Protocol of the Session on May 8, 2003

Nun das Fazit: Die Agenda 2010 muss der Anfang eines größeren Reformwerks sein, bei dem Eigenverantwortung groß geschrieben ist und die staatlichen Heizkissen nach und nach abgeschaltet werden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Sehr richtig!)

Der Protest der selbst ernannten Sozialrechtler und -staatler wird sehr groß sein. Nicht nur bei den Gewerkschaften und bei den Linken wird die Irritation groß sein, wenn sie sich den Realitäten stellen müssen. Aber abschließend sei noch bemerkt: Nicht jedes Problem muss man im Konsens lösen. Die Konsensbereitschaft der Deutschen nach dem Krieg, als es jedes Jahr etwas mehr zu verteilen gab, war hervorragend. Ich muss sagen: Da muss man auch den Gewerkschaften zubilligen, dass sie große Verdienste daran haben, dass wir sozialen Frieden in diesem Lande hatten.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Aber der Preis ist hoch!)

Darum wurden wir ja immer beneidet. Aber wo es Strukturen zu verändern gilt, wo man zurückschneiden muss, dort wird dieses System der Konsenslösung korrigiert werden müssen, sonst gerät unser Land auf den Pfad der Mittelmäßigkeit. Konsenslösungen – das liegt in der Natur der Sache – verfestigen Strukturen, statt sie aufzulösen. Sie hindern innovative Kräfte.

Jetzt wirklich der letzte Satz: Vor allem die Gewerkschaften machen sich diese Konsensmentalität zunutze, obwohl immer weniger Arbeitnehmer von ihnen vertreten werden und nach einer Allensbach-Umfrage immer mehr Bürger weniger Einfluss von den Gewerkschaften erwarten. Wenn wir schon von dieser Konsenslösung nicht absehen wollen,

weil diese die Stärke der Deutschen ist, dann sollten wir so viel Konsens haben, dass wir, wenn das für das Gesamtwohl Notwendige getan werden muss, das notfalls ohne diejenigen machen, die das gewissermaßen aus eigenem Firmeninteresse blockieren.

Über die Agenda 2010 hinaus wird noch viel zu tun sein. Fehlende Bereitschaft hierzu wird auf Dauer nicht durch ständige Rücktrittsdrohungen des Kanzlers ersetzt werden können. Ansonsten könnte die Zeit sehr schnell da sein, wo ein Rücktritt nicht nur beim politischen Gegner, sondern in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht als Drohung, sondern als eine Art Befreiung erkannt würde.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Birk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die heutigen Zahlen des Arbeitsmarkts zeigen uns einmal mehr, wie dringend wir in Deutschland Reformen benötigen, und, wie mein Vorredner, Kollege Hofer, schon gesagt hat, diese Reformen können nur der Anfang sein. Ich glaube im Übrigen auch, dass die Bevölkerung in weiten Teilen, was die Frage der Reformfähigkeit und auch die Frage der Reformnotwendigkeit angeht, deutlich weiter ist als mancher Funktionär und mancher Politiker, die versuchen, altüberkommene Besitzstände zu wahren, ohne dass man sich weiterentwickelt.

Deshalb denke ich, man darf, wenn man sich anschaut, was in der Kanzlerrede vom 14. März angekündigt wurde und was in die Reformagenda aufgenommen worden ist, nicht den Eindruck erwecken, wir wären über den Berg, wenn dies verabschiedet ist. Wir sind erst am Anfang. Wir haben 4,5 Millionen Arbeitslose, und wir bekommen zunehmend auch Schwierigkeiten in den Branchen und in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, die wie der Südwesten bislang noch gut dagestanden sind. Deshalb ist es auch für uns alarmierend, wenn in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr die Arbeitslosigkeit um 11 % zugenommen hat. Aber man muss in diesem Zusammenhang immer wieder deutlich betonen: Die Stellschrauben dafür liegen eben nicht bei uns hier in Baden-Württemberg,

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

sondern sie liegen in erster Linie auf der Bundesebene.

(Abg. Capezzuto SPD: Wenn es gut läuft, liegt das an euch; wenn es schlecht läuft, sind wir schuld! – Abg. Wieser CDU: Der rote Gerhard ist schuld!)

Ich möchte das überhaupt nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen. Ich sage auch, dass wir dort, wo wir gemeinsam etwas bewirken können, dies auch tun werden.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Wenn es gut läuft, sind die Berliner auch schuld!)

Lassen Sie uns einmal den Arbeitsmarkt betrachten. In der Reformagenda 2010 fordert die SPD, den Kündigungsschutz zu lockern. Aber Sie springen nicht weit genug.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Jetzt springen wir erst einmal! Weiter kann man immer noch sprin- gen! – Abg. Schmid SPD: Wer zu weit springt, fällt auf die Nase!)

Wir wissen ganz genau, dass der Kündigungsschutz ein hohes Gut ist, einen hohen Stellenwert hat. Aber wenn er sich mittlerweile als Beschäftigungsbremse, als Blockade, was die Neuschaffung von Arbeitsplätzen angeht, erweist, dann ist dringend Handlungsbedarf geboten. Dann muss man eben auch die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, den Schwellenwert bei fünf Beschäftigten zu belassen oder ihn, wie die Union es fordert, auf 20 zu erhöhen. Dann muss man auch fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, ein Optionsmodell zur Verfügung zu stellen, wonach bei Neueinstellungen dem Arbeitnehmer die Wahl zwischen gesetzlichem Kündigungsschutz und Abfindung überlassen bleibt. Wir sind der Überzeugung, dass damit deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein anderes Thema aufgreifen, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Dass hier über Jahrzehnte hinweg ein Verschiebebahnhof stattfindet, ist offensichtlich. Wir streiten uns letztendlich darüber, wer die Lasten in Zukunft zu tragen hat. Wir fragen uns gar nicht, ob es nicht sinnvoller wäre, durch eine bessere Überprüfung, durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu erreichen, dass wir mit diesem Instrument gerechter und wirksamer dort fördern können, wo es notwendig ist, aber auch dort Grenzen aufzeigen, wo diese Systeme missbraucht werden.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das wird doch ge- macht!)

Es wird viel zu wenig gemacht, Herr Kretschmann. Wir diskutieren diese Reformvorschläge seit Jahren und kommen nicht richtig voran.

(Zuruf des Abg. Nagel SPD)

Auch sind wir der Meinung, dass im Regelfall 12 Monate Arbeitslosengeld gewährt werden sollte – in Härtefällen darüber hinaus bis zu 18 Monaten. Es ist aber genauso notwendig, dort das Arbeitslosengeld zu kürzen, wo man den Eindruck hat, dass jemand arbeitsfähig, aber nicht arbeitswillig ist.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das wird doch alles gemacht!)

Auch ist zu überlegen, ob einem Arbeitslosen nicht von vornherein, also bereits im ersten Monat der Arbeitslosigkeit, ein Abschlag von 25 % zugemutet werden müsste, damit er sich bemüht, schneller wieder in den Arbeitsmarkt hineinzukommen, und nicht erst über mehrere Monate in die Arbeitslosigkeit geht und dann womöglich in der Dauerarbeitslosigkeit landet.

Wir sind auch der Meinung, dass man denjenigen, die arbeitsfähig, aber nicht arbeitswillig sind, das Arbeitslosengeld um einen Betrag in der Größenordnung von 30 % kürzen muss und dass es nicht damit getan ist, nur entsprechende Sperrzeiten zu verhängen, sondern dass man zu wirksameren Instrumenten kommen muss.

Summa summarum denke ich, dass mit dieser Reformagenda ein erster richtiger Schritt getan ist, dass aber in der SPD vermutlich noch einiges an Klärung erfolgen muss. Man kann Ihnen nur wünschen, dass Sie sich aus dem Würgegriff der Gewerkschaften, des DGB, der IG Metall, lösen, denn die Entscheidungen müssen politisch getroffen werden und dürfen nicht durch Verbände und Gewerkschaften blockiert werden. Deshalb signalisieren wir dort Zustimmung, dort Kooperationsbereitschaft, wo wir dies für notwendig erachten, aber auch ganz klar dort Ablehnung, wo wir den Eindruck haben, dass es zu faulen Kompromissen kommt, die uns im Hinblick auf wirksame Reformen nicht weiterbringen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hofer FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme den moderaten Ton der beiden Vorredner auf.

(Abg. Wieser CDU: Das ist nicht schlecht!)

Die Ziele der Reform-Agenda sind klar. Wir wollen die Wachstumskräfte in der Wirtschaft mit verschiedenen Maßnahmen stärken. Wir wollen die Dynamik in der Beschäftigung entfachen, wir wollen eine Stabilisierung der sozialen Systeme,

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

und wir wollen eine Modifizierung des Gesundheitswesens. Und wir wollen bei der Rente Änderungen vornehmen. Bei der Renten- und der Gesundheitsreform werden wir noch auf die CDU warten, weil die eine Kommission eingerichtet hat. Aber klar ist: Wir werden nach der Verabschiedung der Agenda 2010 weitere Reformen vornehmen müssen. Ich kann Ihnen auch sagen, die SPD-Landtagsfraktion hat sich nach langer Diskussion bei fünf Gegenstimmen hinter die Agenda 2010 des Kanzlers gestellt.

(Beifall der Abg. Dr. Noll und Kleinmann FDP/ DVP)

Ich will Ihnen jetzt aber auch etwas sagen, was Sie vielleicht verstehen müssen. Die SPD diskutiert seit einiger Zeit – bis zum 1. Juni – mit vielen Menschen im Land. Wir haben Hunderte von Veranstaltungen – mit Gewerkschaften, öffentlich –, und ich glaube, wir nehmen zurzeit stellvertretend für viele andere die Diskussion in der Öffentlichkeit wahr. Denn alle Parteien haben nach der Bundestagswahl eine Kehrtwendung vollzogen. Auch das, was die CDU jetzt vorschlägt, stand nicht in ihrem Wahlprogramm. Auch das, was die FDP/DVP jetzt unterstützt, stand nicht so in ihrem Wahlprogramm.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wir haben die 18 kor- rigiert! – Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Nein, das stand auch nicht so in Ihrem Wahlprogramm.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Was zum Beispiel? Nen- nen Sie ein Beispiel! – Abg. Pfister FDP/DVP: Ein Beispiel!)

Ich will jetzt nicht streiten. Ich komme nachher noch darauf.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ein Beispiel!)

Sie haben weder die Kürzung des Arbeitslosengelds in Ihrem Wahlprogramm stehen – – Die haben Sie nicht drinstehen, Herr Pfister. Seien Sie doch einfach einmal ehrlich. Die Situation ist vielmehr, dass jede Partei nach dieser Wahl gesehen hat: Die Steuereinnahmen brechen ein, die Weltwirtschaft ist – auch im Zuge des Irak-Kriegs – rückläufig.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Na ja, lassen wir es mal!)

Wir haben Verkrustungen, und die müssen wir jetzt aufbrechen. Natürlich wird von den Deutschen einerseits geklatscht, wenn Herr Bsirske im Fernsehen redet, und auf der anderen Seite klatschen die Deutschen, wenn der Bundeskanzler redet. Das ist klar.

(Abg. Wieser CDU: Weniger!)

Denn das, was Herr Bsirske sagt, wollen sie eigentlich auch, aber sie verstehen auch, dass man das, was der Kanzler sagt, machen muss. In diesem Spagat sind wir.

Ich sage es Ihnen noch einmal: Führen Sie die Diskussion mit Ihren Mitgliedern, und führen Sie eine öffentliche Diskussion! Dann werden Sie sehen, dass es schwierig ist.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas zu den Gewerkschaften sagen. Es ist doch richtig, dass die deutschen Gewerkschaften sagen: Ihr müsst euch überlegen, was mit einem 55-Jährigen passiert, der schuldlos arbeitslos geworden ist und nur 18 Monate lang Arbeitslosengeld bekommt. Dann soll er doch nicht unbedingt gleich in die Sozialhilfe fallen. Darüber muss man doch nachdenken,