Protocol of the Session on February 19, 2003

Die 77 000 € für diese Stelle, die gestrichen werden soll, sind genauso viel, wie das Geschirr in der Villa Reitzenstein für öffentliche Repräsentationszwecke kostet. Das muss man sich einmal vor Augen halten.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Ersatzbeschaffung!)

Ersatzbeschaffungen, genau. – Wenn man jetzt sagt, es sei wichtig, das Ehrenamt zu fördern, darf man nicht immer nur diese warmen Worte, diese Sonntagsreden im Mund führen, sondern dann muss man auch die Gelder,

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Das ist ernst gemeint! – Abg. Wieser CDU: Darauf gehe ich ein, Frau Kol- legin! – Abg. Dr. Lasotta CDU: Das kam von Her- zen, Frau Lösch!)

diese 77 000 € für eine zentrale Wohnberatungsstelle im Haushalt drin lassen und darf sie nicht kürzen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Repnik.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Jetzt kommt unser Minis- ter!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Wunsch des Präsidenten komme ich schon jetzt zu Wort, weil ich nicht so unbotmäßig sein möchte wie mein Freund Franz Wieser, sondern dem Präsidenten nicht widersprechen möchte.

Eine Gesellschaft, die ihre Alten nicht ehrt, verliert ihre Wurzeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Das stand gestern in einem Kommentar einer großen Boulevardzeitung, und das ist das Aktuelle an dieser Debatte. Ich bin dankbar, dass dieses Thema wieder einmal aufgegriffen wird, ein Thema, bei dem wir bis auf Kleinigkeiten großen Konsens im Haus haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dank des medizinischen Fortschritts und neuer Standards werden die Menschen immer älter.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Frau Fauser, auch bei Ihnen wird es irgendwann einmal so weit sein.

(Allgemeine Heiterkeit)

Pro Jahr steigt die Lebenserwartung um etwa einen Monat, das heißt, es gibt immer ältere Menschen, und im Alter wächst auch der Hilfebedarf. Zwischen 85 und 90 Jahren beträgt der Hilfebedarf schon 33 % – ergänzende Hilfen – und über 90 Jahren schon über 55 %.

(Minister Dr. Repnik)

(Abg. Wieser CDU: Da hat man gar keine Lust mehr aufs Altern!)

Unsere Aufgabe muss es sein, dafür zu sorgen, dass die Pflegebedürftigen in Würde altern können.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Genau!)

Ich meine deswegen, wir – bleiben wir heute beim Land – müssen Folgendes tun, was wir auch schon seit Jahren tun. Wir brauchen die Vorsorge, geriatrische Rehabilitation. Alle Menschen wünschen sich, dass sie so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben können.

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Deswegen müssen wir alles tun, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das ist durch ein abgestuftes Angebot an Hilfen möglich. Wir müssen die geriatrische Rehabilitation nützen, denn Pflegebedürftigkeit ist selten ein monokausales oder ein aktuelles Ereignis. Oft sind es multimorbide Menschen. Deswegen brauchen wir ein ganzheitliches Behandlungskonzept. Unser Geriatriekonzept in Baden-Württemberg wurde im Jahr 2001 aktualisiert und fortgeschrieben.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bedarf an Angeboten wird weiterhin steigen. Kollege Wieser hat darauf hingewiesen und Herr Noll, meine ich, auch. Wir haben jetzt 210 000 Pflegebedürftige, und im Jahr 2010 werden es etwa 270 000 sein, Menschen, die ergänzende Hilfen brauchen. Fast zwei Drittel der Pflegebedürftigen leben heute noch in Privathaushalten – ich sage ganz bewusst: noch. Mir macht es schon ein bisschen Sorge, wie sich die familiären Strukturen verändern. Ich könnte mir vorstellen, dass Kollege Wieser, wenn er seine kluge Rede hätte zu Ende führen dürfen, Herr Präsident, noch darauf hingewiesen hätte. Vielleicht tut er es ja in der zweiten Runde noch.

Übrigens verändern sich nicht nur die familiären Strukturen, sondern auch die gesellschaftlichen. Heute hat eine Familie im Durchschnitt nur noch 1,2 bis 1,4 Kinder. Das heißt, wenn die älteren Menschen pflegebedürftig werden, könnte es sein, dass dann keine Kinder mehr da sind, die sie zu Hause pflegen. Ich nehme mich als Beispiel: Ich habe drei Kinder. Aber die sind schon so mobil geworden, dass keines von ihnen mehr bei mir in Rottenburg wohnt, und ich weiß nicht, ob mich dann, wenn ich pflegebedürftig werde, ein Kind pflegen kann. Auch diese Strukturen haben sich verändert. Dem müssen wir Rechnung tragen und deswegen auch genügend stationäre Plätze bauen.

Wir müssen aber auch noch etwas anderes tun. Wenn wir schon wissen, dass heute zwei Drittel der Menschen zu Hause gepflegt werden, müssen wir die Menschen, die zu Hause pflegen, auch motivieren. Die häusliche und die professionelle Pflege müssen miteinander verzahnt und weiterentwickelt werden. Wir müssen den Menschen, die zu Hause pflegen, auch Auszeiten genehmigen. Deswegen bin ich dankbar, dass im Pflegeversicherungsgesetz jetzt für De

menzerkrankte im ambulanten Bereich neue Strukturen geschaffen worden sind. Ich gebe zu, mir geht das nicht weit genug, aber es ist besser als nichts. Es besteht die Möglichkeit, dass die Angehörigen zumindest für ein oder zwei Tage eine Auszeit nehmen können, sich erholen können und ihre Pflegebedürftigen in Tageskliniken zum Pflegen abgeben können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Land fördert ambulante Hilfen nach wie vor mit ca. 2,7 Millionen €.

Wir werden aber auch den Bereich „Wohnen im Alter“ stärken müssen. In Baden-Württemberg haben wir in den letzten Jahren das betreute Wohnen sehr stark ausgebaut, zum Teil mit Landesmitteln, zum großen Teil mit frei finanzierten Mitteln, was auch – ich komme nachher noch darauf zu sprechen – im stationären Bereich richtig ist. Natürlich möchten wir auch privates Kapital aktivieren, weil das Land das nicht alleine machen kann.

(Beifall der Abg. Beate Fauser und Dr. Noll FDP/ DVP)

Wir haben inzwischen 25 000 betreute Wohnungen. Aber ich meine auch, in den Gemeinden muss die Sozialplanung noch ganz anders gestaltet werden. Man muss verstärkt auch Planung auf den Weg bringen, die die Richtung „Jung und Alt gemeinsam in Wohngebieten“ verfolgt. Das gibt es in vielen Bereichen.

Wenn man schon über barrierefreies Wohnen spricht,

(Zuruf des Abg. Hauk CDU)

frage ich mich, warum im allgemeinen Wohnungsbau nicht schon automatisch barrierefrei gebaut wird. Das tut eben nicht nur Älteren und Pflegebedürftigen gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Auch für Familien mit Kindern wäre dies hervorragend.

(Zuruf von der SPD)

Aber noch zu wenig. Architekten denken noch viel zu wenig daran. Barrierefreies Wohnen wäre ganz wichtig, gerade im sozialen Wohnungsbau.

Aber auch wenn wir alles tun, damit die Menschen zu Hause bleiben können, werden wir in vielen Bereichen nicht umhinkommen, stationäre Plätze anzubieten. Wir wissen bei der heutigen Übergangsquote, dass wir in den Jahren bis 2010 ca. 10 000 Pflegeheimplätze brauchen. Jetzt sagt Frau Altpeter: „viel zu wenig Geld“. Frau Altpeter, haben Sie eigentlich registriert, dass wir gerade vor anderthalb Jahren die Pflegeheimförderung um 50 % auf 60 Millionen € pro Jahr aufgestockt haben?

(Beifall des Abg. Dr. Lasotta CDU – Abg. Dr. La- sotta CDU: Sehr gut!)

Sie wissen ja, dass ergänzende Mittel dazukommen, weitere 60 Millionen €, nämlich 30 Millionen € von den Trägern und 30 Millionen € von den Kommunen. Dieses Geld reicht nach heutigem Stand mit Sicherheit dafür aus, genügend Plätze zu bauen. Dennoch, meine ich, müssen wir in diesem

(Minister Dr. Repnik)

Bereich noch mehr tun. Ich will da in der Tat auch privates Geld akquirieren. Ich kann Private nur auffordern, hier mitzumachen und ihr Geld in diesem Bereich zu investieren.

Aber ich möchte nicht von einer Objektförderung zu einer reinen Subjektförderung kommen, und zwar aus folgendem Grund, Herr Noll: Durch das Pflegeversicherungsgesetz wurden die Kommunen etwa über die Sozialhilfe um über 600 Millionen DM pro Jahr entlastet. Darin steht auch, dass ein Teil dieser Gelder über die Pflegeinfrastruktur investiert werden muss.

Das Zweite: Wenn wir eine reine Subjektförderung machen, werden die Heimplätze, die Wohnheimplätze schlichtweg um 350 bis 450 € pro Monat teurer. Das heißt, damit werden wieder viele Menschen in die Sozialhilfe zurückfallen, und aufgebracht werden muss die Sozialhilfe wiederum von den Kommunen.

Eines ist mir noch ganz wichtig: dass wir, wenn wir heute sagen: „Wir wollen eine wohnortnahe Versorgung haben“, auch kleinere Häuser in der Fläche bauen können, kleinere Häuser, die den Vorteil haben, dass die Menschen im Alter eben nicht noch ganz weit „verschickt“ werden müssen, und bei denen die Möglichkeit besteht, dass die Menschen auch von ihren Angehörigen besucht werden können –

(Beifall des Abg. Wieser CDU – Abg. Wieser CDU: Geborgenheitsumfeld!)

eine Entlastung für Pflegekräfte. Deswegen brauchen wir wohnortnahe Plätze.

Eines ist klar, Herr Noll: Wir merken doch ganz genau, dass die kleinen, wohnortnahen Pflegeheime nie entstehen würden, wenn wir nur auf Subjektförderung setzen würden.