und die Interessen der Bürger und der Wirtschaft unseres Landes vertreten, und zwar das ganze Parlament. Daran möchte ich Sie künftig messen.
Eine Totalnivellierung ist weder vernünftig noch verfassungskonform. Wer die Stärkeren kaputtmacht, kann auch den Schwachen nicht mehr helfen.
Meine Damen und Herren, die Steigerung von Vorschriftenflut, Regelungsdichte und Überbürokratisierung ist das deutsche Steuerrecht. Niemand übersieht das mehr, kein Bürger und auch nicht mehr die Bundesregierung, wie sie in einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage ganz offen zugab. Keiner überblickt mehr das Ganze, und niemand entdeckt mehr den Sinn des Ganzen.
Ich lese, 70 % der Steuerrechtsliteratur der Welt seien in deutscher Sprache verfasst. Allein auf dem Gebiet der Steuern und Abgaben gibt es laut Bundesregierung in Deutschland zurzeit 118 gültige Gesetze und 87 Rechtsverordnungen. Die Zahl der Gesetze, die nicht nur, aber auch steuerliche Sachverhalte regeln, so teilt die Bundesregierung mit, lasse sich nicht beziffern. Hinzu kommen über 3 800 so genannte „Schreiben“ des Bundesministeriums der Finanzen mit zum Teil zeitlich befristeter Gültigkeit. Das macht zusammen über 4 000 Rechtsetzungsakte im Bereich des Steuerrechts.
Mit den Vorschlägen und dem Gesetzentwurf des Steuerrechtsexperten und früheren Bundesverfassungsrichters Professor Paul Kirchhof zum Steuerrecht haben wir jetzt eine einmalige Chance, einen radikalen Neuanfang zu schaffen. Aus 118 Steuergesetzen will Professor Kirchhof eines machen, und das mit weniger als 100 Paragraphen. Sämtliche Ausnahmetatbestände und Schlupflöcher sollen ersatzlos gestrichen werden.
8 000 € bleiben für jeden Bürger, auch für jedes Kind, danach steuerfrei, für Arbeitnehmer zusätzlich 2 000 €. Die nächsten 5 000 € werden zu 15 %, die 5 000 darauf folgenden Euro mit 20 % besteuert. Alles über 20 000 € wird mit 25 % Steuersatz belegt.
Meine Damen und Herren, viele Arbeitnehmerfamilien mit Kindern würden danach überhaupt keine Steuern mehr bezahlen. 90 % der Menschen hätten mit dem Finanzamt nichts mehr zu tun, weil sie weder eine Steuererklärung abgeben noch einen Lohnsteuerjahresausgleich machen müssten.
(Zuruf des Abg. Döpper CDU – Abg. Fischer SPD: Warum haben Sie das nie gemacht, als Sie dran wa- ren?)
Meine Damen und Herren, eine Familie mit drei Kindern zahlt bis 44 000 € Einkommen keinen Cent Steuern.
Die Besteuerung erfolgt direkt an der Quelle, also beim Arbeitgeber oder bei der Bank. Der normale Steuerzahler wird mit dem Finanzamt dann nichts mehr zu tun haben.
Wir kämen mit der Umsetzung des Kirchhof-Modells dem weit verbreiteten Wunsch der Bürger nach einfachen Regelungen, die jedermann nachvollziehen kann, ein riesengroßes Stück entgegen.
Und ich muss Ihnen sagen: Ich werde draußen im Land in Baden-Württemberg auf keinen einzigen Punkt von den Bürgern und den Vertretern der Wirtschaft so direkt angesprochen wie auf diese Kirchhof-Vorschläge. Die Menschen warten darauf, dass endlich eine Jahrhundertreform auf diesem Gebiet zustande kommt.
Die Menschen haben schon fast Sehnsucht danach, staatliches Handeln und die Gesetze des Staates endlich wieder verstehen zu können. Gerade bei den Steuern gilt: Einfacher ist gerechter.
Die Kirchhof-Vorschläge verwirklichen heißt, einen Befreiungsschlag für den Wirtschaftsstandort Deutschland ins Werk zu setzen. Ausländische Investoren werden durch unser bisheriges kompliziertes Steuersystem nicht mehr abgeschreckt. Kapitalflucht aus unserem Land ins Ausland wird sinnlos. Es hört auf damit, dass sich ganze Hundertschaften von Steuerberatern und Rechtsexperten in den Unternehmen Gedanken darüber machen, wie die Steuergesetze in Deutschland möglichst kunstvoll ausgelegt oder umschifft werden können. Die Menschen, die Unternehmen sind endlich wieder frei, das zu tun, was ihre eigentliche Aufgabe ist, nämlich sich um die Kunden zu kümmern, neue Produkte auf den Markt zu bringen, Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, Geld zu verdienen durch Absatz von Produkten und Dienstleistungen statt durch die geschickte Verschiebung von Finanzmassen und ganz legale Steuertricks. Wir müssen die dynamischen Kräfte unserer Wirtschaft und Gesellschaft endlich wieder entfesseln. Denn dort, wo Dynamik ist, entstehen die Arbeitsplätze der Zukunft.
Deshalb sollten wir diesen radikalen Neuanfang in Angriff nehmen. Die radikale Steuervereinfachung nach dem realisierbaren und durchgerechneten Modell von Professor Kirchhof wäre eine Jahrhundertreform. Sie wäre eine emotionale Initialzündung für Investitionen, für Wachstum und für neue Arbeitsplätze. Darauf wartet die Wirtschaft. Da
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU-FDP/DVP-Landesregierung betreibt Schadensbegrenzung in Richtung Berlin und wagt den Aufbruch für Baden-Württemberg. Wir geben Gewohnheiten und geschichtlich Gewachsenes auf, um für BadenWürttemberg Zukunft zu gewinnen. Wir verändern, weil wir bewahren wollen, was wertvoll ist und immer gilt. Wir handeln, weil man in Berlin auf der Stelle tritt. Wir haben den Mut zu Neuem. Wir setzen auf die Kraft und den Ideenreichtum der Bürger und der Wirtschaft. Wir arbeiten dafür, dass jeder Baden-Württemberger selbstständig mehr aus seinem Leben machen kann.
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die jetzt folgende Aussprache freie Redezeit vereinbart.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich heute Morgen aufstand, war ich eigentlich ziemlich friedlich gestimmt.
Aber nach dieser Orgie von großen Sprüchen und Angriffen, die ich als sehr ungerecht empfinde, muss ich am Anfang meiner sehr sachlich gehaltenen Rede doch etwas vorwegschicken: Herr Ministerpräsident, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, der Landtag solle sparen, muss ich Ihnen entgegnen: Sie haben als CDU-Abgeordneter zusammen mit der CDU und der FDP/DVP dafür gesorgt, dass das Präsidium um zwei Vizepräsidenten vergrößert wurde. Wir haben auf den uns zustehenden zusätzlichen Vizepräsidenten verzichtet. Sie haben aber einen weiteren eingesetzt. Damals hätten Sie davon sprechen können, dass Geld gespart werden solle.
Herr Herrmann, Sie im Übrigen auch alle. Kommen Sie mir nicht mit der Aussage, es müsse gespart werden. Sie haben gleich am Anfang der Legislaturperiode beim Präsidium eine Stelle draufgesetzt. Wir haben aus Kostengründen auf den uns zustehenden zweiten Vizepräsidenten verzichtet.
(Abg. Alfred Haas CDU: Es ging nicht ums Geld! – Gegenruf von der SPD: Aber es kostet Geld! – Abg. Pfister FDP/DVP: Jetzt zur Sache! – Zuruf des Abg. Herrmann CDU)
Zum Länderfinanzausgleich, Herr Ministerpräsident. Das ist auch so eine Geschichte. Sie haben doch den letzten
Jetzt erregen Sie sich hier im Landtag von Baden-Württemberg über die Gelder, für die Sie vereinbart haben, dass das Land Baden-Württemberg sie in den Finanzausgleich zahlt. Es ist völlig unglaubwürdig, was Sie hier heute Morgen ausgeführt haben.
Sie wären viel glaubwürdiger, wenn Sie während der 16jährigen Regierungszeit Helmut Kohls die Interessen Baden-Württembergs in Bezug auf das Ausgleichssystem gegenüber Helmut Kohl genauso vertreten hätten, wie Sie sie jetzt vertreten.
Baden-Württemberg wurde im Bundesverkehrswegeplan gerade einmal mit lächerlichen 2,5 Milliarden DM abgespeist. Deswegen hatten wir dramatische Defizite in einem der Standards für ein Industrieland wie Baden-Württemberg, nämlich im Straßenausbau, und erhebliche Nachteile hinter Bayern und anderen. Da wurde nichts gesagt. Jetzt kriegen Sie 60 % mehr und wollen immer noch mehr. Das ist der Unterschied zwischen früher und jetzt.
Nachdem Sie mich jetzt schon geärgert haben, gehen wir doch einmal auf Ihre Steuernummer ein: Steuerreform vorziehen. Da haben Sie aber etwas abgeliefert. Herr Althaus sagt Ja, Herr Merz und Herr Koch und seit neuestem auch der niedersächsische Ministerpräsident sagen: „Nein, kommt überhaupt nicht infrage.“ Herr Stoiber sagt: „Vielleicht.“ Zwischenzeitlich sagen Sie, man könnte das vielleicht machen. Frau Merkel sagt: „Alles oder auch nichts.“
Das ist Ihre Politik bezüglich der Steuerreform. Fünf verschiedene Aussagen, keine Verlässlichkeit, und Sie werden auch keinen Aufbruch erzeugen, wenn Sie gerade einmal 14 Tage vorher im Bundesrat mit Hängen und Würgen Ihre Zustimmung erklären.
Nehmen wir doch einmal das Vorziehen der Steuerreform. Um was geht es? Sie erzählen immer, dass Sie mit Ihrem Kirchhof-Modell irgendwann einmal eine Familie mit zwei oder drei Kindern mit 44 000 € Einkommen pro Jahr von der Einkommensteuer freistellen wollen. Als wir die Regierung übernommen haben, Herr Ministerpräsident, hätten Sie diese Familienorgie, die Sie heute aufgeführt haben, wirklich aufführen können. Nehmen wir einmal einen verheirateten Alleinverdiener mit zwei Kindern – das ist ja das, was uns vorschwebt –
mit einem Jahresbruttoverdienst von 35 000 €. Als wir die Regierung übernommen haben, musste diese Familie
2 164 € Steuern bezahlen. Da war bei Ihnen nichts von null drin. 2003 haben wir allein diese Familie um 2 024 € entlastet. Sie musste gerade einmal 140 € im Jahr zahlen.
Beim jetzigen Vorziehen der Steuerreform muss sie gar nichts mehr zahlen. Da machen Sie rum und wollen nicht zustimmen.