diese neuen Strukturvorschläge für Ihre jetzt geplanten Volkskrankheitsbekämpfungsmaßnahmen ereilen wird, weil die Gesetzesvorlage schon wieder überreguliert. Wir brauchen nicht eine Regulierung im Detail; wir brauchen eine größere Liberalität im Gesundheitswesen. Wir müssen mehr Möglichkeiten haben, individuellere Verträge zu schließen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig! – Abg. Hauk CDU: Mehr Freiheit!)

Was Sie vorhin vergessen haben zu sagen, ist: Der Risikostrukturausgleich wird nicht beklagt um des Beklagens willen, sondern es geht um die ungerechte Behandlung der einzelnen Länder untereinander.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Frau Haußmann, Sie haben vorhin alte Zitate gebracht. Ich möchte Ihnen ein neues entgegenhalten, und zwar von der Innungskrankenkasse Baden-Württemberg, eine Presseerklärung des Verwaltungsrats, die folgende drei Bemerkungen enthält:

Erstens: Die Selbstverwaltung der Innungskrankenkasse ist es leid, auch in Zukunft politische Fehlentscheidungen auszubaden.

Zweite Bemerkung: Der gesetzlichen Krankenversicherung droht der finanzielle Kollaps. Die Innungskrankenkasse alleine zahlt rund 44 Millionen DM in den Risikostrukturausgleich.

Die dritte Bemerkung finde ich sehr beachtlich: Die Innungskrankenkasse Baden-Württemberg fordert die Bundesregierung auf, „wahrheitsgemäß zu verkünden, dass die Beiträge auch in den nächsten Jahren steigen werden.“

Das ist ein ganz aktuelles Zitat, nämlich aus einer heutigen Presseerklärung des Verwaltungsrats.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Eine letzte Bemerkung: Man sagt, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer eine Gesundheitsreform aus bundeswahlkampftaktischen Gründen verschiebt, den bestraft leider nicht das Leben. Die verantwortlichen Politiker werden gar nicht bestraft. Bestraft werden die Kranken, die Leistungserbringer und die Beitragszahler auch hier in Baden-Württemberg.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei Abge- ordneten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Haußmann.

(Abg. Sieber CDU: Jetzt wirds schwer! – Unruhe)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich sage noch einmal etwas Grundsätzliches zum Risikostrukturausgleich. Da stimmen wir grundsätzlich mit Ihnen überein und unterstützen Sie auch

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Oh-Rufe von der CDU)

bei der regionalen Komponente. Hier muss wirklich etwas zugunsten der Kassen in Baden-Württemberg getan werden.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Ich habe aber nach der gestrigen Aussprache über die Regierungserklärung den Eindruck, dass Sie diesen Risikostrukturausgleich grundsätzlich infrage stellen. Genau da habe ich meine Probleme,