Protocol of the Session on June 25, 2003

(Minsterin Dr. Annette Schavan)

der bildungspolitischen und vor allem in der pädagogischen Diskussion unbestritten. Es gibt vor allem zwei Gesichtspunkte, die uns dazu führen, das jetzt auch ins Schulgesetz aufzunehmen: Auf der einen Seite kann nämlich aus dem medizinischen Befund noch nicht automatisch auf einen pädagogischen Bedarf geschlossen werden. Vielmehr stellen diese Befunde eine wichtige Grundlage dar. Darauf aufbauend kann dann mit pädagogischem Sachverstand über den schulischen Förderbedarf entschieden werden. Außerdem schließen wir hier ganz schlicht an eine Entwicklung in diesen beiden Schultypen an, aus der sich jetzt diese Zusammenführung anbietet.

Der fünfte Punkt ist die Informierung von Eltern volljähriger Schüler. Sie wissen, dass nach den Vorfällen in Erfurt in allen Ländern diskutiert worden ist, ob eine Kommunikation zwischen Schule und Eltern nicht hätte verhindern können, was passiert ist. Das allererste Land, das damals reagiert hat, war Bayern. Wir haben in der Debatte natürlich gespürt, dass in gravierenden Situationen auch eine Güterabwägung zwischen den Rechten, die für volljährige Schüler aus dem Datenschutz entstehen, und der notwendigen Kommunikation zwischen Eltern und Schulen vorgenommen werden muss.

Wir haben deshalb versucht, einen Kompromiss bzw. einen Weg zu finden, der auf der einen Seite den Rechten der volljährigen Schüler entspricht und auf der anderen Seite nicht Unsicherheiten in Schulen belässt, die sich in gravierenden Situationen dann dramatisch auswirken können. Ganz konkret gesprochen heißt das: Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern bleibt es bei uns dabei, dass die Eltern auch nach der Volljährigkeit ihres Kindes das so genannte kollektive Elternrecht behalten. Das heißt, sie werden zu Klassenpflegschaftssitzungen eingeladen und sind für die offiziellen Elternvertretungen wählbar. Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist: Es bleibt dabei, dass die Schulen von der Einwilligung der volljährigen Schülerinnen und Schüler ausgehen können, soweit nicht widersprochen wird. Das hat das Kultusministerium bereits in seiner Bekanntmachung von 1974 so gesehen und danach immer wieder an dieser Auffassung festgehalten. Es ist der rechtfertigende Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung, der gerade für die Lebensformen familiärer Solidarität gilt. Wir können die Eltern volljähriger Schüler nicht so behandeln wie die anderen, unbeteiligten Bürger.

Im Rahmen der Anhörung hierzu haben dem alle Beratungsgremien nicht nur zugestimmt, sondern das Kultusministerium in dieser Auffassung auch unterstützt. Auch der Landesschülerbeirat ist dieser Auffassung, zumal es die erwachsenen Schüler und Schülerinnen ja in der Hand haben, durch einen Widerspruch den Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung auszuräumen.

Widersprechen die Schüler der Informierung ihrer Eltern – was glücklicherweise eher selten ist –, so ist dies grundsätzlich zu respektieren. In der Praxis treten aber immer wieder Notfälle auf, in denen die Schule berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler in die Kriminalität, die Drogenszene oder die Prostituiertenszene abgleiten oder verwahrlosen. Für solche Fälle

bitten wir den Landtag, die Legitimation für eine Informierung der Eltern auch gegen den Widerspruch der Betroffenen zu geben. Dabei soll klargestellt sein, dass dies insbesondere bei einem Ausschluss oder einem angedrohten Ausschluss aus der Schule gilt.

Meine Damen und Herren, das sind die fünf Punkte, die wir im Schulgesetz verankern wollen. Die vier zuerst genannten Punkte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Modernisierung unseres Bildungswesens in unterschiedlichen Schularten, und der letzte Punkt dient dazu, Schulen in Baden-Württemberg in einer wichtigen Frage Rechtssicherheit zu geben. In diesem Sinne bitte ich Sie, diese Möglichkeiten im Schulgesetz zu verankern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP)

Wem von der CDU-Fraktion darf ich das Wort erteilen?

(Abg. Wacker CDU: Frau Vossschulte!)

Frau Abg. Vossschulte, Sie erhalten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, bei einigen Punkten dieser Gesetzesvorlage gibt es keinen Streit mit der Opposition. Ich denke da an den einheitlichen Sonderschultyp. Dem werden Sie wohl sicher zustimmen.

(Abg. Zeller SPD: Dazu werde ich mich nachher noch äußern!)

Der Landeselternbeirat hat zugestimmt. Das scheint doch sehr unstrittig zu sein.

Das Gleiche gilt für die Kooperationsklassen von Hauptschule und BVJ. Denn hiermit wird es durchaus möglich, schwächeren Schülern einen Zugang zu einem Schulabschluss und dann eben auch zu einer Berufsausbildung zu verschaffen. Ich glaube, wir haben gerade bei diesen Schülern auch die Verpflichtung, alles zu tun, damit sie den Anschluss an die Arbeitswelt finden.

Ebenso dürfte der Punkt 4, die Information von Eltern volljähriger Schüler – das war uns ja schon bei der letzten Novelle ein Anliegen –, unstrittig sein. Die jetzt vorgesehene Regelung ist, glaube ich, dringend erforderlich. Es ist aber auch wieder ganz typisch, dass hier von rechtlicher Seite her der Datenschutz ein Übergewicht gegenüber der pädagogischen und schlichtweg menschlichen Verantwortung erhält. Das ist doch bezeichnend.

Die Herabsetzung des Einschulungsalters halten wir für dringend geboten. Wir wissen längst, dass Kinder in diesem Alter lernbegierig sind, wissbegierig sind. Diese Zeit haben wir jahrzehntelang verstreichen lassen, ohne sie zu nutzen, wobei gerade diesen Kindern durch eine frühe Einschulung auch Motivation für die weitere Schullaufbahn gegeben wird. Denn ständiges Zurückhängen, ständige Unterforderung belastet Kinder mindestens so stark wie eine Überforderung. Deshalb ist es richtig, dass hier ein individueller Zeitpunkt gewählt werden kann, der auf das Kind jeweils

abgestimmt ist, sodass die Schüler zu einem ihnen gemäßen Zeitpunkt den Einstieg in die Schule vollziehen können.

Kommen wir zu dem achtjährigen Gymnasium. Da ist die Einigkeit nicht mehr so groß. Wir haben in Baden-Württemberg lange Erfahrung mit den achtjährigen Gymnasien. Sie haben sich bewährt. Nun kann man sagen: „Die Zeit in dieser Schulart wird aber für alle auf acht Jahre verkürzt, dann sieht die Sache etwas anders aus.“ Ich halte dennoch die Einführung jetzt, und zwar möglichst schnell, für sinnvoll und möglich, weil den Schulen damit gleichzeitig mehr Selbstständigkeit gegeben wird. Wir haben die Kontingentstundentafeln, können damit auf die einzelnen Klassen reagieren. Wir haben die Stundenpools. Wir haben neue Lehrpläne, die jetzt gerade auch in einer anfänglichen Übergangszeit Spielraum für Anpassungen an die Klasse lassen, und stehen nicht mehr vor der Notwendigkeit, durch die Lehrpläne zu jagen, um am Ende des Schuljahrs den Lehrplan unbedingt erfüllt zu haben. Ganz wichtig sind in diesem Zusammenhang die Spielräume bei den Deputaten, die uns angekündigt worden sind. Ich glaube, das ist ein ganz wesentliches Moment, um die Motivation an den Schulen zu erhöhen.

Diese Motivation besteht. Die Lehrerinnen und Lehrer haben sich auf das achtjährige Gymnasium eingestellt und sind alle bereit und willens, sich jetzt an die Umsetzung zu machen.

Es ist, denke ich, wichtig, dass unsere Schüler die Schule früher verlassen. Wenn Sie heute in ein Gymnasium kommen und die Schüler der Klassenstufe 13 sehen, stellen Sie fest: Die passen nicht mehr in dieses System. Sie sind zu alt dafür, sie sind zu weit entwickelt dafür, sie sind zu selbstständig und können mit diesem Rahmenschema Schule nichts mehr anfangen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass sie früher in die Eigenverantwortlichkeit entlassen werden und selber Verantwortung übernehmen können.

Die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen wird immer wieder angemahnt. Meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Die Gymnasien haben sehr viel Erfahrung mit dieser Durchlässigkeit, insbesondere was die Fremdsprachen anbelangt. Wir bekommen auch viele Schüler aus anderen Bundesländern, die mit ganz anderen Fremdsprachenfolgen kommen. Das wird an den Schulen individuell geregelt. Die Schüler bekommen Nachlernfristen, sie bekommen Unterstützung aus der Schule. Das wird in diesem Fall ganz genauso funktionieren. Da habe ich überhaupt keine Sorge.

Wichtig ist – das wird auch geschehen –, dass es genügend Übergangsregelungen gibt und dass die Schulen genügend Freiheit bekommen, um mit solchen Fällen umzugehen. Natürlich weiß kein Mensch, wie das jetzt insgesamt flächendeckend ablaufen wird. Aber da sollten wir den Schulen einmal ein bisschen mehr Vertrauen entgegenbringen.

(Abg. Röhm CDU: So ist es!)

Sie werden mit diesen Problemen fertig werden und werden damit zurande kommen.

Ein Hinausschieben der Einführung des achtjährigen Gymnasiums bis ins Jahr 2007 bedeutete, dass die ersten Absol

venten im Jahr 2015 aus der Schule kämen. Damit würden wir wertvolle Jahre verschenken und gegenüber anderen Ländern in einen Rückstand kommen, der in keiner Weise gerechtfertigt ist. Ich denke, das achtjährige Gymnasium ist für unsere Schüler eine Chance. Auch ein gestaffeltes Einführen würde nichts bringen. Denn sobald Sie anfangen, diesen Bildungsgang an einigen Schulen einzuführen, wollen ihn alle anderen Eltern plötzlich auch haben, weil sie sehen, dass ihre Kinder, wenn ihnen das noch nicht angeboten wird, im Nachteil sind. Insofern muss das achtjährige Gymnasium flächendeckend auf einen Schlag eingeführt werden.

(Abg. Zeller SPD: Komisch, dass der Landeseltern- beirat das völlig anders sieht!)

Das ist richtig, aber wir wissen aus Erfahrung, Herr Zeller, dass bei Neueinführungen die Eltern anschließend kommen und fragen: Warum für unsere Kinder nicht?

(Abg. Zeller SPD: Wenn Sie sich auf die Eltern be- rufen, ist es schon merkwürdig, dass der Landes- elternbeirat eine völlig andere Auffassung vertritt! Sie halten den Landeselternbeirat wohl für inkom- petent!)

Denken Sie an die erste Fremdsprache. Der Landeselternbeirat war auch mit vielen anderen Dingen nicht einverstanden, etwa mit der Einführung der ersten Fremdsprache. Nachdem sie an Pilotschulen eingeführt wurde, haben plötzlich alle Eltern gefragt: Warum für unsere Kinder nicht? Und genauso würde es in diesem Fall sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin der Meinung, dass die Schulen mit diesem Problem fertig werden, dass es zwar Übergangsschwierigkeiten geben kann, dass diese aber an den Schulen geregelt werden können und hier die notwendige Flexibilität vorhanden ist. Deshalb sollten wir im nächsten Jahr unbedingt beginnen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der von Ihnen, Frau Schavan, heute präsentierten Vorlage zur Novellierung des Schulgesetzes haben Sie nun auch schriftlich den Beweis dafür geliefert, dass Sie erstens aus PISA, IGLU und anderen Studien nicht die richtigen Schlüsse ziehen und wieder nur systemimmanente Veränderungen vornehmen, mit denen Sie die starre Dreigliedrigkeit bzw. Viergliedrigkeit des Schulsystems in Baden-Württemberg sogar noch verschärfen, bezogen auf die Durchlässigkeit, und dass Sie zweitens für unser Land eine verheerende Bildungspolitik betreiben, die aus Beteiligten Betroffene macht und mehr Frust an unseren Schulen verursacht, als notwendige Fortschritte erzielt werden.

(Beifall des Abg. Dr. Caroli SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Wo leben Sie denn, Herr Zeller?)

Wenn ich hier von den notwendigen Veränderungen spreche – hören Sie genau zu –, kann ich auf die Erfahrungen verweisen, die der Schulausschuss bei seiner Reise im PISA-Siegerland Finnland gesammelt hat.

(Abg. Seimetz CDU: Oh Gott!)

Dort wurde uns vorgeführt, wie man tatsächlich gute Schulpolitik macht

(Lachen der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

und Weichen so stellt, dass man Länder wie Deutschland und auch Baden-Württemberg weit hinter sich lassen kann. Finnland und andere Länder machen uns vor, wie Schulen inhaltlich und organisatorisch effektiv und deswegen hervorragend arbeiten.

Einige wenige Punkte aus einer ganzen Palette von Maßnahmen, die wir dringend anpacken sollten, will ich nur kurz benennen, Maßnahmen, die in der Bevölkerung großen Zuspruch finden, die aber Sie, Frau Schavan, und die Mehrheitsfraktion hier aus ideologischen Gründen nicht durchführen wollen.

Das ist erstens: Wir müssen unseren Kindern längere gemeinsame Lernzeiten geben,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und zwar in Bezug auf mehr Ganztagsschulen und eine längere gemeinsame Schulzeit. Kinder nach der vierten Klasse zu trennen, ist viel zu früh, meine Damen und Herren. Wir haben deshalb vorgeschlagen, Kinder sechs Jahre lang gemeinsam lernen zu lassen

(Abg. Seimetz CDU: Ihr schlagt immer die fal- schen Sachen vor!)