Jetzt geht es darum: Können wir uns aufraffen, dies zu verbessern? Dazu haben wir doch in diesem Jahr schon Diskussionen gehabt. Wir haben, Herr Kollege Oettinger, einen Finanzierungsvorschlag gemacht, in dem wir vorgeschlagen haben, den Kommunen mit 90 Millionen € eigenen Geldes unter die Arme zu greifen. Das ist im Übrigen ein Vorschlag, von dem die FDP/DVP gar nicht so weit weg ist. Wir sagen, wir haben einen Landesanteil von 39,5 % an einer Landesbank, den wir um 14 Prozentpunkte reduzieren könnten, und
dieses Geld – knapp 2 Milliarden € – könnten wir für die Schuldentilgung verwenden und die frei werdenden Zinsen ausschließlich – dazu würden wir uns verpflichten – für Kinderbetreuungsangebote und den Ganztagsschulbereich einsetzen. Das wären 90 Millionen € pro Jahr.
Überlegen Sie sich einmal diesen Vorschlag: Wir könnten ohne Schuldenaufnahme ein „Kinderland Baden-Württemberg“ verwirklichen.
Herr Kollege Oettinger, Sie haben von einer Revolution gesprochen. Nehmen Sie uns Sozialdemokraten einmal davon aus, denn wir sind auch nicht arg revolutionsverdächtig.
Oder nehmen Sie einmal die Wirtschaftsverbände und den Baden-Württembergischen Handwerkstag. Die sind doch nicht revolutionsverdächtig; die sagen genau das Gleiche. Sogar die eigene Zukunftskommission der Landesregierung hat im Jahr 2000 Folgendes festgelegt und ins Stammbuch der Landesregierung geschrieben:
Kindergärten, die ein Kind erst nach Vollendung des dritten Lebensjahrs aufnehmen, lösen das Problem der Kinderbetreuung außer Haus nur ungenügend. Schwierigkeiten mit der Betreuung der Kinder haben insbesondere erwerbstätige Alleinerziehende, Ehepaare, bei denen beide Partner berufstätig oder noch in Ausbildung sind, aber auch Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, die einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt suchen. Dies gilt vor allem dann, wenn keine Unterstützung durch Großeltern oder andere Verwandte möglich ist. Daher ist ein flexibles System der außerhäuslichen Kinderbetreuung erforderlich.
Mit dem Ziel einer leichteren Vereinbarkeit von Kind und Beruf sollten auch an den Grundschulen Betreuungsmöglichkeiten geschaffen werden, und zwar sowohl ganztags als auch ganzjährig.
Der Ihrer Partei angehörende Oberbürgermeister von Singen hat gesagt: Im Kindergartenbereich sind wir gut, aber wir haben Trabbi-Niveau bei Kindern im Alter bis drei Jahren und von sechs bis vierzehn Jahren. Das ist doch keine Erfindung von uns.
Jetzt komme ich zur Bundesregierung: Die Bundesregierung muss überhaupt kein Geld geben, weil das nicht ihre Zuständigkeit ist. Jetzt nimmt diese Bundesregierung freiwillig 4 Milliarden € in die Hand und stellt sie für den Ausbau von Ganztagsschulen bereit, stellt anderthalb Milliarden für den Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder bis drei Jahren zur Verfügung, und jetzt beschweren Sie sich. Sie haben
Frau Dr. Stolz, Ihnen will ich sagen: Das Kindergeld ist durch die rot-grüne Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode innerhalb von vier Jahren um 37 % erhöht worden. Das ist die höchste Kindergelderhöhung aller Legislaturperioden der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben ein Bundesverfassungsgerichtsurteil bekommen, in dem Ihnen bescheinigt wurde, Familien verfassungswidrig zu besteuern. Nicht Grüne und SPD! Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Jetzt mache ich Ihnen einen Vorwurf und frage, ob Sie das bewusst machen oder nicht. Sie zwingen junge Familien mit Kindern – entweder Männer oder Frauen; meistens Frauen – dazu
weil Sie in diesem Land keine Rahmenrichtlinien machen, nach denen jeder, der arbeiten muss oder will, sein Kind gut unterbringen kann – das haben Sie nicht hinbekommen –, keiner Berufstätigkeit nachzugehen. Sie zwingen Ihr Familienbild den jungen Familien in Baden-Württemberg auf. Faktisch ist das so.
Wir haben über Jahrzehnte geglaubt, am Besten ist es, wenn einer der beiden Eltern, also im Zweifel die Frau, solange die Kinder klein sind, auf eine Berufstätigkeit verzichtet, und je mehr man das erreicht, desto eher werden wir auch mehr Kinder haben. Mittlerweile aber wissen wir, dass im europäischen Vergleich die Länder, in denen die Möglichkeiten, Berufstätigkeit und familiäre Verpflichtungen zu verbinden, besser sind, höhere Kinderzahlen haben als die Länder, die eher das traditionelle Bild von Familie haben. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen.
Das sollten Sie auch machen. Herr Oettinger hat es auf dem Bezirksparteitag der CDU in Nordwürttemberg mit einem Antrag zu den Ganztagsschulen versucht, und prompt ist er – ich sage nicht: auf die Schnauze – auf den Bauch gefallen. Der Antrag ist abgelehnt worden.
(Widerspruch bei der CDU – Abg. Capezzuto SPD: So gehen die mit dem Spitzenkandidaten um! Jes- ses! – Gegenruf von der CDU: Ruhe da hinten!)
Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren – ich will das einfach noch einmal erwähnen –: Woher kommt es denn, dass Sie da lange Jahre nichts gemacht haben? Weil Sie ein Familienbild haben, das in der Gesellschaft nicht mehr vermittelbar ist.
Nein, es ist so. – Die „Stuttgarter Zeitung“ hat – darauf hat ja meine Kollegin Bezug genommen – am 10. Oktober geschrieben, für den Ministerpräsidenten gebe es „nur zwei weibliche Lebensformen: das ‚Modell Edeltraud‘ – seine Ehefrau,
die ganz für die Familie da ist – und das ‚Modell Hilde‘ – seine langjährige Sekretärin, die ganz im Beruf aufgeht.“
Das kann jeder persönlich in seiner Familie ausmachen. Es darf aber nicht sein, dass sein persönliches Familienbild zum politischen Leitbild eines modernen Baden-Württemberg wird. Das geht nicht.
(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge- ordneten der Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Jetzt überziehen Sie aber! – Abg. Alfred Haas CDU: Schröder ist das Vorbild!)
Sorgen wir alle dafür, dass wir in Baden-Württemberg rasch mehr Betreuungsplätze für Kleinkinder und Schulkinder bekommen. Sorgen wir dafür, dass wir mehr Ganztagsbetreuung bekommen. Sorgen wir dafür, dass der Bildungsauftrag bei den Kindertagesstätten verwirklicht wird, und sorgen wir dafür, dass die pädagogische Qualität des Kinderbetreuungsangebots gesichert wird. Dazu reichen wir Ihnen beim Kindergartengesetz und bei anderen Dingen die Hand. Wir hoffen aber, dass die Sprüche, die wir heute gehört haben,
Das Problem ist doch, dass in Baden-Württemberg lange Jahre die Frau, die Hausfrau war, in den Himmel gelobt wurde,