Herr Drexler, Sie haben die Frage der Gewichtung der Ausgaben für Investitionen und für Sozialleistungen bei den öffentlichen Ausgaben angesprochen. Da denke ich schon, dass uns gemeinsam zu denken geben muss, dass wir im Jahr 1972
noch Investitionen in der Größenordnung von 25,5 % aller öffentlichen Ausgaben gehabt haben und im Sozialbereich ebenso 25,1 % hatten, und heute ist es völlig verkehrt: Bei den Sozialleistungen haben wir mittlerweile einen Anteil von 32 % und die höchsten Steigerungsraten, auch in den letzten Jahren, und bei den Investitionen liegen wir bei 20,3 %.
Wenn wir die Rahmenbedingungen ändern und sagen würden, wir möchten, dass die öffentliche Hand wieder stärker investieren kann, wir möchten aber auch die Privatwirt
schaft in die Lage versetzen, am Standort Deutschland investieren zu können, indem man zum Beispiel – ich weiß, dass das nicht einfach ist – doch noch einmal überlegt, die Steuerreform, die man verschoben hat, vorzuziehen,
damit man für die mittelständische Wirtschaft neue Investitionsspielräume schafft, dann bin ich mir sicher, dass wir ein Wachstum in Gang setzen könnten, das deutlich über den derzeitigen Prognosen von unterhalb der 1-%-Marke liegt, das also deutlich über 1,5 % liegt. Damit könnten wir auch, was die Binnenkonjunktur angeht, wirklich einen Schritt weitergehen.
Es ist überhaupt keine Frage, dass wir wegen der internationalen konjunkturellen Entwicklungen nur begrenzt handlungsfähig sind, aber mit dem erwähnten Programm, wozu ich auch die Agenda 2010 zähle, und darüber hinaus folgenden Schritten, etwa auch dem Vorziehen der Steuerreform, hätten wir eine Chance, unsere mittelständische Wirtschaft wieder schneller in den Aufschwung zu bringen und damit auch Beschäftigung zu sichern sowie neue Beschäftigungspotenziale zu schaffen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Von der SPD und von uns sind jetzt sehr deutliche Worte gegenüber den Gewerkschaften gefallen. Was ich vermisst habe, sind auch einmal deutliche Worte von Ihnen gegenüber dem Unternehmerlager.
Es ist doch vollkommen klar, dass wir niemandem deutlich machen können, dass wir das effektive Renteneintrittsalter heraufsetzen oder sogar eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vornehmen wollen, solange die Unternehmen nicht endlich davon abgehen, zu sagen: Wir stellen niemanden über 50 ein. Da Sie mehr Einfluss auf das Unternehmerlager haben, müssen insbesondere Sie das denen sagen.
Das geht einfach nicht. Ich erinnere noch einmal daran – das muss Sie natürlich auch noch treffen –, dass das Problem der langen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auch darin liegt, dass es immer so ein Gentlemen’s Agreement, was natürlich in Wirklichkeit nicht „gentlemanlike“ war, gegeben hat, am Ende des Arbeitslebens die Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit zu schicken, damit sich diese noch das Arbeitslosengeld aus der Sozialversicherung holen, und dann noch in den Vorruhestand zu gehen. Das geht einfach nicht. Das ist auch der Grund, warum wir das so kürzen müssen. Ich finde, da sind einmal klare Worte an das Unternehmerlager erforderlich.
Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Birk? – Bitte schön, Herr Dr. Birk.
Herr Kollege Kretschmann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir diese Anreize, zum Beispiel zur Frühverrentung, in unserem Programm, das die CDU/CSU und die FDP gemeinsam auf den Weg gebracht haben, streichen wollen und insofern natürlich einen Beitrag dazu leisten wollen, dass die Beschäftigten länger im Erwerbsleben bleiben?
Ist Ihnen noch bekannt, dass wir gerade zu diesem Thema einen Fraktionsantrag gestellt haben, um zu untersuchen, wie und mit welchen Maßnahmen man das am besten erreichen kann, zum Beispiel auch, indem man Anreize, aber auch einen Abbau von Senioritätsprivilegien vorsieht?
Das ist alles richtig. Das weiß ich alles, Herr Kollege Hofer. Es geht darum: Das sind Debatten, die jetzt im öffentlichen Raum stattfinden und sehr hart sind, gerade den Arbeitnehmern gegenüber. Da muss man von Ihnen auch erwarten können, dass auch Sie einmal gegenüber den Unternehmern laut werden.
Es gibt noch einen zweiten Punkt: Die Unternehmer müssen endlich bereit sein, dort, wo die Auftragslage gut ist, wirklich in die Leiharbeit zu gehen, statt Überstunden zu fahren.
Sonst kann das Konzept gar nicht funktionieren. Auch das ist erforderlich. Da liegen wir immer noch weit hinter anderen vergleichbaren Ländern.
Eine zweite Bemerkung, Herr Kollege Hofer und auch Herr Wirtschaftsminister: Ich würde vorsichtig sein, die Agenda 2010 nur als eine Minimalreform hinzustellen. Da gibt es teilweise tief greifende Einschnitte. Ich erinnere daran: Wenn nach diesem Konzept gut verdienende Leute in die Arbeitslosigkeit kommen, sind das dramatische Einbrüche gegenüber den Hilfen, die sie bisher bekommen haben. Wenn man den Leuten sagt, dies seien nur minimale Eingriffe, dann müssen sie ja in Angst und Schrecken über alles versetzt werden, was da noch auf sie zukommt. Damit schafft man keine Bereitschaft zur Reform. Man muss den Leuten sagen: Das sind harte Einschnitte, aber sie sind notwendig.
Drittens: Es gibt netto durchaus mehr in der Tasche, Herr Kollege Noll. Der Sinn einer Senkung der Lohnnebenkosten ist ja gerade, dass der Einzelne netto mehr in der Tasche hat – und die Unternehmen ebenfalls. Das ist ja das Positive an der Reform. Darum belastet sie nicht nur, sondern sie bringt vielen auch sehr viel.
Schließlich noch eine letzte Bemerkung zu den Steuererhöhungen: In der Tat kann man in einer solchen Situation sicher keine Steuererhöhungen vornehmen, die in die Substanz gehen – wie die Vermögensteuer, die deswegen auch nicht kommen wird, auch nicht eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Gerade habe ich in einem Gespräch mit der LBank erfahren, dass 40 % der Unternehmen, die übergeben werden, überhaupt keinen Gewinn machen. Das muss man sich einmal vorstellen.
Es ist natürlich vollkommen klar, dass man in dieser Situation nicht weiter in die Substanzsteuer gehen kann. In Substanzsteuern kann man, wenn man das für notwendig hält, nur in konjunkturellen Aufschwungphasen gehen, aber nicht in einer wirtschaftlichen Krise.
Jetzt gilt es, diese Agenda durchzusetzen. Wenn wir sie durchgesetzt haben, müssen wir sehen, was wir weiterhin noch tun müssen. Das ist das Entscheidende: die Probleme nicht kleinzureden, sondern endlich Maßnahmen umzusetzen und dann zu sehen, ob die Wirtschaft anzieht und welche weiteren Schritte dann erforderlich sind. Das müssen wir dann sehen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nur eine direkte Reaktion auf den Kollegen Kretschmann: Eine Minimalreform ist es nicht in den Bereichen, in denen Reformschritte tatsächlich angegangen werden, sondern bezüglich der Verengung der Thematik. Wenn wir eine Auseinandersetzung bezüglich dessen führen würden, was noch zwingend notwendig wäre – Sie haben es schon angesprochen, Herr Kollege Birk und Herr Kollege Hofer –, bliebe festzustellen, dass die Verkrustung des Arbeitsmarkts mit dieser Agenda 2010 im Grunde genommen nicht aufgebrochen wird. Deswegen die Bewertung: Minimalreform. Das zu dem einen Punkt.
Das Zweite: Herr Kretschmann, ich kann einfach nicht stehen lassen, dass wir von unserer Seite aus bezüglich der über 50-Jährigen nicht tätig wären. Es gibt unzählige Beispiele von Reden, bei denen ich sage: Ich kann nicht akzeptieren, dass sich 60-jährige Manager im Vollbesitz ihrer Kräfte wähnen und ihre 52-jährigen Mitarbeiter zu Auslaufmodellen erklären; dies ist nicht akzeptabel.
Das hören Sie von mir an mehreren Stellen; das hören Sie auch jetzt aufgrund Ihres Einwurfs hier im Landtag von Baden-Württemberg.
Ich möchte einen dritten Punkt in der direkten Reaktion auf Sie, Herr Kretschmann, ansprechen: die Frage der Untätigkeit. Ich bin den Gewerkschaften, die ich hier ausdrücklich mit erwähnen will, den Arbeitgeberorganisationen und -verbänden, dem Landesarbeitsamt, allen, die in irgendeiner Weise mit dem Thema zu tun haben, dankbar für die Aktion „50 plus – die können es“. Das ist eine Aktion, die immerhin dazu geführt hat, dass im Jahr 2002 in Baden-Württemberg mehr als in jedem anderen Bundesland über 50-Jährige wieder in Arbeit vermittelt worden sind. Dies sollte hier ausdrücklich anerkannt werden, und das muss meiner Meinung nach erwähnt werden.
Es bleibt ein dringender Handlungsbedarf; das ist gar keine Frage. Deswegen war ich auch immer gegen diejenigen, die sich im Wettlauf um das Renteneintrittsalter 70 übertroffen haben. Ich habe immer gesagt: Was soll eigentlich diese Forderung, wenn wir, wie es hier zu Recht zitiert worden ist, 60 % Betriebe haben, die keine über 50-Jährigen mehr beschäftigen? Ziel muss doch sein, dass wir nicht einen Wettlauf nach oben beim Renteneintrittsalter schaffen, sondern dass wir sagen: Wir müssen wieder dahin kommen, dass wir wenigstens 61 oder 62 Jahre im Durchschnitt beim Renteneintrittsalter erreichen und nicht 59,8 oder 59,9 Jahre, wie es gegenwärtig der Fall ist.
Diese Bemühung ist notwendig, und sie ist nur erfolgreich – da kann man Ihnen ja Recht geben –, wenn die Betriebe auch 53-, 54- oder 56-Jährige beschäftigen und zum Teil auch wieder einstellen. Wobei dann eine Teilauseinandersetzung mit dem erfolgt, was hier als Stichwort genannt worden ist: Herr Kretschmann, dann muss auch die Bereitschaft vorhanden sein, über die so genannten Senioritätsprivilegien zu reden. Das, was sich als Schutzvorschriften vor vielen Jahren einmal durchaus als richtig erwiesen hat, ist heute ein Einstellungshemmnis,
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung des Landeshochschulgebührengesetzes und der Hochschulgesetze – Drucksache 13/2030