Protocol of the Session on January 23, 2003

Und zum Schluss, Herr Palmer: Ich halte es nun wirklich für das Falscheste, dass Sie hier vor dem Parlament als Regierungsmitglied und Minister im Staatsministerium an die Kirchen ein ermahnendes Wort richten

(Abg. Fleischer CDU: Das gehört zur offenen Dis- kussion!)

unter dem Motto „Schaut mal, wo es euch gut geht!

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist ja richtig!)

Es ist doch eigenartig, dass ihr eine Ausstellung zeigt, bei der ihr eventuell mit anderen, bei denen es euch möglicherweise nicht so gut geht, eine Verbindung eingeht. Denkt mal darüber nach!“

(Abg. Fleischer CDU: Das war etwas vereinfacht!)

Das ist eine Unverschämtheit, und das weisen wir hier auch in aller Form zurück.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Pfister FDP/DVP: So weit kommts noch! Das ist ja unglaublich! Da kann man sich nur an den Kopf fassen! – Zuruf von der CDU: So ein Blödsinn!)

Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Konsequenzen für die Rechtspolitik aus der wachsenden Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.

Ich erteile das Wort in der Aussprache Herrn Abg. Theurer.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute Morgen anderthalb Stunden über ein Thema diskutiert, das hier die Emotionen natürlich hat hochschnellen lassen, aber das mich nicht so stark bewegt wie der dramatische Anstieg der Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Auch wichtig!)

Ich möchte dieses Thema hoch hängen, weil wir durch die aktuellen Berichte der Landesregierung und von Berichten in den Tageszeitungen aufgeschreckt sind, die zeigen, dass Täter und Opfer jünger werden. Seit 1992 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen unter 21 Jahren von 45 000 auf rund 72 000 pro Jahr gestiegen. Bezogen auf 100 000 Einwohner, meine Damen und Herren, bedeutet dies eine Zunahme um 45 %. Dies muss uns beunruhigen, dies muss die Alarmglocken in unserer Gesellschaft schrillen lassen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: So ist es!)

Am meisten beunruhigt mich, dass die Gewaltkriminalität unter Jugendlichen sehr stark zugenommen hat. Die schweren Straftatbestände Tötung, Vergewaltigung, Raub und gefährliche Körperverletzung werden von jungen Menschen immer häufiger begangen. Das muss uns aufrütteln. Wir haben für heute diese Aktuelle Debatte beantragt, weil wir der Meinung sind, dass das Thema ganz oben auf die politische Agenda gesetzt werden muss.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Sehr gut!)

Natürlich hat es Gewalt auch unter Kindern und Jugendlichen in einer Gesellschaft über die Jahrhunderte hinweg immer gegeben, aber wichtig ist, wie wir als Gesellschaft mit solchen Entwicklungen umgehen. Deshalb fordere ich für die FDP/DVP-Landtagsfraktion eine Grundsatzdebatte in unserer Gesellschaft, um diesen Entwicklungen, die besorgniserregend sind, entgegenzutreten. Wir hätten hierzu auch von der rot-grünen Bundesregierung mehr Initiativen erwartet. Wir werden nun diese Initiativen vonseiten des Landes Baden-Württemberg einfordern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir brauchen dabei auch eine Diskussion über Vorbilder. Liberale wollen den starken Staat, wobei für uns der starke Staat ein schlanker, aber fitter, ein wirksamer Staat ist. Zunächst einmal wollen wir, dass bestehende Gesetze konsequent angewandt werden. Es gilt, den Rechtsstaat wirksamer zu machen. Dazu ist eine bessere, schnellere und wirksamere Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten sowie Bewährungs-, Kinder- und Jugendhilfe und von Institutionen der Bildung im Bereich von Schulen und Kindergärten erforderlich. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP/DVP haben hierzu richtungweisende Projekte gestartet. Ich nenne

stellvertretend das erfolgreiche Projekt „Haus des Jugendrechts“

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

und das Initiativprogramm „Jugendliche Intensivtäter“. Dieser Weg muss konsequent fortgesetzt werden, ebenso die Prävention in Schulen und Kommunen. Wir brauchen die Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen, von der Arbeiterwohlfahrt über die Kirchen und Vereine bis zum Zontaclub.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, darüber hinaus sind aber aus Sicht der FDP/DVP Rechtsänderungen erforderlich. Wir schlagen die Einführung eines Warnschussarrestes vor.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Jetzt kommt der Knüp- pel!)

Wir sind der Meinung, dass die Anwendung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende wieder die Regel und nicht die Ausnahme sein soll. Das Gesetz muss möglicherweise präzisiert werden, weil die Rechtsprechung mittlerweile die Ausnahme zur Regel hat werden lassen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das wird ja Gründe ha- ben!)

Wir schlagen die Erhöhung des Strafrahmens bei nach Jugendstrafrecht verurteilten Heranwachsenden auf 15 Jahre vor, um gerade vor Gewaltverbrechen abzuschrecken. Wir fordern die Stärkung des vereinfachten Jugendverfahrens. Die FDP/DVP-Fraktion spricht sich für die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Heranwachsenden aus, auf die das allgemeine Strafrecht angewandt wird.

Meine Damen und Herren, wir können nicht einerseits immer mehr Verantwortungen auf Jugendliche übertragen, wir können nicht einerseits sagen: „Wir senken das Eintrittsalter, man soll mit 16 Jahren Auto fahren dürfen, man darf immer früher in die Diskothek“, und andererseits zulassen, dass es, wenn man Gesetze übertritt, gegen Gesetze verstößt, Straftaten im jugendlichen Alter begeht, nicht die erforderlichen Sanktionen nach sich zieht. Das funktioniert nicht. Auf diesen Umstand, meine Damen und Herren, wollen wir hinweisen,

(Beifall bei der FDP/DVP)

und wir wollen entsprechende Gesetzesinitiativen ergreifen, weil wir sehen, dass die Zahl der jungen Tatverdächtigen stark zugenommen hat.

In der ersten Runde möchte ich aber auch nicht verhehlen, dass das Ganze in einen breiteren gesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet werden muss. Solange angesehene Bürger ihre Luxuslimousine ohne Unrechtsbewusstsein immer häufiger durch Fußgängerzonen steuern und im Parkverbot abstellen, solange Sozialversicherungsbetrug und Schwarzarbeit zunehmend als Kavaliersdelikte angesehen werden und Steuerhinterziehung gar zum Volkssport wird, so lange fehlt der Entrüstung jener Kreise über das Aussiedlerkind, das im Supermarkt beim Diebstahl erwischt wird, die moralische Grundlage, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD – Abg. Zeller SPD: Das stimmt sogar!)

Deshalb brauchen wir insgesamt eine Grundsatzdebatte über Werte und Normen, weil der allgemeine Umgang einer Gesellschaft mit ihren Werten und Normen Auswirkungen auf die Wertekoordinaten junger Menschen hat. Dies möchte die FDP/DVP mit der heutigen Debatte auf die Tagesordnung, auf die Agenda dieses Hauses setzen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Es geht vielleicht auch um soziale Zusammenhänge!)

Ich würde mir wünschen, dass dieses wichtige Thema „Bekämpfung der Jugendkriminalität, Bekämpfung der Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen“ die gleiche Aufmerksamkeit erhält wie andere Tagesordnungspunkte am heutigen Tag.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Reinhart.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Theurer hat zu Recht auf den Anstieg der Jugendkriminalität und auch auf die Bedeutung für unsere Gesellschaft hingewiesen. Was sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, ist Besorgnis erregend und muss uns alle veranlassen, darüber nachzudenken, was in unserer Gesellschaft in die falsche Richtung läuft. Wir werden diese Herausforderung auch nicht nur mit Gesetzen lösen können.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Schon gar nicht mit dem Strafrecht!)

Sicherlich nicht mit dem Strafrecht allein, aber wir brauchen auch das Strafrecht, Herr Kollege Oelmayer. Das gehört dazu.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich zuvorderst der Landesregierung ein Kompliment machen – dem Justizministerium, aber auch dem Innenministerium, dem Kultusministerium und dem Sozialministerium.

(Abg. Zeller SPD: Wirtschaftsministerium nicht vergessen!)

Ich finde, dass das, was bisher von der Regierung in Ansätzen in Angriff genommen wurde, in Deutschland mustergültig ist.

(Abg. Zeller SPD: Na, na, na! So ist es aber nicht!)

Wir werden das auch nur im Konsens der Ressorts und der Gesellschaft insgesamt angehen können. Wir werden es nicht nur repressiv angehen können – das heißt mit Bestrafung –, sondern werden sicherlich auch den Gedanken der Prävention immer wieder in den Vordergrund stellen müssen.