Jetzt beschäftige ich mich einmal mit dem linken Teil und komme zum Thema Bürgerversicherung. Es ist schon gesagt worden: Rechnerisch ergibt das auf Dauer möglicherweise eine Entlastung um 0,1 Prozentpunkte. Wenn wir bei Beitragssätzen von 25 % sind und damit auf 24,9 % kommen, dann wünsche ich der Generation zwischen 2030 und 2050 viel Vergnügen. Das wird nicht funktionieren. Warum wird das nicht gehen? Wenn ich alle in ein System zwinge, das an der Demographieproblematik leidet, dann leiden alle, die in dieses System kommen, an der gleichen Problematik. Eigentlich müsste ich sagen: Sie leiden nicht, sondern sie profitieren davon. Auch Beamte – zum Beispiel der
vorhin genannte Polizeibeamte – werden länger in der Bezieherphase sein als früher und im Alter Leistungen beziehen, und deshalb werden Sie das System auf diese Art nicht reformieren können.
Jetzt kommt genau das, was Sie dem Prämienmodell vorwerfen: Unseriosität. Das werfe ich Ihnen jetzt in Bezug auf die Bürgerversicherung vor. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was es für das Land Baden-Württemberg an zusätzlichen Kosten bedeuten würde, wenn wir all unsere Beamten danach versicherten? Das Land müsste ja den Arbeitgeberanteil in diese Bürgerversicherung einzahlen.
In Nordrhein-Westfalen sind das 60 Millionen €. – Und wir müssten dauerhaft und über lange Zeit natürlich auch die bisher entstandenen Versorgungsansprüche weiterfinanzieren. Das ist übrigens das Problem jeder Systemumstellung. Das bitte ich einfach zu bedenken.
weil sie schlicht und einfach – genauso, wie Sie das an dem anderen Modell kritisieren – nicht finanzierbar sein wird
Jetzt kommt die zweite Bemerkung: Heute wird viel zu wenig thematisiert – an einer Stelle hat es, glaube ich, der Sozialminister gesagt –, dass wir das Grundproblem haben: Wie können wir ein Umlagesystem demographiefester machen? Dabei sind wir uns wohl alle einig – bei der Rente sind wir uns über alle Fraktionen hinweg einig –: Wir müssen verstärkt zu kapitalgedeckten Verfahren übergehen.
Wir können Kapitaldeckungselemente praktisch nur mit Prämienmodellen machen und nicht im Umlagesystem wie bei der Bürgerversicherung. Deswegen sind wir der Meinung, dass wir auch ordnungspolitisch eine Systemumstellung nicht von heute auf morgen machen können. Das würde nämlich das System zerreißen und wäre dann nicht finanzierbar, wie Sie zu Recht sagen. Deswegen müssen wir schrittweise – so, wie es jetzt ja auch mit Ihrer Zustimmung begonnen worden ist – Leistungskomplexe dort ausglie
dern, wo wir den solidarischen Teil – nämlich dort, wo eben sozialer Ausgleich stattfindet – nicht mehr im System machen, sondern über Kapitaldeckung. Dort, wo das nicht möglich ist, müssen wir das in Teilen über Steuerfinanzierung tun und im Kern versuchen, den Solidarausgleich nach wie vor im System zwischen höheren und geringeren Einkommen zu machen. Das ist übrigens überhaupt nichts Neues. Damit haben wir leider zwei Wahlkämpfe verloren, weil Sie das als ungerecht und unsozial bezeichnet haben.
Jetzt machen Sie es selber in brutaler Weise und haben versäumt, die Menschen mitzunehmen. Was heißt das? Wir müssen – das ist das erste Ziel – die Gesundheitskosten von den Löhnen abhängen. Da sind wir uns auch über alle Fraktionen hinweg einig. Sie haben immer gewettert, die Aufhebung der Parität komme überhaupt nicht infrage. Jetzt machen Sie es in verschiedenen Bereichen: Krankengeld, Zahnersatz. Das ist völlig richtig.
Warum machen wir nicht einfach das, was Herzog und wir schon lange vorschlagen, eine Festschreibung des Arbeitgeberanteils auf 6,5 Prozentpunkte? Das wäre eine Begrenzung der Parität auf den wirklichen Kern. Darüber hinaus ließen wir den Menschen mehr Möglichkeiten, ihren Versicherungsschutz in Bereichen, bei denen wir gemeinsam der Meinung sind, dass sie existenziell nicht bedrohlich sind, selber zu stärken.
(Abg. Drexler SPD: Mit 1 000 € können Sie nichts mehr nebenher machen beim Kopfprämienmodell, auch nicht mit 1 500 €!)
Jetzt komme ich genau zu dem Punkt. – Wenn wir den Menschen sagen – und wir müssen es den Menschen in allen Bereichen sagen –: „Auch in der Gesundheitsversorgung werden künftig mehr Eigenvorsorge und auch ein Stück weit mehr finanzielle Leistung notwendig sein“, dann müssen wir – da kommt der Zusammenhang – natürlich im Steuersystem dafür sorgen, dass die Menschen befähigt werden, Eigenvorsorge zu betreiben.
Das heißt: runter mit den Steuersätzen. Deswegen werden wir den Systemwechsel nicht so schnell und radikal machen, weil das genau nicht ermöglicht, die Steuersätze herunterzubringen. Also noch einmal: im Prinzip mehr Eigenvorsorge, mehr Kapitaldeckung im System, den Menschen vor allem wieder mehr Wahlfreiheit geben.
Wir wollen keine Einheitsversicherung, die alle über einen Kamm schert, sondern wir wollen mehr Wahlmöglichkeiten geben. Dann ist die Botschaft an die Menschen: Wenn ihr in Zukunft schon ein Stück weit mehr Eigenvorsorge betreiben müsst, wenn ihr an der einen oder anderen Stelle auch finanziell mehr gefordert seid, dann sollt ihr wenigstens entscheiden dürfen, was mit eurem Geld passiert, damit ihr nicht weiterhin das Gefühl habt: „Wir zahlen und zahlen
immer mehr, und das versinkt alles in einem tiefen Loch, und keiner weiß letztlich, wohin das versickert.“
indem ich ihnen mehr Geld in der Tasche lasse und ihnen künftig mehr Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihres Versicherungsschutzes lasse.
(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Mit 1 000 €! Wo lebt ihr? Ihr lebt nicht mehr in der Wirklichkeit!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommissionen beraten, und die Politik entscheidet. Deshalb finde ich es korrekt, dass Herzog und Rürup Modelle vorschlagen. Die schauen wir uns an. Dann entscheiden wir uns für das, was wir richtig finden. Wir Grünen haben uns für das Modell der Bürgerversicherung entschieden, weil es nach wie vor für eine solidarische Finanzierung und eine seriöse Finanzierung steht. Ich habe immer noch nicht gehört, woher diese 28 Milliarden € kommen sollen.
(Abg. Drexler SPD: Irgendwoher! – Gegenruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wo bringt das Land das Geld für seine Beamten her?)
Wo bringt der Bund die 28 Milliarden € her? Das ist die Frage, die ich gestellt habe, Kollege Noll. Darauf habe ich keine Antwort von Ihrer Seite gehört.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ich habe gerade gesagt, dass wir das gar nicht können! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Sie wollen doch den Steuersatz sen- ken! Woher soll dann das Geld kommen?)
Wir haben alle das Ziel, unsere sozialen Versicherungssysteme demographiefester und unabhängig von den Lohnkosten zu machen, damit die Lohnnebenkosten sinken. Ich sage: Die Bürgerversicherung schafft das besser als das Kopfpauschalenmodell. Deshalb haben wir uns für die Bürgerversicherung ausgesprochen.
Zum einen wird nicht alles über eine Umlage finanziert, wie Sie das gerade erläutert haben, sondern beinhaltet eine Bürgerversicherung sowohl eine Umlagefinanzierung als auch Zusatzversicherungen.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Hoppla! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Natürlich, das ist schon längst eine Weiterentwicklung, Herr Kollege!)
Ja, hoppla, das müssen Sie sich einmal durchlesen und dürfen nicht irgendwelche pauschalen Schwarz-Weiß-Geschichten an die Wand malen.
Bei der Bürgerversicherung wollen wir die Versicherungspflichtgrenze aufheben und den Versichertenkreis ausdeh
nen. Das hat übrigens überhaupt nichts mit einer Einheitskasse zu tun, da sowohl die privaten als auch die gesetzlichen Krankenversicherungen nach wie vor im Wettbewerb sein können.
Es wird weiterhin, Kollege Wieser, einen Wettbewerb bei Leistungsangeboten und Kundenservice geben. Vor allem können die Krankenkassen in der Beitragshöhe miteinander konkurrieren.
Wir möchten den Versichertenkreis erweitern: Beamte, Selbstständige, Abgeordnete – nicht jeder ist ja wie der Sozialminister oder ich noch in der gesetzlichen Krankenversicherung – sollen zukünftig auch in das solidarische System einzahlen müssen. Gerade die Bezieher höherer Einkommen beteiligen sich im Augenblick nicht an der Finanzierung des solidarischen Gesundheitssystems.
Deshalb wollen wir die Versicherungspflichtgrenze abschaffen und somit auch die Beamten, die Selbstständigen und die Abgeordneten einbeziehen.
Zweitens wollen wir die Beitragsbemessungsgrundlage erweitern. Andere Einkommensarten als das Lohneinkommen werden bisher nicht berücksichtigt. Das ist historisch überholt. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass ein Versicherter mit hohem Einkommen aus abhängiger Beschäftigung höhere Beiträge bezahlt als ein Versicherter mit gleich hohem Einkommen, das er mehrheitlich aus Kapitaleinkünften bezieht.