Protocol of the Session on November 27, 2003

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst zu dem wirklich unhaltbaren Vorwurf

des Kollegen Oettinger. Ich glaube, das brauche ich mir nicht bieten lassen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Was hat er denn gesagt, Herr Oelmayer?)

Für uns Grüne geht es nicht um Wahlkreisfürstentum, wenn es um die Verlegung von Gerichten geht, sondern wir orientieren uns an Sachgesichtspunkten. Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn wir Gerichte aus einem Kompetenzzentrum in Ulm, wo es viele Gerichte gibt, in den ländlichen Raum verlegen. Das war der Hintergrund dieses Antrags, Kollege Oettinger. Insofern bitte ich Sie, dies doch zurückzunehmen.

(Abg. Hauk CDU: Was sagen Sie denn zu Sigma- ringen?)

Ein zweiter Punkt, Frau Ministerin, wenn man Sie an Ihren eigenen Worten misst. Am 30. April 2003 verkündeten Sie, weiter gehende Personaleinsparungen im Kernbereich der Justiz seien nicht möglich. Gestern haben Sie der Einsparung von 500 Stellen zugestimmt. Genau dies wollen wir mit unserem Reformvorschlag verhindern. Wir wollen verhindern, dass die Justiz aufgrund eines Stellenabbaus ausblutet. Darunter leidet die Leistungsfähigkeit der Justiz. Deswegen wollen wir Strukturreformen und keinen Personalabbau.

(Beifall bei den Grünen)

Einen weiteren Punkt gilt es zu nennen. Man wird ja schon den Eindruck nicht los – das gilt auch in Bezug auf die Debatte, die wir gestern hier geführt haben, in der es um die Landesvertretung in Berlin ging –, dass die FDP/DVP sich immer aufplustert und dicke Backen macht und der große Koalitionspartner dann hinterher die Luft rauslässt. Man hat immer nur den Eindruck, Sie würden all das nur deswegen tun, um mehr Macht innerhalb dieser Landesregierung zu bekommen. Von den Sachergebnissen her müssen Sie diese Justizreform eintüten.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Da ging es nun wirklich um Sachfragen!)

Sie können sie nicht als eine solche bezeichnen. Das ist eine klare politische Niederlage. Das ist zum Schaden der Justiz im Land geschehen.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe von der FDP/ DVP)

Ich möchte einen letzten weiteren wichtigen Punkt benennen. Herr Kollege Kretschmann hat mit seiner Zwischenfrage noch einmal dargestellt, dass Sie nicht in der Lage sind, die Strukturfragen im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzugehen, wo doch der Ministerpräsident dieses Landes – ob er jetzt 44 genannt hat oder nicht – der Auffassung ist, dass es bei den Amtsgerichten und bei den Landgerichten einer Reduzierung der Standorte bedarf.

(Abg. Hauk CDU: Das ist doch eine Zentralisie- rungsdiskussion!)

Das wären Maßnahmen, die Sie hier umsetzen könnten. Dazu brauchten Sie keinen Bund. Das wäre die Justizreform, die wir in Baden-Württemberg durchführen könnten.

Somit kann ich zum Schluss nur sagen – da möchte ich einfach zitieren, weil die Kommentierung einer Zeitung, die in Stuttgart erscheint – ohne dass ich Namen nennen möchte – einfach zutreffend ist:

Im Lichte der gestern erzielten Einigung sieht man bei den Größenverhältnissen wieder klar: Groß sind die Worte, klein die Resultate.

In diesem Fall ist das nicht zum Nutzen der Justiz geschehen. Das ist vielmehr einfach eine aufgeblasene, eine wirklich gescheiterte Justizreform, die die FDP/DVP hier versucht hat. Das war zum Schaden und nicht zum Nutzen der Justiz.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, der Antrag Drucksache 13/2177 soll an den Ständigen Ausschuss überwiesen werden. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Mündlicher Bericht des Vorsitzenden des Petitionsausschusses und Aussprache

Ich erteile hierzu dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Herrn Kollegen Döpper, das Wort.

(Beifall des Abg. Mack CDU – Abg. Mack CDU: Sehr gut!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen und Monaten stand der Petitionsausschuss in ungewohnter Weise im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Anlass hierfür war die Entscheidung des Ausschusses zu den Windenergieanlagen auf dem Schauinsland bei Freiburg. Eine große Ausschussmehrheit hatte den Standort „Holzschlägermatte“ abgelehnt. Sie widersprach damit der Auffassung der Behörden bis hin zum Ministerium, die alle diesem Standort zugestimmt hatten.

Je nach politischer Ansicht war dies eine richtige Entscheidung oder eben eine falsche. Gewonnen hat aber auf jeden Fall der Petitionsausschuss als Landtagsgremium.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aha!)

Eine solche Berichterstattung in den Medien wünscht sich jeder Abgeordnete und jede Fraktion.

(Heiterkeit – Abg. Hauk CDU: Herr Vorsitzender, bitte keinen Populismus!)

Interessant für die Medien war nicht nur, dass die Ausschussmehrheit eine andere Auffassung vertrat als die Fachbehörden. So etwas kommt öfter vor, weil sich der Ausschuss als kritischer Begleiter von Behördenentscheidungen versteht. Breit kommentiert wurde aber auch die Thematik an sich, also das Für und Wider von Windenergieanlagen an sensiblen oder weniger sensiblen Standorten in BadenWürttemberg. Dass über den Petitionsausschuss diese De

batte einen derartigen publizistischen Niederschlag gefunden hat, kann er sich zugute halten, und er tut es auch.

An dieser Stelle möchte ich aber eines klarstellen: Der Petitionsausschuss ist in seiner Mehrheit nicht generell gegen Windenergieanlagen in Baden-Württemberg. Er hat auch schon mehrere Standorte gebilligt. Uns kommt es vielmehr darauf an, dass jeder Einzelfall sorgfältig geprüft wird und insbesondere Naturschutz- und Landschaftsbelange umfassend gewürdigt werden. In dieser Frage sieht sich der Ausschuss mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg einig. Mittlerweile ist auch das Regierungspräsidium Freiburg auf diese Linie eingeschwenkt, wie ein Erlass an die nachgeordneten Behörden zeigt. Wenn das Regierungspräsidium eine „Verspargelung“ der Landschaft im Regierungsbezirk vermeiden will, dann kann ich dies nur unterstützen.

Diese Ausschussentscheidung und die rechtlichen Folgen, die Sie alle kennen, sind ein Beweis dafür, dass das Petitionsrecht nicht unterschätzt werden sollte, wie es – auch in diesem Haus – immer wieder zu beobachten ist. Die Menschen, die sich an uns wenden, haben einen Anspruch darauf, dass ihr Anliegen sorgfältig geprüft wird. Alle Petenten erwarten eine gezielte Hilfe. Wir sollten diesen Anspruch nicht kleinreden.

Aber auch die Arbeit, die sich die Ausschussmitglieder machen, sollte nicht kleingeredet werden. Ohne deren Engagement, ohne Bereitschaft, sich in viele Sachgebiete einzuarbeiten, und ohne Fingerspitzengefühl lässt sich gar nichts erreichen. Dass in vielen Fällen auch Mut zu einer bestimmten Entscheidung erforderlich ist, brauche ich nicht weiter zu betonen. An dieser Stelle darf ich deshalb allen Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss ganz herzlich für ihre Tätigkeit danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Schlagzeilen, wie ich sie eben geschildert habe, bekommt der Petitionsausschuss ganz selten – vielleicht noch, wenn es um Beschneiungsanlagen auf dem Feldberg geht

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Beschneidungsanlagen?)

Herr Kollege Oelmayer, Beschneiungsanlagen –, um eine Motocrossstrecke in freier Landschaft oder um den Standort von Mobilfunksendemasten. Auch dies sind Themen, die landesweit Interesse finden und in der Bevölkerung diskutiert werden.

Dass nur diese Fälle besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden, ist aber nicht die Schuld des Ausschusses. Es liegt ganz einfach an der Eigenart der meisten Fälle, die an den Petitionsausschuss herangetragen werden. Es sind ganz überwiegend Einzelschicksale, menschliche Notlagen, und sie eignen sich halt nicht oder nur wenig für die Berichterstattung in den Medien. Nicht, dass wir uns darüber beklagen würden; dies muss ich ausdrücklich sagen. Aber es erklärt doch, weshalb der Petitionsausschuss mehr im Hintergrund arbeitet.

Die große Mehrzahl der Fälle, die der Petitionsausschuss in der ersten Hälfte dieser Wahlperiode zu bearbeiten hatte,

betrafen allgemeine Dinge des täglichen Lebens. Es geht um Baugenehmigungen, Sozialhilfe, Gnadengesuche oder Aufenthaltsrechte. Ich denke hier beispielsweise an einen Fall, in dem der Ausschuss Haftverschonung für einen Ehemann erreichen konnte, damit er seine an Krebs erkrankte todkranke Ehefrau pflegen konnte. In einem anderen Fall, in dem eine geschiedene Mutter mit fünf Kindern eine Haftstrafe antreten sollte, setzte sich der Ausschuss erfolgreich dafür ein, dass Strafaufschub gewährt und ein Bewährungshelfer an die Seite gestellt wurde, da drei Kinder schulpflichtig waren, ein Kind schwerstbehindert und ein weiteres Kind erst zwei Jahre alt war. Oder ich denke an einen Mann, der wegen seiner schweren Erkrankung und einer zusätzlichen Schwerkriegsbeschädigung einen hohen Bedarf an Medikamenten hatte. Der Petitionsausschuss konnte erreichen, dass der Petent von den Zuzahlungen für die Medikamente befreit wurde. Für den Außenstehenden sind diese Fälle nichts Spektakuläres, für den Betroffenen aber oftmals schicksalhafte Fragen. Sie alle kennen diese Fälle, wenn Sie die Drucksachen mit den Berichten des Petitionsausschusses durchblättern.

Man glaubt gar nicht, welche immense Bedeutung diese Probleme, die beim Durchlesen der Petition zunächst nicht als gravierend erscheinen, für die Betroffenen haben. Diese Petenten sind emotional aufgewühlt. Man merkt es an ihren Schilderungen und auch an den telefonischen Nachfragen, die regelmäßig eingehen. Ich möchte hier beispielhaft auf Nachbarstreitereien wegen eines Bauvorhabens oder auf Lärm- oder Geruchsemissionen durch Gewerbebetriebe verweisen.

Wir im Petitionsausschuss können uns bei diesen Fällen nicht auf die rechtliche Problematik beschränken. Gerade bei Ortsterminen müssen wir Streitschlichter sein, und das sind wir sogar sehr oft mit Erfolg. Hier ist das Fingerspitzengefühl erforderlich, das ich eben ansprach. Ich denke beispielsweise auch an Renten- oder Personalangelegenheiten, wo kleine Ursachen große Auswirkungen haben können. Dass diese Fälle nicht schlagzeilenträchtig sind, ist klar. Trotzdem müssen sie sorgfältig bearbeitet werden, weil sich die Bürgerinnen und Bürger uns anvertraut haben. Man muss es nicht gleich wie eine Petentin halten – das darf ich an dieser Stelle einfügen –, die sich, wie sie schreibt, in allergrößter Not an den Petitionsausschuss gewandt hatte, weil ihr nur noch eine höhere Macht helfen könne.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Wenn der Petitionsausschuss das offene Ohr des Landtags sein soll, darf es keine lästigen Petitionen geben, dann darf es keinen Unterschied machen, ob eine Petition ein politisch brisantes Thema oder das Problem eines einzelnen Menschen betrifft. Alle Eingaben sind bzw. werden mit der gleichen Intensität bearbeitet. Wenn wir uns dazu vereinzelt in das Unterholz der Verwaltungstätigkeit begeben müssen, dann tun wir das auch. Dort ist meistens zu finden, was einer Petition zum Erfolg verhilft oder wenigstens zur Befriedung der Beteiligten beiträgt.

Manchmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, stoßen wir auf Fälle, die eigentlich gar nicht zum Petitionsausschuss hätten kommen müssen. Ich denke an jene Behördenent

scheidungen, die zwar rechtlich in Ordnung sind, die aber in der Sache nicht optimal und bürgerfreundlich getroffen worden sind. Dass wir uns alle an die rechtlichen Vorschriften halten müssen, ist unbestritten.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Nicht unbestritten! Manche Landräte bestreiten es!)

Aber innerhalb des rechtlichen Rahmens gibt es oft verschiedene Möglichkeiten, einen Fall zu entscheiden.

Damit das richtige und gerechte Ergebnis gefunden wird, bedarf es gerade vor Ort mehr Zivilcourage bei den Entscheidungsträgern. Ich wünsche mir, dass nicht nach Schema F entschieden wird. Eingefahrene Gleise sollten verlassen und ein Maßstab gefunden werden, der zu einer rechtund zweckmäßigen Entscheidung führt. Mein Appell an die Verwaltungsbehörden lautet also: Nutzen Sie Ihren Spielraum, und entscheiden Sie zugunsten der Menschen!

(Beifall bei allen Fraktionen)