Protocol of the Session on November 14, 2002

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: So ist es!)

Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Kollege Kretschmann, bitte erinnern Sie sich vier Jahre zurück. Ein entscheidender Punkt, warum wir die damalige Bundestagswahl verloren haben, war, dass vonseiten der SPD die Rente mit 60 versprochen worden ist. Ich kann aus sehr vielen Versammlungen und Diskussionen jener Zeit sagen, dass dieses Argument außerordentlich verfangen hat, dass das wirklich ein großes Angebot gewesen ist. Wir haben gerade das Gegenteil gesagt gehabt, nämlich dass das Arbeitsalter verlängert werden muss. Dann wurde die Rente mit 60 versprochen.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Dann war es der frühere stellvertretende Vorsitzende der IG Metall und neue Bundesarbeitsminister Riester, der als Erster in Deutschland gesagt hat: Wir müssen das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen. Die Rente mit 60 wurde versprochen; zwei Jahre später hat man von 67 Jahren gesprochen.

Ich will Ihnen dazu auch ganz klar meine Meinung sagen. Ich bin überhaupt nicht für die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 oder auf 70 Jahre. Aber ich bin sehr dafür, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter auch das tatsächliche Renteneintrittsalter ist und dass die Arbeitnehmer nicht vier Jahre früher in Rente gehen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Das faktische! So ist es!)

Man braucht doch keine höhere Mathematik, sondern es reicht das kleine Einmaleins, um auszurechnen, dass diese Kalkulation nicht aufgeht. Wenn man bei einem vorgezogenen Renteneintrittsalter vier Jahre weniger Beiträge einzahlt und vier Jahre länger Leistungen bekommt, muss jedes Versicherungssystem zusammenbrechen.

Der nächste Punkt: Wissen Sie noch, wie in den Apotheken über die Bundesregierung geschimpft worden ist, als die einen Eigenbeitrag für Arzneimittel, für jedes einzelne Arzneimittel eingeführt hatte? Auch das war ein entscheidender Kritikpunkt im vorletzten Bundestagswahlkampf. Auch wir hatten vernünftige Kostendeckungsmaßnahmen eingeführt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

Sie haben im Wahlkampf gesagt, dass Sie das wieder beseitigen wollten; und das haben Sie anschließend gemacht. Meine Damen und Herren, wenn man den Bürgern vorgaukelt, dass im Bereich der Krankenversicherung und der Rentenversicherung gar keine Reformmaßnahmen notwendig seien,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig! – Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP)

wenn man getroffene Einsparmaßnahmen rückgängig macht, dann braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn der Karren bei den Sozialversicherungssystemen immer stärker in den Dreck gefahren wird.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Ist noch nicht verjährt!)

Das sind nur einige Beispiele, die sich fortsetzen ließen.

Ihr nächstes Argument, Herr Kollege Kretschmann: Man müsse doch einmal die hohe Altverschuldung berücksichtigen, die Sie übernommen hätten. Das ist wahr. Aber wahr ist auch – und bitte beachten Sie dies –,

(Abg. Alfred Haas CDU: Das wollen die doch nicht!)

dass diese hohe Altverschuldung exakt im Jahr 1990 begonnen hat, nach der Wiedervereinigung Deutschlands.

(Zuruf von der CDU: Jawohl! – Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Da habe ich niemanden gehört – niemanden! –, der dagegen war, dass im Bundeshaushalt Milliardenbeträge für den Aufbau Ost ausgegeben worden sind.

(Abg. Drexler SPD: Aber anders zu finanzieren! Völ- liger Quatsch!)

Daher rührt die hohe Altverschuldung. Sie hat exakt nach der Wiedervereinigung Deutschlands begonnen und nicht vorher. Das ist die Wahrheit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Dann haben Sie, Herr Kollege Kretschmann, gesagt, wir hätten den Weg der Verschuldung auch zur Finanzierung der Beseitigung der Hochwasserschäden an der Elbe beschritten. Das ist nicht richtig. Wir haben einen anderen Finanzierungsvorschlag gemacht.

(Abg. Walter GRÜNE: Das Geld war aber schon vergeben!)

(Ministerpräsident Teufel)

Lassen Sie mich ihn noch einmal wiederholen: Im Bundeshaushalt dieses Jahres steht als Ablieferungsbetrag der Bundesbank an den Bund aus dem letzten Jahr eine Summe in Höhe von 4,5 Milliarden €. Völlig unverhofft und von den Haushältern und der Bundesregierung nicht vorauszusehen war der Betrag, der bei der Bundesregierung bereits abgeliefert ist: 11,4 Milliarden €.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Aha!)

Ist es da nicht nahe liegend, eine völlig unerwartete Ausgabe – Hochwasserschäden – mit einer gleichzeitig eingetroffenen, unverhofften Einnahme abzudecken, anstatt den billigen Weg einer Steuererhöhung und Steuerbelastung der Bürger und der Wirtschaft zu beschreiten?

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/ DVP)

Ein Teil unserer gegenwärtigen Misere liegt doch nun wirklich darin begründet, dass Sie in der Unternehmensteuerreform vor drei Jahren die Kapitalgesellschaften, die 10 % der Unternehmen in Deutschland ausmachen, auf 25 %, faktisch aber auf null gesetzt haben, während Sie die Personenunternehmen – den mittelständischen Unternehmer, den Handwerksbetrieb, den Einzelhändler, den Freiberufler –, die 90 % der Unternehmen in Deutschland ausmachen, erst zum 1. Januar 2003, Jahre später und weit weniger stark entlasten wollen. Das ist ein Teil unserer Probleme.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Reinhart CDU: Und ungerecht! – Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Genau diese Entlastung haben Sie ein weiteres Jahr verhindert. Jetzt aber wundern Sie sich, dass alles zusammenbricht.

Im Übrigen verweise ich einmal darauf, dass in der Schweiz zurzeit eine große Diskussion darüber stattfindet, ob die großen Devisenreserven und Goldreserven, die die Zentralbank hat, im Schweizer Bundeshaushalt nicht sinnvoller für Investitionen genutzt werden könnten. Ich darf auf dieses Beispiel verweisen und sagen: Sollen denn die großen Goldreserven und Devisenreserven, die die Bundesbank aus gutem Grund wie alle anderen 14 Zentralbanken nicht an die Europäische Zentralbank abgeliefert hat, untätig im Keller bleiben, oder könnte man nicht in einer so schwierigen Zeit, wie wir sie heute haben, Teilbeträge für Investitionen aktivieren? Diese Frage werfe ich einmal auf.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Dann haben Sie, Herr Kretschmann, gesagt: Wir wollen wissen, ob Sie die Verschuldung weiter nach oben treiben wollen. Ja wer treibt denn die Verschuldung nach oben? Ich lese heute in der Zeitung, dass Herr Eichel im Bundeshaushalt dieses und des nächsten Jahres mehr als den doppelten Betrag an Verschuldung vorsieht und – darauf hat Herr Kollege Oettinger hingewiesen – über den verfassungsmäßigen Rahmen hinausgeht. Stellen Sie also Ihre Frage bitte am richtigen Ort! Lassen Sie sie im Deutschen Bundestag durch Ihre Kollegen stellen; aber stellen Sie sie nicht im Landtag von Baden-Württemberg!

Wir können doch bei den derzeitigen Steuereinbrüchen neben Sparmaßnahmen nicht ohne eine weitere Erhöhung der Verschuldung auskommen. Das ist gar nicht möglich. Aber wir werden es mit Sicherheit nicht so weit treiben wie die Bundesregierung, nämlich über den Verfassungsrahmen hinaus.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Jetzt komme ich zu Herrn Kollegen Drexler. Er sagt: Wir haben Ausfälle von 1 Milliarde € und haben im Mai beschlossen, 200 Millionen € einzusparen, und haben weitere 100 Millionen € im Vollzug erbracht. Was machen Sie jetzt mit den 700 Millionen €? Ich kenne den Betrag seit gestern.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Seit gestern Abend um 5 Uhr!)

Die Haushaltsstrukturkommission tritt heute und morgen den ganzen Tag zusammen. Da will ich Sie einmal fragen, ob man schneller handeln kann, als wir handeln wollen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Minister Dr. Christoph Palmer: Nein! – Glo- cke des Präsidenten)

Herr Ministerpräsident – –

Einen Satz noch, und dann bin ich gern mit einer Zwischenfrage einverstanden. Dann können Sie gleich darauf eingehen.

Wir haben die Steuerschätzung des Frühjahrs berücksichtigt.

(Minister Dr. Christoph Palmer: So ist es! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Stringent!)

Damals haben wir Einsparungsmaßnahmen und eine Haushaltssperre in der Größenordnung von 200 Millionen € beschlossen. Jetzt aber sehen wir uns einer ganz neuen Situation gegenüber. Herr Drexler, Tatsache ist: Durch Ihre Politik haben wir jedes halbe Jahr Milliardenausfälle.

(Minister Dr. Christoph Palmer: So ist es!)

Und da fragen Sie uns, warum wir sie nicht schon gestern ausgeglichen haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei Abge- ordneten der FDP/DVP)

Jetzt können Sie gern Ihre Zwischenfrage stellen.