Jetzt kommen wir zu der Frage: Was können wir im Land Baden-Württemberg ganz gezielt tun? Es gibt natürlich einen Grund für den Rückgang der Zahl der Ausbildungsverträge. Der liegt in der zurückgehenden Konjunktur. Da hat der Finanzminister übrigens gestern den Zusammenhang zwischen der Weltwirtschaft und dem ganz schlechten Platz, den Baden-Württemberg bei der Wirtschaftsentwicklung hat, dargestellt. Auf die Weltwirtschaft haben wir weniger Einfluss.
Aber es gibt auch strukturelle Gründe, weshalb Unternehmen Ausbildungsangebote zurückgenommen haben oder Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Auch die Landesregierung räumt ein, dass von Betrieben des Landes angebotene Ausbildungsplätze nicht besetzt wurden, weil es angeblich keine geeigneten Bewerber gibt. Da sind wir bei einem Punkt, der uns schon sehr verbittert. Wenn eine Wirtschaftsorganisation wie das Handwerk, die einen unglaublich großen Beitrag zur beruflichen Bildung junger Menschen leistet, feststellt, dass ein Großteil derer, die sich bei ihr bewerben oder die sie in Ausbildung hat, Schwierigkeiten haben, die Inhalte dieser Ausbildung zu bewerten, und wenn sie dann nicht nur jammert, sondern sich überlegt, was man denn in der Schulbildung anders machen könnte, damit sich an die Schulbildung eine erfolgreiche berufliche Bildung anschließen kann, und dann
förmlich abgewatscht wird nach dem Motto: Ihr seid auf einem Irrweg; ein Irrglaube hat euch befallen. Heute Morgen haben wir es ja wieder gehört: Frau Schavan, eine Art Kardinal Ratzinger der Bildungspolitik,
(Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: „Kardinal Ratzinger der Bildungspolitik“, das ist ja ganz neu!)
wacht als Glaubenswächterin über die Dreiteiligkeit des baden-württembergischen Schulsystems und watscht die ab.
Da sage ich schon, Herr Minister: Warum übernehmen Sie in der Landesregierung nicht den Part, zu sagen: „Lasst uns doch pragmatisch darangehen, lasst uns doch ein bisschen
Natürlich haben wir das Problem, dass das Bildungssystem noch nicht reformiert ist. Wir müssen mit den Leistungsschwächeren umgehen. Es gibt die Diskussion – und sie ist sehr ideologisch besetzt –, ob die Ausbildungsgänge verkürzt und vereinfacht werden sollen. Wir kommen, auch wenn wir uns noch fünfmal um die eigene Achse drehen, egal, was jeder dazu glaubt, nicht richtig vom Fleck.
Gott sei Dank haben wir in Baden-Württemberg Sozialpartner, die pragmatisch und ergebnisorientiert handeln. Deshalb gibt es zwischen Südwestmetall und IG Metall eine Vereinbarung und bereits folgendes Pilotprojekt: Lasst uns doch diese Leistungsschwächeren in eine Ausbildung mit dem Ziel nehmen: dreieinhalb Jahre berufliche Bildung und ordentlicher Abschluss. Lasst uns das in Angriff nehmen; lasst uns das aber auch unterstützend begleiten, auch durch sozialpädagogische Begleitung. Wenn dann jemand dieses Ziel auf diesem Weg nicht erreicht, dann macht er nach zwei Jahren eben einen Werkerabschluss.
Aber das Ziel ist der große Abschluss der Lehre. Lassen Sie uns doch das unterstützen. Die Sozialpartner können die sozialpädagogische Begleitung solcher Maßnahmen nicht aus eigener Kraft schultern.
Lassen Sie uns auch mehr Ausbildungspartnerschaften unterstützen, und zwar ganz gezielt durch externe Organisation.
Zum Schluss möchte ich in dieser ersten Runde noch eine ganz negative Entwicklung aufgreifen. Herr Minister, geben Sie doch dem Handwerk das notwendige Geld, damit die überbetrieblichen Ausbildungsstätten endlich auf den modernsten Stand gebracht werden, damit sie die Ausbildungsinhalte vermitteln können, die notwendig sind.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage ist ernst. Sie alle haben das auch angesprochen. Es ist auch gut und wichtig, das Thema des Lehrstellenmangels in Baden-Württemberg aufzugreifen. Allerdings ist es nicht ganz so neu. Zwar ist gerade im letzten Jahr die Zahl der Ausbildungsstellen um fast 6 % zurückgegangen und ist die Entwicklung in diesem Jahr noch einmal dramatisch, aber wir haben schon seit Beginn der Neunzigerjahre einen Rückgang des Lehrstellenangebots. 1997 gab es zum Beispiel 74 000 angebotene Lehrstellen, im vergangenen Jahr waren es 83 000. Das ist ja auch der Anlass dafür gewesen, dass sich die Jugendenquetekommission ausführlich und lange mit dem Thema der Zukunftsperspektiven junger Menschen beschäftigt hat, viele Experten dazu eingeladen und auch in einem umfassenden Maßnahmenkatalog vorgeschlagen hat, was hier zu tun ist.
Zum einen ist hier die Politik auf allen Ebenen in der Pflicht, zum anderen sind aber natürlich auch die Unternehmen in der Pflicht. Sie haben das angesprochen. Das ist nicht nur eine Pflicht, sondern eigentlich auch in ihrem ureigensten Interesse eine Investition in die Zukunft. Denn es ist schon ausgeführt worden, dass es wegen der demographischen Entwicklung andernfalls über kurz oder lang einen Fachkräftemangel geben wird.
Zu guter Letzt sind wir das natürlich auch den Jugendlichen schuldig. Sie haben am eigenen Beispiel ausgeführt, Herr Kollege Hofer, was es bedeutet, wenn ich auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz und nach einer beruflichen Perspektive bin.
Vor diesem Hintergrund ist der Ruf nach einer Ausbildungsplatzabgabe verständlich, gerade wenn nur 30 % der Unternehmen ausbilden, wie Sie ausgeführt haben.
Grundsätzlich halten wir es für besser, hier mit Anreizen etwas zu schaffen. Ich denke, die Bundesregierung hat mit dem JUMP-Programm vieles getan. In den letzten Jahren sind 60 000 betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen worden, und auch die Mobilisierungsaktionen, die jetzt anstehen, sind richtig. Dennoch ist eine Ausbildungsplatzabgabe als letztes Mittel durchaus auch vertretbar.
Wir haben also zunächst das Problem, dass die Betriebe nicht ausreichend ausbilden. Das hat natürlich mit der konjunkturellen Lage zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, dass die berufliche Bildung reformiert werden muss, dass die Berufsbilder modernisiert und dass neue Berufe geschaffen werden müssen. Da ist in den letzten Jahren vieles erreicht worden. Wir brauchen auch für die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler und Schulabgänger Angebote, zweijährige Ausbildungen und Qualifizierungsbausteine.
Zweitens wird immer wieder kritisiert, dass die Jugendlichen nicht ausbildungsfähig seien. Das konnten wir gerade in diesen Tagen wieder von der IHK Stuttgart und von der Handwerkskammer nachlesen. Hier ist auf jeden Fall das Land mit der Bildungs- und der Sozialpolitik in der Pflicht.
(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Der Supermi- nister Clement ist in der Pflicht, einmal eine gute Konjunkturpolitik zu machen! – Gegenruf des Abg. Bebber SPD: Oh, ist die gescheit!)
Die Konjunkturpolitik ist nicht das einzig Ausschlaggebende für diese Entwicklung. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Zahlen schon seit Anfang der Neunzigerjahre rückläufig sind. Wir brauchen auch im Bereich der Berufsbilder, im Bereich der Erleichterungen und der Anreize eine ganze Menge von Maßnahmen.
Ausschlaggebend ist aber auch, dass die Schulabgänger mit ausreichenden fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenzen ausgestattet sind, damit die Klagen der Betriebe über die mangelnde Ausbildungsreife und darüber, dass sie keine qualifizierten Bewerber und Bewerberinnen finden, abnehmen.
Wichtig ist auch die Förderung benachteiligter Jugendlicher. Dazu haben Sie, Frau Ministerin Schavan, heute Morgen auch gesagt, dass es in diesem Bereich noch Bedarf gibt. Denn ohne Hauptschulabschluss, mit schlechtem Hauptschulabschluss oder mit abgebrochenen Schulausbildungen sieht es ziemlich duster aus. Da sind auch die begleitenden Hilfen wichtig. Hierzu wäre die Schulsozialarbeit ein wichtiger Baustein gewesen. Trotzdem sind die Mittel hierfür jetzt gekürzt worden. Auch die Mittel für das Programm „Jugend – Arbeit – Zukunft“ sind im letzten Doppelhaushalt reduziert worden. Dies ist gerade in diesem Bereich äußerst kontraproduktiv.
Diesbezüglich ist das Land ebenso in der Pflicht und muss auch im Bereich der beruflichen Schulen deutliche Zeichen setzen, und zwar auch in Bezug auf die Reform des Berufsvorbereitungsjahrs.
Eigentlich besteht der Wunsch, dass wir eine kontroverse bzw. lebhafte Debatte führen, das heißt, dass die Abgeordneten in der zweiten Runde auch auf das eingehen können, was die Mitglieder der Landesregierung sagen.
Verehrter Herr Präsident, Sie haben mir das Wort gegeben. Deswegen rede ich jetzt. Vielen Dank dafür.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ist deswegen außerordentlich wichtig, weil wir in Gefahr sind, es zum ersten Mal nach fünf Jahren nicht mehr zu schaffen, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen eine Lehrstelle zu geben.
Ich möchte einmal mit dem beginnen, was in den vergangenen fünf Jahren geleistet worden ist. Wenn wir uns zurückerinnern: In den Jahren 1996 und 1997 haben wir hier von der Opposition beantragte Debatten unter den Überschriften „Lehrstellenkatastrophe“ oder „Lehrstellenmangel in Baden-Württemberg“ geführt. Wir haben dann vonseiten des Wirtschaftsministeriums die so genannten Spitzengespräche initiiert und zu diesen Gesprächen all diejenigen eingeladen, die in irgendeiner Weise mit Ausbildung und Ausbildungsfragen zu tun haben: die zuständigen Ministerien, die Gewerkschaften, die Kammern, die Verbände. Ein ziemlich rasches Ergebnis dieser Gespräche war, dass dank
der Ausbildungsbereitschaft, vor allem von Handwerk und Mittelstand, fünf Jahre in Folge alle jungen Menschen, die eine Ausbildungsstelle in Baden-Württemberg haben wollten, diese auch gefunden haben. Das ist eine großartige Leistung der Ausbildungsbetriebe, denen Dank und Anerkennung dafür gebührt, dass sie oftmals über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildet haben.
(Beifall der Abg. Dr. Noll FDP/DVP und Veronika Netzhammer CDU – Abg. Wintruff SPD: Außer denen, die im BVJ übrig geblieben sind!)
Ich komme gleich noch darauf. Das hat auch Herr Schmiedel zu Recht angesprochen. Nur keine Aufregung.
Nun zeichnet sich im Zusammenhang mit der konjunkturellen Entwicklung, aber auch im Zusammenhang mit den ständig steigenden Anforderungen an Ausbildungsbetriebe – das darf man auch nicht vergessen – eine etwas sinkende Ausbildungsbereitschaft ab. Das lässt sich in aktuellen Zahlen nach der Ausbildungsstatistik des Landesarbeitsamts für Februar 2003 wie folgt feststellen: Wir haben im Vergleich zum Februar 2002 bezüglich der gemeldeten Ausbildungsstellen einen Rückgang um 14,5 % zu beklagen. Dies muss man ansprechen. Das kann gar nicht beschönigt werden. Man muss vielmehr deutlich machen, dass die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen innerhalb eines Jahres um 14,5 % zurückgegangen ist.