Protocol of the Session on November 14, 2002

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die etwas längere Aktuelle Debatte ist damit beendet.

Im Einvernehmen mit allen Fraktionen ziehen wir Punkt 3 der Tagesordnung vor:

Vereidigung eines Mitglieds des Staatsgerichtshofs

Meine Damen und Herren, der Landtag hat in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2002 Herrn Hans Strauß, Karlsruhe, für den Rest der Amtszeit des ausgeschiedenen Herrn Lothar Freund zum berufsrichterlichen Mitglied des Staatsgerichtshofs gewählt. Herr Strauß hat die Wahl angenommen.

Für die heutige Plenarsitzung ist die in § 4 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vorgeschriebene Vereidigung des Herrn Strauß vorgesehen. Dazu begrüße ich auch den neu gewählten Präsidenten des Staatsgerichtshofs, Herrn Stilz.

Darf ich nun Sie, Herr Strauß, bitten, zu mir auf das Podium zu treten.

Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs haben vor Antritt ihres Amtes vor dem Landtag folgenden Eid zu leisten:

Ich schwöre, dass ich als gerechter Richter allezeit die Verfassung des Landes Baden-Württemberg getreulich wahren und meine richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft erfüllen werde. So wahr mir Gott helfe.

Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

Herr Strauß, ich bitte Sie, die rechte Hand zu erheben und die Worte zu sprechen: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.“

(Die Anwesenden erheben sich.)

Strauß: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Vielen Dank und Ihnen alles Gute für Ihr verantwortungsvolles Amt!

(Beifall bei allen Fraktionen – Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

(Präsident Straub)

Meine Damen und Herren, unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Gruß einer Delegation des Großen Rates des Kantons Aargau unter Leitung von Herrn Großratspräsident Dr. Peter Müller. Im Mittelpunkt des eintägigen Besuchs unserer Schweizer Gäste im Landtag steht der Meinungsaustausch über grenzüberschreitende Fragen. Herr Kollege Dr. Müller, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie im Plenarsaal des Landtags von Baden-Württemberg noch einmal sehr herzlich willkommen heißen und Ihnen weiterhin einen angenehmen und informativen Aufenthalt bei uns wünschen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Situation des Strafvollzugs in BadenWürttemberg – Drucksache 13/566

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sakellariou.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Willkommen zu Themen der Landespolitik um ca. 11:45 Uhr, nachdem die Sitzung schon seit 9:30 Uhr andauert!

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich sehr, meine Damen und Herren, dass wir endlich einmal auch in diesem wichtigen Rahmen die Gelegenheit haben, das bedeutende Thema Strafvollzug,

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

die Verhältnisse im Strafvollzug von Baden-Württemberg, vor allem eingerahmt von der Debatte über das Thema „Personalabbau und finanzielle Rahmenbedingungen“, zu debattieren.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Wir haben die vorliegende Große Anfrage eingebracht, um die Fragen des Strafvollzugs und die damit zusammenhängenden Dinge wieder mehr in das öffentliche Bewusstsein hineinzutragen, aber auch, um endlich zu einer verlässlichen Datenbasis zu gelangen, damit wir die Verhältnisse auch entsprechend bewerten können. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund der leeren Kassen, die gerade angesprochen worden sind. Gerade vor dem Hintergrund des geplanten Personalabbaus und der geplanten Einsparungen muss ganz deutlich gemacht werden: Im Bereich Strafvollzug ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Insofern sind wir hier genau am richtigen Platz, um das aufgegriffene Thema im Anschluss an die vorausgegangene Aktuelle Debatte zu behandeln.

Meine Damen und Herren, viele meinen ja, die Verhältnisse im Strafvollzug stellten ein Thema dar, das nur eine Minderheit betreffe, nämlich die betroffenen Strafgefangenen, ihre Angehörigen und die Vollzugsbediensteten. Aber diese Meinung ist falsch. Denn die Menschen, die sich im Strafvollzug aufhalten, kommen ja auch irgendwann einmal wieder heraus und treffen dann genau auf diejenigen, die sich vorher so sicher geglaubt und gemeint haben, es handle sich um ein Thema ohne große Bedeutung.

Ich meine, wir erweisen der Gesellschaft einen viel größeren Dienst, wenn wir diese Menschen – wenn wir sie schon einmal schnappen, wenn wir sie schon einmal unter den Fittichen des Staates haben – in dieser Zeit so behandeln und so bearbeiten, dass ihr Zustand beim Verlassen des Strafvollzugs besser ist als beim Eintritt. Denn oft sind sie zum ersten Mal in der Situation, dass sie mit Regeln konfrontiert werden, die sie auch nachhaltig einhalten müssen. Auf diesem Weg geben wir ihnen letztlich auch eine Chance, nicht mehr Täter zu sein. Damit wiederum geben wir auch den Opfern eine Chance, keine potenziellen Opfer mehr zu werden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Oelmayer GRÜ- NE)

Aber die Gesellschaft hat ja auch insgesamt die Chance, aus diesen Kostgängern der öffentlichen Hand wieder Steuerund Beitragszahler zu machen – aber das natürlich nur, wenn man die Chancen, die im Strafvollzug liegen, auch erkennt und nutzt.

Dies war ja letztlich auch der Gedanke des Strafvollzugsgesetzes, das vor 25 Jahren in Kraft getreten ist – übrigens eine sozialliberale Glanzleistung, Herr Goll. Insofern können Sie stolz sein, dass auch Sie zu den Urvätern des Gesetzes gehören. Sie haben auch noch das riesige Glück, für diesen urliberalen und auch sozialliberalen Bereich in Baden-Württemberg Verantwortung getragen zu haben.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kleinmann FDP/ DVP)

Das Ziel dieser Reform war es ja letztlich – das haben ja alle, die damals Verantwortung trugen, auch erkannt –, wegzukommen von den unmenschlichen Verwahranstalten. Wir müssen aber als Ergebnis der Großen Anfrage konstatieren, dass wir Gefahr laufen, wieder dort hinzukommen

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ah ja!)

doch, das müssen wir sagen –, und das vor allem in einem Aufgabenbereich, meine Damen und Herren, der ausschließlich landespolitisch motiviert ist und bei dem die Aufgaben ausschließlich hier im Land verteilt sind. Es ist die Aufgabe des zuständigen Ministers, sich gegenüber seinen Kabinettskollegen durchzusetzen und die erforderlichen Mittel für diesen Bereich zu erkämpfen und zur Verfügung zu stellen.

Herr Minister, wir haben jetzt nach über sieben Jahren Ihrer Amtszeit als Justizminister und als der für den Strafvollzug Zuständige Bilanz zu ziehen. Nachdem Sie angekündigt haben, Ihr Amt zu verlassen, müssen wir uns die Frage stellen: Ist der Strafvollzug heute noch in der Lage, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, und was kann er denn überhaupt noch leisten? Dazu haben wir mithilfe der Großen Anfrage Daten und Fakten erhoben.

Zunächst zum Stichwort Überbelegung. Die baden-württembergischen Justizvollzugsanstalten sind allesamt erheblich überbelegt. Die Zahlen werden zwar immer wieder schöngeredet; dies liegt aber daran, dass der geschlossene und der offene Vollzug immer zusammengerechnet werden, wobei jeder weiß, dass die Klientel für den offenen Vollzug gar nicht vorhanden ist. Das heißt, dort gibt es viele freie Plätze, wäh

rend im geschlossenen Vollzug eine absolute Überbelegung, eine drangvolle Enge herrscht. Deswegen müssen die Zahlen korrekt in Ist- und Sollzahlen im geschlossenen und offenen Vollzug aufgeteilt werden. Dann würden die Zahlen wirklich etwas darüber aussagen, was sich in den badenwürttembergischen Vollzugsanstalten abspielt.

Die Überbelegung hat zum Beispiel auch zur Konsequenz – aus meiner Sicht eine dramatische Situation –, dass in sehr vielen Vollzugsanstalten die Strafgefangenen statt in Betten auf Matratzen schlafen müssen, die tagsüber unter dem Bett des Mitgefangenen gelagert und durch Herausziehen zum Nachtlager werden. Das muss man sich einmal vorstellen. Zwischen null und 16 Matratzen pro Vollzugsanstalt sind regelmäßig im Einsatz, je nachdem, wie hoch die Einlieferungsquoten sind.

Ein dritter Punkt zum Thema Überbelegung: Wir haben es auch mit der Mehrfachbelegung von Einzelzellen zu tun. 60 % der Einzelzellen im baden-württembergischen Strafvollzug sind inzwischen mehrfach belegt. Damit liegen wir unter den westdeutschen Bundesländern an absoluter Spitze, was die Mehrfachbelegung von Einzelzellen angeht – und das, obwohl es einen Rechtsanspruch der Strafgefangenen auf Einzelunterbringung gibt.

(Abg. Hauk CDU: Sie müssen einmal fragen, ob die das auch wollen!)

Genau; das ist die Frage. Diejenigen, die es wollen, Herr Hauk, haben eine Wartezeit von sechs Monaten, obwohl sie einen Rechtsanspruch haben. Diesen Rechtsanspruch muss die Landesregierung erfüllen. Dies ist nicht lediglich eine Forderung der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion, sondern das sind internationale Standards, die in jedem Kommentar nachzulesen sind. Dieser gesetzlichen Forderung wird nicht nachgekommen.

(Abg. Hauk CDU: Die Kommentare! Im Augenblick interessieren Gesetze und nicht Kommentare!)

Deswegen sagen wir, dass die Gesetze zumindest eingehalten werden sollten. Das erwarte ich jedenfalls von einem Justizminister und der verantwortlichen Regierung.

(Beifall bei der SPD)

Es geht aber nicht nur um die verfassungsrechtliche Problematik und die Anwendung der geltenden Gesetze, sondern es geht auch darum, dass die durch die Überbelegung hervorgerufene drangvolle Enge die Vollzugsziele massiv gefährdet, und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Wir brauchen den Behandlungsvollzug nicht nur aufgrund gesetzlicher Pflichten, sondern er ist auch aus unserer inneren Überzeugung heraus dringend notwendig. Behandlungsvollzug bedeutet Individualisierung und Differenzierung; denn nur so kann der Personenkreis, der dort behandelt werden soll, auch getrennt behandelt werden, können Opfer von Peinigern getrennt werden, können Wiederholungstäter von Ersttätern getrennt und kann jeder einzeln für sich behandelt werden, damit wir dem Vollzugsziel näher kommen.

Das Problem ist, dass die Bediensteten mit dieser Situation allein gelassen werden und die Enge auf den Fluren und in

den Zellen natürlich auch die Atmosphäre in den Vollzugsanstalten erheblich aufheizt.

Kommen wir zum zweiten Punkt, der in diesem Zusammenhang behandelt werden muss: Das ist der Personalbestand; denn diese überbelegten Anstalten müssen in diesem heiklen grundrechtlichen Bereich mit immer weniger Personal auskommen. Herr Justizminister, das haben Sie inzwischen ja auch selber erkannt; denn Sie waren es, der die Arbeitsgruppe „Sicherheit im Vollzug“ eingesetzt hat, um prüfen zu lassen, wie groß der Personalbedarf ist, um wenigstens die räumlichen Sicherheitsvoraussetzungen einigermaßen einzuhalten. Sie sind dafür zu loben, dass Sie diese Kommission eingesetzt haben. Die Ergebnisse sind uns ja auch bekannt gemacht worden. Da wurde festgehalten, dass allein für die äußeren Rahmenbedingungen, also um die Flucht zu vermeiden, als absolutes Minimum 80 neu zu schaffende Stellen im baden-württembergischen Strafvollzug erforderlich sind. Dabei geht es noch nicht um die Frage des Behandlungsvollzugs, sondern ausschließlich um die Frage der inneren Sicherheit.