Zweitens wollen wir die Beitragsbemessungsgrundlage erweitern. Andere Einkommensarten als das Lohneinkommen werden bisher nicht berücksichtigt. Das ist historisch überholt. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass ein Versicherter mit hohem Einkommen aus abhängiger Beschäftigung höhere Beiträge bezahlt als ein Versicherter mit gleich hohem Einkommen, das er mehrheitlich aus Kapitaleinkünften bezieht.
Nicht die Quelle der verschiedenen Einkommen, sondern die Höhe soll zukünftig über die Beiträge entscheiden.
Jetzt komme ich auf die Entkopplung von den Lohnkosten. Durch die Einbeziehung aller Einkunftsarten schaffen wir es mit der Bürgerversicherung, die Beiträge zur Sozialversicherung von der Konjunktur und von der Arbeitsmarktsituation unabhängiger zu machen. Dadurch erreichen wir eine Senkung der Lohnnebenkosten und unterstützen die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es ist also keine totale Entkopplung, aber wir machen sie unabhängiger. Deshalb sind wir Grünen der Auffassung, dass die Bürgerversicherung, die, wie gesagt, im Detail bestimmt noch verbessert und weiterentwickelt werden kann,
ein geeigneteres soziales Ausgangsmodell ist als das Kopfpauschalenmodell, um die nötigen Strukturreformen im Gesundheitssystem zu schaffen.
Wir sind uns wohl auch darüber einig, dass weder die Kopfpauschale noch die Bürgerversicherung die so genannte Eier legende Wollmilchsau ist. Das heißt, wir müssen uns nach wie vor Gedanken über die Ausgabenseite machen.
Wir müssen uns auch nach wie vor Gedanken über Qualität und Qualitätssicherung in der Gesundheitsversorgung machen.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Döpper CDU: Das ist okay! – Abg. Alfred Haas CDU: Warum klatscht jetzt die SPD nicht?)
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte ist damit beendet.
Aktuelle Debatte – Auswirkungen des chaotischen Ablaufs bei der Einführung der Lkw-Maut auf die Verkehrssituation in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP
Auch hier gilt die übliche Redezeit: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Ich darf auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach die Aussprache im Rahmen einer Aktuellen Debatte in freier Rede zu führen ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Einführung der Lkw-Maut durch die Bundesregierung war von Anfang an chaotisch. Es begann beim Ausschreibungsverfahren, zu dem die EU bereits wettbewerbsrechtliche Bedenken geäußert hat. Es ging weiter mit dem Streit über die Zweckbindung der Mittel, den der Bund dann dadurch gelöst hat, dass er sagte: „Jawohl, die Einnahmen werden zweckgebunden für Verkehrsaufgaben verwendet, aber gleichzeitig werden die gesamten Haushaltsmittel, die bisher dafür vorgesehen waren, gestrichen.“ Wie sich dies auswirkt, werden wir noch sehen.
Dann erfolgte die Anmeldung bei der EU, zu prüfen, ob die für das Speditionsgewerbe vorgesehenen Entlastungen beihilferechtlich überhaupt zulässig sind, verspätet. Dieser Streit ist bei weitem noch nicht geklärt.
Man hat dann sehr schlampig einen ausgesprochen dilettantischen Vertrag ausgehandelt – sehr zulasten des Steuerzahlers. Es kann doch nicht sein, dass man bei einem Vertrag über die Lieferung einer Sache, die eine derartige Einnahme bringen soll, zunächst einmal überhaupt eine so lange Karenzzeit ansetzt. Ab dem 1. August hätte, wenn es nicht läuft, Geld fällig werden müssen. Zum Zweiten hat man nicht einmal eine Schadenersatzpflicht vereinbart.
Das ist einfach ein Unding. Das würde sich ein Unternehmen, das einen Vertrag abzuschließen hat, nie erlauben. Dieses Unternehmen ginge sonst sofort in Konkurs.
Ich habe mich sehr darüber gewundert: Im Umwelt- und Verkehrsausschuss war letzte Woche auch ein Informationsbrief – heute sagt man modern „Newsletter“ – von Toll Collect in Umlauf. Das Editorial beginnt mit den klassischen Worten: „Die Vorbereitungen zur Lkw-Maut schreiten voran.“
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verlautbarung von Toll Collect vom September 2003: Es schreitet voran. Das System hätte aber seit 1. August 2003 laufen sollen. Jetzt heißt es, die Vorbereitungen schritten voran. Das ist doch ein Irrsinn!
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: „Der Sinn des Le- bens“! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein, das ist vergnüglicher!)
Nun ist es ja so, dass die Nutzerfinanzierung grundsätzlich richtig ist und auch von uns befürwortet und seit langem gefordert wird.
Allerdings können wir das doch nicht mehr im Klein-Klein angehen. Hier bedarf es einer EU-weiten Harmonisierung. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dies erst letzte Woche wieder gefordert.
Aber es ist keineswegs nur ein Bundesthema. Nein, diese schwierige Abwicklung hat gravierende Auswirkungen auf Baden-Württemberg, und zwar auf die Bürgerschaft und die Wirtschaft gleichermaßen. Sie betrifft zum einen sehr konkret das Antistauprogramm und dort – ich zitiere – einmal die A 6, und zwar Erweiterungen zwischen Viernheim und dem Autobahnkreuz Weinsberg.
Weiter betrifft es die A 8 zwischen Heimsheim und Leonberg-West und die B 295, eine Strecke, die ich öfter überquere. Ich weiß, auf der Strecke Heimsheim–Leonberg haben Sie eigentlich regelmäßig nur einen stehenden oder sich langsam bewegenden Verkehr. Betroffen ist auch ein Projekt, bei dem wir uns freuen, dass es bald fertig ist, für das aber das Geld bei weitem noch nicht da ist, nämlich der Umbau der Anschlussstelle Stuttgart-Degerloch mit der B 27 Möhringen–Echterdingen – kurz gesprochen: das Echterdinger Ei –, und zwar im Volumen von 350 Millionen €. Zusätzlich ist völlig ungesichert, wie es weitergeht mit dem Anschub des privat finanzierten Ausbaus der Bundesautobahn 5 zwischen Baden-Baden und Offenburg und mit dem Ausbau der A 81 zwischen Böblingen und Gärtringen.
Aber nicht nur Straßen sind betroffen, sondern auch Schienen sollen aus dem Antistauprogramm finanziert werden, zum Beispiel die Südbahn, Begegnungsabschnitt Friedrichshafen–Lindau, mit 50 Millionen € und der kombinierte Ladungsverkehr in Kornwestheim und Mannheim.