Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Maßnahmen der Landesregierung gegen den zunehmenden Flächenverbrauch in Baden-Württemberg – Drucksache 13/1010
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Flächenverbrauch in BadenWürttemberg nimmt zu – so hat es das Statistische Landesamt erst im Januar 2003 erneut festgestellt. Der Begriff Flächenverbrauch ist immer ein bisschen umstritten. Aber ich denke, wir sind uns in diesem Hause zumindest insoweit einig, was die Begriffsbestimmung betrifft: Flächenverbrauch heißt, bislang unverbaute, freie Landschaft für Siedlungs-, Gewerbe- oder Verkehrszwecke zu gebrauchen bzw. zu verwenden. Das ist eine klare Beschreibung, auch wenn es sich nicht um einen Verbrauch im klassischen Sinne handelt, wie man ihn bei anderen Gütern versteht.
Was bedeutet Flächenverbrauch in Baden-Württemberg? Im Jahresdurchschnitt wurden von 1997 bis 2001 täglich 12 Hektar Fläche für Siedlungs- und Verkehrszwecke neu verwendet. Im Vergleich dazu waren es von 1993 bis 1997 täglich 10,2 Hektar. Das Statistische Landesamt rechnet damit, dass der tägliche Verbrauch bis 2010 auf 13,5 Hektar ansteigen wird, wenn wir mit unserer Wohnungsbautätigkeit und unseren Erschließungen so weitermachen, die als Hauptursache für den Flächenverbrauch gelten.
Nun bedeutet für Besiedlung und Verkehr genutzte Fläche zwar nicht unbedingt versiegelte Fläche. Aber auch hierzu gibt es ergänzende Schätzungen des Statistischen Landesamts: Im Zeitraum von 1997 bis 2001 wurden täglich ca. 5,3 Hektar versiegelt, von 1993 bis 1997 waren es noch 4,6 Hektar pro Tag. Auch in diesem Bereich der echt versiegelten Flächen bedeutet das also eine Steigerung.
Wir wissen auch um die Folgen; sie werden immer wieder benannt. Ich will hier nur einige anführen: geringere Grundwasserneubildung, größere Hochwassergefahr, verändertes Kleinklima, Verlust an für die regionale Nahrungsmittelproduktion wichtigen Böden und Zerschneidung von Lebensräumen.
Gerade bei der Zerschneidung von Lebensräumen wurde die effektive Maschenweite, also das Maß für die Zerschneidung von Landschaft durch Verkehrswege und Siedlungen, seit 1930 halbiert. Dies führt zur Verinselung seltener Tierarten. Wenn sie in einem solchen durch Verkehrswege eingegrenzten Raum erst einmal ausgestorben sind, kann keine Wiederbesiedlung auf natürlichem Wege stattfinden. Diese Maschenweite ist also ein Aspekt, den zu beachten wichtig ist. Die Akademie für Technikfolgenabschätzung, die jetzt von dieser Landesregierung abgeschafft und aufgelöst wird, hat genau auf solche Dinge hingewiesen, die für unsere Analyse durchaus wichtig sind.
Während es gelungen ist, auf vielen Feldern des Umweltschutzes in Deutschland und in Europa Erfolge zu erzielen – ich will da nur Gewässerqualität, Luftreinheit, Abfallwirtschaft nennen –, steigt der Flächenverbrauch weiter – allen Bekenntnissen und Analysen zum Trotz. Dabei ist das Ziel der Reduzierung des Flächenverbrauchs oftmals formuliert worden, auch in diesem Hause. Ich will einige Beispiele nochmals nennen.
Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg fordert die Reduzierung auf ein Zehntel, also 1,2 Hektar pro Tag. Es ist sicherlich ambitioniert, wenn dieses Ziel bis 2010 erreicht werden soll. Das Altlastenforum nennt für das Jahr 2010 einen Zielwert von 3 Hektar pro Tag. Aber auch im Umweltplan heißt es:
Das Land strebt an, zur langfristigen Sicherung von Entwicklungsmöglichkeiten die Inanspruchnahme bislang unbebauter Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke... bis 2010 deutlich zurückzuführen.
Aber wir sind im beim Flächenverbrauch im Moment noch lange nicht beim Zurückführen, sondern wir sind noch im Steigflug. Wir müssen jetzt zunächst einmal eine Stagnation erreichen.
Es fehlt also nicht an Analysen und Erklärungen, es fehlt am Handeln für weniger Flächenverbrauch. Da hilft uns auch nicht ein Hinweis – wie in der Stellungnahme zu unserem Antrag – auf diverse Gesetze, die schon existieren, wenn diese Gesetze an dieser Stelle eben nicht greifen und nicht ausreichen. Denn noch immer erleben wir, dass Gemeinden bei der Planung ihrer Fläche von völlig unrealistischen Zahlen des Bevölkerungswachstums ausgehen und damit einen viel zu hohen Bedarf an zusätzlichen Siedlungsflächen anmelden und von den Regionalverbänden dann oftmals erst zurückgepfiffen werden müssen. Das erlebt man ja immer wieder in den Diskussionen in den Regionalverbänden.
Die Umweltverbände wie zum Beispiel der Naturschutzbund in seiner Kampagne „Living 2010“ – sozusagen auch eine Agenda 2010 auf einer anderen Ebene – haben etliche Maßnahmen gefordert. Wir können diese hier heute gar nicht alle erläutern, weil wir nur eine begrenzte Redezeit haben. Aber ich denke, von der Landesregierung muss geprüft werden, welche dieser Vorschläge für unser Bundesland umsetzbar sind.
Wir haben in unserem Antrag ebenfalls etliche Maßnahmen gefordert, beispielsweise Richtwerte oder Zielwerte für die Landesplanung. Wir haben gestern im Zusammenhang mit der Diskussion über das neue Landesplanungsgesetz feststellen müssen, dass genau darauf abgezielt wurde, keine Richtwerte mehr herauszugeben. Während wir in allen Bereichen unseres Lebens anfangen, Zielvorgaben zu formulieren, Zielvereinbarungen zu treffen, machen wir das genau in dem wichtigen Bereich des Flächenverbrauchs nicht.
Wir müssten eine Zielvereinbarung zwischen den Regionalverbänden und den Gemeinden treffen, um tatsächlich konkret zu einer Reduzierung des Flächenverbrauchs zu kommen. Die Art und Weise des politischen Handelns ist völlig unverständlich.
Jeder Zielkatalog wird in der Stellungnahme schon als dirigistisch diffamiert. Das ist ein absolutes Unding; ich sage es ganz deutlich.
Natürlich ist es erfreulich, dass der Innenentwicklung Vorrang vor der Außenentwicklung gegeben werden soll, dass man auch weiter darüber spricht und wissenschaftliche Tagungen darüber stattfinden wie nächste Woche der Kongress in Karlsruhe, den das Institut für Städtebau und Landesplanung dort durchführt. Aber wir müssen natürlich konkrete Maßnahmen fordern. Warum schaffen wir es nicht, dass die großflächigen Supermärkte nicht mehr eingeschossig sind? Warum können wir das in unserer Bauleitplanung nicht erreichen? Warum muss ein Parkplatz daneben liegen, durch den unnötig Fläche verbraucht wird? Oft reicht es doch, intelligenter und flächeneffizienter zu bauen. Denn schließlich geht es nicht darum, in allen Bereichen nur weniger zu machen und auszudünnen, sondern es geht darum, Effizienz zu erreichen. Dafür gilt es Anreize zu schaffen. Das ist beim Thema Flächenverbrauch schwierig. Das wissen wir alle. Das zeigen die Zahlen der letzten Jahre. Hier gilt es, gemeinsame Anstrengungen zu entwickeln.
Wir haben auch an vielen Stellen des interministeriellen Handelns noch keine Ergebnisse. Vor etwa zehn Monaten wurde der Arbeitskreis „Reduzierung der Flächeninanspruchnahme“ eingesetzt. Minister Müller hat damals eine Presseerklärung herausgegeben. Jetzt wären natürlich zum heutigen Zeitpunkt, zehn Monate später, die ersten Ergebnisse interessant. Wo wollen wir denn hin? Wie soll es weitergehen? Aus dem Landesplanungsgesetz und aus der Diskussion, die wir gestern dazu hatten, kann man das nicht herauslesen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schmidt-Kühner, in vielen Aspekten dieser Diskussion sind wir uns eigentlich einig.
Oftmals wird Fläche nicht verbraucht, sondern über eine Nutzungsumwidmung andersartig genutzt. Ein Teil dieser Flächen ist ja dann nicht versiegelt
oder sogar unbebaut, also Sportplätze, Grünanlagen, Spielplätze, vor allem Vor- und Hausgärten; die sind teilweise sehr schön und sehr gepflegt. Das sind natürlich keine Biotope mehr, und darum muss man diskutieren, was man will. Das ist richtig. Das Ziel der Landesregierung ist deshalb eine Flächen sparende Siedlungs- und Infrastrukturpolitik. Die Prognose ist eindeutig und erfordert, dass gehandelt wird.
Es gibt ja grundlegende Gesetze; die sind schon da, die werden auch eingehalten. Das ist zum einen die Boden
schutzklausel des Baugesetzbuches. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklungsachsen im Landesentwicklungsplan. Hier hat die Innenentwicklung Vorrang. Wir konzentrieren uns bei interkommunalen Aktivitäten, bei den Gewerbegebieten. Dann gibt es das Flächenressourcenmanagement des UVM. Auch gibt es Regelungen im Landesnaturschutzgesetz, im Landeswaldgesetz,
das Prinzip des sparsamen Flächenverbrauchs im Wohnraumförderungsgesetz, und zurzeit – das ist vielleicht tatsächlich ein Fortschritt, wie Sie ihn sich wünschen – ist ja unser Landesbodenschutzgesetz in der Anhörung.
Nun gibt es Programme, die auf sehr verschiedene Weise den Flächenverbrauch eindämmen. Ich rede von Landesprogrammen. Das sind zum einen das Landessanierungsprogramm und die Städtebauförderung. Das sind beides Programme zur Sanierung und Neunutzung von alten Gebäuden und auch von Brachen in den Innenstadtlagen und Ortskernen. Hier ist eine sehr große Nachfrage vorhanden. Das zeigt, dass die Programme gut ankommen.
Das zweite ist das Impuls-Programm Altbau – das ist hier gar nicht erwähnt – und das Altbausanierungsprogramm des WM. Das kann man sogar mit Bundesprogrammen kombinieren – ein sehr erfolgreiches Programm für Sanierungsobjekte im Innenstadt- und Ortskernbereich.
Ein drittes Programm ist das ELR, und zwar bei dörflichen Gemeinschaftseinrichtungen, auch im gewerblichen Bereich. Da unterstützt es die Umnutzung und Wiederbelebung von Gebäuden in den Ortskernen, zum Beispiel die nicht mehr benötigten landwirtschaftlichen Scheuern. Dadurch konnte schon öfter ein Bäcker-, ein Metzger- oder ein Dorfladen in innerörtlicher Lage gehalten werden. Auch das funktioniert.
Das vierte Programm, das MELAP-Programm, ist neu. Es ist ein Sonderprogramm im ELR, und zwar für die Erschließung und Umnutzung von innerörtlichen Brachflächen. Die spezifische Zielsetzung – das trifft dieses Thema genau – ist die Vermeidung von Neubaugebieten im Außenbereich. Die erste Phase ist bereits umgesetzt, nämlich die Untersuchung und die Überplanung nach vorhandenen Potenzialen, und zwar bei leer stehender Bausubstanz, bei der Baulückenerschließung und auch bei möglicher Nachverdichtung. Hier haben sich 200 Gemeinden beworben, 41 planen nun konkret. In Bad Wildbad und Bruchsal hat sich schon gezeigt, dass große Potenziale vorhanden sind. Das MELAP-Programm hat gezeigt, dass die Ergebnisse tatsächlich flächendeckend sind.
In der zweiten Phase sollen nun im Rahmen von zehn Pilotprojekten Maßnahmen ausgearbeitet werden. Das sind dann sicher auch Beispiele, an die sich andere halten können.
Des Weiteren ist auch die Flurneuordnung beteiligt. Wenn nämlich landwirtschaftliche Wirtschaftsflächen zusammengelegt werden, benötigt man weniger Erschließungswege. Im UVM wird bei einer neuen Straßenbaumaßnahme inzwischen automatisch geprüft, ob eine Mitbenutzungstrasse
Fazit: Wir haben eine Reihe von verschiedenen Programmen. Hier wird von der Landesregierung sehr viel getan. Ich darf trotzdem noch einige Kritikpunkte und einige Anregungen anschließen.
Erstens: Die Ausgleichsmaßnahmen beim Straßenbau sind teilweise etwas unverständlich. Weshalb beispielsweise bei Versiegelung von etwa zehn Quadratmetern Fläche drei Kilometer weiter fünf Zwetschgenbäume gepflanzt werden müssen, ist den Anliegern oftmals unverständlich.
Ein zweiter Punkt: Des Öfteren können alte Gebäude in den Stadt- und Ortskernen nicht mehr saniert werden, sondern müssen aufgrund der schlechten Substanz abgebrochen werden. Das ist teilweise recht schwierig und wegen der getrennten Entsorgung auch teuer, und diese Tatsache hält Bauherren oftmals von einer solchen Maßnahme ab. Es wäre zu überlegen, ob man ein kleines Programm zur Förderung der Abbruchkosten auflegt. Ich denke hier an einen Zuschuss und nicht an ein Darlehen. Es sind ja meistens Einzelfälle, sodass das Programmvolumen womöglich sehr überschaubar wäre, und vielleicht passt es auch als Untertranche in ein existierendes Programm.
Ein dritter Punkt sind Auflagen des Denkmalamts bei privaten Objekten. Ich rede nicht von öffentlichen Gebäuden. Wenn ein altes Bauernhaus abgebrochen werden muss, dann ist vom Bauherrn oft zunächst ein Aufrissplan zu erstellen – das kostet ihn ungefähr 3 000 € –, und erst dann darf abgebrochen werden. Ich vermute, inzwischen liegen Hunderte solcher Pläne in den Archiven des Denkmalamts, und ich frage mich, wer die alle anschaut. Es ist wirklich in Ordnung, wenn die Außenfassade denkmaltechnisch begleitet wird – also Sprossenfenster, Dachziegel, was auch immer –, aber ich glaube, beim Innenbereich privater Häuser, die man ja auch nicht anschauen kann, sollte sich das Denkmalamt heraushalten.
Viertens – und das ist für mich der wichtigste Punkt – müssen wir die Einstellungen der Bauherren wieder ändern. Dies ist aber sehr schwierig; denn es muss ihnen vermittelt werden, dass auch das Wohnen in der Innenstadt und in den Ortskernen Lebensstil und Atmosphäre bietet. Hierfür ist Öffentlichkeitsarbeit nötig. Statt weitere Broschüren zu verfassen – Herr Staatssekretär, die existierenden sind wirklich gut –, ist es, glaube ich, an der Zeit, jetzt Fachleute zu benennen und auszubilden, die beispielsweise Informationen und Vorträge in Gemeinderäten, in Ortschaftsräten und auch für die Bürger halten. Der von Ihnen, Frau SchmidtKühner, erwähnte Kongress ist ein guter Anfang; er hat ja zum Thema: „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“.