Ein weiteres Argument bei der im Übrigen sehr historischen Ersten Beratung in Freiburg vor etwas mehr als einem Jahr – Sie erinnern sich – war, auch von mir – und das scheint immer mehr zu greifen –: Wir können nicht davon ausgehen, dass die Menschen im Land alle vier oder fünf Jahre einmal an die Wahlurne gerufen werden und der Souverän dann seine Souveränität an der Wahlurne abgibt. Nein, so soll es unserer Auffassung nach nicht sein.
Wir sind der Auffassung, dass die Möglichkeit eingeräumt werden kann, die Menschen durch Abstimmungen, durch direkte Bürgerbeteiligung auch zwischen Wahlen am politischen Prozess zu beteiligen. Das würde unseres Erachtens auch dazu führen, dass die Identifizierung mit dem Land und dem demokratischen System – darauf kommt es letztlich ja auch an – wieder mit mehr Nachdruck in die Gesellschaft eingebracht würde. Bayern – ich sage es nochmals – ist ein gutes Beispiel, das zeigt, dass die Initiativen, die dort erfolgreich waren, auch zu erfolgreichen Ergebnissen geführt haben.
Insofern kann ich Ihre restriktive und zum Teil wirklich unverständlich begründete Ablehnung überhaupt nicht nachvollziehen. Es hätte auch der CDU in diesem Haus und somit dem Landtag insgesamt – vielleicht auch der Fraktion der FDP/DVP, die ja sonst immer und überall für Bürgerbeteiligung eintritt –
gut getan, wenn Sie die Quoren abgesenkt hätten. Sie hätten die Bürgerbeteiligung durch die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf erleichtert. Sie haben wieder eine Chance für mehr Bürgerbeteiligung vertan.
Das bedauern wir zutiefst. Die Begründung, die der Kollege Herrmann geliefert hat, ist überhaupt nicht schlüssig und kann die Haltung der CDU auch überhaupt nicht stützen.
Insofern: Wir stimmen dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion in diesem Haus zu. Wir werden – das kann ich für uns versichern – im Landtag mit den Initiativen für mehr Bürgerbeteiligung nicht nachlassen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ihr letzter Satz, lieber Herr Kollege Oelmayer, war ja eine Drohung.
Gestatten Sie mir zunächst eine Bemerkung zur formalen Seite. Ich finde es ein klein wenig bedauerlich, wie man mit einem Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung umgeht. Es ist auch nicht sehr glücklich, dass er zu einer so späten Stunde behandelt wird. Vorhin hat mir ein Kollege gesagt, ich könne jetzt ganz offen reden, da wir ja gewissermaßen unter uns seien; denn auch das Interesse der Zuhörerschaft ist jetzt verständlicherweise sehr gering geworden.
Herr Kollege Birzele, möglicherweise gibt es dafür eine Erklärung. Aber es ist mir auch aufgefallen: Die erste Lesung war vor über einem Jahr. Dass Sie mit der Zweiten Beratung so lange gewartet haben, spricht dafür, dass Sie eine gewisse Lustlosigkeit an diesem Thema entdeckt haben.
(Abg. Stickelberger SPD: Wir wollten Ihren Reife- prozess abwarten! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das Zweite: Die Argumente sind im Wesentlichen ausgetauscht worden. Ich bin auch gebeten worden, nicht noch einmal eine grundsätzliche Betrachtung anzustellen; darauf hat mich übrigens schon Herr Kollege Oelmayer seinerzeit in Freiburg hingewiesen. Sie, Herr Oelmayer, haben damals – mit Recht – in einem Zuruf während der Debatte geäußert, dass der Regierungsvertreter, wenn er – zumal im Landtag – schon etwas sage, sich möglichst kurz fassen möge. Diesen Wunsch will ich heute erneut erfüllen.
Aber mir ist ein Punkt wichtig: Das Thema „Direkte Demokratie“ wird ja oft in dem Zusammenhang angeführt, dass die politischen Parteien und die Parlamente dadurch, dass sie sich ein wenig ihrer Befugnisse begeben, auch wieder mehr Vertrauen bei der Bevölkerung erringen sollten und könnten. Ich glaube, diesen Zusammenhang sollte man nicht herstellen; ich halte ihn für falsch. Alle Erfahrungen der letzten Zeit – übrigens auch die von Brandenburg – zeigen in bedrückender Weise, dass sich alle demokratischen Parteien in Deutschland zurzeit nicht leicht, sondern immer schwerer damit tun, die Bevölkerung noch zu erreichen und das Vertrauen der Wählerschaft einigermaßen zu erhalten. Brandenburg ist, wie gesagt, ein weiteres bedrückendes Signal.
Ich bin aber davon überzeugt, dass dies nicht mit dem Thema „Mehr direkte Demokratie“ zusammenhängt, sondern dass das Vertrauen der Bevölkerung für uns immer schwerer zu erhalten ist, weil die notwendigen Entscheidungen auf allen Ebenen, vor allem aber auf der Bundesebene, nicht zustande kommen. Um da eine Besserung eintreten zu lassen, bevor die Staatskrise tatsächlich ein immer größeres Ausmaß annimmt, ist es meiner Überzeugung nach notwendig, dass sich die politischen Lager da, wo es irgendwie möglich ist, aufeinander zubewegen, damit dann die notwendigen Reformentscheidungen nicht immer nur – und immer wieder anders – angekündigt werden, sondern eben auch zustande kommen.
Nur so kann das Vertrauen wiedererrungen werden. Und deshalb glaube ich: Das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung unserer Verfassung wollen, nämlich mehr direkte Demokratie, hat mit dem eigentlich ursächlichen Problem, warum wir in eine handfeste Staatskrise hineingeschlittert sind, überhaupt nichts zu tun.
Ich darf für meine Seite sagen: Ich bemühe mich sehr und appelliere in dieser Hinsicht auch an meine Partei, dort, wo es irgendwie möglich ist und wo die Vorschläge der Regierung auch sinnvoll sind, Kompromisse zu suchen und zu erreichen, damit der Reformprozess endlich nicht nur besprochen, sondern auch eingeläutet wird. Jede Opposition – wir auf der Bundesebene und Sie vielleicht im Landtag; ich denke hier an den heutigen Tagesordnungspunkt 4 – sollte etwas stärker als bisher der Versuchung widerstehen, da, wo sie zufällig Opposition ist, bei den Vorschlägen der Regierung, die wehtun müssen, die Oppositionsrolle zu stark auszunutzen.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Glück FDP/ DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut! Bravo! – Abg. Blenke CDU: Sehr gut!)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäuble, ich hatte versucht, einen günstigeren Zeitpunkt für die Behandlung dieses Tagesordnungspunkts mit der beantragten Verfassungsänderung zu erreichen. Das ist leider gescheitert, auch in Gesprächen, die ich heute noch führte, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass der ursprüngliche Zeitplan um über zwei Stunden verschoben wird.
Eine zweite Bemerkung zu der von Ihnen vermuteten Lustlosigkeit: Die lange Zeit ist bedingt durch den Versuch, durch Gespräche Änderungen in der Haltung der Regierungsfraktionen herbeizuführen. Der FDP/DVP-Vertreter im Ständigen Ausschuss, Herr Theurer, hat im Ausschuss das angesprochen, was auch Sie, Herr Kollege Glück, angesprochen haben, nämlich die Notwendigkeit, sich bei einer
solchen Frage zusammenzusetzen, um einen gemeinsamen Entwurf zu erarbeiten. Dabei bin ich mir darüber im Klaren: Dann muss selbstverständlich auch über Quoren gesprochen werden.
Sowohl im Ständigen Ausschuss – das können Sie im Bericht über die Beratungen nachlesen – als auch heute – deshalb habe ich vorhin gefragt: „Haben Sie nicht gehört, was Herr Herrmann gesagt hat?“ – hat Herr Herrmann eindeutig erklärt: Die CDU bewegt sich um 0,000. Das ist das Problem. Sie verweigert sich jeder sinnvollen Auseinandersetzung.
Lassen Sie mich dazu auch einmal eine Bemerkung unter Demokratiegesichtspunkten machen. Wir haben ja öfter diesen Zustand: Eine Mehrheit in der stärksten Regierungsfraktion verhindert etwas, was zwei Drittel der Mitglieder dieses Hauses für richtig halten, was jedenfalls die Mehrheit dieses Hauses für richtig hält. Das ist ein Problem.
(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Blenke CDU: Aber Sie kennen die Regelung für die Änderung der Landesverfassung! – Abg. Heinz CDU: Bestes Beispiel in Berlin!)
Ich kenne die Zwänge in Koalitionen. Die bestreite ich ja nicht. Aber genau daraus folgt eigentlich auch die Verpflichtung der großen Regierungsfraktion, sich hier ernsthaft in einen gemeinsamen Meinungsbildungsprozess aller Fraktionen zu begeben.
Eine letzte Bemerkung zu dem, was Sie angesprochen haben, Herr Innenminister. Ich teile Ihre Auffassung, was die Notwendigkeit betrifft, in Reformprozessen aufeinander zuzugehen, egal auf welcher Ebene. Ich teile Ihre Auffassung nicht, wenn Sie meinen, dass Fragen der unmittelbaren Demokratie damit überhaupt nichts zu tun hätten. Sie hätten die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürgern Partizipationsmöglichkeiten einzuräumen – mit all den Erfahrungen, die alle machen, die sich in solche Prozesse begeben. Sie hätten damit die Möglichkeit, das politische Engagement und das politische Interesse der Bevölkerung wieder stärker zu wecken, zumindest in der Zielrichtung, dass man sich überlegt: Was könnten wir eigentlich gemeinsam tun? Wie könnten wir auch über ein Volksbegehren oder über einen Volksentscheid Blockaden aufbrechen?
Das wäre nach meiner festen Überzeugung durchaus positiv, auch für die Parteien, weil alle, die sich ernsthaft in solche Prozesse einbringen, erleben,
dass es nicht damit getan ist, sich einmal ein Vierteljahr lang zu engagieren, sondern dass man lange an Themen dranbleiben muss – dies kann man dann nur über eine Beteiligung in den Parteien –, um wirklich nachhaltig zu Veränderungen zu kommen.
Deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, nicht nach dem Motto verfahren – ich habe das bereits in Freiburg angesprochen –:
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf.
Abstimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses, Drucksache 13/2521. Der Ständige Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte, damit einverstanden zu sein, dass ich den Gesetzentwurf im Ganzen zur Abstimmung stelle. Wer dem Gesetzentwurf Drucksache 13/1246 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. –