Protocol of the Session on December 17, 2003

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Heiterkeit des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Wenn einer, der bloß Leberkäse gewöhnt ist, in ein Feinschmeckerlokal geht, wird er die Kost dort nie schätzen. Und jetzt sind wir im Feinschmeckerlokal.

(Heiterkeit des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben es mit zwei ganz unterschiedlichen Themen zu tun. Ich will sie beide in der Reihenfolge abhandeln, in der sie auf der Tagesordnung stehen.

Zunächst zum Thema „Abstufung von Bundesstraßen“: Ich kann der Diagnose von Frau Kollegin Berroth und der Schilderung der Tatbestände und der Umstände nur zustimmen. Sie haben das genau so gesehen, wie wir es auch sehen. Wir haben es zunächst einmal mit einem ganz natürlichen Interessengegensatz zu tun. Der Bund würde gern etwas loswerden – also fiskalisch; das kann ich irgendwie auch nachvollziehen –, und wir haben relativ wenig Lust, die Verantwortung für Bundesstraßen aufs Auge gedrückt zu bekommen, ohne dass eine sachliche Begründung genannt wird und die entsprechenden Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.

Man kann das in der Tat am Beispiel der autobahnparallelen Bundesstraßen sehen. Was heißt autobahnparallel? Sind sie es schon, wenn sie vielleicht einmal zufällig auf eine Entfernung von fünf Kilometern parallel zur Autobahn verlaufen? Die B 14 ist ein wunderschönes Beispiel. Wie ist es beispielsweise bei überfüllten Autobahnen, die dazu führen, dass das sonstige Straßennetz parallel zur Autobahn zusätzlich benutzt wird? Denn da kann ich ja nicht unter Hinweis auf die Existenz der Autobahn anschließend sagen: „Darum herum brauche ich nichts mehr.“ Offensichtlich brauche ich es aber, weil die Autobahnen in einem unzulänglichen Zustand sind.

Im Übrigen stellt sich auch die Frage: Welche Funktion erfüllen die Autobahn auf der einen Seite und die Bundesstraße auf der anderen Seite?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Wir halten es für grob falsch, einfach zu sagen – so, wie das der Bund beim Bundesverkehrswegeplan jetzt tut –, die schiere Parallelität sei ein Grund – also grundsätzlich, das heißt mit ganz wenigen Ausnahmen –, autobahnparallele Bundesstraßen nicht einmal mehr in den Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans zu bringen.

Das Problem wird aber noch gesteigert. Es geht nicht nur um die autobahnparallelen Straßen. Wir haben im Land mehrere Fälle, in denen der Bund schlicht keine Lust – oder kein Geld; sagen wir es einmal so – hat, eine Straße zu bauen,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das ist aber keine Frage von Lust! Machen Sie jetzt vielleicht noch ein Lustseminar?)

und dann, weil er sie nicht bauen will, einfach sagt: Das ist eigentlich sowieso eine Landesstraße.

Ich nenne Ihnen einmal zwei Beispiele: Das eine geht permanent durch die ganze Presse. Das ist die B 312 hier in der Nähe von Stuttgart. Wir verhandeln seit 15 Jahren mit dem Bund über den Ausbau dieser Straße. Dafür fehlt das Geld, und dann sagt der Bund: Ihr habt übrigens seit 15 Jahren mit dem Falschen verhandelt; denn es ist eigentlich eure eigene Straße. Also, von der Klassifizierung her ist es sowieso ganz klar.

Das zweite Beispiel ist jetzt nicht so bekannt; das habe ich gerade vor zwei, drei Tagen in der Post gesehen. Zu Rielasingen-Worblingen sagt der Bund – übermittelt durch einen Brief von Frau Rehbock-Zureich, die örtliche Bundestagsabgeordnete ist, wenn ich es richtig sehe –: „Dort gibt es nicht genügend Verkehr. Die Straße wollen wir nicht mehr. Das Land kann sie bauen.“ Dieser Stil der Verschiebung von Verantwortung, dann, wenn man weder die Lust noch das Geld dazu hat, zu sagen: „Ein anderer ist zuständig“, ist nicht das Kriterium, das man bei der Abwägung, was Sache des Bundes ist oder Sache des Landes, wählen kann.

Dazu kommt noch ein Trick, den der Bund jetzt gerade beim Bundesverkehrswegeplan angewandt hat. Bei der Frage nach dem Nutzen und den Kosten einer bestimmten Straße rechnet er die so genannten regionalen Verkehrsanteile heraus. Das heißt: Da fahren zwar Autos, das sind aber keine Fernverkehrsautos, sondern Nahverkehrsautos – die sollen da eigentlich gar nicht fahren. Deswegen fahren dort de jure sozusagen weniger Autos als de facto. Wenn aber weniger Autos fahren, ist auch der Nutzen geringer, was beim Nutzen-Kosten-Faktor bedeutet, dass die Straße eine schlechte Bewertung bekommt.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Warum soll der Bund denn Nahverkehrsstraßen bauen, wenn da nur Nah- verkehr drauf ist? Was spricht denn dafür?)

Das sind Tricks, meine Damen und Herren, die wir nicht akzeptieren können.

Umgekehrt, will ich Ihnen einmal sagen, könnte man genauso eine Gegenrechnung aufstellen: Auf x Straßen, auf kommunalen Straßen und Landesstraßen findet genug Verkehr nur deswegen statt, weil die Bundesstraßen entweder nicht gebaut oder überlastet sind.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! – Abg. Fi- scher SPD: Oder man muss woanders hinfahren!)

Ich könnte genauso gut eine Gegenrechnung des verdrängten Fernverkehrs aufmachen und könnte sagen: „Lieber Bund, zahle einmal bei den Landesstraßen mit, denn eigentlich wickeln wir deinen Verkehr ab.“ Das könnte man mit der gleichen Berechtigung sagen. Das tun wir nicht.

Was tun wir außerdem nicht?

(Zuruf von der SPD: Straßen bauen!)

Wir sagen zum Beispiel: Es gibt auch den Fall der Aufstufung. Habt ihr euch schon einmal damit befasst? Wir machen beispielsweise seit zehn Jahren daran herum, dass eine

(Minister Müller)

bestimmte Landesstraße, die einen Verkehrsanteil von ungefähr 20 000 Fahrzeugen pro Tag hat – das ist schon für eine Bundesstraße viel; in diesem Fall handelt es sich aber um eine Landesstraße, nämlich, grob gesagt, die zwischen Ludwigsburg und Backnang –, in Gottes Namen einmal aufgestuft werden soll. Der Bund macht es nicht. Jetzt machen wir es halt, indem wir aus Landesstraßenbaumitteln dritte Spuren finanzieren.

Ich sage Ihnen, wie wir umgekehrt versuchen, fair zu sein. Wenn der Aichelbergaufstieg einmal in der Privatfinanzierung fertig gestellt sein wird – der Tunnel usw. –, stellt sich die Frage: Was ist mit der alten Autobahn,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

also mit dem Drackensteiner Hang? Da haben wir dem Bund freiwillig angeboten: Wir übernehmen eine Ex-Autobahn als Landesstraße, weil man da wirklich sagen kann: An dieser Stelle hat der Bund seinen Job erledigt, und dann soll das, was an Straße immer noch in der Landschaft herumliegt, eben unsere Sache sein.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Rückbau wäre noch besser! – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU)

Verstehen Sie: Das ist der Unterschied. Wir haben zum Beispiel bei der B 39 in der Nähe von Walldorf gesagt – und werden es auch bei der B 18 in der Nähe von Wangen, wenn einmal die A 96 fertig ist, sagen –: Okay, da ist jetzt so viel geschehen: wir sind bereit, die Straße entsprechend abzustufen.

Sehen Sie den Unterschied in Fairness und Sachlichkeit im Umgang mit diesem Thema seitens des Bundes auf der einen Seite – der die Dinge schlicht loshaben will – und seitens des Landes auf der anderen Seite, das versucht, sachorientiert vorzugehen?

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wir sind begeistert! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Nein, ich sehe es nicht!)

Wenn es um Spielregeln geht – – Herr Palmer, Sie wissen nicht, was ich meine?

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ich sagte: „Ich sehe es nicht“! Aber wenn Sie meinen!)

Okay.

Ich sage jetzt einmal ganz abstrakt – und dann schließe ich das Thema auch schon ab –, wie die Regeln für die Verteilung zwischen Bund und Land sein sollten, also: Was ist eine Bundesstraße, was eine Landesstraße?

Zunächst einmal muss man schlicht von der heutigen Klassifizierung ausgehen. Da kann man nicht einfach beliebig manipulieren und sich von irgendeiner Straße verabschieden.

Zum Zweiten sollte man von tatsächlichen Verkehrsmengen ausgehen und nicht Verkehrsmengen, die es auf einer Straße gibt, dem jeweils anderen Baulastträger zuweisen.

Zum Dritten muss es ein Geben und Nehmen sein.

Zum Vierten muss es, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, eine Vereinbarung sein und kein Diktat.

Fünftens: Wenn wir übernehmen, dann natürlich mit ausreichenden Finanzmitteln. Dem Gedanken, Herr Palmer, es könnten im Zuge einer Föderalismusreform mehr Ex-Bundesstraßen zu Landesstraßen werden, würde ich gar nicht generell widersprechen. Wir haben den Nahverkehr vom Bund übernommen und haben ihn besser gemacht. Ich traue uns auch zu, dass wir im Fernstraßenbau etwas hinkriegen. Das kann man machen; aber bitte nicht auf der Basis der Istmittel, die im Moment gerade im Bundeshaushalt stehen,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ja, richtig!)

sondern auf der Basis der Mittel, die wir dazu brauchen, um die Aufgabe wirklich wahrnehmen zu können. Genauso ist es beim Nahverkehr gemacht worden. Da haben wir nicht einfach sozusagen den „Schrott“ vom Bund oder von der DB mit den Mitteln von damals bekommen, sondern man hat gesagt: Ihr sollt das haben – Regionalisierung –; ihr kriegt dafür ausreichende Mittel mit einem Zusatzfaktor, damit ihr es besser machen könnt, und einer Dynamisierung. Bei diesen Spielregeln sind wir ohne weiteres bereit, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. So viel zu diesem Punkt.

Zweiter Punkt: Generalverkehrsplan. Da könnte man jetzt natürlich eine ellenlange Debatte anfangen. Ich konzentriere mich einmal im Prinzip auf drei simple Blöcke. Ich will erstens etwas zu dem Thema Landesstraßenbau sagen, zweitens zu einigen – ich formuliere es einmal so – sonstigen Fragen der Verkehrspolitik, also zu Emissionen, Verkehrssicherheit und ähnlichen Fragen, und drittens zu zwei ganz interessanten Entwicklungen beim ÖPNV.

Zum Landesstraßenbau: Es ist richtig, dass wir in den Neunzigerjahren zu wenig Geld für den Landesstraßenbau zur Verfügung gestellt haben. Diesen Fehler haben wir damals nicht begangen, weil wir weniger im Landesstraßenbau tun wollten, sondern deshalb, weil damals schon Sparen angesagt war. Wir haben also damals nicht aus ideologischer Gegnerschaft zum Straßenbau, wie das in anderen Teilen des Hauses gelegentlich üblich war oder auch noch ist, sondern aus schierer Sparnotwendigkeit zu wenig Mittel gehabt. Jetzt haben wir während meiner Amtszeit diese Mittel verdoppelt. Ich wäre froh, ich könnte das von allen Etatansätzen des Ministeriums sagen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Den Etatansatz haben Sie nicht verdoppelt!)

Doch! Genau den Etatansatz haben wir verdoppelt.

(Abg. Göschel SPD: Von wenig auf etwas mehr!)

Die Istmittel sind etwas anderes. Es sind früher schon globale Minderausgaben erwirtschaftet worden. Es werden auch heute welche abgezogen. Wir haben jetzt in diesem Sparhaushalt tatsächlich auch eine reale Kürzung, aber immerhin auf der Basis einer Verdopplung der Mittel. Wenn der Bund uns das nachmacht, dann darf er auch sparen. Das muss ich wirklich sagen.

(Abg. Göschel SPD: Wenn man die Mittel vorher so weit absenkt, muss man sie anschließend ver- doppeln!)

(Minister Müller)