Ich beginne mit dem Herzstück der Novellierung, der generellen Einführung eines achtjährigen Bildungsgangs an unseren Gymnasien. Meine Damen und Herren, das ist die konsequente Fortsetzung der Entwicklung des deutschen Gymnasiums. Das ist gleichsam das nächste Kapitel in der Entwicklung des Gymnasiums in Deutschland. Mit der Möglichkeit oder künftig dem regulären Weg, nach zwölf Jahren Abitur zu machen, entsprechen wir internationalen Vergleichsmaßstäben. Es muss in Deutschland möglich werden, dass junge Leute in den kommenden Jahren auch zwischen 17 und 18 Jahren Abitur machen und nicht erst zwischen 19 und 20 Jahren. Wir sind es jungen Leuten schuldig, dass wir verantwortungsbewusst mit ihrer Lebenszeit umgehen.
Mit 18 Jahren sind Jugendliche heute volljährig, wahlberechtigt und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist die flächendeckende Einführung des G 8 ein logischer
Schritt auch im Blick auf veränderte Entwicklungen und eine veränderte Lebensrealität der Schüler und Schülerinnen.
Aber, mehr noch: Wir reden hier nicht einfach über die Kürzung des gymnasialen Bildungsgangs um ein Schuljahr. Die Umstellung auf G 8 in Baden-Württemberg ist nicht nur eine Strukturmaßnahme oder eine Frage der Organisation von Bildung, sondern sie ist auch ein wesentlicher Schritt hin zu einer neuen pädagogischen Verfassung des Gymnasiums.
Wir haben in Baden-Württemberg langjährige Erfahrungen mit G 8. Dieses Modell wurde zu Beginn der Neunzigerjahre zunächst an vier, fünf Standorten eingerichtet und 1997 in allen Regionen des Landes eingeführt. Es ist interessant: Überall in Deutschland, wo in den letzten Jahren entsprechende Modelle eingeführt wurden, sind die Erfahrungen damit so gut, dass die Mehrheit aller Bundesländer in Deutschland in den nächsten zwei bis drei Jahren generell auf G 8 umstellen wird. Das gilt für Sachsen-Anhalt, für Niedersachsen, für das Saarland, für Hessen. Das gilt auch für die Bundesländer, die ohnehin schon auf G 8 umgestellt hatten. Wir gehen damit einen Weg, der dem Weg entspricht, den die Mehrheit aller Bundesländer in Deutschland beschreitet.
Die Umstellung auf G 8 wird seit vielen Jahren sorgfältig vorbereitet. Alle Detailfragen werden mit den Praktikern aus unseren Schulen besprochen. Wir haben allein auf der Ebene des Ministeriums ein Forum mit Vertretern der Schulen, der Hochschulen, der Wirtschaft, die nun seit vier oder fünf Jahren alle Fragen – auch alle pädagogischen –, die mit der Umstellung verbunden sind, regelmäßig beraten haben und letztlich auch die Vorentscheidungen getroffen haben. Langjährige Vorarbeiten, sorgfältige Vorbereitung – übrigens länger, als das in den meisten anderen Ländern aufgrund der Beschlüsse, die dort gefasst wurden, überhaupt möglich ist.
für ziemlich realitätsfern, zumal – in der Tat, Herr Pfister sagt es – die Umstellung auf G 8 überall in Deutschland schon zum Zeitpunkt der Herstellung der deutschen Einheit hätte erfolgen können. Dieser Schritt ist überfällig. Deshalb halte ich es für ausgeschlossen, noch einmal ein paar Jahre zu warten, bis ein solch wichtiger Schritt vollzogen wird.
Wir haben uns zu einer Umstellung auf G 8 im Zusammenhang mit einer Reihe pädagogischer Maßnahmen entschieden. Dazu gehören neue Bildungsstandards und ein Kerncurriculum. Wir wollen nicht immer mehr Spezialisierung, immer mehr Fächer, immer dickere Lehrpläne für den Unterricht. Wir wollen – und PISA bestätigt diesen Ansatz – die Konzentration auf den „Grundwortschatz“ eines Faches. Wir wollen die Konzentration auf Fundamente, auf Grundlagen, auf das, was dann noch zu vertiefter Allgemeinbildung führen kann.
Wir haben neue Fächerverbünde geschaffen, darüber hinaus zentrale Klassenarbeiten, schülerzentrierte Unterrichtsformen und mit der Einführung der Kontingentstundentafel auch sehr viel mehr Beweglichkeit im konkreten Profil des Unterrichtsangebots für eine Klasse. Damit ist der Schritt, wie er jetzt im Schulgesetz verankert werden soll, ein Schritt – ich sage es noch einmal – hin zu einer modernen pädagogischen Verfassung des Gymnasiums in BadenWürttemberg, und zwar in engem Kontakt mit den Schulen selbst, mit den Hochschulen und der Wirtschaft erarbeitet, also mit denjenigen, die unmittelbar damit zu tun haben.
Alle Änderungen werden zum Schuljahr 2004/05 in Kraft treten. Das im kommenden Herbst beginnende Schuljahr 2003/04 wird für die Gymnasien das Schuljahr zur Vorbereitung auf die pädagogischen und strukturellen Veränderungen sein. Hierfür werden auch von den Deputaten her Spielräume zur Verfügung gestellt, um das kommende Schuljahr als ein wirkliches Jahr zur Vorbereitung auf G 8 zu gestalten.
Wir haben im Blick auf das Jahr 2012, in dem erstmals zwei Abiturjahrgänge das Gymnasium verlassen werden, weiterhin eine interministerielle Arbeitsgruppe beauftragt, Probleme, die damit möglicherweise auftreten, zu lösen, Lösungsansätze vorzubereiten. Auch sie werden schon in absehbarer Zeit vorgelegt. Ein so hochschulstarkes Land wie Baden-Württemberg ist locker in der Lage – und das gilt für andere Länder über Kooperationen, die wir eingehen, jetzt auch –, diese Situation gut zu meistern.
Ein Thema, das im Rahmen der Anhörung neben der Frage der Verschiebung der Einführung von G 8 eine Rolle gespielt hat, ist die Frage der zweiten Fremdsprache ab Klasse 4.
Entschuldigung, ab Klasse 5. – Die Einführung der zweiten Fremdsprache ab Klasse 5 ist die konsequente Antwort auf die Einführung der ersten Fremdsprache in Klasse 1; denn für diese Schüler gilt das. Wir beginnen in Klasse 1 mit der ersten Fremdsprache. Es war die Überzeugung aller Schulen in den vier Oberschulamtsbezirken, so sie uns von der Direktorenvereinigung vorgetragen wurde, dass wir diesen wichtigen Schritt tun sollten.
Nein, das sagen nicht alle. Das sagt im Bereich des Gymnasiums niemand. Wir wissen genau, dass es natürlich schon jetzt sehr unterschiedliche Unterrichtsangebote in Realschulen und Gymnasien gibt. Künftig werden alle Kinder Erfahrungen mit einer Fremdsprache haben. Die Durch
lässigkeit in Baden-Württemberg, lieber Herr Zeller, wird natürlich dadurch höher werden, weil Fremdsprachen nicht mehr nur das Thema der weiterführenden Schulen sein werden,
weil in einer sehr viel früheren Zeitphase ein ganz anderer Einstieg in das Lernen von Fremdsprachen möglich ist und dabei Erfahrungen gesammelt werden.
(Abg. Zeller SPD: Alle! Alle sagen das in den An- hörungen! – Gegenruf des Abg. Röhm CDU: Ach, das stimmt doch gar nicht!)
Es bleibt dabei: ab Klasse 5 Einführung der zweiten Fremdsprache. Das ist die Konsequenz aus unserer früheren Entscheidung, die Konsequenz aus dem, was übrigens auch internationale Praxis ist,
die Konsequenz aus einem anderen Ansatz des Sprachenlernens, den wir gewählt haben, der sich auch in den Bildungsstandards nachlesen lässt. Alles andere wäre inkonsequent gewesen.
Damit komme ich zum zweiten Stichwort dieser Schulgesetzänderung. Das betrifft die Stichtagsregelung. Das ist gleichsam vom anderen Ende der Schullaufbahn her gesehen der verantwortungsbewusste Umgang mit der Lebenszeit von Kindern. Sie wissen, dass wir seit Mitte der Neunzigerjahre mit dem „Schulanfang auf neuen Wegen“ gute Erfahrungen gemacht haben. Interessanterweise hat die PISA-Studie ja die Argumentation in Deutschland nahezu umgedreht. Bislang ist auch in pädagogischen Diskussionen oft gesagt worden, Kinder, die zu früh eingeschult würden, stünden häufiger in der Gefahr, Klassen wiederholen zu müssen oder in der Schule zu scheitern. Seit der PISA-Studie wissen wir, dass diese Gefahr bei Kindern, die zu spät eingeschult werden, größer ist.
Nein, das ist auch nicht nur eine Interpretationsfrage, jedenfalls nicht in der PISA-Studie. In der pädagogischen Fachliteratur gibt es nach wie vor unterschiedliche Meinungen.
Aber ich zitiere hier aus der Auswertung empirischer Daten in der PISA-Studie. Diese Auswertung besagt: Die Wahrscheinlichkeit ist eher höher bei zurückgestellten und später eingeschulten Kindern als bei frühzeitig eingeschulten Kindern. Das kann einem passen oder nicht, aber man muss es zur Kenntnis nehmen.
Deshalb ist es aus unseren Erfahrungen mit dem „Schulanfang auf neuen Wegen“ für uns folgerichtig, jetzt im Gesetz eine neue Stichtagsregelung vorzusehen und den verpflichtenden Stichtag für die Einschulung um drei Monate zu verschieben. Dies wird im Blick auf Ressourcen, die damit verbunden sind, mit einem gewissen Zeitkorridor eingeführt, weil in der Schuleingangsphase einfach mehr Ressourcen eingebracht werden müssen.
Die Änderung, meine Damen und Herren, hängt auch mit den späten Sommerferien in Baden-Württemberg zusammen, und sie wird den Grundschulen die Bewältigung der Sprachprobleme ausländischer Kinder erleichtern. Denn Sprachprobleme sind einfacher zu lösen, je jünger die Kinder sind. Grundschulen erbringen gerade in diesem Bereich eine wichtige Integrationsleistung.
Wir schlagen in dem Gesetzentwurf außerdem eine deutliche Verschiebung des so genannten freiwilligen Stichtags vor, nämlich auf den 30. Juni des folgenden Kalenderjahres. Damit haben wir vom 30. Juni des einen Jahres bis zum 30. Juni des anderen Jahres einen breiten Korridor, der der tatsächlichen Verschiedenheit der Entwicklung von Kindern in diesem Alter gerechter wird. Manche sagen, es sei sehr mutig, einen so breiten Zeitraum vorzusehen. Wir haben Erfahrungen mit dem „Schulanfang auf neuen Wegen“. Deshalb können wir diesen Schritt jetzt tun.
Übrigens wird der Schritt in einem engen Zusammenhang mit einer weiteren Maßnahme stehen, für die in diesen Tagen die Vorbereitung beginnt, nämlich mit der Frage eines Bildungs- und Erziehungsplans für den Kindergarten. In dieser Woche wird noch ein Gespräch zwischen Vertretern von drei Ländern und Herrn Fthenakis stattfinden, sodass wir die Zeit bis zum Übergang in die Grundschule jetzt auch von dem anderen Ende her, vom Kindergarten her, vernünftig gestalten werden.
Der dritte Punkt der Änderung des Schulgesetzes betrifft die Schwachen, die Risikogruppe im Bildungswesen. Unser Grundsatz heißt: Niemand in diesem Land darf zum Modernisierungsverlierer werden. Deshalb sind wir in den letzten Jahren neue Wege gegangen und haben nach Klasse 8 in unseren Hauptschulen versuchsweise zweijährige Kooperationsklassen im Bereich des Berufsvorbereitungsjahrs eingeführt. Die Erfahrungen sind gut. Deshalb bitten wir den Landtag, jetzt auch den flächendeckenden Ausbau dieser Kooperationsklassen, die eine wichtige Zusammenarbeit zwischen allgemein bildenden Schulen und beruflichen Schulen bedeuten, in das Schulgesetz aufzunehmen.
Der vierte Punkt ist der gemeinsame Sonderschultyp für Hörgeschädigte. Die Planung und Begleitung individueller Lernwege wird in Baden-Württemberg vor allem von den Sonderschulen geleistet. Die Zusammenfassung der bisherigen Sonderschultypen für Gehörlose und für Schwerhörige zu einem Sonderschultyp „Schule für Hörgeschädigte“ ist in