Aber ich verlange von der Bundespolitik, dass endlich Schluss gemacht wird mit der Gängelung der Länder und der Hochschulen. Ich verlange, dass für diejenigen Bundesländer, die Hochschulgebühren einführen wollen, die Möglichkeit geschaffen wird, dies auch tatsächlich zu tun. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich erinnere mich, Herr Kollege Kretschmann, an flammende Reden in Lübeck zum Thema Bildungsföderalismus. Ich erinnere mich, Herr Kollege Drexler, an flammende Reden von SPD-Vertretern und auch von CDU- und FDP-Vertretern zum Bildungsföderalismus – immer mit dem Tenor, dass der Bund sich gefälligst aus solchen Fragen heraushalten und den Ländern die Gestaltung ihrer Bildungspolitik zugestehen sollte. Ich kann nur sagen: Diesen Geist von Lübeck, den wir alle beschworen haben, sollten wir nicht nur in Sonntagsreden beherzigen, sondern auch in der konkreten Politik anwenden, meine Damen und Herren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ein denkwürdiges Gesetz, das heute in zweiter Lesung beraten wird.
Also: Erstens: CDU und FDP/DVP haben heute so argumentiert – sie haben es auch bei der ersten Lesung und im
Wissenschaftsausschuss getan –: Das Gesetz ist eher eine Fehlgeburt; wir wollen es eigentlich nicht, sondern würden ja lieber etwas ganz anderes tun, wenn wir könnten; es ist die schiere Not, die uns treibt.
Und zweitens: Die Landesregierung kann den Gesetzentwurf nicht einbringen. Es ist nämlich der schiere Zeitmangel, der sie daran hindert.
Denn hätte die Landesregierung den Gesetzentwurf eingebracht, hätte sie Gelegenheit zu einer Anhörung geben müssen, und dann hätte sie von den Betroffenen Kommentare bekommen, die sie lieber nicht hören wollte.
Und schließlich drittens: Der Wissenschaftsminister kann dieses Gesetz nicht wollen; denn von diesen kleinen Studiengebühren – und in der Substanz handelt es sich ja um nichts anderes – hat sein Haus nichts und haben die Hochschulen nichts. Die Hochschulen haben lediglich das Geld einzusammeln, und danach hält der Finanzminister die Hand auf und stopft damit Haushaltslöcher – die Resultate der verfehlten Haushaltspolitik vieler Jahre.
Das, lieber Herr Frankenberg, passt leider gar nicht zu dem Image des mutigen Hochschulmodernisierers. Was heute passiert, ist nichts anderes, als dass Sie schlechten Beispielen hinterherlaufen, die man aus anderen Ländern schon kennt. Das aktuellste Beispiel stammt aus dem CDU-regierten Niedersachsen. Zunächst spricht man von moderner Hochschulfinanzierung, und dann, wenn es konkret wird, wird das Geld den Hochschulen weggenommen und doch in den Staatssäckel gesteckt. Das ist kein gutes Zeichen für die Hochschulen im Land, und es ist auch kein gutes Zeichen, Herr Frankenberg, für Ihr Standing im Kabinett; denn es kommen schon Fragen auf, was uns die Hochschulen in diesem Land eigentlich wert sind.
Anlass zu Zweifeln gibt es nicht nur durch diese Gebührennotgeburt, über die wir heute reden. Anlass zu Zweifeln gibt es auch aufgrund zweier weiterer Vorhaben, die Sie in diesen Tagen angekündigt haben und die zeigen, wohin die Reise im Land geht.
Erstens hat die Landesregierung den Abbau weiterer 20 000 Stellen im Bildungsbereich angekündigt und die Hochschulen explizit eingeschlossen, und das, obwohl erstens die Zahl der Abiturienten in den nächsten Jahren weiter steigen wird, obwohl wir zweitens alle davon ausgehen, dass wir eine höhere Akademikerquote brauchen, und obwohl sich drittens die Betreuungsrelation zwischen Professoren und Studierenden schon jetzt geradezu erbärmlich darstellt.
Zweitens hat die Landesregierung angekündigt, dass die Universitätsprofessoren künftig bis zum Alter von 68 Jahren arbeiten sollen. Das will in der Konsequenz für die Hochschulleitungen heißen: Sie bekommen weniger Gestaltungsspielraum. Das will für die Studierenden heißen: Stellt
euch auf schlechtere Studienbedingungen ein. Und das will für Nachwuchswissenschaftler heißen: Auf absehbare Zeit sind die Schotten an den Hochschulen dicht; es gibt für junge Wissenschaftler keine Chance, als Nachwuchswissenschaftler hineinzukommen.
Ihre Botschaft an die Hochschulen lautet in diesen Tagen: weniger Stellen, weniger Spielraum, weniger Ressourcen, weniger Verlässlichkeit. Einen Solidarpakt II können sie vergessen.
Lieber Herr Frankenberg, bei Tagungen reden Sie so gern darüber, wie man in Deutschland Spitzenuniversitäten möglich macht. So, wie das zurzeit angegangen wird, geht es jedenfalls nicht. Die Hochschulen brauchen stattdessen ein ganz anderes Zeichen, das umgekehrte Signal. Gerade angesichts der knappen Haushalte und gerade angesichts der Konjunkturschwäche geht es darum: Wir müssen sparen, um in gute Bildung zu investieren. Wir brauchen bessere Hochschulen, um Innovationen zu fördern, und wir brauchen dabei den Staat als verlässlichen Partner der Hochschulen, um zusätzliche Mittel für die Hochschulen zu mobilisieren.
Die Hochschulpolitik des Wissenschaftsministers ist jedoch doppelt konzeptionslos. Zum einen zeigt sich: Es gibt keine Strategie, wie die Hochschulen vor weiteren Einschnitten geschützt werden sollen. Und zum Zweiten gibt es keine Strategie, wie sie zu eigenen und durchgerechneten Studiengebührenmodellen kommen. Bis heute liegen keine Pläne auf dem Tisch, wie ein sozialverträgliches Studiengebührenmodell aussehen soll, das Studierwillige und -fähige nicht abschreckt.
Ein bisschen Geduld. Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Pfister. Bis heute sagen Sie nicht, Herr Pfister, wie es gewährleistet werden soll, dass das Geld in die Hochschulen fließt und nicht in die Taschen des Finanzministers.
Bis heute verstecken Sie sich mit vielen rhetorischen Winkelzügen hinter der Klage, die Sie einreichen,
anstatt Mut zu beweisen und einen klaren Reformvorschlag zu präsentieren, den man auch diskutieren kann.
Es hätte Ihnen gut angestanden, schon vor dem Einreichen der Klage gegenüber der Öffentlichkeit deutlich zu machen, für welche Form der Eigenbeteiligung Sie eigentlich sind.
(Abg. Pfisterer CDU: Nachlaufende Studiengebüh- ren! – Abg. Pfister FDP/DVP: Sie kennen unser Modell genau! Das Modell ist auch das Modell des Wissenschaftsministers!)
Sie sind ja so ungeduldig. Ich muss Ihnen jetzt doch gleich antworten. Sie sagen: „Wir haben ein konkretes Loch im Haushalt. Wir müssen es stopfen. Und jeder, der gegen die Verwaltungsgebühren ist, muss sagen, wie er das Loch anders stopft.“ Ihr Vorschlag, die HRG-Novelle im Bund zu kippen und nachlaufende Studiengebühren einzuführen – man mag darüber denken, was man will –, ist jedenfalls kein Vorschlag, der dazu geeignet ist, das aktuelle Haushaltsloch zu stopfen.
Es ist nicht wahr, wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten: „Ich ziehe noch heute den Gesetzentwurf zurück, wenn Sie das HRG im Bund kippen.“ Es ist nicht wahr, weil über Ihren Alternativvorschlag das Haushaltsloch nicht gestopft werden kann.
Zurück zu der vertanen Chance, ein neues Modell der Hochschulfinanzierung auf den Weg zu bringen. Je mehr Zeit wir verstreichen lassen, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir irgendwann bei dem landen, was alle befürchten und was die Studiengebührengegner schon immer gesagt haben: Wir werden bei allgemeinen Studiengebühren landen, und keiner, am wenigsten die Hochschule, wird etwas davon haben.
Wir Grünen in Baden-Württemberg haben uns positioniert. Wir haben ein Modell vorgestellt. Wir wollen die Hochschule finanziell auf bessere Füße stellen, und wir wollen dabei Studierenden mehr Einfluss auf die Qualität der Lehre geben. Deshalb schlagen wir die Einführung von Bildungsgutscheinen vor – ein Modell für die Hochschulen und ein Modell für den Einstieg in lebenslanges Lernen.
Erstens: Mit den Bildungsgutscheinen erhalten Hochschulen einen Teil ihrer finanziellen Mittel in Abhängigkeit von der Zahl ihrer Studierenden nach dem Prinzip „Staatliches Geld folgt Studierenden“. Wenn die Studierenden mit den Bildungsgutscheinen an die Hochschule gehen, fließen die entsprechenden staatlichen Mittel dorthin. Mit einem solchen Modell wird der Einfluss von Studierenden ab dem ersten Semester erhöht, und Hochschulen erhalten einen Anreiz, etwas für ein gutes Angebot und eine bessere Studienqualität zu tun.
Mit den Bildungsgutscheinen wollen wir zum Zweiten den gebührenfreien Zugang zum Erststudium weiterhin aufrechterhalten, weil es unverzichtbar ist, dass die Akademikerquote erhöht wird und wir Zugangsgerechtigkeit sicherstellen. Das bedeutet also: Für die erste Studienphase erhal
ten Studierende den Bildungsgutschein vom Staat. Aber gleichwohl machen Bildungsgutscheine nur dann Sinn, wenn sie knapp bemessen sind. Denn sie sollen die Studierenden motivieren, mit der Ressource Bildung und Studienzeit effektiv umzugehen. Sie sollen auch einen Anreiz dafür bieten, nicht verbrauchte Bildungsgutscheine später in Weiterbildung zu stecken.
Knapp bemessene Bildungsgutscheine bedeuten auch, dass man sich in einer späteren Phase des Studiums, zum Beispiel ab dem Magisterstudium, und für wissenschaftliche Weiterbildung finanziell selbst beteiligt. Sozialverträglichkeit ist dabei durch die Möglichkeit der nachlaufenden Refinanzierung sicherzustellen.